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Substantivierung
Substantivierung oder auch Nominalisierung ist die Bildung eines Substantivs aus einer anderen Wortart, vor allem aus Verben und Adjektiven. Sie findet sich in vielen Sprachen. Im Gegensatz zu ihr steht die Desubstantivierung.
Allgemeines
Bei der Substantivierung kann die Form des Wortes geändert werden (Derivation, etwa durch Präfixe oder Suffixe), oder sie kann erhalten bleiben (Konversion).
Substantivierung ändert die Wortart. So können neue Wörter erzeugt werden.
Substantivierung im Deutschen
Allgemeines
Substantive und substantivierte Formen werden in der deutschen Rechtschreibung großgeschrieben.[1] Diese Konvention verlangt vom Schreiber eine genaue Kenntnis darüber, ob ein Wort ein Substantiv bzw. eine substantivierte Form ist. Zudem kennt das Regelwerk auch Ausnahmen.
Die Bedeutung des Ausgangswortes bleibt bei der Substantivierung zunächst erhalten, kann sich im Laufe der Zeit aber auch verschieben (Bedeutungswandel). Die Wendung „auf dem Laufenden sein“ z. B. hat mit der Bedeutung des Verbs laufen nur noch entfernt zu tun. Auf diese Weise haben sich viele ursprüngliche Substantivierungen zu gänzlich unabhängigen Substantiven entwickelt (Beispiele: Junge, Oberst). Diese weichen nicht nur semantisch, sondern gelegentlich auch hinsichtlich ihrer Beugung vom Ursprungswort ab (mehrere variable Größen/mehrere Variablen; der Schnitt zweier gerader Linien/der Schnitt zweier Geraden; eines Gläubigen/eines Gläubigers)[2]
Bei der Substantivierung verschiebt die Bedeutung sich tendenziell vom Konkreten ins Abstrakte (z. B. wissen → Wissen), vom Individuellen ins Allgemeine. Substantivierung wird daher oft als Stilmittel benutzt, um einer Formulierung den Charakter von Objektivität zu verleihen.[3] Werden viele Substantivierungen verwendet, spricht man von Nominalstil.
Substantivierung von Verben
Alle Verbinfinitive können ohne Änderung der Form als Substantive verwendet werden. Das korrespondierende Substantiv ist stets ein deklinierbares Neutrum und Singularetantum (etwa gehen → das Gehen). Manche Verben können darüber hinaus durch Präfixe oder Suffixe substantiviert werden. Dann sind auch Pluralformen möglich.
Beispiele für Nomen aus Verben:
- „Das Gehen fällt mir leicht.“ (zum Verb gehen ohne Formänderung)
- „Die Lauferei macht hungrig.“ (zum Verb laufen mit Suffix -erei)
- „Die Berührungen waren kaum wahrzunehmen.“ (zum Verb berühren mit Suffix -ung)
- „Das Geheul nahm kein Ende.“ (zum Verb heulen mit Präfix Ge-)
- „Heute gibt es Geschnetzeltes.“ (zum Verb schnetzeln ein dekliniertes Partizip Perfekt)
Die Infinitive reflexiver Verben werden normalerweise nicht substantiviert (sich verhalten, aber nur: das Verhalten). Wörter wie regen in „sich regen bringt Segen“ sind nicht substantiviert und werden auf jeden Fall kleingeschrieben. Möglich ist allerdings eine okkasionelle Konversion reflexiver Verben, bei der das Wort sich und der Infinitiv zusammengeschrieben werden (das Sichbeklagen).[4]
Substantivierung von Adjektiven, Partizipien und Zahlwörtern
Die zweite große Gruppe von Wörtern, die substantiviert werden können, sind die Adjektive.
Adjektivische Beugung
Die Beugung erfolgt meist nach demselben Muster wie die Beugung normaler attributiver Adjektive (die neue Kollegin → die Neue).
