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Fanatismus
Als Fanatismus (von fr: fanatique oder lat. fanaticus; göttlich inspiriert) bezeichnet man
- im engeren Sinn das Besessensein von einer Idee, Vorstellung oder Überzeugung („ein fanatischer Anhänger einer Ideologie oder einer Gruppierung“),
- im weiteren Sinn eine besonders hohe emotionale Wertschätzung bestimmter Tätigkeiten, Interessengebiete (fanatischer „Motorrad-Freak“ oder „Fußball-Fan“) oder Objekte wie z. B. Sammelobjekte.
Kennzeichen
Fanatismus im engeren Sinn ist durch das unbedingte Fürwahrhalten der betreffenden Vorstellung und meistens durch Intoleranz gegenüber jeder abweichenden Meinung gekennzeichnet. Der Fanatiker will häufig andere von seinen Ansichten überzeugen („missionarischer Eifer“), lässt jedoch seinerseits keinerlei Zweifel an der Richtigkeit und dem besonderen Wert seiner Überzeugungen zu. Vielmehr verteidigt er sie gegen jede Infragestellung und ist dabei einer vernünftigen Argumentation nicht zugänglich. Die betreffende Vorstellung ist seinem kritischen Denken bzw. Reflexionsvermögen entzogen. Damit verbundene negative Konsequenzen für sich selbst oder andere werden als solche nicht erkannt bzw. anerkannt.
Erscheinungsformen
Erscheinungsformen von Überzeugungen, die häufig in fanatischer Weise vertreten werden, sind u. a. extremistische Ideologien, (Extremismus), Rassismus, Fundamentalismus und religiöser Fanatismus.
In der Lingua tertii imperii beschreibt Victor Klemperer die Sprache des Nationalsozialismus anhand des Begriffs „fanatisch“: "Wenn einer lange genug für heldisch und tugendhaft: fanatisch sagt, glaubt er schließlich wirklich, ein Fanatiker sei ein tugendhafter Held.“ Die Sprache des Nationalsozialismus ist laut Klemperer eine Sprache des Glaubens, denn sie gründe sich auf Fanatismus.
Vom Begriff „Fanatiker“ leitet sich der Begriff „Fan“ ab, der aber mehr im Sinne von „Enthusiast“ verwandt wird und nicht primär eine politische, weltanschauliche oder religiöse Überzeugung meint, sondern überschwängliche Begeisterung für Sportler oder Popkünstler.
Fanatismus und Bildung von Gruppierungen bzw. Massenbewegungen
In welchem Umfang extreme Geisteshaltungen bzw. Ideologien Anhänger finden, bzw. ob sie zu Massenbewegungen werden, ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Besonders wesentlich sind in diesem Zusammenhang die wirtschaftliche und soziale Lage, aber auch die sozialpsychologische Situation der betreffenden sozialen Gruppen. In bestimmten historischen Situationen – in wirtschaftlichen Krisenzeiten, wenn Bevölkerungsgruppen sich unterdrückt bzw. nicht anerkannt fühlen oder ihre Lage als perspektivlos empfinden – sind Menschen besonders anfällig für extreme Ideologien, besonders, wenn diese von demagogisch begabten, charismatischen Führerpersönlichkeiten wie z. B. Adolf Hitler vertreten werden.
Beispiele für derartige Massenbewegungen sind der deutsche Nationalsozialismus, der italienische Faschismus und das Kreuzrittertum, aber auch Gruppierungen wie die jüdische Zelotenbewegung (Bar Kochba), die RAF und verschiedene radikale muslimische Gruppierungen (u. a. al-Qaida). Als Fanatismus werden oft auch die „Sympathien für islamistische Strömungen in großen Massen der einfachen ungebildeten Bevölkerung südlich des Mittelmeeres“ und allgemein eine starke Religiosität bezeichnet; aber diese lassen sich „nicht ausreichend aus der Ausbeutung eines Defizits durch gerissene Patriarchen erklären“. Vielmehr beruht dieser so genannte Fanatismus „auf einem Surplus. [...] Es ist die Macht des 'Wir-Gefühls' [...]. Es ist kein 'mieses', sondern ein enthusiastisches Gefühl, etwa in den mystischen Ritualen von Woodo-Gemeinden, Pfingstkirchen, Sufitänzen, Pilgerfahrten, aber auch in wie immer abgeschwächter Form bei Freitagsgebeten oder Messen.“[1]
Es hat in nahezu jeder Geschichtsepoche Menschen gegeben, die von ihren Überzeugungen besessen waren, missionarischen Eifer entfalteten und gesellschaftliche, politische oder religiöse Bewegungen begründeten. Ob dies zu wünschenswerten Erneuerungen oder zu Fehlentwicklungen führt, hängt von den betreffenden Überzeugungen bzw. Glaubensinhalten ab. Auch bedeutende und einflussreiche Persönlichkeiten der Vergangenheit wie der amerikanische Revolutionär Paul Revere oder Päpste, die zu Kreuzzügen aufriefen, könnten in diesem Sinne als Fanatiker gelten.
Fanatismus aus psychologischer Perspektive
Aus psychologischer Perspektive gehört Fanatismus zu den Phänomenen, bei denen – auf der Basis bestimmter Konstellationen von Persönlichkeitseigenschaften – Teilaspekte des Lebens idealisiert, d. h. emotional übermäßig hoch bewertet werden (siehe z. B. auch Idol, Fetischismus oder Verhaltenssucht), was meistens zu Lasten einer ausgewogenen, realistischen Selbstregulation geht. Daraus kann sich eine erhebliche Einseitigkeit der Lebensführung ergeben und es kann nicht zuletzt zu Spannungen mit Partnern oder Bezugspersonen kommen, die sich vernachlässigt fühlen.
Fanatismus steht oft mit weiteren Persönlichkeitseigenschaften in Zusammenhang (siehe z. B. autoritärer Charakter). Die Intoleranz im Zusammenhang mit dem Objekt des Fanatismus führt u. a. häufig auch zu Humorlosigkeit und fehlender Selbstironie.
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ Jürgen Link, Von der Denormalisierung zu kulturrevolutionären Drives?, S. 18
Literatur
- Peter Conzen: Fanatismus – Psychoanalyse eines unheimlichen Phänomens Kohlhammer, 2005, ISBN 3-17-017426-6
- Günter Hole: Fanatismus - Der Drang zum Extrem und seine psychischen Wurzeln Psychosozial-Verlag, 2004, ISBN 3-89806-293-7
- Jürgen Link: Von der Denormalisierung zu kulturrevolutionären Drives?. In: kultuRRevolution Nr. 61/61 (2011/2012), S. 12-18. ISSN 0723-8088
Weblinks
- Voltaire: Fanatismus Übersetzung seines Artikels 'Fanatisme' aus: Dictionnaire philosophique portatif 1764 (=Philosophisches Taschenwörterbuch)
- Aktuelle Literatur zum religiösen Fanatismus
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Fanatismus aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |