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Oberlandesgericht
Ein Oberlandesgericht (OLG), in Berlin historisch Kammergericht (KG) genannt, ist die höchste Instanz der ordentlichen Gerichtsbarkeit eines Bundeslandes, das Gerichtsträger ist.
Das OLG steht im Gerichtsaufbau zwischen Landgericht und Bundesgerichtshof, in Familiensachen zwischen Amtsgericht und Bundesgerichtshof. Bei Strafsachen, die in der Gerichtsbarkeit des Bundes liegen, wird es in Organleihe als Unteres Bundesgericht tätig.
Das OLG verfügt über Zivil- und Strafsenate nach § 116 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG).
Geschichte
Historisch gehen die heutigen Oberlandesgerichte auf die obersten Territorialgerichte der Territorien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und der Nachfolgestaaten zurück. Zunächst waren Oberappellationsgerichte in Zeiten des Partikularismus die Gerichtshöfe derjenigen Landesherren, die mit einem ius de non appellando (letztinstanzliche Entscheidungskompetenz) ausgestattet waren und nicht der Kontrolle des Reichskammergerichts unterlagen. Nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches und den Befreiungskriegen errichteten die Staaten des Deutschen Bundes jeweils eigene oberste Gerichte. Kleinere Staaten waren nach Art. 12 der Deutschen Bundesakte verpflichtet, gemeinsame Gerichte dritter Instanz einzurichten. Ein prominentes Beispiel ist das Oberappellationsgericht der vier Freien Städte mit Sitz in Lübeck.
Die Bezeichnung Oberlandesgericht fand zum ersten mal 1808 in Preußen Verwendung. Die Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-Polizei- u. Finanz-Behörden vom 26. Dezember 1808 bestimmte, dass die unter verschiedenen Bezeichnungen wie Oberamtsregierung oder Hofgericht firmierenden obersten Gerichte jedes Landesteils künftig Ober-Landesgericht heißen sollten. Lediglich das Kammergericht behielt seinen überkommenen Namen. Nach der Restrukturierung des Staatsterritoriums 1815 sollte jeder Regierungsbezirk zugleich das Departement eines Oberlandesgerichts bilden. Konsequent umgesetzt wurde diese Regelung jedoch nur in den Regierungsbezirken Minden (Oberlandesgericht Paderborn), Münster (Oberlandesgericht Münster) und Köslin (Oberlandesgericht Köslin). Andere Oberlandesgerichtsdepartements erstreckten sich meist über Teile mehrerer Regierungsbezirke. Die Oberlandesgerichte waren formell Gerichte erster Instanz, allerdings gab es in allen Provinzen erstinstanzliche Untergerichte. Gegen deren Urteile waren die Oberlandesgerichte Appellationsinstanz. Nur für „eximierte“, also von der Gerichtsbarkeit der Untergerichte ausgenommene Personen, etwa Adlige, waren die Oberlandesgerichte auch de facto erstinstanzlich zuständig.[1] In Preußen verschwand der Name Oberlandesgericht nach der Justizreform von 1849 wieder, stattdessen gab es nun Appellationsgerichte.
