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Ein Bericht für eine Akademie

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Ein Bericht für eine Akademie ist eine Erzählung von Franz Kafka. Nach der Erstveröffentlichung 1917 in der Zeitschrift Der Jude erschien sie 1920 im Rahmen des Bandes Ein Landarzt.

Der ehemalige Affe namens Rotpeter legt einer Akademie einen Bericht über seine Menschwerdung vor, der als Geschichte einer erzwungenen Assimilation und als pädagogische Satire verstanden werden kann.[1] Der Gegenstand des Berichts ist aber nicht, wie von der Akademie gewünscht, die Erinnerung an das äffische Vorleben, sondern die Schilderung des Anpassungsvorganges.[2]

Zusammenfassung

Eingefangen von einer Jagdexpedition der Firma Hagenbeck, monatelang gehalten in einem bedrückend engen Käfig auf einem Dampfer, sucht der Affe einen Ausweg. Er ahmt die Menschen nach, weil er so „unbehelligt“ sein will, wie sie es offensichtlich sind. Scheinbar leicht lernt er sinnvolle Gesten und auch das Sprechen. Größte Probleme hat er damit, Schnaps zu trinken. Ein Schiffspassagier erteilt ihm „zu den verschiedensten Stunden“ theoretischen und praktischen Unterricht. So lernt er auch das unter größter Mühe. Mehrfach betont er, dass er nur deshalb Menschen nachahmt, weil er einen Ausweg sucht, nicht jedoch weil er die Freiheit erhofft.

Vor die Alternative gestellt, Zoologischer Garten oder Varieté, strebt er eine Arbeit im Varieté an und hat dabei „kaum noch zu steigernde Erfolge“. Sein Leben verläuft erfolgreich zwischen Banketten, wissenschaftlichen Gesellschaften und geselligem Beisammensein. Er hat erreicht, was er erreichen wollte und er bescheinigt sich selbst die Durchschnittsbildung eines Europäers.

Das Grenzgängertum zwischen Mensch und Tier beherrscht er offensichtlich virtuos. Nicht so zwei andere Wesen in seiner Umgebung. Sein erster Dresseur, mit dem er wie „rücksichtslos“ lernt, wird selbst fast äffisch und muss zeitweise in eine Heilanstalt. Die kleine halbdressierte Schimpansin, bei der er es sich nachts „nach Affenart wohlergehen lässt“, hat den Irrsinn des verwirrten dressierten Tieres im Blick, den er tagsüber nicht ertragen kann.

Hintergrund

Im September 1908 und im April 1909 gab es in einem Prager Varieté Vorführungen eines dressierten Schimpansen mit dem Namen „Konsul Peter“. Es liegt nahe, dass Kafka daraus Anregungen zur vorliegenden Erzählung entnommen hat.[3] Er hat sich im übrigen intensiv mit Brehms Tierleben und Fragen der Verhaltensforschung und des Sozialdarwinismus beschäftigt.[4]

Elsa Brod, die Frau von Max Brod, hat das Werk am 19. Dezember 1917 im Prager Klub jüdischer Frauen und Mädchen mit großem Erfolg vorgetragen.[5] Seitdem wurde die Erzählung häufig von Rezitatoren – besonders eindrucksvoll Klaus Kammers Fernsehauftritt 1963 – in ihr Programm aufgenommen.

Zu dem Bericht für eine Akademie existieren noch mehrere kleine Fragmente.[6] Da ist eine skurrile Begegnung eines Erzählers mit Rotpeters Impresario, ein Gespräch Rotpeters mit einem Besucher und der Beginn eines Schreibens des (zeitweise verrückt gewordenen) ersten Rotpeter-Lehrers.

Form

Der menschliche Affe ist der Ich-Erzähler dieser Geschichte, nur er übersieht die Facetten seiner unglaublichen Menschwerdung und kommentiert sie. Bezeichnenderweise sind diesem Ich jedoch die Erinnerungen an die Jugend nicht mehr zugänglich; sie sind verdrängt. Hierin spiegelt sich das Traumatische seiner gewaltsamen Entführung aus dem Urzustand wider. Insgesamt tritt in der Erzählung nicht das erlebende, sondern das erzählende und reflektierende Ich in den Vordergrund. Denn die Erzählung ist vorwiegend auf Bewertung und Urteil ausgerichtet, und zwar von einer durchaus höheren Warte aus, denn der Horizont Rotpeters umfasst Tier- und Menschsein, Naturinstinkt und geistige Disziplin, Freiheit und Gesellschaftsorganisation.[7]

Rotpeters Kommentare betreffen nicht nur seine eigene Geschichte, sondern auch das Bild, das sich die Menschen von sich selbst machen.

Eine besonders ausführliche Geschehnisdarstellung gilt der Alkoholepisode, ja sie scheint der Höhepunkt der dramatischen Darstellung mit großen Spannungsbögen zu sein. Diese lange Periode gleicht einer filmischen Wechselmontage zwischen Lehrer und äffischem Schüler.[8]

Textanalyse und Deutungsansätze

Rotpeters Bericht kann als Gleichnis der Stammesgeschichte des Menschen und seiner je einzelnen Sozialisation gelesen werden, denn was der Affe erlebt, lässt sich auf die gesamte Spezies des Homo sapiens übertragen. Kafka bilanziert das Menschenlos mit melancholischem Unterton als eine – wenn auch nicht gänzlich – traurige Errungenschaft und einen im Ganzen gesehen annehmbaren Kompromiss. Zugleich aber holt er zu satirischen Attacken aus, die den Menschen vom hohen Ross seiner Selbstherrlichkeit herunterholen.[9]

Das Grundmotiv ist das geradezu manische Lernen (zeitweise mit fünf Lehrern gleichzeitig) als Ausweg aus einer aussichtslosen Situation unter Verleugnung der ureigenen Bedürfnisse. Voraussetzung dazu war das Vergessen[10] und die Umkehr der gewohnten Perspektive.[11]

Bemerkenswert ist aber, dass der Affe trotz aller Lernanstrengungen dennoch durch sein unverändertes körperliches Äußeres – den Pelz – auf den ersten Blick eben nach wie vor ein Affe ist. In Bezug auf sein Äußeres, das ihn ja am deutlichsten in die Kategorie Affe einordnet, hat er nie den Wunsch nach menschlichem Aussehen geäußert oder angestrebt und er leitet sich daraus auch das Recht ab, sich zu entblößen, was einem Menschen – wie er auch selbst findet – nicht gut anstünde.

So mögen ihn wohl die Menschen in seiner direkten Umgebung fast als ihresgleichen sehen, wie der Führer der Hagenbeckschen Jagdexpedition, mit dem Rotpeter schon manche Flasche Rotwein geleert hat. Für die Öffentlichkeit in Gestalt der Journalisten, die Rotpeter verächtlich Windhunde nennt, bleibt er aber ein dressierter Affe, der die Hose herunterlässt, um seinen Pelz und seine Narben zu zeigen. Also hat er sich zwar das intellektuelle Wissen der Menschen angeeignet, er entzieht sich aber den Regeln für den adäquaten zwischenmenschlichen Umgang und für die darin enthaltene große Wirkung von Äußerlichkeiten.

Man kann die Geschichte als Travestie eines Assimilationsvorganges und auch als Satire auf die abendländische Geschichte der Zivilisation sehen.[12] Vor allem deutet die Geschichte auf den Anpassungsdruck hin, unter dem das jüdische Volk Jahrhunderte stand, um überleben zu können. Max Brod hat diese Deutung besonders betont.[13]

Bezüge zu anderen Kafka-Erzählungen

Letztlich wird das Ziel der Menschwerdung nicht erreicht, obwohl sich der Protagonist selbst dessen nicht bewusst scheint. Rotpeter ist damit als Figur vergleichbar mit den scheiternden Tiergestalten aus Forschungen eines Hundes oder Der Bau. Außerdem besteht ein Bezug zur Kafka-Erzählung Die Verwandlung, wo sich die Figur Gregor Samsa über Nacht in ein Tier, nämlich einen Käfer, verwandelt.[14] Die Tierwerdung des unauffällig-armseligen Samsa erfolgt jedoch mühelos im Schlaf. Die übergroßen Anstrengungen des Affen dagegen entstammen dem Wunsch nach Zugang in eine kultivierte Sphäre und in ein saturiertes Leben, unter Verleugnung der eigenen Wurzeln, als Ausweg, denn als Alternativen stehen nur Tod und Verderben oder das traurige Schicksal eines im Zoo ausgestellten Affen zur Auswahl.

Zitate

  • Hohe Herren von der Akademie! Sie erweisen mir die Ehre, mich aufzufordern, der Akademie einen Bericht über mein äffisches Vorleben einzureichen.
  • Ihr Affentum, meine Herren, soferne Sie etwas Derartiges hinter sich haben, kann Ihnen nicht ferner sein als mir das meine.
  • Ach, man lernt, wenn man muß; man lernt, wenn man einen Ausweg will; man lernt rücksichtslos. […] Diese Fortschritte! Dieses Eindringen der Wissensstrahlen von allen Seiten ins erwachende Hirn! Ich leugne nicht: es beglückte mich.
  • Überblicke ich meine Entwicklung und ihr bisheriges Ziel, so klage ich weder, noch bin ich zufrieden. […] Im Ganzen habe ich jedenfalls erreicht, was ich erreichen wollte.

Rezeption

  • Sudau (S.177 f.) hebt einen besonderen Umstand hervor: Das ganze Tor des Himmels – bei der Maus aus Kleine Fabel die allzu große Breite der Welt – schnurrt zusammen. Der Maus bleibt kein Ausweg, nur tödlicher Ausgang; der Affe findet in der Tat den selbsterwählten „Ausweg“. Damit steht Rotpeter in Kafkas Werk geradezu einzigartig da: Ein Held, der nicht untergeht; ein Held, der genau weiß, was er will, und dieses noch dazu erreicht! Allerdings muss er dafür „dieses große Gefühl der Freiheit nach allen Seiten“ vergessen.
  • Wies (S.91) weist darauf hin, dass der Bericht vorausdeutet auf die 1930 entstandene Schrift Das Unbehagen in der Kultur von Sigmund Freud, die eine Bilanzierung der zivilisatorischen Fort- und Rückschritte darstellt.
  • Kindlers Lexikon (S. 27) führt aus, dass der Bericht tief in der wissenschaftsgeschichtlichen Situation der Zeit verwurzelt ist – Beschreibung aus Brehms Tierleben, Darwins Evolutionstheorie, zeitgenössische Variete-Ereignisse.

