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Diskussion:Margot Wicki-Schwarzschild
Tachles 22.1.21:
Zeitzeugin gegen das Vergessen
Im Alter von 89 Jahren verstarb die in der Baselbieter Gemeinde Reinach lebende Schoah-Überlebende Margot Wicki-Schwarzschild. 1931 in Kaiserslautern geboren, erfuhr Margot Schwarzschild den Judenhass schon früh. Mit sieben wurde sie im November 1938 zusammen mit ihrer Schwester von der Schule verwiesen. Als sie das Schulhaus verliess, schrien Kinder und Lehrer: «Hinaus mit dem Judenpack. Wir wollen keine Juden mehr!» Während der Kristallnacht wurde die Synagoge, welche der Vater besuchte, zerstört. Der Vater kam ins Konzentrationslager Dachau. Er wurde freigelassen, er durfte nicht darüber sprechen, was ihm dort widerfahren war. Kurz darauf musste die ganze Familie zwangsweise in ein «Juden-Haus» umziehen. Schliesslich wurden Margot Schwarzschild und ihre Familie am frühen Morgen des 22. Oktober 1940 aus dem Schlaf gerissen, zu einer Sammelstelle geführt und zusammen mit 6500 anderen Jüdinnen und Juden aus Baden und der Saarpfalz in das französische Internierungslager Gurs deportiert. Diese berüchtigte Deportation südwestdeutscher Juden ist als «Wagner-Bürckel-Aktion» bekannt und war rund ein halbes Jahr vor Beginn der Deportationen in die Ghettos und die Vernichtungslager des Ostens die erste derartige Aktion Nazideutschlands. Eine Fotoserie aus Lörrach zeigt eindrücklich, wie diese Deportation in aller Öffentlichkeit und unter weitgehender Zustimmung der Bevölkerung geschah, die sich anschliessend ohne zu Zögern des zurückgelassenen jüdischen Besitzes bemächtigte.
Gurs und Vichy-Frankreich
Das Lager Gurs stand unter der Verwaltung Vichy-Frankreichs. Die Zustände seien katastrophal gewesen, erinnerte sich Wicki in späteren Jahren. Von Gurs wurde die Familie in das nicht minder berüchtigte Lager Rivesaltes verlegt. 1941 konnten die Schwarzschilds kurz in Halbfreiheit in Carcassone leben. Doch dann begannen 1942 die Deportationen nach Auschwitz, unter aktiver Beteiligung der französischen Polizei und der Miliz des französischen Kollaborationsregimes von Vichy.
Die Familie Schwarzschild wurde daraufhin wieder in Rivesaltes inhaftiert. Von dort aus deportieren die Nazis und ihre Helfer den Vater Richard Schwarzschild nach Auschwitz, wo er ermordet wurde. Mutter und Töchter wurden mithilfe der Schweizerischen Rotkreuzschwester Friedel Bohny-Reiter gerettet. 1990 wurde Friedel Bohny-Reiter von Yad Vashem als «Gerechte unter den Völkern» anerkannt. Zwei Jahre lange lebten die beiden Schwestern in der Folge in einem Kinderheim der Schweizerischen Kinderhilfe und konnten sich so dem Zugriff der Gestapo und der Vichy-Miliz entziehen.
Nach der Befreiung kehrten Mutter und Töchter Schwarzschild 1946 nach Kaiserslautern zurück. Nach einer Ausbildung zur Übersetzerin und Dolmetscherin zog Margot Schwarzschild 1954 nach Genf, wo sie bei einer jüdischen Organisation als Übersetzerin arbeitete. In Genf lernte sie auch den Architekten Josef Wicki kennen, den sie später heiratete. Mit ihm zog sie 1961 nach Reinach, wo sie vier Kinder grosszog und sich in Gemeinde und Vereinen engagierte. So etwa gründete sie die Angehörigen-Selbsthilfe psychisch Erkrankter und baute zahlreiche Angebote für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen auf.
Auschwitz entkommen
Ihre Kindheitserlebnisse während der Schoah liessen sie nie los, und so begann sie an Schulen von ihren Erlebnissen zu berichten. Beim Gang an die Öffentlichkeit wurde sie von Erhard Roy Wiehn unterstützt, langjähriger Kolumnist der früheren «Jüdischen Rundschau», einer der beiden Vorläuferpublikationen von tachles. Ihren Einsatz gegen das Vergessen leistete sie zusammen mit ihrer vor sieben Jahren verstorbenen Schwester Hannelore. Mit ihr publizierte sie das Buch «Als Kinder Auschwitz entkommen». Für ihr Engagement gegen das Vergessen erhielt sie die Goldene Stadtplakette der Stadt Kaiserslautern.
Mit Margot Wicki-Schwarzschild ist Ende Dezember eine der ganz wichtigen Zeitzeuginnen verstorben. 76 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, deren die Welt nächste Woche am 27. Januar gedenkt, gibt es immer weniger Überlebende, die Zeugnis ablegen können über die schlimmste Epoche der jüdischen Geschichte. Das unermüdliche Engagement von Margot Wicki-Schwarzschild, bis ins hohe Alter, soll uns mahnen, die Erinnerung daran unermüdlich weiter zu pflegen.