Bis zum Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877 als Teil der Reichsjustizgesetze war die Justizverfassung Angelegenheit der einzelnen Staaten des Deutschen Kaiserreichs. Das GVG bestimmte die Errichtung von Amtsgerichten, Landgerichten und Oberlandesgerichten ab dem 1. Oktober 1879 im gesamten Deutschen Reich. Zunächst gab es 28 Oberlandesgerichte, davon 13 in Preußen (inklusive des Kammergerichts, das seinen überlieferten Namen weiterhin behielt) und fünf in Bayern. Die übrigen Länder errichteten jeweils ein OLG. Die Hansestädte Bremen, Hamburg und Lübeck schufen das gemeinsame Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg.[2]
Die Struktur der Bezirke der Oberlandesgerichte auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland erfuhr wiederholt Veränderungen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf entstand 1906 aus Teilen der Bezirke der Oberlandesgerichte Köln und Hamm. Das Oberlandesgericht Saarbrücken entstand nach dem Ersten Weltkrieg infolge des Völkerbundmandats über das Saargebiet, sein Gerichtsbezirk war zuvor vom Oberlandesgericht Köln abgedeckt. Das Oberlandesgericht Colmar wurde nach dem ersten Weltkrieg aufgelöst, 1940 wiederhergestellt und 1945 erneut aufgehoben. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs erhielten die Bezirke aufgrund der Grenzen der alliierten Besatzungszonen teilweise einen neuen Zuschnitt. Neue Oberlandesgerichte wurden in Tübingen, Freiburg, Koblenz und Bremen eingerichtet, da deren Gerichtsbezirke bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs jeweils von einem Oberlandesgericht abgedeckt worden waren, das nach 1945 in der Besatzungszone einer anderen Besatzungsmacht lag. Eine Sitzverlegung erfolgte im Fall des heutigen Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts, das bis 1947 als Oberlandesgericht Kiel den Sitz in Kiel hatte und in diesem Jahr nach Schleswig verlegt wurde.
Das Oberlandesgericht Breslau, das Oberlandesgericht Danzig, das Oberlandesgericht Königsberg, das Oberlandesgericht Leitmeritz, das Oberlandesgericht Marienwerder und das Oberlandesgericht Posen gingen nach den Gebietsverlusten des Zweiten Weltkriegs unter.
Die vier österreichischen Oberlandesgerichte (Oberlandesgericht Wien, Oberlandesgericht Graz, Oberlandesgericht Linz und Oberlandesgericht Innsbruck) waren 1939 bis 1945 Oberlandesgerichte des Großdeutschen Reiches. Im Protektorat Böhmen und Mähren bestand in der Zeit des Nationalsozialismus das Oberlandesgericht Prag.
Besetzung und Spruchkörper
Die Oberlandesgerichte sind mit einem Präsidenten sowie mit Vorsitzenden Richtern und weiteren Richtern besetzt (§ 115 GVG). Bei den Oberlandesgerichten werden Zivil- und Strafsenate gebildet. Die Senate sind die sog. Spruchkörper der Oberlandesgerichte. Grundsätzlich sind die einzelnen Senate gem. § 122 Abs. 1 GVG mit drei Richtern besetzt, von denen einer den Vorsitz hat.
Bei der Eröffnung des Hauptverfahrens sind die Strafsenate im ersten Rechtszug gem. § 122 Abs. 2 S. 1 GVG mit fünf Richtern einschließlich des Vorsitzenden besetzt. Wenn dem Strafsenat die Mitwirkung zweier weiterer Richter nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache nicht notwendig erscheint, kann der Strafsenat bei der Eröffnung des Hauptverfahrens beschließen, dass er in der Hauptverhandlung nur mit drei statt fünf Richtern zu besetzen ist (§ 122 Abs. 2 S. 2 GVG).
Zuständigkeit
Das Gerichtsverfassungsgesetz regelt die sachliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus den jeweiligen Verfahrensordnungen in Verbindung mit den landesrechtlichen Zuständigkeitsverordnungen.
Nach § 23 EGGVG kann gegen Justizverwaltungsakte in Sachen der ordentlichen Gerichtsbarkeit Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt werden. Nach § 25 EGGVG entscheidet hierüber je nach Rechtsmaterie entweder ein Zivilsenat oder ein Strafsenat des Oberlandesgerichts.
Zivilsachen
In Zivilsachen ist das Oberlandesgericht gemäß § 119 GVG in zweiter Instanz zuständig für Rechtsmittel:
- der Beschwerde gegen Entscheidungen der Amtsgerichte
- in den von den Familiengerichten entschiedenen Sachen
- in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit Ausnahme der Freiheitsentziehungssachen und der von den Betreuungsgerichten entschiedenen Sachen.
- der Berufung gegen Entscheidungen der Landgerichte,
- der Beschwerde gegen Entscheidungen der Landgerichte.
Strafsachen
In Strafsachen ist das Oberlandesgericht zuständig:
- als erste Instanz für Staatsschutzsachen nach § 120 GVG,
- als Revisionsinstanz für Revisionen gegen Urteile des Strafrichters und Schöffengerichts, oder Berufungsurteile des Landgerichts,
- als Beschwerdeinstanz für Beschwerden gegen die Entscheidungen der Strafkammern und Strafvollstreckungskammern der Landgerichte,
- zur gerichtlichen Entscheidung gegen den ablehnenden Bescheid der Staatsanwaltschaft im Klageerzwingungsverfahren (§ 172 StPO).
Ordnungswidrigkeiten
Für Ordnungswidrigkeiten ist das Oberlandesgericht als Instanz der Rechtsbeschwerde nach § 80a OWiG gegen Urteile und Beschlüsse der Amtsgerichte tätig. Der Bußgeldsenat ist mit einem Berufsrichter, bei Geldbußen über 5.000,- Euro mit drei Berufsrichtern besetzt.
Die einzelnen Oberlandesgerichte
Alle Länder haben mindestens je ein Oberlandesgericht, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz je zwei, Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen je drei. Zu Sitz und Bezeichnung der 24 Oberlandesgerichte in den 16 Ländern siehe unten stehende Liste. Das Oberlandesgericht in Berlin wird aus historischen Gründen Kammergericht genannt. Die Oberlandesgerichte in Hamburg und Bremen führen aus historischen Gründen die Bezeichnung Hanseatisches Oberlandesgericht, jenes in Hamburg führt diese Bezeichnung amtlich ohne Nennung des Ortes.
Bisweilen werden umgangssprachlich als „Oberlandesgericht X“ auch die Außenstellen von Oberlandesgerichten in anderen Städten bezeichnet. Diese existieren häufig am Standort früherer Oberlandesgerichte, die bei ihrer Auflösung zu unselbstständigen Standorten eines anderen Oberlandesgerichts wurden. Beispiele hierfür sind die früheren Oberlandesgerichte Augsburg, Freiburg, Kassel und Darmstadt, an deren Sitz heute einzelne Senate der Oberlandesgerichte München, Karlsruhe und Frankfurt ihren Dienstsitz haben.
Das vormalige Bayerische Oberste Landesgericht wurde zum 1. Juli 2006 aufgelöst. Die Zuständigkeiten sind auf die drei bestehenden bayerischen Oberlandesgerichte übergegangen.
Überblick über einige statistische Daten zu den Oberlandesgerichten (Stand 2005):[3]
Oberlandesgericht | Land | Einwohner im Gerichtsbezirk in 1000 |
Zahl der Zivilsenate |
Neu zugegangene Verfahren |
Erledigte Verfahren |
Anhängige Verfahren am Jahresende |
Verfahren je 1000 Einwohner |
---|---|---|---|---|---|---|---|
Hamm | Nordrhein-Westfalen | 9.038 | 48 | 160.572 | 164.485 | 61.820 | 6,84 |
München | Bayern | 6.968 | 35 | 105.491 | 108.003 | 37.795 | 5,42 |
Stuttgart | Baden-Württemberg | 6.198 | 24 | 78.900 | 81.447 | 22.767 | 3,67 |
Frankfurt am Main | Hessen | 6.092 | 34 | 108.670 | 112.741 | 52.416 | 8,60 |
Düsseldorf | Nordrhein-Westfalen | 4.755 | 37 | 98.793 | 101.005 | 43.734 | 9,20 |
Karlsruhe | Baden-Württemberg | 4.538 | 22 | 64.967 | 66.834 | 21.857 | 4,82 |
Dresden | Sachsen | 4.274 | 19 | 60.962 | 63.832 | 21.491 | 5,03 |