Feminina und Maskulina beziehen sich meist auf Personen (die Unbekannte, ein Verwandter, jeder Delegierte), wobei Geschlechterunterscheidungen nur in der Singularform, nicht jedoch im Plural bestehen (die Großen, Studierende);[5] vereinzelt kommen auch feststehende elliptische Termini vor (die Rechte [= Sammelbegriff für politisch rechte Gruppierungen]). Die Neutrumform dagegen bezieht sich meist auf Unbelebtes und nicht Zählbares (das Böse, etwas Hübsches, alles Brauchbare), gelegentlich jedoch auch auf Jungtiere oder Kinder (die Bärin und ihr Junges; das Kleine von Herrn Meyer). Eine weitere Ausnahme bilden feststehende elliptische Ausdrücke aus bestimmten Wortfeldern (z. B. alkoholische Getränke, Sport, Geometrie), die sich ebenfalls auf Zählbares beziehen (ein Helles, einen Roten trinken; der Boxer verpasst seinem Gegner eine Linke; eine Gerade, eine Diagonale, eine Parallele).[6]
Abweichende Beugung
Wenn dem substantivierten Adjektiv eines der Indefinitpronomen jemand, niemand oder wer vorausgeht, kommt es standardsprachlich zu einer abweichenden Beugung. Im Nominativ und Akkusativ folgt die Endung -es (jemand Unbekanntes, niemand Bekanntes treffen, sie möchte wen Nettes kennenlernen); im Dativ folgt die Endung -em (mit jemand Unbekanntem). Regional und von der Standardsprache abweichend sind jedoch auch andere Formen üblich und zulässig.[7]
Standardsprachlich kommt es auch dann zu einer abweichenden Beugung, wenn dem substantivierten Adjektiv ein attributives Adjektiv vorangeht (sie liebt Schmuck und anderes Schöne; mein ganzes Innere [Thomas Mann]; einiges Interessante erzählen). Abweichend von der Standardsprache sind jedoch auch Beugungen wie „anderes Schönes“ usw. zulässig und weithin verbreitet.[8]
Formen ohne Deklinationsendung
Bei Farb- und Sprachbezeichnungen gibt es neben der syntaktischen Substantivierung (ins Schwarze treffen, sich im Dunkeln fürchten; aus dem Italienischen übersetzen) einen weiteren Substantivierungstyp: die endungslose lexikalische Substantivierung (ein reines Schwarz, welch ein Dunkel hier!; das Italienisch Dantes).[9]
Eine Deklinationsendung fehlt auch bei bestimmten feststehenden Substantivierungen, die Kerne von Nominalphrasen sein können. Beispiele: ohne Arg, ohne Falsch, ein Elend, ein kühles Nass, das Rund der Erde, Spitz (Hunderasse), Tief (Meteorologie), Arm und Reich, Jung und Alt, Groß und Klein, Gut und Böse, Gleich und Gleich gesellt sich gern.[10]
Die endungslose Substantivierung ist zu unterscheiden von (nicht-substantivierten) Formen, die nicht als Kerne von Nominalphrasen auftreten, sondern nur in feststehenden Verbindungen mit Präpositionen (Beispiele: für dumm verkaufen, seit ewig, von klein auf, für ungültig erklären; durch dick und dünn, über kurz oder lang, von nah und fern). Manchmal stehen Adjektive auch grammatisch isoliert (auf schuldig plädieren, [Anzeige] gegen unbekannt; allzu scharf macht schartig [Sprichwort]).[10]
Suffixformen
Adjektive können auch durch Suffixe wie -heit oder -keit in Substantive überführt werden. Beispiele:
- „Das Schönere“ (zum Adjektiv schön mit komparativer Deklinierung)
- „Die Reinheit“ (zum Adjektiv rein mit Suffix -heit)
- „Die Lauterkeit“ (zum Adjektiv lauter mit Suffix -keit)
Gelegenheitssubstantivierung
Auch Partikelwörter und andere Wörter, die weder Verben noch Adjektive sind, werden gelegentlich substantiviert.[11] Beispiele:
- „Das Auf und Ab hatte kein Ende.“ (zu den Präpositionen auf und ab)
- „Das ist ohne Wenn und Aber richtig.“ (zu den Konjunktionen wenn und aber)
- „Ab wann versteht ein Kind ein Nein?“ (zum Partikel nein)
- „das Gestern und das Heute“ (zu den Adverbien gestern und heute)
- „die Grenzen des Ich“ (zum Pronomen ich)
- „die Schreibung des langen i“; „die Form eines U“ (zu den Einzelbuchstaben i und U)
Der Übergang der Gelegenheits- zur Zitatsubstantivierung ist fließend.
