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Familienfideikommiss
Das Familienfideikommiss (lateinisch fidei commissum, „zu treuen Händen belassen“) war eine Einrichtung des Erb- und Sachenrechts, wonach durch Stiftung das Vermögen einer Familie, meist Grundbesitz, auf ewig geschlossen erhalten werden sollte und immer nur ein Familienmitglied allein, der Fideikommissbesitzer, das Nießbrauchsrecht innehatte. Davon zu unterscheiden ist das private Grundeigentum eines Familienmitglieds (des Landesherrn), die sog. Schatulle, die seiner freien Verfügung zu Lebzeiten und von Todes wegen unterlag.
Definition
Das Familienfideikommiss war ein Sondervermögen einer Familie (Obereigentümer), das ungeteilt in der Hand eines Familienmitgliedes (Nutzeigentümer) blieb. Der Inhaber erhielt nur den Ertrag des Vermögens zur freien Verfügung. Vollstreckungen in das Vermögen wegen Schulden des Inhabers waren ausgeschlossen. Dadurch blieben die vermögensrechtliche Grundlage für eine Familie und ihre soziale Stellung gesichert. Das Fideikommiss beruhte auf rechtsgeschäftlicher Stiftung – zum Beispiel durch testamentarische Bestimmung; die Erbordnung (in der Regel Primogenitur) legte der Stifter fest. Das Familienfideikommiss war rein privat-rechtlicher Natur und damit vom (allodifizierten) Lehen zu unterscheiden, das auch öffentlich-rechtliche Merkmale aufwies.
Sozialgeschichtliche Bedeutung
Die Familienfideikommisse wurden zum Erhalt des Familienvermögens adeliger Familien über Generationen hinweg eingesetzt. Schlösser, Burgen und Herrensitze mit den dazugehörigen land- und forstwirtschaftlichen Betrieben waren oft in den Familienfideikommissen gebunden. Sie dienten vor allem auch dazu, adelige Söhne, die schlecht besoldete, aber prestigeträchtige und einflussreiche Ämter in Staat und Heer einnahmen, finanziell mit den Erträgen aus dem Familienvermögen zu versorgen. Im 19. Jahrhundert gerieten die Familienfideikommisse in die Kritik, weil sie durch das sie betreffende Verfügungsverbot nicht am Güteraustausch teilhaben konnten und damit das Wachstum des Sozialproduktes bremsten. Da sie auch einem Belastungsverbot unterlagen, konnten sie ebenfalls nicht als Realkreditsicherheiten eingesetzt werden. Auch behinderte das Belastungsverbot die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit. Ferner wurden die Familienfideikommisse als Sonderrecht des Adels kritisiert. Zudem wurden die Familienfideikommisse auch in Ansehung der Eigentumsfreiheit als eine zu starke Einschränkung empfunden. Durch die Familienfideikommisse konnte die „kalte Hand“ des Erblassers über Generationen hinweg das Schicksal des Eigentums ohne Mitwirkung der das Eigentum innehaltenden Familie lenken. Nach der Auflösung sind die Fideikommisse freies Eigentum in der Hand des jeweils letzten Inhabers geworden. Die Rechte, welche durch die aufgehobenen Vorschriften der Fideikommisse oder auf ihrer Grundlage begründet worden sind, sind durch die Aufhebung nicht berührt worden. Das betraf auch eingetragene Hypotheken, Geld, Wertpapiere oder in ihrer Gesamtheit durch Treuhänder verwaltete Vermögen.[1]
Geschichte
Im Römischen Recht war das Fideikommiss eine testamentarische Verfügung, die dem Erben aufträgt, das Geerbte nach bestimmter Zeit – meist in Verbindung mit dem Eintreten eines bestimmten Ereignisses (z. B. Geburt oder Heirat) – ganz oder teilweise an einen Dritten abzutreten.
Mit der Rezeption des römischen Rechts in Deutschland entstand ein Bedürfnis, die in den zuvor herrschenden Rechtsordnungen übliche Rechtsfolge von Todes wegen über den Mannesstamm nach Parentelen vor der Testier- und Eigentumsfreiheit des gemeinen Rechts zu schützen. Es wurde daher dem Erblasser ermöglicht, als Stifter eines Familienfideikommisses einen Teil des Vermögens abzusondern und der römisch-rechtlichen Eigentumsordnung zu entziehen. In Bezug auf Stammgüter war dies bereits durch Observanz und Familienvereinbarung bei Einzug des römischen Rechts in Deutschland anerkannt. Die Familienfideikommisse entwickelten sich aus testamentarischen Anordnungen, die Teilungs- und Veräußerungsverbote enthielten. Daraus wurde die Fiktion einer successio ex providentia et pacto maiorum (durch Nachfolge aus Vorsicht und Vertrag der Vorfahren) gegründet. Die Rechtsgültigkeit solcher Anordnungen wurde aus der römisch-rechtlichen fideikommissarischen Substitution und in Analogie zum Investiturvertrag abgeleitet. Seit nicht nur altadelige Familien den Nachlass betreffende Teilungs- und Veräußerungsverbote aussprechen konnten, entstanden neben den Stammgütern die Familienfideikommisse.
Durch das preußische Edikt von 9. Oktober 1807 wurde eine Auflösung eines Familienfideikommisses durch Familienbeschluss zugelassen. Dadurch konnte die Familie die Anordnungen, welche der Stifter des Familienfideikommisses nachfolgenden Generationen anheimgegeben hatte, aufheben und ihre volle Verfügungs- und Testierfreiheit über das Vermögen wiederherstellen. In den durch Napoleon I. besetzten deutschen Landesteilen wurde das Familienfideikommiss gänzlich abgeschafft oder sehr stark eingeschränkt. Seit dem Wiener Kongress sind aber Familienfideikommisse auch dort wieder zugelassen worden.
Bereits die Paulskirchenverfassung von 1848 forderte die Auflösung der Familienfideikommisse. Mit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches zum 1. Januar 1900 wurde die bürgerliche Rechtseinheit in den deutschen Gebieten, die das Kaiserreich umfasste, eingeführt. Nach Art. 59 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch blieben das Recht der Bundesstaaten über die Familienfideikommisse unberührt. Seit Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung setzte man sich die Abwicklung des gebundenen Vermögens erneut als Ziel.
In der Schweiz bestehen gegenwärtig (Stand 2011) etwa zwanzig Fideikommisse, u. a. jenes von Leonhard Zollikofer (1529–1587) mit seinen Neffen der Georg- und Laurenz-Linien 1586 begründete Fideikommiss Schloss Altenklingen. Die Gründung neuer Fideikommisse ist aber nicht mehr gestattet.
Auflösung in Deutschland (und Österreich) 1938
Nach der Novemberrevolution wurden die Vorrechte des Adels abgeschafft. Auch die Familienfideikommisse sollten gemäß Art. 155 Weimarer Verfassung beseitigt werden. Dies musste nicht in einem sofortigen Schritt geschehen, die Auflösung konnte über den Zeitablauf erfolgen. Die konkrete Umsetzung erfolgte durch Landesrecht. In Preußen waren dies die Familiengüter-Verordnung vom 30. Dezember 1920[2] und die Zwangsauflösungs-Verordnung vom 19. November 1920[3]. Danach konnten die Familienfideikommisse bis zum Tod des Inhabers per 1. Januar 1921 bestehen bleiben und sollten danach aufgelöst werden. Vorzugsweise sollte diese Auflösung auf freiwilliger Basis geschehen, sie konnte aber auch angeordnet werden. Hierzu wurden Auflösungsämter für Familiengüter geschaffen, die richterliche Kompetenzen hatten. Diese wurden 1935 in Fideikommisssenate bei den Oberlandesgerichten umgewandelt.[4]
Im Jahre 1938 wurden die (in Deutschland bis heute geltenden) Bereinigungsvorschriften erlassen. Das „Gesetz über das Erlöschen der Familienfideikommisse und sonstiger gebundener Vermögen“[5] vom 6. Juli 1938 und die dazugehörige Verordnung[6] vom 20. März 1939 regelten das weitere Schicksal der gebundenen Vermögen. Demnach sollten die Fideikommisse zum 1. Januar 1939 erlöschen; um allerdings Ansprüche von Familienangehörigen und sonstige mit dem Fideikommiss verstrickte Verhältnisse zu regeln, wurde eine Sperrfrist gesetzt; eine endgültige Auflösung sollte erst mit Erteilung des sogenannten Fideikommiss-Auflösungsscheines rechtskräftig werden. Durch die Kriegsverhältnisse mussten die Sperrfristen später auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Es waren daher nach dem Zweiten Weltkrieg noch vereinzelt Vermögen mit Fideikommisseigenschaft anzutreffen.