Köln | Nordrhein-Westfalen | 4.265 | 27 | 94.712 | 97.268 | 40.873 | 9,58 |
Celle | Niedersachsen | 4.126 | 22 | 69.425 | 71.457 | 24.748 | 6,00 |
Berlin | Berlin | 3.395 | 28 | 109.102 | 114.043 | 45.712 | 13,46 |
Nürnberg | Bayern | 3.057 | 17 | 40.954 | 41.822 | 13.461 | 4,40 |
Schleswig | Schleswig-Holstein | 2.833 | 16 | 43.922 | 45.200 | 16.731 | 5,91 |
Koblenz | Rheinland-Pfalz | 2.638 | 17 | 43.682 | 44.799 | 17.101 | 6,48 |
Brandenburg an der Havel | Brandenburg | 2.559 | 18 | 41.544 | 44.405 | 17.636 | 6,89 |
Oldenburg | Niedersachsen | 2.475 | 15 | 34.175 | 35.243 | 12.028 | 4,86 |
Naumburg | Sachsen-Anhalt | 2.470 | 11 | 34.820 | 37.232 | 15.564 | 6,30 |
Bamberg | Bayern | 2.443 | 9 | 30.007 | 30.625 | 11.947 | 4,89 |
Jena | Thüringen | 2.335 | 8 | 32.135 | 34.510 | 14.859 | 6,36 |
Hamburg | Hamburg | 1.744 | 14 | 47.138 | 48.486 | 17.760 | 10,19 |
Rostock | Mecklenburg-Vorpommern | 1.707 | 7 | 25.236 | 26.941 | 10.344 | 6,06 |
Zweibrücken | Rheinland-Pfalz | 1.421 | 8 | 24.159 | 25.468 | 8.513 | 5,99 |
Braunschweig | Niedersachsen | 1.392 | 11 | 20.232 | 21.268 | 8.240 | 5,92 |
Saarbrücken | Saarland | 1.050 | 7 | 18.299 | 18.930 | 8.231 | 7,84 |
Bremen | Bremen | 663 | 12 | 12.827 | 13.216 | 5.249 | 7,91 |
Generalstaatsanwaltschaft
Bei den Oberlandesgerichten sind zudem die Generalstaatsanwaltschaften eingerichtet.
Rechtsanwaltskammern
Am Sitz eines jeden Oberlandesgerichts ist nach § 60 Bundesrechtsanwaltsordnung eine Rechtsanwaltskammer eingerichtet, deren Mitglieder alle im Bezirk des Oberlandesgerichts zugelassenen Rechtsanwälte sind. Wird ein Oberlandesgericht aufgelöst, kann in Abweichung von diesem Grundsatz die bereits existierende Rechtsanwaltskammer fortbestehen. Aus diesem Grund gibt es die Rechtsanwaltskammern Kassel, Freiburg und Tübingen, obwohl an diesen Standorten keine Oberlandesgerichte mehr existieren. Bei Bedarf kann im Bezirk eines Oberlandesgerichts eine zweite Rechtsanwaltskammer eingerichtet werden. Hiervon wurde bislang nur einziges Mal Gebrauch gemacht, als 1911 im Bezirk des Kammergerichts zusätzlich zur Rechtsanwaltskammer Berlin die Rechtsanwaltskammer Potsdam eingerichtet wurde. Hierauf beruht der häufiger anzutreffende Irrtum der früheren Existenz eines Oberlandesgerichts Potsdam, das es nie gegeben hat.
Literatur
- Moritz von Köckritz: Die deutschen Oberlandesgerichtspräsidenten im Nationalsozialismus (1933–1945). – Lang, Frankfurt am Main [u.a.] 2011. (Rechtshistorische Reihe. 413.) ISBN 978-3-631-61791-5.
Siehe auch
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Koch, Der Preußische Civilprozeß, Berlin 1848, S. 88.
- ↑ Zimmer, Oberlandesgericht, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, III. Band, Berlin 1984, Sp. 1149–1153.
- ↑ Alle Daten nach Fachserie 10 (Memento vom 11. Juni 2007 im Internet Archive) des Statistischen Bundesamtes.
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