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Geschlechterrolle

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Ausbruch aus der Geschlechterrolle: Eine Brigantin in Süditalien, Mitte des 19. Jahrhunderts

Geschlechterrolle oder Geschlechtsrolle (engl. gender role) werden Verhaltensweisen genannt, die in einer Kultur für ein bestimmtes Geschlecht als typisch oder akzeptabel gelten (und Individuen zugewiesen werden), oder die Verhaltensweisen eines Individuums, die dieses mit seiner Geschlechtsidentität in Verbindung bringt und/oder mit denen es seine Geschlechtsidentität zum Ausdruck bringen will.

Heute wird soziologisch und psychologisch zunehmend Geschlecht und Gender nicht mehr gleichgesetzt, um die kulturell und gesellschaftlich vorgegebenen Geschlechterrollen von den biologischen Gegebenheiten zu unterscheiden.

Kulturelle Geschlechterrollen

Bisher sind keine Kulturen ohne Geschlechterrollen bekannt. Sie sind je historisch entstanden und einem ständigen Wandel unterworfen; lediglich die unterschiedlichen biologischen Rollen von Frauen und Männern bei der Fortpflanzung wurden bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts nicht in Frage gestellt. Seitdem die Medizin hier die Möglichkeiten bietet, diese biologischen Rollen teilweise zu verändern, wird dieser Teil der Geschlechtsrollen ebenfalls diskutiert; allerdings ist diese Debatte auf Randbereiche der Gesellschaft beschränkt. (siehe auch Adoption eines Kindes durch …, Regenbogenfamilie)

Der kulturelle Aspekt der Geschlechtsrollen ist sehr breit gefächert. Auch wenn Haupttendenzen erkennbar sind, sind doch fast alle Möglichkeiten der kulturellen Aufgabenteilung irgendwo und irgendwann praktiziert worden.

Die bekannteste Norm für kulturelle Geschlechtsrollen dürfte die heteronormative oder patriarchalische sein, welche im Westen seit Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend in Frage gestellt und modifiziert wird. Wichtige Faktoren waren unter anderem die Verstädterung sowie der Erste Weltkrieg und seine Folgen:

  • Millionen Frauen wurden Witwe (etwa 10 Millionen tote Soldaten, davon 2 Millionen deutsche Soldaten) bzw. alleinerziehende Mutter (die Kriegswaisen lernten ein anderes Rollenbild)
  • Millionen Frauen arbeiteten an Arbeitsplätzen, die vorher von Männern ausgeübt worden waren;[1]
  • ab Herbst 1916 herrschte bei vielen Hunger (siehe auch Steckrübenwinter; die (See-)Blockade verursachte allein in Deutschland mindestens 700.000 Hungertote)
  • Millionen Männer kehrten als körperliche und/oder seelische Krüppel aus dem Krieg zurück (etwa 20 Millionen verwundete Soldaten);
  • eine 1914 beginnende Inflation endete 1923 in einer Hyperinflation und einer Währungsreform;
  • die Weimarer Republik war von kurzzeitigen wechselnden Regierungen geprägt;
  • mancherorts schwand der Einfluss der katholischen Kirche (in Frankreich hatte dieser Prozess schon 1905 begonnen)
  • der Antimodernismus in der katholischen Kirche ließ langsam nach;
  • Als Zäsur wurde auch empfunden, dass Frauen in vielen Ländern 1918 oder danach das Wahlrecht erhielten (z.B. Österreich 12. November 1918; Deutschland 30. November 1918, USA 1920).

Traditionelle Rollenzuschreibung

Der „traditionellen“ Rollenzuschreibung wird vorgeworfen, sie impliziere die Behauptung, es gebe „natürliche“ und strikt voneinander getrennte Geschlechtsrollen, die männliche und die weibliche, welche Männern und Frauen automatisch zugeschrieben werden. Diese Geschlechtsrollen seien im Wesentlichen:

  • Männer
    • Oberhaupt und Ernährer der Frau und Familie
    • Zuständig für Kontakte nach außen
    • Stark, rational, kämpferisch, sexuell aktiv
    • Männer als auf Frauen bzw. „Versorgerinnen“ kaum angewiesene „Jäger“
  • Frauen
    • Abhängig von und unterworfen einem männlichen Beschützer (Vater, Ehemann etc.)
    • Zuständig für die sozialen Bindungen innerhalb der Partnerschaft und Familie
    • Schwach, emotional und irrational, ausgleichend, sexuell passiv oder desinteressiert
    • Frauen als auf „Jäger“ angewiesene „Brutversorgerinnen“

Soziologie

In der Soziologie tritt im Zusammenhang mit dem Begriff der Geschlechterproblematik auch der Begriff der Rolle auf. Die Gesellschaft hat an Inhaber einer gewissen Position bestimmte Vorstellungen über deren Handeln. Dieses Verhalten wird als Rollenverhalten bezeichnet.[2] In Diskussionen erfährt das Thema der Geschlechterrollen meist eine Gegenüberstellung von soziokulturellen und biologischen Einflüssen. Daneben besteht aber auch noch immer die Ansicht, dass das Individuum als ausschließlich von der Umwelt geformtem Wesen zu verstehen ist.[3] Für jede Position kann aber auch ein Gegenbeispiel gefunden werden.

Unterscheidung Rollenverhalten und Rollenerwartungen

In der neueren soziologischen Literatur findet sich eine Unterscheidung zwischen Rollenverhalten und Rollenerwartungen. Die Erwartungen werden begriffen bezüglich ihrer immer wiederkehrenden Haltungen, Leistungen und Tätigkeiten. Das Individuum, welches als Träger der Rolle gilt, hat die Aufgabe durch angemessenes Verhalten zu erfüllen. Wichtig für die Zuweisung zu bestimmten Rollen bietet, neben Beruf und Alter, auch das Geschlecht. Die Vorstellungen über bestimmte Eigenschaften der Geschlechter unterscheiden sich von Kultur zu Kultur.[4]

Je nach einer bestimmten Geschlechts-Zugehörigkeit, unterscheiden sich die Erwartungen und Vorschriften. In der westlichen Kultur werden den Frauen eher die Eigenschaften der Abhängigkeit, Passivität, Zurückhaltung in sexuellen Belangen und Einfühlungsgabe zugewiesen, den Männern Aggressivität, Durchsetzungsfähigkeit, Dominanz, Gefühlsunterdrückung und Unabhängigkeit.[4]

Hinsichtlich allgemeiner Erwartungen von männlichen und weiblichen Eigenschaften bestehen auch Erwartungen bezüglich ihrer Tätigkeiten. Die Rolle der Frau wird von Parsons und Bales als expressiv beschrieben. Sie enthält Tätigkeiten mit sozialer Ausrichtung wie Fürsorge, Pflege, Erziehung und des Dienstes. Die Rolle des Mannes dahingegen wird beschrieben als Gegensatz und setzt sich vor allem mit der sachlichen Welt auseinander. Durch diese polarisierten Rollenerwartungen, werden gesellschaftliche Positionen, wie der Beruf, Wirtschaft, Politik und Familie bereits vorgegeben. Somit ist es in unserer Gesellschaft für Männer und Frauen schwieriger, geschlechteratypische Berufe auszuüben.

Auch wird der Begriff der Geschlechterrolle im Sinne von Verhaltensregelmäßigkeiten verwendet. Er unterscheidet sich explizit vom Begriff des geschlechtstypischen Verhaltens, welcher in der Psychologie verwendet wird. Die Rolle der Frau fand in den letzten Jahren auch vermehrt Eingang in soziologischen Untersuchungen.[5] Untersucht wird hierbei die Bildung und Ausbildung, Beruf, Politik und Familie zu erforschen. In den Augen der Bevölkerung gibt es eine beträchtliche Übereinstimmung bezüglich männlicher und weiblicher Rollen.

Geschlechterrollen-Stereotype

Diese Stereotype bringen die Ansichten über die Unterschiede der Geschlechter zum Ausdruck. Das Bild des Mannes ergibt sich als „unabhängig, objektiv, aktiv, wettbewerbsorientiert, abenteuerlustig, selbstbewusst, und ehrgeizig“.[6] Die Frau findet ihre Ansiedelung hier ganz auf der anderen Seite. Sie wird als „abhängig, subjektiv, passiv, nicht wettbewerbsorientiert, nicht abenteuerlustig, nicht selbstbewusst, nicht ehrgeizig, des Weiteren als taktvoll, freundlich und gefühlsbetont beschrieben“.[6] Dem Thema der Gefühlsarbeit beziehungsweise der Emotionsarbeit hat sich im besonderen Arlie Hochschild gewidmet.