Zitatsubstantivierung
Auch zitierte sprachliche Einheiten können, selbst wenn sie eigentlich keine Substantive sind, grammatisch wie Substantive behandelt werden. Dies gilt für einzelne Laute oder Buchstaben ebenso wie für Wörter, ganze Sätze oder auch Werktitel. Beispiele: das englische „th“; er beendet jeden Satz mit einem „nicht wahr?“; sie liest gerade „Krieg und Frieden“.[12]
Komposita
Selbst Infinitivphrasen können substantiviert werden. Dabei entstehen entweder Komposita oder Bindestrichkonstruktionen, die grammatisch in jedem Fall wie Substantive behandelt werden (Beispiele: das Teetrinken; das Geld-zum-Fenster-Hinauswerfen).[13]
Syntax und Kenntlichkeit
Weil substantivierte Wörter im Deutschen großgeschrieben werden, ist die Kenntlichkeit von Substantivierungen in dieser Sprache ein besonderes Problem.[1] Viele Kriterien, die Sprachbenutzer zur Identifikation von Substantivierungen intuitiv verwenden, funktionieren zwar bei der Identifikation einiger Substantivierungen, können bei anderen jedoch versagen.
Hier eine Übersicht (die unproblematischen Fälle sind grün unterlegt):
Kriterium | Infinitive | Adjektive und Partizipien |
---|---|---|
das Wort ist Kern einer Nominalphrase, d. h. es hat die Funktion eines Subjekts oder Prädikativs | Beispiele: Julia liebt Schwimmen; Vorbeugen ist besser als Heilen[14]; daneben aber auch: vorbeugen ist besser als heilen (Infinitive als Kern einer Nominalphrase sind nicht zwingend als substantiviert aufzufassen);[15] | seine Lieblingsfarbe ist Rot; aber: grünen Spargel mag er nicht; er isst nur weißen (Ellipse) |
Artikel oder Demonstrativpronomen geht voraus | ein Raunen, beim Lernen, dieses Warten[14] | die Lehrerin begrüßt die Neuen; die Großen fressen die Kleinen; aber: die großen Fische fressen die kleinen (Ellipse) [16] |
Genitiv-Konstruktion oder vorausgehendes Possessivpronomen | ihr Zögern, Lillis Weinen, das Schweigen der Lämmer | deine Vier in Latein; aber: meine zwei Kinder sind mir lieber als Paulas vier (Ellipse) |
vorausgehende Präposition | aus Versehen, mit Bangen, durch Üben[15] | es geht ans Eingemachte; aber: in kalten Gewässern findet man diesen Fisch eher als in warmen (Ellipse) |
vorausgehendes gebeugtes Adjektiv oder Partizip | zustimmendes Nicken, betretenes Schweigen, lautes Klatschen[15] | dunkles Violett, treue Liebende; aber: lieber alte, aber weiche Socken als kratzige neue (Ellipse) |
vorausgehendes Indefinitpronomen | da hilft kein Schelten; es ist viel Essen übrig geblieben; aber: seit der Magenoperation kann er nicht mehr viel essen (adverbialer Gebrauch von viel) | viel Neues, alles Mögliche, nichts Berauschendes |
Substantivierung in anderen Sprachen
In einigen anderen Sprachen können noch häufiger als im Deutschen Adjektive substantiviert werden. So sind zum Beispiel viele aus dem Altgriechischen stammende Wörter des Deutschen, wie Physik oder Musik, substantivierte griechische Adjektive, wobei das beschriebene Nomen letztlich nicht mehr erwähnt werden muss:
- von φυσική physiké „natürlich“, zu ergänzen: ἐπιστήμη epistéme „Wissen“: „die natürliche Wissenschaft“ oder
- μουσική mousiké „musisch“, zu ergänzen: τέχνη téchne „Kunst“: „die musische Kunst“ und so weiter.