Noch heute gibt es daher in Deutschland auch bei einigen Oberlandesgerichten (zum Beispiel dem OLG München, dem OLG Jena und dem OLG Frankfurt) eine Spezialzuständigkeit eines Senates hinsichtlich Rechtsstreitigkeiten, die Fideikommisse betreffen. Beim Bundesgerichtshof ist der V. Zivilsenat zuständig.
Zum 23. November 2007 wurde das Gesetz zur Aufhebung von Fideikommiss-Auflösungsrecht[7] erlassen, welches den Auflösungsprozess abschließen soll.
Ausgestaltung der Familienfideikommisse
Unter einem Familienfideikommiss wird eine Anordnung des Erblassers verstanden, kraft derer ein Teil des Nachlasses vom Rest mit der Wirkung ausgesondert wird, dass der ausgesonderte Teil des Nachlasses rechtlich in ein Ober- und ein Nutzungseigentum aufgespalten wird. Das Nutzungseigentum stand immer nur einem Familienmitglied zu. Die Familie als Ganzes behielt das Obereigentum. Demnach war derjenige, welcher aus dem Familienfideikommiss begünstigt worden ist, weder zur Verfügung noch zur Belastung des Eigentums befugt (gebundenes Vermögen). Der aus dem Familienfideikommiss Begünstigte konnte über sein Nutzungseigentum auch nicht frei von Todes wegen verfügen. Das vermögensrechtliche Schicksal des „Nießbrauchs“ an dem gebundenen Vermögen bestimmte sich nach der Sukzessionsordnung der Stiftungsurkunde. Der Stifter des Familienfideikommisses konnte zwischen Senioraten, Majoraten, Minoraten und Primogenituren wählen. Eine Besonderheit in Mecklenburg war die weibliche Erbfolge nach dem Erbjungfernrecht. Das Familienfideikommiss steht den Lehen, Stammgütern und Familienstiftungen nahe.
Errichtung und Aufhebung
Es konnten nur solche Gegenstände dem Familienfideikommiss gewidmet werden, mit denen Ackerbau und Viehzucht verbunden und die keiner Grundherrschaft unterworfen waren. Herrenhäuser und ähnliche Gebäude konnten dem Familienfideikommiss aber ebenso wie Familienarchive und Bibliotheken zugeschlagen werden. Seit der Aufhebung der Grundherrschaft in Preußen entstand die paradoxe Situation, dass wegen des Edikts von 1807 einerseits Familienfideikommisse durch Familienbeschluss aufgelöst werden konnten, andererseits aber jeder Bauer ein Familienfideikommiss stiften konnte. Um einerseits die Versorgungsfunktion der Familienfideikommisse aufrechtzuerhalten, musste das gebundene Vermögen einen Mindestertrag abwerfen. Um andererseits dem wirtschaftlichen Verkehr nicht zu viel Vermögen zu entziehen, war der Ertrag aber auf eine Höchstgrenze beschränkt.
Nachfolgeeinrichtungen
Nach wie vor kann ein Erblasser seinem Interesse, das Nachlassvermögen in der Familie zu halten, rechtliche Geltung verschaffen. Im deutschen Recht kann er dies durch Anordnung einer Vorerbschaft teilweise erreichen. Die Vorerbschaft ist aber auf die Dauer von 30 Jahren beschränkt. Diese Zeitbeschränkung gilt allerdings unter anderem in dem häufigen Fall nicht, in dem der Nacherbfall mit dem Tod des Vorerben eintritt und der Nacherbe bereits vor dem Tod des ursprünglichen Erblassers geboren war. Auch mit der Gründung von Familienstiftungen bzw. Familienvermögensgesellschaften und der Eintragung von Nießbrauchsrechten zugunsten einzelner Familienmitglieder oder mit einer Einräumung von vorgemerkten Vorkaufsrechten an einer Familienstiftung kann dieses Ziel teilweise erreicht werden.