Geschlechterrollen-Stereotype können Anlass geben zu einer Diskriminierung von Personen, die ein Verhalten zeigen, das mit der Erwartung an ihre Geschlechterrolle nicht in Übereinstimmung steht, das heißt, eine Diskriminierung von Frauen mit „männlichen“ Eigenschaften sowie von Männern mit „weiblichen“ Eigenschaften. Im Fall Price Waterhouse v. Hopkins war der Klägerin eine Beförderung verweigert worden und ihr war nahegelegt worden, sie solle sich in Aussehen und Verhalten mehr feminin zeigen, wolle sie ihre Chancen auf Beförderung erhöhen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Klägerin sich dadurch in einer Double-Bind-Situation befand, in der ihr jede mögliche Verhaltensweise zum Nachteil gereichen musste, und urteilte darüber hinaus weit umfassender, dass Arbeitgeber von ihren Angestellten nicht fordern könnten, sich an Gender-Stereotype zu halten. Die Entscheidung zugunsten der Klägerin gilt in den USA als maßgeblich dafür, dass die Geschlechterrollen-Stereotypisierung am Arbeitsplatz eine unzulässige Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt.[7] Umgekehrt werden von Managern vorwiegend männlich konnotierte Eigenschaften erwartet,[8] und es gibt Hinweise, dass diese Erwartung an Managerinnen sogar in stärkem Maße gestellt wird als an männliche Manager.[9] Auch bestehen Hinweise darauf, dass Gender-Stereotype auf eignungsdiagnostischen Untersuchungen Einfluss nehmen: Dass einerseits soziale Kompetenzen als ausdrücklicher Teil des Anforderungsprofils die Chancen von Frauen erhöhen, dass andererseits aber Kandidatinnen, die sich im Vorstellungsgespräch als betont karriereorientiert darstellen, unter Umständen negative Assoziationen als „Karrierefrau“ wecken, dadurch weniger sympathisch wirken und im Endergebnis als zu ehrgeizig oder dominant eingeschätzt werden.[10]

Die Merkmalszuteilung nach Geschlecht lässt auch auf eine „politische“ Zuteilung hindeuten.[6] Die Merkmale erlauben einer Gruppe, in dem Fall jene der Männer, die Herrschaft über die andere, die Frauen. Diese Dominanz der Männer findet sich in den Statusverhältnissen der heutigen Gesellschaft. Diese Einteilung trägt aber auch Nachteile mit sich. Es handelt sich um verallgemeinerte Meinungen. Von einem Geschlecht wird sofort auch auf deren Eigenschaften oder Merkmale geschlossen. So ein Ansatz kann der Individualität eines Menschen nie gerecht werden, da er den Blick auf mögliche Verhaltensweisen von Männern und Frauen verstellt.[11] Männer können beispielsweise auch weibliche Züge aufweisen und umgekehrt. Somit ist eine Kategorisierung nach Geschlechtsstereotypen irreleitend, da der Mensch nicht so gebaut ist, dass er einen Zug zur Gänze besitzt oder auch nichts von einem anderen Zug hat. Eine Frage, die sich in den letzten Jahren vermehrt gestellt hat, ist, ob diese Stereotype einer markanten Veränderung unterworfen sind. Als mögliche Gründe wären hier die Frauenbewegungen zu sehen und eine größere Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Allgemein lässt sich sagen, dass, obwohl sich die Geschlechtsstereotype kaum wesentlich verändert haben, die „weiblichen Züge“ eine vermehrt positivere Einschätzung erfahren.[11]

Jeder besitzt Stereotype bezüglich männlicher und weiblicher Eigenschaften, doch werden diese stark vom familiären Umfeld geprägt. Entscheidend ist hier meist auch, ob die Mütter einer Beschäftigung außer Haus nachgingen oder sich gänzlich dem Haushalt gewidmet haben. Im Falle einer Beschäftigung der Mutter außer Haus war die Ansicht des weiblichen Stereotyps gemildert. Kinder berufstätiger Frauen sehen kaum einen Unterschied in den Geschlechtern bezüglich Wärme und Ausdrucksfähigkeit.[12] Des Weiteren schätzen Töchter berufstätiger Mütter diese auch meist kompetenter ein als traditionelle Hausfrauen. Die Söhne hingegen sehen keinen Unterschied zwischen berufstätigen Müttern und Hausfrauen bezüglich ihrer Kompetenz, was mitunter auch damit zusammenhängt, dass die Mutter nicht das primäre Geschlechterrollenmodell darstellt. Töchter identifizieren sich stärker mit ihrer Mutter als Söhne, welche wiederum dem Vater näher stehen. Der Beruf bringt den Müttern in den Augen ihrer Töchter mehr Kompetenz ein.

