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Heimatschutzarchitektur
Die Heimatschutzarchitektur beziehungsweise der Heimatschutzstil oder Heimatstil (letztgenannter Terminus ist nicht zu verwechseln mit Heimatstil im Sinne des Späthistorismus) ist ein Architekturstil der architektonischen Moderne, der 1904 erstmals beschrieben wurde und bis 1945 seine Blüte hatte. Verschiedene Bauten entstanden nach dem Krieg noch bis etwa 1960. Wesentliche Arbeitsfelder waren Siedlungsbau, Hausbau, Gartenkunst, Industriebau, Kirchenbau und Denkmalpflege.
Zielsetzung und Kennzeichen
Der Heimatschutzstil oder Heimatstil war „eine auf lokalen und regionalen Bautraditionen wurzelnde, Historismus und Jugendstil überwindende Baukunst auf dem Weg zur Moderne“.[1][2] In seiner Abwendung vom bislang dominierenden, das „Fremde“ kopierenden Historismus verstand er sich als Reformstil.[1] Äußerlich kennzeichnende Teile oder Elemente sind Verwendung ortsüblicher Baumaterialien (in Norddeutschland z. B. Backstein, im Alpenraum Holz) und, im Gegensatz zum Historismus, ein Verzicht auf verzierende Attribute, die ältere Baustile detailgetreu nachahmen. Elemente traditioneller Architektur, wie Rundbögen oder Säulen, konnten in reduzierter Form zur Anwendung kommen.
Alle neuen Bauwerke sollten sich harmonisch in die sie umgebende Kulturlandschaft einfügen. Zwei zentrale architektonische und stadtplanerische Aufgaben, die im Sinne des Heimatschutzes ausgeführt wurden, waren der Wiederaufbau des zerstörten Ostpreußen nach dem Ersten Weltkrieg, unterstützt durch den Reichsverband Ostpreußenhilfe, sowie der Aufbau eines dichten Netzes von Reichspostämtern in Bayern.[3] Obwohl die Gebäude sich in ein traditionelles Umfeld einbetten wollen, bestechen sie häufig durch ihre Größe und Stilreinheit.
Historische Entwicklung und Verbreitung
1904 gründete sich in Dresden der Deutsche Bund Heimatschutz. Sein Schwerpunkt lag vor allem im Bereich der Architektur, insbesondere der Baupflege, mit dem Ziel, die alte Formensprache wiederaufzunehmen und traditionelle Bauweise und Handwerk zu fördern. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Heimatschutzarchitektur vor allem im Bereich des Wohnbaus bevorzugt. Im Siedlungsbau, einem der Hauptfelder des Heimatschutzes, wurden meistens einheitliche Normbauten errichtet, die allenfalls in der Dekoration regionale Elemente besaßen.[4] Repräsentative öffentliche Bauten wurden hingegen im Stil des monumentalen Neoklassizismus ausgeführt.
Nach 1945 verringerte sich die Bedeutung dieses Baustiles, zum einen weil teuer, zum anderen wegen Fortschritten in der Bautechnik und in der Folge neuer Formsprachen der Architektur. Eine späte Politisierung erfuhr der Heimatschutzstil im Nachkriegswettbewerb um Planungsaufträge und die Besetzung öffentlicher Ämter. So erschien er manchen Stadtplanern nicht klar von Bauweisen abgrenzbar, die von Nationalsozialisten wie Hanns Dustmann favorisiert worden waren. Dabei stehen Teile der Heimatschutzarchitektur eher dem Backsteinexpressionismus Fritz Högers nahe, der zwischen 1933 und 1945 kaum noch Aufträge erhielt. Noch bis etwa 1960 entstanden dennoch verschiedene Ensembles im Heimatschutzstil, wie etwa der Freudenstädter Marktplatz von 1950 und der Prinzipalmarkt in Münster, der zwischen 1947 und 1958 regionaltypisch, aber nicht originalgetreu wiederaufgebaut wurde.