Siehe auch
Literatur
- Wilhelm Bornemann: Systematische Darstellung des Preußischen Civilrechts mit Benutzung der Materialien des Allgemeinen Landrechts. 2. vermehrte und verbesserte Ausgabe. Jonas, Berlin 1842–45.
- Ludwig Zimmerle: Das deutsche Stammgutsystem nach seinem Ursprunge und seinem Verlaufe. Laupp, Tübingen 1857 (Digitalisat)
- William Lewis: Das Recht des Familienfideikommisses. Weidmann, Berlin 1868 (Neudruck: Scientia-Verlag, Aalen 1969).
- Hans Hermann von Schweinitz: Zum Fideikommißwesen der Gegenwart und Zukunft. Eine Betrachtung zu dem vorläufigen Entwurf eines Gesetzes über Familienfideikommisse. Walther, Berlin 1904 (Digitalisat).
- Wilhelm Rakenius: Die Hausgüter des hohen Adels und die gewöhnlichen Familienfideicommisse. Heidelberg Diss. iur. 1905.
- Hermann Ramdohr: Das Familienfideikommiß im Gebiete des preußischen Allgemeinen Landrechts. F. Vahlen, Berlin 1909 (Digitalisat).
- Siegfried Dörffeldt, Jan Nikolaus Viebrock: Hessisches Denkmalschutzrecht. 2. neubearbeitete Auflage. Deutscher Gemeindeverlag, Mainz-Kostheim 1991, ISBN 3-555-40132-7 (Kommunale Schriften für Hessen 38).
- Jörn Eckert: Der Kampf um die Familienfideikommisse in Deutschland. Studien zum Absterben eines Rechtsinstitutes. Lang, Frankfurt am Main u. a. 1992, ISBN 3-631-44573-3 (Rechtshistorische Reihe 104), (zugleich: Habilitationsschrift, Universität Kiel 1991).
- Thilo von Trott zu Solz: Erbrechtlose Sondervermögen: über die Möglichkeiten fideikommißähnlicher Vermögensbindungen. Lang, Frankfurt am Main u. a. 1999, ISBN 3-631-33923-2 (Europäische Hochschulschriften. Reihe 2: Rechtswissenschaft. 2544), (zugleich: Dissertation, Universität Potsdam 1998).
- Barbara Brandner: Die Auflösung der Familienfideikommisse in Thüringen. Dissertation, Universität Jena 2000.
- Otto Fraydenegg-Monzello: Zur Geschichte des österreichischen Fideikommißrechtes. in: Berthold Sutter (Hg.): Reformen des Rechts. Festschrift zur 200-Jahr-Feier der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz. Leykam Verlag, Graz 1979 ISBN 3-7011-7096-7 S. 777-808.
- Hartmut Fischer: Die Auflösung der Fideikommisse und anderer gebundener Vermögen in Bayern nach 1918, Dissertation München 2012; NOMOS Verlag 2013, ISBN 978-3-8487-0423-1.
Weblinks
- Wikisource: Grundsatzurteil des Bayerischen ObLG von 2004 – Quellen und Volltexte
- Fideikommiss-Seite im Jurawiki
Einzelnachweise
- ↑ Niedersächsischer Landtag Drucksache 11/2575
- ↑ GS 1921 S. 77
- ↑ Zwangsauflösungsverordnung für Familiengüter (ZwangsauflösungsVO) vom 19. November 1920 GS S. 463
- ↑ Horst Romeyk: Verwaltungs- und Behördengeschichte der Rheinprovinz 1914-1945, 1985, ISBN 3770075528, S. 491-520
- ↑ RGBl. I 1938, 825
- ↑ RGBl. I 1939, 509
- ↑ Gesetz zur Aufhebung von Fideikommiss-Auflösungsrecht
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