In welchem Verhältnis stehen nun das tatsächliche Verhalten und die Stereotype zueinander? Im Folgenden werden exemplarische Verhaltensmerkmale betrachtet, welche als besonders geschlechtsspezifisch gelten.

Aggression/Dominanz
Die allgemeinen Meinungen bezüglich geschlechtsspezifischer Verhaltensunterschiede laufen dahin, dass beispielsweise Jungen eine höhere Aggressivität aufweisen als Mädchen. Studien bestätigen dies und auch ein höheres Bedürfnis von Männern nach Dominanz wurde nachgewiesen.[13]
Abhängigkeit/Unabhängigkeit
Meist gehen die Ansichten dahin, dass Mädchen und Frauen in höherem Maße von anderen Personen abhängig sind als Jungen oder Männer. Dieses Thema ist sehr schwer erforschbar, da einschlägige Antworten keinen Unterschied machen zwischen einseitiger Abhängigkeit und gegenseitiger Abhängigkeit. Manche Autoren vertreten die Ansicht, dass sich das Bedürfnis von Abhängigkeit in den ersten Lebensjahren zwischen Jungen und Mädchen nicht unterscheidet.[13] In der Kindheit findet aber eine Verstärkung von Dependenz- und Interdependenzverhalten statt, bei Mädchen mehr als bei Jungen. In der frühen Kindheit sind noch alle Kinder von ihren Eltern abhängig. Jungen werden des weiteren auch mehr in Richtung Unabhängigkeit gefördert und entwickeln weniger Gespür von einem Abhängigsein.
Angst
Frühe Studien zeigten, dass Mädchen im Grunde ängstlicher, furchtsamer und passiver als Jungen waren.[14]

Geschlechtsrollendifferenzierung

Bei einer Betrachtung von Bildungsstufen und Ausbildungen zeigt sich, dass mit zunehmender Bildungsstufe auch der Anteil der Mädchen abnimmt. Hinzu kommt des weiteren eine geschlechtsspezifische Differenzierung der Lehrinhalte.[15] Frauen finden beispielsweise auch weniger Anstellungen in niederen Berufen, welche geringes Prestige bringen. Auch in der heutigen Zeit finden sich Unterschiede in vielen Bereichen unserer Wirtschaft. Es zeigt sich ein Machtgefälle in der Beziehung zwischen Mann und Frau[16] und nicht nur beim Einkommen, sondern auch bei der Berufstätigkeit. Wenn Frauen im Zuge einer Familiengründung ihre Erwerbstätigkeit abbrechen, stoßen sie auf größere Schwierigkeiten, wieder ins Berufsleben einzutreten. Sollten sie trotzdem weiter einem Beruf nachgegangen sein, so finden sie sich mit Auswirkungen der Doppelbelastung konfrontiert.

Zu diesem Thema geäußert haben sich unter anderem die Autorinnen Simone de Beauvoir, Shulamith Firestone, Alice Schwarzer, Kate Millett, Betty Friedan, Germaine Greer und Esther Vilar geäußert.[17] Arlie Hochschild widmet sich in ihrem Buch Der 48-Stunden-Tag. Wege aus dem Dilemma berufstätiger Eltern auch dem Problem der Doppelbelastung der Frau und der Berufstätigkeit im Einklang mit der Familie.

Prozesse in der Entwicklung des Geschlechtsrollen-Verhaltens

Die zentrale Frage, die sich stellt, ist, wodurch unterschiedliches Geschlechterverhalten erzeugt wird und wie dieses unter Umständen verändert werden kann. Es gibt keine eigene Wissenschaft, welche sich dem Thema/Problem der Geschlechterrollen beschäftigt, sondern es handelt sich vielmehr um eine Interdisziplinität aus biologischen, kulturellen, sozialen und ökonomischen Bedingungen, anhand derer geschlechtstypisches Verhalten erforscht werden soll.[6] Wichtige Wissenschaften für die Erforschung von geschlechtstypischen Verhalten sind Biologie, Ethnologie, Psychologie, Sozialpsychologie und Soziologie.

In der psychoanalytischen Auffassung ist die Meinung, dass die Geschlechterrollen-Identität der Kinder durch einen Prozess der Identifikation erworben wird. Kinder haben die Tendenz, sich mit dem Elternteil des gleichen Geschlechts zu identifizieren. Eine solche Identifikation wird als entscheidend für eine Rollenübernahme gesehen, da Jungen tendenziell die Persönlichkeitsmerkmale des Vaters und Mädchen der Mutter übernehmen. In diesem Identifikationsprozess werden elterliche Verhaltensweisen, das Denken und das Fühlen nachgeahmt.[18] Des Weiteren scheinen Eltern, welche stereotypes Rollen-Verhalten zeigen, eine Geschlechteridentifikation ihres Kindes eher zu hindern als zu fördern. Kindern scheint eine Identifizierung mit weniger stereotypen Elternteilen leichter zu fallen.

Eine weitere Theorie zum Erwerb von Geschlechterrollen ist die Theorie des sozialen Lernens. Diese Theorie wird weithin als die beste Erklärung für den Erwerb von Geschlechterrollen-Verhalten gesehen. Die soziale Lerntheorie kann auch sehr gut für die Erklärung von Geschlechterrollenunterschieden und deren Entwicklung gesehen werden.[19] Passende Verhaltensweisen einer jeweiligen Geschlechterrolle werden verstärkt, was zu einer Wiederholung dieses Verhaltens führt. Ein Abweichen eines passenden Geschlechterverhaltens findet sich in einer Bestrafung wieder und wird somit seltener und verschwindet schließlich ganz. Ein weiteres Modell, welches hier sehr wirksam ist, ist das Beobachtungslernen oder auch sogenanntes Nachahmungslernen. Es wird davon ausgegangen, dass Kinder die Verhaltensweisen durch das Beobachten des gleichgeschlechtlichen Elternteils erwerben. Experimente widerlegten dies, da bei Kindern mit Eltern beiderlei Geschlechts keine geschlechtsspezifischen Nachahmungen stattfanden.[20] In der Alltagsbeobachtung zeigt sich dennoch geschlechtsspezifisches Verhalten, beispielsweise in Mädchen, welche die Kleider ihrer Mutter anprobieren. Eltern beeinflussen ebenso geschlechtsspezifisches Verhalten, indem sie entweder Handlungen mit Zuwendung oder Zustimmung belohnen oder sie ablehnen. Auch hier kann das Beispiel mit dem Kleid der Mutter genannt werden. Bei Töchtern wird dieses Verhalten eher verstärkt, bei Jungen hingegen sehr häufig abgelehnt. Eine Schwäche in der Theorie zeigt sich darin, dass meist nur äußere Faktoren bei der Bildung von Rollenverhalten berücksichtigt werden, aber nicht die kognitiven und affektiven.

Die dritte Theorie ist die der kognitiven Entwicklung. Diese Theorie befasst sich mit den Entwicklungsstadien des Denkens eines Kindes, wie sie bereits von Piaget beschrieben wurden. Die Ideen über rollentypisches Verhalten ändern sich bei Kindern mit der intellektuellen Entwicklung.[21] Ungefähr ab dem dritten Lebensjahr sind die Kinder fähig, selbst zu unterscheiden, ob sie Jungen oder Mädchen sind. Diese Selbstkategorisierung ist wichtig für die weitere Entwicklung von Werten, Einstellungen und Aktivitäten. In früheren Jahren der Entwicklungsphasen sind Geschlechterrollen vorwiegend auf physische Merkmale wie Kleidung oder ähnliches beschränkt. Die geschlechtliche Identität hat sich ungefähr im Alter von sechs Jahren so weit stabilisiert, dass Kinder begreifen, dass sie ihr Geschlecht nicht beispielsweise durch das Abschneiden von Haaren verändern können. Geschlechterstereotype fördern hierbei ein bestimmtes (stereotypes) Verhalten von Kindern. Jungen und Mädchen identifizieren Männlichkeit und Weiblichkeit mit bestimmten Verhaltensmerkmalen. Stärke, Macht und Kompetenz wird mit Männlichkeit gleichgesetzt, Mitgefühl, Sanftmut, Versorgung und Mütterlichkeit werden mit Weiblichkeit gleichgesetzt.

