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Jiu Jitsu
Jiu Jitsu [dʑɯː.dʑɯ.tsɯ] (jap. 柔術, ; „Die sanfte/nachgebende Kunst“) ist eine von den japanischen Samurai stammende Kampfkunst der waffenlosen Selbstverteidigung. Jiu Jitsu kann unabhängig vom Alter und Geschlecht trainiert werden und bietet ein breites Spektrum von Möglichkeiten zur Selbstverteidigung und – unter anderem durch Stärkung des Charakters und Selbstbewusstseins – auch zur friedlichen Lösung von Konflikten.
Jiu Jitsu wurde von Samurai praktiziert, um bei einem Verlust oder Verbot der Hauptwaffen (Japanisches Schwert (Katana), Speer, Schwertlanze, Bogen) waffenlos oder mit Zweitwaffen weiterkämpfen zu können. Es wurde zunächst als geheime Kunst nur innerhalb des Adels weitergegeben, im Laufe der Zeit wurde es aber auch von nichtadligen Japanern ausgeübt.
Ziel des Jiu Jitsu ist es, einen Angreifer – ungeachtet dessen, ob er bewaffnet ist oder nicht – möglichst effizient unschädlich zu machen. Dies kann durch Schlag-, Tritt-, Stoß-, Wurf-, Hebel- und Würgetechniken geschehen, indem der Angreifer unter Kontrolle gebracht oder kampfunfähig gemacht wird. Dabei soll beim Jiu Jitsu nicht Kraft gegen Kraft aufgewendet werden, sondern – nach dem Prinzip „Siegen durch Nachgeben“ – so viel wie möglich der Kraft des Angreifers gegen ihn selbst verwendet werden.
Begriff
Jiu Jitsu wird in der japanischen Schrift durch die zwei sino-japanischen Schriftzeichen (Kanji) 柔術 geschrieben. Das Schriftzeichen 柔 bedeutet „weich, sanft, flexibel, nachgiebig”, 術 heißt „Technik, Kunst”, zusammengesetzt bedeutet 柔術 also im kampfkunstbezogenen Kontext „ flexible Kunst“, wobei gemeint ist, dass man seine Kampfstrategie abhängig vom Gegner fließend zu wechseln vermag.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die japanischen Schriftzeichen ins lateinische Alphabet zu übertragen (Transkriptionen). Nach dem am häufigsten verwendeten Hepburn-System wird 柔 als Jū und 術 als Jutsu transkribiert, zusammengesetzt also Jūjutsu, gebräuchlicher ist jedoch international die Schreibung Ju Jitsu und in Deutschland Jiu Jitsu. Vereinzelt findet sich auch die veraltete deutsche Schreibweise Dschiu Dschitsu. Bisweilen werden in verschiedenen Ländern und ihren Verbänden leicht veränderte Transkriptionen verwendet, teilweise für abgewandelte Systeme (beispielsweise das deutsche Ju-Jutsu).
Das Jiu Jitsu trug früher verschiedene andere Namen. Am gebräuchlichsten waren Jiu Jitsu und Yawara (柔, 和 oder 和術), jedoch wurden auch die Namen [Ju] Tai Jutsu (体術 oder 胎術), Kempō (拳法), Hakuda (白打), Aiki [Ju] Jutsu, Kogusoku (小具足), Koshi no Mawari (腰廻), Kumi Uchi (組討 oder 組打), Torite (捕手 oder 取手) oder Shubaku (手拍 oder 手縛) für die Kampfkunst verwendet.[1]
Prinzip und Technik
Die geistig-philosophische Seite, wie beispielsweise der Verhaltenskodex Bushidō, ist genau so Teil des Jiu Jitsu, wie die verschiedenen (Kampf-)Techniken. Ebenso gehen traditionelle Elemente wie die Verbeugung am Anfang und das Üben der Katas Hand in Hand mit fortschrittlicheren Elementen, wie zum Beispiel die Gürtelgrade (Kyū und Dan) und Wettkämpfe. Einige Schulen lehnen Wettkämpfe ab, da dafür eine starke Einschränkung der Möglichkeiten des Jiu Jitsu notwendig ist, um Verletzungen im Wettkampf zu vermeiden.
Innerhalb des Systems Jiu Jitsu erlernt ein Schüler zunächst die Grundschule (jap. Kihon), bestehend aus Schlag-, Stoß-, Tritt- und Beintechniken, sowie die Fallschule (受け身, Ukemi) als Voraussetzung für ein verletzungsarmes Training. Weiter wird die Anwendung von Würfen, Hebeln und Festlegetechniken sowie waffenlose Verteidigungstechniken gegen Angriffe gegen die eigene Person und auch gegen Dritte (wie beispielsweise gegen Würgen, Handgelenk- und Kragenfassen, Schlag-, Tritt- und Waffenangriffe) und Bodenkampf unterrichtet. Auch die allgemeine Fitness wird durch intensives Konditionstraining am Anfang jeder Trainingseinheit gefördert.
Geschichte
Entstehung in Japan
Wie in vielen der asiatischen Kampfkünste ist die genaue Herkunft des Jiu Jitsu heute kaum mehr eindeutig feststellbar. Dies liegt zum einen daran, dass es in der Vergangenheit nur wenige gedruckte Bücher über die Kunst gab und dass die handgeschriebenen Manuskripte der verschiedenen Schulen einander widersprechen und von Mythen durchsetzt sind. Die Gründungsgeschichten der verschiedenen Schulen scheinen davon geprägt zu sein, dass sie Jiu Jitsu auf möglichst legendäre Wurzeln zurückführen.
In einem der Entstehungsmythen wird das Grundprinzip des Jiu Jitsu „Nachgeben, um zu siegen“ besonders deutlich. Darin heißt es, dass Akiyama Shirobei Yoshitoki (ein im 16. Jahrhundert in Nagasaki lebender Arzt) auf seiner Studienreise durch China in Klöstern neben medizinischem Wissen auch Unterricht im waffenlosen Nahkampf (chinesisch 白打 báidǎ, jap. Hakuda) erhielt. Dabei stellte er die körperliche Stärke als Voraussetzung zur Ausführung der Techniken fest. Zurück in Japan, unterrichtete Akiyama das aus China mitgebrachte Hakuda, doch viele seiner Lehrlinge wandten sich von diesem kraftbetonten System ab. Eines Winters beobachtete Akiyama, wie die massiven, jedoch starren Äste einer Kiefer unter der Last herunterkommender Schneemassen brachen, während sich die dünnen Äste einer daneben stehenden Weide unter der Last des Schnees so lange herunterbogen, bis der Schnee abglitt, um sich dann unversehrt wieder aufzurichten. Inspiriert von dieser Beobachtung, gründete er die erste Schule der „Kunst der Nachgiebigkeit“ und nannte sie Yoshin-Ryū (Weiden-Schule).[1]
Entwicklung in Deutschland
Die Geschichte des Jiu Jitsu in Deutschland ist zum einen eng mit dem Namen Erich Rahn (1885–1973), zum anderen eng mit der Geschichte des Kōdōkan-Jūdō verbunden. Rahn, der aus einer angesehenen Berliner Kaufmannsfamilie stammte, war durch die bis nach Asien reichenden Beziehungen seines Vaters schon als Kind mit Japanern in Kontakt gekommen, von denen er ein wenig Jiu Jitsu lernte. Im Zirkus Schumann in Berlin sah Rahn den Jiu Jitsu-Meister Katsukuma Higashi, der einen scheinbar überlegenen Mann durch Jiu Jitsu-Techniken zu Boden brachte. Rahn wurde Higashis Schüler und eröffnete noch im selben Jahr (1906) im Alter von 21 Jahren in einem Hinterzimmer einer Kneipe in Berlin-Mitte die erste deutsche Jiu Jitsu-Schule. Dabei stand für ihn die Selbstverteidigung im Vordergrund, die hinter dem Budō stehende Philosophie spielte kaum eine Rolle. Mit der „Verwestlichung“ fanden auch immer mehr Ringergriffe, Boxschläge und Kraftanwendung Eingang in das Jiu Jitsu.
Durch Vorführungen und Kämpfe wurde die Polizei auf Rahn aufmerksam und am 30. Juni 1910 führte Rahn im Königlichen Polizeipräsidium das Jiu Jitsu vor. Daraufhin wurde ihm die Durchführung der neu angeordneten Jiu Jitsu-Ausbildung der Berliner Kriminalpolizei und später auch der Schutzpolizei übertragen. 1913 folgte der Lehrauftrag für Jiu Jitsu an der Militärturnanstalt Berlin.
Zur Zeit des Ersten Weltkriegs (1914−1918) ruhte die Entwicklung des Jiu Jitsu in Deutschland und wurde erst 1919 wieder aufgenommen. 1920 gründete er in Berlin-Schöneberg den „Ersten Berlin-Jiu-Jitsu-Club“ und 1922 den „Zentralverband der Deutschen Jiu-Jitsu-Kämpfer“. Während der 1920er-Jahre gab Rahn wiederholt Vorführungen in Varietés und Zirkussen in ganz Deutschland, bei denen er gegen berühmte Ringer und Boxer kämpfte und Herausforderungen von jedermann annahm. Von diesen öffentlichen Kämpfen zog sich Rahn 1925 im Alter von 40 Jahren unbesiegt zurück.
In Deutschland wurde das Jiu Jitsu bald auch zum Wettkampfsport. So fand 1922 im Berliner Sportpalast in Berlin-Schöneberg die erste deutsche Jiu Jitsu-Meisterschaft statt, bei der Rahn gegen Hans Reuter (München) gewann.
In dieser Zeit wurden auch die ersten Jiu-Jitsu-Clubs eröffnet. Alfred Rhode, ein Schüler Rahns und später „Vater des Deutschen Judo“, wurde im August 1921 als Polizeisportlehrer in Berlin zur Schutzpolizei in Frankfurt am Main versetzt, mit der Aufgabe, dort das Jiu Jitsu einzuführen und zu verbreiten. Am 10. Oktober 1922 gründete Rhode in der Hauptwache in Frankfurt am Main den „Ersten Deutschen Jiu-Jitsu-Club e. V.“ mit, der dann später in „Erster Deutscher Judo-Club e. V.“ umbenannt wurde. Ebenfalls 1922 gründete Otto Schmelzeisen, der erstmals 1920 durch seinen Beruf als Polizeibeamter im Rahmen eines Beamtenausbildungslehrgangs mit Jiu Jitsu in Berührung gekommen war, in Wiesbaden einen Jiu-Jitsu-Club, der 1950 in „Judo-Club Wiesbaden 1922 e. V.“ umbenannt wurde. Weitere Vereinsgründungen erfolgten 1922 unter anderem durch Max Hoppe in Berlin und August „Ago“ Glucker in Stuttgart.
1923 wurde von Erich Rahn der „Reichsverband für Jiu Jitsu“ – der heutige „Deutsche Jiu-Jitsu-Ring Erich Rahn e. V.“ – gegründet, dessen erster Vorsitzender Walter Strehlow wurde. 1926 fand in Köln die erste deutsche Einzelmeisterschaft im Jiu Jitsu statt. 1929 fanden im Frankfurter Palmengarten zwischen dem Budokwai London und dem Ersten Deutschen Jiu-Jitsu-Club e. V. Frankfurt am Main die ersten internationalen Judo-Wettkämpfe statt. Bei den Regelabsprachen zwischen Meister Koizumi und Marcus Kaye für London und Alfred Rhode, Edgar Schäfer und Philip Breitstadt für Frankfurt wurde deutlich, dass sich das Jiu Jitsu nicht gut für einen direkten Vergleichswettkampf eignet, da es hauptsächlich auf Selbstverteidigung ausgerichtet ist.
Obwohl 1930 in Deutschland bereits 110 Jiu-Jitsu-Vereine registriert waren, ging die Tendenz nun vom Jiu Jitsu zum von Kano entwickelten Judo hin. 1933 gründete Alfred Rhode die Europäische Judo-Union (EJU), wodurch Jiu Jitsu und Judo erstmals organisatorisch voneinander getrennt wurden. Die Selbstverteidigung aus J. Kanos System behielt den Namen Jiu Jitsu, während der wettkampfsportliche Teil den Namen Judo bekam. Noch im selben Jahr kam Kano nach Deutschland und hielt mit seinen Schülern Dr. Takasaki, Kotani und Dr. Kitabatake vom 11. bis 22. Juli in Berlin an der Humboldt-Universität und vom 11. bis 18. September in München zwei Lehrgänge ab. Nach einem Gespräch zwischen Kano und dem damaligen Reichssportführer wurde die Bezeichnung „Judo“ amtlich in ganz Deutschland eingeführt.
Ideologisch stand Jiu Jitsu im Dritten Reich zwischen zwei Lagern. Auf der einen Seite hatte sich diese Kampfkunst bereits in weiten Teilen etabliert, wurde von Hitler in Mein Kampf positiv beschrieben und daher auch für den Wehrsport-Gedanken instrumentalisiert. Auf der anderen Seite galt Jiu Jitsu als artfremd, da es aus Japan stammte. In einigen Jiu Jitsu-Publikationen der NS-Zeit rechtfertigten Lehrer ihre Kunst daher damit, dass es auch in Deutschland zur Zeit des Mittelalters ähnliche Kampfkünste gegeben habe; und Erich Rahn selbst behauptete, ein System geschaffen zu haben, das an die deutsche Art angepasst sei.[2]
Von 1939 bis 1945 fand kriegsbedingt keine Weiterentwicklung des Kampfsports statt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden durch die Direktive Nr. 23 bezüglich der Beschränkung und Entmilitarisierung des Sportwesens in Deutschland des Kontrollratsgesetzes unter anderem auch Jiu Jitsu und Judo von den Alliierten sowohl in Deutschland als auch in Japan verboten. Erst nach langen Verhandlungen wurde 1949 die Direktive Nr. 23 nach und nach in allen Besatzungszonen aufgehoben und zuerst das Training des Judo und später auch des Jiu Jitsu wieder freigegeben. Im Alter von 65 Jahren eröffnete Erich Rahn 1950 seine Schule in Berlin-Schöneberg wieder, die 1944 zerbombt worden war.
Am 20. September 1952 wurde in Stuttgart das Deutsche Dan-Kollegium (DDK) gegründet, und der erste Präsident wurde im Alter von 56 Jahren Alfred Rhode. Am 8. August 1953 wurde in Hamburg der Deutsche Judo-Bund (DJB) gegründet und drei Jahre später vom Deutschen Sportbund (DSB) als Mitglied anerkannt. 1957 wurde auf dem Verbandstag beschlossen, dass das Prüf- und Lehrwesen beim DDK bleiben solle, während der DJB die übrigen Aufgaben übernehmen solle.
Am 1. Mai 1972, dem 87. Geburtstag Erich Rahns, ernannte dieser Ditmar Gdanietz, der 1957 seiner Schule beigetreten war, zu seinem Nachfolger. Gdanietz war schon 1966 Cheftrainer des Deutschen Jiu-Jitsu-Ring Erich Rahn e. V. (DJJR) geworden, eines Verbands, der aus einer lockeren Zusammenfassung der Schüler und Fernschüler Rahns entstanden war. Erich Rahn starb am 5. Juli 1973.