Textausgaben

  • Franz Kafka: Sämtliche Erzählungen. Herausgegeben von Paul Raabe, Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt/Main 1970, ISBN 3-596-21078-X.
  • Franz Kafka: Drucke zu Lebzeiten. Herausgegeben von Wolf Kittler, Hans-Gerd Koch und Gerhard Neumann, Fischer Verlag, Frankfurt/Main 1996, S. 219–313.
  • Franz Kafka: Die Erzählungen. Originalfassung. Herausgegeben von Roger Hermes, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/Main 1997, ISBN 3-596-13270-3.

Sekundärliteratur

  • Eberhard Rohse: Hominisation als Humanisation? Die Figur des Affen als anthropologische Provokation in Werken der Literatur seit Charles Darwin – Wilhelm Raabe, Wilhelm Busch, Franz Kafka, Aldous Huxley. In: Studium generale. Vorträge zum Thema Mensch und Tier, Bd. 6, Tierärztliche Hochschule Hannover. M. & H. Schaper, Alfeld-Hannover 1989, S. 22–56 (bes. S. 47–50: Zwischen Evolution und Dressur: Hominisation als „vorwärts gepeitsche Entwicklung“ – Franz Kafka). ISBN 3-7944-0158-1.
  • Peter-André Alt: Franz Kafka. Der ewige Sohn. Eine Biographie. München: C.H. Beck 2005. ISBN 3-406-53441-4.
  • Juliane Blank: Ein Landarzt. Kleine Erzählungen. In: Manfred Engel, Bernd Auerochs (Hrsg.): Kafka-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Metzler, Stuttgart, Weimar 2010, S. 218–240, bes. 233-236. ISBN 978-3-476-02167-0.
  • Wiebrecht Ries: Kafka zur Einführung. Hamburg: Junius Verlag 1993. ISBN 3-88506-886-9.
  • Wendelin Schmidt-Dengler, Norbert Winkler (Hrsg.): Die Vielfalt in Kafkas Leben und Werk Vitalis 2005 ISBN 3-89919-066-1.
  • Reiner Stach: Kafka. Die Jahre der Erkenntnis. Frankfurt/Main: S. Fischer Verlag 2008. ISBN 978-3-10-075119-5.
  • Ralf Sudau: Franz Kafka. Kurze Prosa/Erzählungen 2007 ISBN 978-3-12-922637-7.
  • Christian Ferrara: „Worte aus dem Käfig“ aus Kafkas „Ein Bericht für eine Akademie“. Grin Verlag 2007, ISBN 978-3-638-79502-9.
  • Bettina von Jagow und Oliver Jahraus Kafka-Handbuch Leben-Werk-Wirkung. Vandenhoeck& Ruprecht, 2008, ISBN 978-3-525-20852-6.
  • Joachim Unseld: Franz Kafka. Ein Schriftstellerleben. Hanser, München 1982, ISBN 3-446-13568-5.

Weblinks

 Wikisource: Ein Bericht für eine Akademie – Quellen und Volltexte

Beispielinterpretation:

Einzelnachweise

  1. Wendelin Schmidt-Dengler, Norbert Winkler Die Vielfalt in Kafkas Leben und Werk Vitalis 2005 ISBN 3-89919-066-1 S. 90
  2. Peter-André Alt: Franz Kafka: Der ewige Sohn. Eine Biographie. München: Verlag C.H. Beck, 2005, ISBN 3-406-53441-4. S. 522
  3. Peter-André Alt S. 522
  4. Wendelin Schmidt-Dengler S. 83,87
  5. Peter-André Alt S. 521
  6. Franz Kafka Die Erzählungen Originalfassung Fischer Taschenbuch Verlag 1997 ISBN 3-596-13270-3 S. 333 ff.
  7. Ralf Sudau S. 183 f.
  8. Alt Kafka und der Film
  9. Ralf Sudau S.178
  10. Peter-André Alt S. 521,524
  11. Wendelin Schmidt-Dengler
  12. Wendelin Schmidt-Dengler S.524
  13. Ralf Sudau S.181
  14. Peter-André Alt S. 523
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Ein Bericht für eine Akademie aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. Hauptautor des Artikels (siehe Autorenliste) war Karin Röder-Rörig. Weitere Artikel, an denen dieser Autor maßgeblich beteiligt war: 67 Artikel (davon 0 in Jewiki angelegt und 67 aus Wikipedia übernommen). Bitte beachten Sie die Hinweise auf der Seite Jewiki:Statistik.