Auszüge aus exemplarischen soziologischen Theorien zu dem Thema

Arlie Hochschild: Der 48-Stunden-Tag

In Hochschilds Buch Der 48-Stunden-Tag. Wege aus dem Dilemma berufstätiger Eltern wird von der Autorin mit dem Thema der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und der Rolle der Frau und des Mannes darin ein aktueller Schwerpunkt diskutiert, welcher mitunter durch die größer werdende Gleichberechtigung von Mann und Frau sehr aktuell ist. Sie widmet sich unter anderem der Hektik im Familienleben, der kulturellen Verschleierung, dem Mythos der traditionellen Familie, der Vorstellung von Männlichkeit und Dankbarkeit, den Problemen einer Ehe bei der Berufstätigkeit der Frau, den Aufgabenbereichen des Mannes und der Frau und dem Konflikt von traditionellen und neuen Wegen. Hochschild führte zusammen mit Anne Machung Interviews mit 50 Ehepaaren und Beobachtungen dutzender Familien in ihrer häuslichen Umgebung durch.[22] Hochschild führt an, dass einer Hausfrau ein wichtiger Bereich des gesellschaftlichen Lebens fernbleibt.[23] Berufstätige Akademikerinnen hingegen haben kaum Zeit für ihre Familie. Sie führt weiter an, dass der Beruf des Wissenschaftlers ursprünglich nur den traditionellen Männern vorbehalten war. Die Frauen hatten die Aufgabe, zu Hause zu bleiben und sich um die Kinder zu kümmern. Das Berufsleben sollte, wenn möglich, vielleicht so umstrukturiert werden, dass nebenbei auch noch Zeit für die Familie bleibt. Dies käme einer Revolution gleich, welche sich, beginnend zu Hause, über Arbeitsplatz, Universitäten, Firmen, Banken und Fabriken erstreckt. Frauen wurden in den letzten Jahren immer mehr berufstätig, jedoch blieben sie in weniger hohen Stellen. An höheren Stellen wurden die Frauen unter anderem durch die Bedingungen der Berufswelt gehindert. Deren Regeln sind im Vorhinein auf die männliche Bevölkerung abgestimmt. Hochschild führt an, dass der Grund die geringere Beteiligung von Männern im Bereich der Pflege und Erziehung der Kinder sowie der Hausarbeit sei.[24] Den Frauen fällt es schwer, mit männlichen Maßstäben zu konkurrieren. Im Alter von Mitte 20 bis Mitte 30, dem Alter, in dem die Frauen die meisten Kinder bekommen, werden gerade die höchsten Anforderungen gestellt. Frauen verlieren bei einem Wiedereinstieg auch oft den Mut, da es ihnen an möglicher Berufserfahrung fehlt. Betroffen sind die Mittelschicht, aber auch Arbeiter. Nebenbei hat der Druck auch schlechte Auswirkungen auf das Familienleben. Neben dem Beruf, welcher nur die Hälfte des Problems darstellt, sollte auch das Familienleben genauer betrachtet werden. Fragen, die Hochschild an dieser Stelle nennt, sind auszugsweise, wer die Stelle der Mutter übernehmen soll, ob es Frauen möglich sei, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen und ob der Beruf Vorrang hat? Mit welchen Gefühlen werden gar Männer und Frauen konfrontiert und in welchem Grad sind die Partner voneinander abhängig?[25] Junge Studentinnen, welche von Hochschild befragt wurden, sagten klar, dass sie später ganztags arbeiten und eine Familie haben wollen. Wie dies möglich sein soll, wissen sie oft selbst nicht und haben vielmehr Angst vor dem zukünftigen Problem. Das Bild der Frau mit dem wehenden Haar dient als Beispiel für Leben einer berufstätigen Frau mit Familie. Diese sollte geschäftig, aktiv und fröhlich sein. Den Gegenpart bildet hier die Schaufensterpuppe mit umgehängter Schürze, welche reglos am Fenster steht. Der Wirklichkeit scheint letzteres Bild näherzukommen. Beide Bilder erinnern an die beiden Seiten der Revolution, welche die Frau erfasst und ihre Rolle verändert hat. Frauen werden im steigenden Maße ins Berufsleben integriert. Veränderungen haben sie erfahren bei ihren finanziellen Möglichkeiten, dem Selbstbewusstsein, ihrem Begriff der Weiblichkeit und ihrem Alltag. Motor dieser Revolution ist auch ein Wandel in der Wirtschaft. Löhne der Männer verlieren an Kaufkraft, „Männerberufe“ an Bedeutung und im wachsenden Dienstleistungssektor finden die Frauen immer mehr Beschäftigungsmöglichkeiten.[26] Die neue Geschlechterideologie ist bedeutend in dieser Revolution, und die Identität wird an neue Lebensumstände angepasst.

Erving Goffman: Interaktion und Geschlecht

Erving Goffman widmet in seinem Buch Interaktion und Geschlecht ein Kapitel dem Thema „das Arrangement der Geschlechter“. In der modernen Industriegesellschaft zählt das Geschlecht als Grundlage eines zentralen Codes, welches als Aufbau für soziale Interaktionen und soziale Strukturen dient und die Vorstellungen der Einzelnen von deren grundlegenden Natur.[27] Die herkömmliche soziologische Auffassung sieht das Geschlecht als ein „erlerntes, diffuses Rollenverhalten“. Aufgrund der biologischen Voraussetzungen ist es den Frauen vorbehalten, Kinder zu gebären und zu stillen, Männern jedoch nicht. Auch sind Frauen in ihrer Physionomie durchschnittlich kleiner als Männer, haben leichtere Knochen und weniger Muskeln. Wichtig wäre eine Klärung sozialer Konsequenzen nicht nur durch die angeborenen Geschlechtsunterschiede, sondern auch jene, welche für soziale Arrangements geltend gemacht wurden.[28] Goffman beschreibt weiter in dem Text, dass nicht so sehr eine unmittelbare Verbesserung der Lebensumstände der Frauen als Errungenschaft der Frauenbewegung zu sehen wäre, sondern eine Schwächung der Überzeugungen, welche eine geschlechtsspezifische Einkommens- und Arbeitsteilung unterstützt haben.

Begriff der Geschlechtsklasse

Jede Gesellschaft teilt Kleinkinder bei ihrer Geburt der einen oder der anderen Geschlechtsklasse zu. Diese Zuordnung erfolgt durch Betrachtung des nackten Kinderkörpers. Diese Zuordnung erlaubt die damit verbundene Identifikationskette von Mann/Frau, männlich/weiblich, Junge/Mädchen, er/sie.[28] Diese Einordnung vollstreckt sich über die gesamten Phasen des Wachstums und bestimmt maßgeblich die gesamte Entwicklung eines Menschen. Sie bietet somit insofern ein Musterbeispiel, wenn nicht den Prototyp, einer sozialen Klassifikation.[29] Goffman selbst versteht unter dem Begriff der Geschlechtsklasse „eine rein soziologische Kategorie, die sich allein auf diese Disziplin und nicht auf die Biowissenschaften bezieht“[30] Mit der Einteilung in Geschlechtsklassen ist bereits ein Schritt zu einem Sortierungsvorgang vollzogen, wo Angehörige unterschiedlicher Klassen einer unterschiedlichen Sozialisation unterworfen sind. Die Zugehörigen der männlichen Klasse erfahren eine andere Behandlung als jene der weiblichen. Sie erleben unterschiedliche Erfahrungen, und auch die an sie gestellten Erwartungen sind unterschiedlich. In jeder Gesellschaft wird auf unterschiedliche Weise und ihre eigene Art diese Geschlechtsklassen gebildet.

Geschlechtsidentität

Entwickelt ein Individuum ein Gefühl, wie es sich in Bezug zu seiner Geschlechtsklasse entwickelt und wie es hinsichtlich Idealvorstellungen beurteilt wird, so spricht man an dieser Stelle von einer „Geschlechtsidentität“.[31]

Frauenbewegung

Sowohl die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts aufkommende Frauenbewegung als auch gesellschaftliche Veränderungen wie die Industrialisierung und insbesondere die beiden Weltkriege, die es erforderten, dass Frauen die ihnen von der Gesellschaft als „angestammten“ Platz definierte Geschlechterrolle verließen, führten zu starken Veränderungen der Geschlechterrollen; dabei wurde die weibliche Geschlechtsrolle stärker liberalisiert als die männliche. So stößt z. B. eine junge Frau, die ein naturwissenschaftliches Studium anstrebt, nahezu überall auf Verständnis und Akzeptanz, auch wenn die Berufschancen schlechter sind als die eines vergleichbar ausgebildeten Mannes. Ein Mann jedoch, der länger als für einige Monate die Rolle eines „Hausmannes“ annimmt, weil zum Beispiel seine Frau eine bessere Ausbildung hat, stößt sowohl bei vielen Männern als auch bei vielen Frauen auf Unverständnis.

Gleichfalls wurden in verschiedenen Geistes- und Naturwissenschaften Forschungsergebnisse und Studien vorgelegt, die die Grundlagen der herkömmlichen kulturellen Rollenverteilung widerlegen. Manche bezweifeln auch, dass es ausschließlich zwei strikt voneinander getrennte Geschlechter gebe. Hier sind vor allem die Transgender-Bewegung und die zunehmende Wahrnehmung von Intersexualität zu nennen.