Siehe auch
Literatur
- Ullmer-Ehrich, Veronika: Zur Syntax und Semantik von Substantivierungen im Deutschen. Monographien Linguistik und Kommunikationswissenschaft 29. Scriptor, Kronberg, 1977
- Weinrich, Harald; unter Mitarb. v. Maria Thurmair, Eva Breindl, Eva-Maria Willkop: Textgrammatik der deutschen Sprache. Duden, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich, 1993
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 Duden. Die Grammatik. 8. Auflage. Bibliographisches Institut/Dudenverlag, Mannheim 2009, ISBN 978-3-411-04048-3, S. 85f.
- ↑ Duden. Die Grammatik. 8. Auflage. Bibliographisches Institut/Dudenverlag, Mannheim 2009, ISBN 978-3-411-04048-3, S. 351f.
- ↑ Dörte Lütvogt: Untersuchungen zur Poetik der Wisława Szymborska. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 1998, ISBN 3-447-03309-6, S. 111.
- ↑ Duden. Die Grammatik. 8. Auflage. Bibliographisches Institut/Dudenverlag, Mannheim 2009, ISBN 978-3-411-04048-3, S. 725.
- ↑ Duden. Die Grammatik. 8. Auflage. Bibliographisches Institut/Dudenverlag, Mannheim 2009, ISBN 978-3-411-04048-3, S. 156.
- ↑ Duden. Die Grammatik. 8. Auflage. Bibliographisches Institut/Dudenverlag, Mannheim 2009, ISBN 978-3-411-04048-3, S. 348f.
- ↑ Duden. Die Grammatik. 8. Auflage. Bibliographisches Institut/Dudenverlag, Mannheim 2009, ISBN 978-3-411-04048-3, S. 998f.
- ↑ Duden. Die Grammatik. 8. Auflage. Bibliographisches Institut/Dudenverlag, Mannheim 2009, ISBN 978-3-411-04048-3, S. 961f.
- ↑ Duden. Die Grammatik. 8. Auflage. Bibliographisches Institut/Dudenverlag, Mannheim 2009, ISBN 978-3-411-04048-3, S. 349‒351.
- ↑ 10,0 10,1 Duden. Die Grammatik. 8. Auflage. Bibliographisches Institut/Dudenverlag, Mannheim 2009, ISBN 978-3-411-04048-3, S. 351.
- ↑ Duden. Die Grammatik. 8. Auflage. Bibliographisches Institut/Dudenverlag, Mannheim 2009, ISBN 978-3-411-04048-3, S. 205.
- ↑ Duden. Die Grammatik. 8. Auflage. Bibliographisches Institut/Dudenverlag, Mannheim 2009, ISBN 978-3-411-04048-3, S. 799.
- ↑ Duden. Die Grammatik. 8. Auflage. Bibliographisches Institut/Dudenverlag, Mannheim 2009, ISBN 978-3-411-04048-3, S. 798f.
- ↑ 14,0 14,1 Duden. Die Grammatik. 8. Auflage. Bibliographisches Institut/Dudenverlag, Mannheim 2009, ISBN 978-3-411-04048-3, S. 797f.
- ↑ 15,0 15,1 15,2 Duden. Die Grammatik. 8. Auflage. Bibliographisches Institut/Dudenverlag, Mannheim 2009, ISBN 978-3-411-04048-3, S. 798.
- ↑ Duden. Die Grammatik. 8. Auflage. Bibliographisches Institut/Dudenverlag, Mannheim 2009, ISBN 978-3-411-04048-3, S. 769f.
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