Im Januar 1975 wurde − unter der Führung von Hans-Gert Niederstein (Ehrentitel Hanshi, 10. Dan Jiu Jitsu und 2. Dan Judo) – durch die Mitglieder der Korporation Internationaler Danträger e. V. (KID) der Deutsche Jiu Jitsu Bund e. V. (DJJB) als Dachorganisation für alle Landesverbände und ihre Vereine und Schulen in Deutschland gegründet. Der DJJB hat sich die Verbreitung und Pflege des Jiu Jitsu zum Ziel gesetzt und hat als Mitgliedsverbände fünf Landesverbände. Hans-Gert Niederstein wurde der erste Präsident des DJJB. Nach dem Tod des Großmeisters Niederstein im Jahre 1985 wurde Dieter Lösgen (Ehrentitel Hanshi, 10. Dan Jiu Jitsu und 1. Dan Judo) sein Nachfolger und ist bis heute Präsident des DJJB und der KID.[3]
Noch bis in die 1970er-Jahre war die Jiu-Jitsu-Selbstverteidigung im Prüfungsprogramm des DJB verankert. Am Ende der 1980er-Jahre gründete der DJB – wegen der Beliebtheit und des Wertes des Jiu Jitsu – die Bundesgruppe für „Jiu Jitsu im DJB“. Diese wurde 1993 wieder aufgelöst, weil sich der DJB entschlossen hatte, außer Judo keine weiteren Budodisziplinen zu betreiben. Dennoch erteilte der DJB der Bundesgruppe keine Zustimmung für eine auf Bundes- und Landesebene anerkannte, vollwertige und eigenständige Sektion Jiu Jitsu. Daher wurde – um trotzdem fachliche Autonomie zu gewährleisten und Lehre und Technik des Jiu Jitsu von fachfremden Einflüssen fernzuhalten – durch Mitglieder der Arbeitsgruppe „Jiu Jitsu im DJB“ 1982 in Malente, Schleswig-Holstein, die Deutsche Jiu-Jitsu Union e. V. (DJJU) gegründet. Die DJJU ist ein Verband von Landesorganisationen im Sinne des Deutschen Sportbundes (DSB). Ihr Ziel ist die Einheit aller Jiu Jitsuka und die Gleichberechtigung des Jiu Jitsu in einer vereinten Budolandschaft. Mit elf Landesverbänden ist die DJJU ein führender Fachverband für Jiu Jitsu in Deutschland.
Mit dem Ausscheiden der Bundesgruppe für „Jiu Jitsu im DJB“ 1993 wurde die Gründung neuer Jiu-Jitsu-Verbände initiiert. Einer dieser Verbände, der Kodokan Jiu Jitsu Verband e. V. (KJJV), wurde 1993 in Marl gegründet. Der Präsident ist Klaus Möwius – ein ehemaliger Schüler von H.-G. Niederstein (Gründer Deutscher Jiu Jitsu Bund) und ehemaliger Lehrer von Jochen Kohnert (10. Dan Jiu Jitsu, 5. Dan Judo) und anderen namhaften Meistern.
Jiu Jitsu als Basis weiterer Kampfkünste
Aus dem Jiu Jitsu entwickelten sich im Laufe der Zeit weitere Kampfkünste, durch besondere Betonung auf einzelne Aspekte des Gesamtsystems Jiu Jitsu oder durch Mischung mit anderen Kampfkünsten:
- Jūdō ist ein wurflastiger Stil des Jiu Jitsu, der Anfang des 20. Jh. entstand. Kanō Jigorō entwickelte Jūdō als attraktive Kampfkunst für die moderne japanische Gesellschaft sowie als Nahkampfsystem für die Tokioter Polizei. Dabei handelt es sich um ein Extrakt aus dem Jiu Jitsu, welches sich vornehmlich aus Wurf-, Würge-, Hebel- und Haltetechniken zusammensetzt. In Europa herrscht das Wettkampfjudo vor, im traditionellen Judo von Kano hingegen gibt es weiterhin Schlag-, Stoß-, und Tritttechniken, außerdem wird Wert auf eine Ausbildung im Kuatsu (Kunst der Wiederbelebung) gelegt.
- Beim Aikidō stehen ausladende, runde Bewegungen und Hebeltechniken im Vordergrund. Ueshiba Morihei entwickelte es vor allem aus dem Daitō-ryū Aiki-jūjutsu, das ihm von Sōkaku Takeda vermittelt wurde. Aikidō betont das Aufnehmen und Umkehren des Angriffs sehr stark.
- Einige Karatedō-Ryū (jap. Stile) sind aus Einflüssen des Jiu Jitsu und Kung Fu entstanden und werden technisch durch Schlag-, Stoß-, Tritt- und Blocktechniken sowie Fußfeger charakterisiert. Sie beinhalten auch Würfe, Hebel, Bodenkampftechniken und Angriffe auf Nervendruckpunkte.
- Deutsches Ju-Jutsu ist ein junges, aus traditionellem Jiu Jitsu und vielen anderen Einflüssen zusammengesetztes System, das in Deutschland entwickelt wurde. Zur Abgrenzung vom Jiu Jitsu wird eine andere Transkription für dieselben Kanji benutzt.
- In Brasilien ist das Brasilianische Jiu Jitsu sehr verbreitet, das eine Version des Jūdō mit Fokus auf den Bodenkampf darstellt.
- Krav Maga kombiniert Jiu Jitsu mit Boxen.
Kleidung
Jiu Jitsu wird barfuß und in einem speziellen Anzug (jap. Keikogi) trainiert. Für Männer ist es unüblich, ein T-Shirt unter dem Keikogi zu tragen; Frauen hingegen haben das Recht – aufgrund anatomischer Gesichtspunkte –, ein Unterhemd/T-Shirt/Sport-BH unter dem Gi zu tragen. Beide Geschlechter tragen unter dem Gi Unterwäsche und bei Bedarf ein Suspensorium (Tiefschutz).
Das Jiu Jitsu-Training beinhaltet Aspekte, die besondere Kleidung notwendig machen. Die Kleidung (meist aus Baumwolle) muss so robust sein, dass sie nicht reißt, wenn an ihr gezogen wird, aber auch so flexibel, dass sich der Jiuka gut darin bewegen kann. Für das Jiu Jitsu-Training können robustere Judo-Anzüge, eher dünnere Karate-Anzüge und seit neuester Zeit auch spezielle Jiu Jitsu-Gis, z.B. mit Beinverstärkungen für Bodenkampf, getragen werden. Die einheitliche Trainingskleidung beim Jiu Jitsu besteht aus folgenden Elementen:
- Keikogi – Ein Anzug (jap. Keikogi) in traditionell weißer Farbe – Farbe und Form können von Verband zu Verband unterschiedlich sein:
- Obi – ein farbiger (für die Bedeutung der Gurtfarbe siehe → Graduierungen im Jiu Jitsu), auf bestimmte Weise gebundener Gürtel (jap. Obi) hält die Jacke zusammen.
Die Einführung einheitlicher Kleidung und eines Graduierungssystems in den Kampfkünsten ist im sozio-historischen Kontext Japans zu verstehen: Die Bedeutung der traditionellen Kriegskünste ging durch die Modernisierung und Verwestlichung Japans in der Meiji-Restauration – in welcher der Samurai-Stand aufgelöst wurde und Faustfeuerwaffen eingeführt wurden – weitestgehend zurück. Erst mit dem wachsenden japanischen Nationalismus gewannen die klassischen Kampfkünste wieder an Bedeutung. Sie wurden nicht mehr als obsolet, sondern als wichtiger Bestandteil der kulturellen und nationalen Identität gesehen. Kōdōkan-Gründer Kanō Jigorō passte seine Kampfkunst der nationalistisch-militaristischen Zeit an und führte uniforme Trainingskleidung und das Gürtelsystem ein. So kann die einheitliche Kleidung als Uniform, das Graduierungssystem nach Gürtelfarben als Hierarchie militärischer Dienstgrade und die Aufstellung in „Reih und Glied“ als militärische Formation gesehen werden.
Graduierung
Im Dōjō beim Jiu Jitsu herrscht eine hierarchische Gliederung: die Lehrer (Sensei) und die Schüler. Die Graduierung bzw. das Können im Jiu Jitsu wird durch die Farbe des Gürtels (jap. Obi) deutlich − was heute typisch für viele vor allem japanische Kampfkünste ist. Kanō Jigorō, Gründer des Kodokan-Judo, hat dieses System im 19. Jh. erstmals verwendet. Vorher gab es kein Graduierungssystem nach Gürtelfarben in den Kampfkünsten aus Japan und Okinawa.
Generell wird in Schüler- (Kyu) und Meistergrade (Dan) unterschieden, wobei jedem Grad eine bestimmte Gürtelfarbe zugeordnet ist. Jeder fängt mit einem Weißgurt (6. Kyu bzw. 9. Kyu) an und unterzieht sich einer Gürtelprüfung, um zum nächsthöheren Gürtelgrad zu gelangen. Das Ablegen von Prüfungen dient vielfach als Ansporn und Bestätigung des Erreichten, ähnlich wie in vielen anderen Bereichen des Alltages.
In Abhängigkeit vom angestrebtem Kyu- oder Dan-Grad werden das Prüfungsprogramm und die Wartezeit – vom jeweiligen Verband – festgelegt. In der Prüfung selbst wird auf viele Teilaspekte geachtet. Dabei wird neben der dynamischen und korrekten Technikausführung auch auf Haltung, Aufmerksamkeit, Kampfgeist, Konzentration und Willen des Prüflings Wert gelegt. Für ein Bestehen werden auch weitere Werte, wie die Einstellung, das regelmäßige Erscheinen beim Training, die Pünktlichkeit etc. beachtet, so dass letztendlich der Gesamteindruck entscheidet.
Schülergrade - Kyu-Grade (Mudansha)
In der Deutschen Jiu-Jitsu Union (DJJU), im Deutschen Jiu-Jitsu-Ring Erich Rahn (DJJR) und im Deutschen Dan-Kollegium (DDK) gilt eine sechsstufige Unterteilung der Schülergrade, nach der sich auch die in Deutschland weniger etablierten Dachverbände, wie beispielsweise die World Ju Jitsu Federation (WJJF), in Deutschland richten:
Kyu-Grad | 6. Kyu | 5. Kyu | 4. Kyu | 3. Kyu | 2. Kyu | 1. Kyu |
---|---|---|---|---|---|---|
Gürtelfarbe | weiß | gelb | orange | grün | blau | braun |
Im Deutschen Jiu Jitsu Bund (DJJB) hingegen gibt es – durch die Auffächerung des Braungurtes – neun Schülergrade.[3] Diese weitere Unterteilung der Schüler-Graduierungen im DJJB dient einer besseren Vorbereitung der Mudansha (無段者, wörtlich: „Person ohne Dan“ folglich Kyu-Grad-Träger) auf den Schwarzgurt:
Kyu-Grad | 9. Kyu | 8. Kyu | 7. Kyu | 6. Kyu | 5. Kyu | 4. Kyu | 3. Kyu | 2. Kyu | 1. Kyu |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Gürtelfarbe | weiß | gelb | orange | grün | blau | braun | braun mit 1. roten Streifen |
braun mit 2. roten Streifen |
braun mit 3. roten Streifen |
Meistergrade - Dan-Grade (Yūdansha)
Die Aufteilung in zehn Meistergrade ist allgemein üblich bei japanischen Kampfkunst- bzw. Kampfsportarten. Für die Meistergrad-Prüfungen gibt es festgelegte Kriterien und Prüfungsprogramme – ebenfalls von Verband zu Verband unterschiedlich. Der technische Anteil der Danträger (有段者, Yūdansha, wörtlich „Person mit Dan“) wird dabei freier, so dass die Prüflinge ihre Repertoire von Abwehrtechniken selbst erarbeiten müssen, und der theoretisch-philosophische Prüfungsanteil erhöht sich erheblich. Dabei ist – in den meisten Verbänden – die Prüfung zum fünften Dan die letzte technische Prüfung, die abgelegt werden kann, und weitere Graduierungen werden für außergewöhnliche Leistungen im bzw. für den Verband verliehen.
Dem ersten bis fünften Dan entsprechend werden schwarze Gürtel getragen, wobei zur Unterscheidung Streifen − deren Anzahl dem jeweiligen Dan-Grad entspricht – auf den Gurt genäht werden können. Der sechste bis achte Dan werden durch einen rot-weißen Gurt sichtbar und der neunte und zehnte Dan durch einen roten Gürtel.
Dan-Grad | 1. Dan | 2. Dan | 3. Dan | 4. Dan | 5. Dan | 6. Dan | 7. Dan | 8. Dan | 9. Dan | 10. Dan |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Gürtelfarbe | schwarz | schwarz | schwarz | schwarz | schwarz | rot- | rot- | rot- | rot | rot |
weiß | weiß | weiß |
Verbände
Das Jiu Jitsu ist eine sehr vielseitige Selbstverteidigung, bei der es vielfach vom Lehrer abhängt, welche Schwerpunkte im Training und in den Abwehrtechniken gesetzt werden. Daher haben sich in Deutschland nicht einer, sondern mehrere Jiu-Jitsu-Verbände etabliert, was auch aus der komplexen geschichtlichen Entwicklung ersichtlich ist. Einige bedeutende bundesweite und internationale Verbände sind im Folgenden aufgeführt.
Deutschland
- Deutsche Jiu-Jitsu Union e.V. (DJJU)
- Deutscher Jiu Jitsu Bund e.V. (DJJB)
- Deutscher Jiu-Jitsu-Ring Erich Rahn e.V. (DJJR)
- Deutscher Ju-Jutsu-Verband e.V. (DJJV)
- Deutsches Dan-Kollegium e.V. (DDK)
- World Ju Jitsu Federation Deutschland e.V. (WJJF-D)
- Jiu Jitsu International Deutschland (JJI-D)
Österreich
- Jiu-Jitsu Verband Österreich (JJVÖ)
- Österreichischer Jiu-Jitsu Bund (ÖJJB) - Anmerkung: aufgelöst seit 19. Januar 2008
- World Kobudo Federation Austria (WKF-A) - Anmerkung: Ausgliederung als autonome Sektion vom JJVÖ ab 31. Oktober 2009. "Verbandstätigkeit" vorhanden.
Schweiz
- Schweizerischer Judo- und Ju-Jitsu Verband (SJV)
- Sekai Ishin Ryu Ju Jitsu Renmei Schweiz (IRS)
- World Ju Jitsu Federation Schweiz (WJJF-S)
International
- Ju-Jitsu International Federation (JJIF)
- United Nations of Ju-Jitsu (UNJJ)
- World Ju Jitsu Federation (WJJF)
- Jiu Jitsu International (JJI)
- Europäischer Nippon Jiu Jitsu Verband (ENJJV)[4]
Siehe auch
Weblinks
- Jujutsu by Kanō Jigorō and T. Lindsay, 1887 (englisch)
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 Kanō Jigorō und T. Lindsay: Jujutsu and the origins of Judo. In: Transactions of The Asiatic Society of Japan. XV, 1887 ([1]).
- ↑ Marcus Coesfeld: Kampfsport im Dritten Reich - Werkzeug der Weltanschauung, in: Sigrid Happ u. Olaf Zajonc (Hrsg.): Kampfkunst und Kampfsport in Forschung und Lehre 2012, Hamburg 2013, S. 51-60.
- ↑ 3,0 3,1 Quelle: www.djjb.de, Stand 2007
- ↑ Europäischer Nippon Jiu Jitsu Verband (ENJJV)
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