Gesetzliche Vorgaben

Verschiedene gesetzliche Bestimmungen unterstützen die Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern. So gilt für Männer in vielen europäischen Staaten im Sinne der historisch gewachsenen Rolle als Familienernährer noch ein deutlich höheres Renteneintrittsalter, obwohl die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen seit den medizinischen Verbesserungen der Neuzeit höher liegt als diejenige der Männer. Auch zum Wehrdienst sind üblicherweise nur Männer verpflichtet; Frauen können dagegen in vielen Armeen freiwillig Dienst leisten.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Ute Daniel (1989, Diss. 1986): Arbeiterfrauen in der Kriegsgesellschaft. Beruf, Familie und Politik im Ersten Weltkrieg (Kritische Studien Zur Geschichtswissenschaft Nr. 84), Vandenhoeck & Ruprecht, ISBN 978-3525357477
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  7. Siehe z. B. Kimberly A. Yuracko: Soul of a Woman: The Sex Stereotyping Prohibition at Work (PDF; 498 kB)
  8. Ruth Rustemeyer, Sabine Thrien: Die Managerin—der Manager: Wie weiblich dürfen sie sein, wie männlich müssen sie sein? In: Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie. Band 33, Nr. 3, 1989, S. 108-116 (Zusammenfassung)
  9. Markus Gmür: Was ist ein ‘idealer Manager’, und was ist eine ‘ideale Managerin’? Geschlechterrollenstereotypen und ihre Bedeutung für die Eignungsbeurteilung von Männern und Frauen in Führungspositionen. (PDF; 178 kB) In: Zeitschrift für Personalforschung. 18. Jahrgang, Heft 4, 2004
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  20. Der BibISBN-Eintrag Vorlage:BibISBN/3608912894 ist nicht vorhanden. Bitte prüfe die ISBN und lege ggf. einen neuen Eintrag an.
  21. Der BibISBN-Eintrag Vorlage:BibISBN/3608912894 ist nicht vorhanden. Bitte prüfe die ISBN und lege ggf. einen neuen Eintrag an.
  22. Arlie Russell Hochschild: Der 48-Stunden-Tag. Wege aus dem Dilemma berufstätiger Eltern. Droemer Knaur, München (Originaltitel: The second shift, übersetzt von Andrea Galler), ISBN 3-426-84015-4, S. 27.
  23. Arlie Russell Hochschild: Der 48-Stunden-Tag. Wege aus dem Dilemma berufstätiger Eltern. Droemer Knaur, München (Originaltitel: The second shift, übersetzt von Andrea Galler), ISBN 3-426-84015-4, S. 14.
  24. Arlie Russell Hochschild: Der 48-Stunden-Tag. Wege aus dem Dilemma berufstätiger Eltern. Droemer Knaur, München (Originaltitel: The second shift, übersetzt von Andrea Galler), ISBN 3-426-84015-4, S. 15.
  25. Arlie Russell Hochschild: Der 48-Stunden-Tag. Wege aus dem Dilemma berufstätiger Eltern. Droemer Knaur, München (Originaltitel: The second shift, übersetzt von Andrea Galler), ISBN 3-426-84015-4, S. 16.
  26. Arlie Russell Hochschild: Der 48-Stunden-Tag. Wege aus dem Dilemma berufstätiger Eltern. Droemer Knaur, München (Originaltitel: The second shift, übersetzt von Andrea Galler), ISBN 3-426-84015-4, S. 305.
  27. Der BibISBN-Eintrag Vorlage:BibISBN/3593368587 ist nicht vorhanden. Bitte prüfe die ISBN und lege ggf. einen neuen Eintrag an.
  28. 28,0 28,1 Der BibISBN-Eintrag Vorlage:BibISBN/3593368587 ist nicht vorhanden. Bitte prüfe die ISBN und lege ggf. einen neuen Eintrag an.
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  30. Der BibISBN-Eintrag Vorlage:BibISBN/3593368587 ist nicht vorhanden. Bitte prüfe die ISBN und lege ggf. einen neuen Eintrag an.
  31. Der BibISBN-Eintrag Vorlage:BibISBN/3593368587 ist nicht vorhanden. Bitte prüfe die ISBN und lege ggf. einen neuen Eintrag an.
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