In der Schweiz unterscheidet man mehrere Phasen des Heimatstils. Nach der ersten Phase, die bis zum Ersten Weltkrieg dauerte, kehrte er in den 1920er-Jahren als „Zweiter Heimatstil“ und in den 1940er-Jahren als „Landistil“ in jeweils modifizierten Neuauflagen zurück. Auch der „Regionalismus“ der Gegenwart gründet im Heimatstil.[1]
Vertreter des Heimatschutzstils
- Josef Anton Albrich
- Albert Boßlet
- Otto Bubenzer
- Adalbert Erlebach
- Roderich Fick
- Theodor Fischer
- Hans Foschum
- Karl Gruber
- Peter Klotzbach
- Rudolph Lempp
- Alfred Lichtwark
- Stephan Mattar
- Hermann Muthesius
- Ernst Prinz
- Heinrich Renard
- Hans Roß
- Paul Schmitthenner
- Julius Schulte-Frohlinde
- Paul Schultze-Naumburg
- Ludwig Schweizer
- Heinrich Tessenow
- Johann Theede
- Paul Ziegler
Bauwerke
Siehe auch: Liste von Bauwerken des Heimatschutzstils in Österreich
- Görzsiedlung in Mainz
- Hitlerbauten in Linz
- Kochenhofsiedlung in Stuttgart
- Kreissparkasse in Schwäbisch Hall
- Pfarrkirche Baden-St. Christoph in Baden (Niederösterreich)
- Pfarrkirche Unsere Liebe Frau in Velden am Wörther See
- Rainerkaserne in Elsbethen
- Rathaus in Hechingen
- Stadtzentrum von Freudenstadt
- Wohngebiet Südvorstadt in Pirna (errichtet 1935–1938)
- Verwaltungsgebäude Marktplatz 6 in Düsseldorf (errichtet 1952–1956)
Weitere Beispiele
Haus Königstraße 57 in Lübeck
Wohnhaus in der Altstadt von Heiligenstadt, Thüringen
Häuser in Steckborn, Kanton Thurgau
Schulhaus von Courtelary, Kanton Bern, erbaut 1908
Das Postamt Neresheim von 1911, Baden-Württemberg
Kirche Mariä Himmelfahrt in Ramsen (Pfalz), von Albert Boßlet, 1912
Bahnhof Braunfels-Oberndorf, Solms, Hessen, erbaut 1912–1913 mit Zollingerdach
Die „Hirschenpost“ in Kreuzlingen, Kanton Thurgau, erbaut 1919/1920
Die Nordsee Akademie in Leck, Nordfriesland, erbaut 1923
Kirche des ehemaligen Klosters Rulle in Wallenhorst-Rulle, Niedersachsen, 1927 bis 1930 erbaut
Rathaus in Hirschlanden (Ditzingen), Baden-Württemberg, erbaut 1930
Die Neulandhalle auf dem Dieksanderkoog, Schleswig-Holstein, 1935 in der Form eines Haubargs gebaut
Neues Rathaus in Münsingen (Württemberg) von 1935–1937
Gartenstadtarchitektur in der Siedlung in Lohfelden, Hessen
„Hitlerbauten“ in der Linzer Harbachsiedlung, Oberösterreich
Marktplatz von Freudenstadt, Baden-Württemberg, von 1950
Siehe auch
Literatur
- Hans-Günther Andresen: Bauen in Backstein. Schleswig-Holsteinische Heimatschutz-Architektur zwischen Tradition und Reform. Zur Ausstellung der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek vom 2. Juli bis 27. August 1989. Boyens, Heide 1989, ISBN 3-8042-0475-9.
- Bayerischer Landesverein für Heimatschutz e.V.: Richtpunkte für das Bauen im Sinne des Heimatschutzes. München 1929.
- Elisabeth Crettaz-Stürzel: Heimatstil. Reformarchitektur in der Schweiz 1896–1914. Huber, Frauenfeld 2005, ISBN 3-7193-1385-9.
- Elisabeth Crettaz-Stürzel: Heimatstil im Historischen Lexikon der Schweiz
- Sabine Fechter: Heimatschutzbauten in Mainfranken. Entwicklungen und Wandlungen von Baupflege 1900–1975. Bad Windsheim 2006, ISBN 3-86568-089-5.
- Marco Kieser: Heimatschutzarchitektur im Wiederaufbau des Rheinlandes. In: Beiträge zur Heimatpflege im Rheinland. Band 4. Köln 1998.
- Winfried Nerdinger (Hrsg.): Bauen im Nationalsozialismus. Bayern 1933–1945. München 1993, ISBN 3-7814-0360-2.
- Ernst Rudorff: Heimatschutz. 3. Aufl. Berlin 1904.
- Isabel Termini: Heimat bauen. Aspekte zu Heimat – Heimatschutz – Heimatstil – Heimatschutzarchitektur. Universität Wien, Diplom-Arbeit, 2001.
Weblinks
- Denkmalpflege und Baugeschichte – Heimatschutzarchitektur
- Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte: Heimatschutzarchitektur in Schleswig-Holstein
- Heimatstil in der Schweiz (PDF-Datei; 57 kB)
- Der Schweizer Heimatschutz, Nonprofit-Organisation im Bereich Baukultur
- Der Lebensweg Fritz Högers (PDF; 107 kB) in Verb. mit Much, Bröcker, Lichtwark
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 1,2 Elisabeth Crettaz-Stürzel: Heimatstil im Historischen Lexikon der Schweiz
- ↑ Vgl. auch Gottfried Kiesow: Expressionismus und Heimatschutzstil. In: Monumente, Magazin für Denkmalkultur in Deutschland. Nr. 3, Juni 2011, ISSN 0941-7125, S. 56 ff.
- ↑ Hartmut Frank: Typus oder Norm. In: Florian Aicher, Uwe Drepper (Hrsg.): Robert Vorhoelzer – Ein Architektenleben. Die klassische Moderne der Post. Callwey, München, S. 14–23.
- ↑ Winfried Nerdinger: Baustile im Nationalsozialismus: zwischen ‚Internationalem Klassizismus‘ und Regionalismus. In: Winfried Nerdinger (Hrsg.): Architektur, Macht, Erinnerung. Prestel, München, S. 119–131, hier S. 18.
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Heimatschutzarchitektur aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |