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Johann Jakob Scheuchzer

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J. J. Scheuchzer, gemalt von Hans Ulrich Heidegger (1700–1747) im Jahr 1734

Johann Jakob Scheuchzer (* 2. August 1672 in Zürich; † 23. Juni 1733 ebenda) war ein Schweizer Arzt und Naturforscher, der vor allem durch seine Deutung von Fossilien als Überbleibsel der Sintflut (Sintfluttheorie) bekannt wurde. Sein offizielles botanisches Autorenkürzel lautet „J.J.Scheuchzer“.

Leben

Geburtshaus Scheuchzers und Wohnhaus von Konrad von Mure († 1280), Zwingli-Platz Zürich

Scheuchzer wurde 1672 als Sohn des gleichnamigen Zürcher Stadtarztes († 1688) geboren. Johannes Scheuchzer war sein jüngerer Bruder. Seine Mutter war Tochter des Lateinschuldirektors, dessen Schule (Collegium Humanitatis) er besuchte. Daneben unterrichtete ihn der Vater in naturwissenschaftlichen Fächern. Im Jahr 1688 verstarb sein Vater jedoch früh, und Scheuchzer gab sich autodidaktischen Studien hin. Der Zürcher Waisenhausarzt Johann Jacob Wagner (1641–1695), der Verfasser einer ersten Historia naturalis Helvetiae curiosa (Zürich 1689), beeinflusste ihn in dieser Zeit sehr.

Sein Medizinstudium absolvierte er ab 1692 in Altdorf bei Nürnberg und ab 1693 in Utrecht, wo er 1694 promovierte. Im gleichen Jahr unternahm er, angeregt durch August Quirinus Rivinus, den Rektor der Leipziger Universität, seine erste Forschungsreise in die Alpen. Ab 1695 hielt er im Collegium der Wohlgesinnten (1694–1709), einem vertraulichen Diskussionszirkel Zürcher Intellektueller, gelehrte Vorträge.

Da Scheuchzer nach seinem Studium warten musste, bis einer der vier amtlichen Ärzte Zürichs verstarb, um dessen Position einnehmen zu können, arbeitete er bei den wissenschaftlichen Gesellschaften und Akademien der Stadt mit. Durch den Tod von Johann Jakob Wagner bekam er 1695 seine Anstellung als Mediziner. Zugleich übernahm er auch die Stelle als Direktor der Bürgerbibliothek und der Kunst- und Naturalienkammer, in der er sich für die Erforschung seines Heimatlandes entschied. Diese Forschungsreisen sollten ihn dann bis 1714 durch das Land führen.

Mit einem grossen und detaillierten Fragenkatalog mit 220 Fragen informierte er sich im Vorfeld bei Bekannten in der gesamten Schweiz über die Natur und die Wetterverhältnisse an ihren Heimatorten; die Beteiligung war allerdings eher gering. Vor allem zur Hebung der Volksbildung und zur Widerlegung von Volksmärchen schrieb Scheuchzer als Zusammenfassung seiner Forschungsergebnisse von 1705 bis 1707 die Seltsamen Naturgeschichten des Schweizer-Lands wochentliche Erzehlung. In dem Werk widerlegte er etwa die Meinung, dass die Gewitter am Pilatussee von Dämonen herrührten, sobald man dem See näher komme oder gar einen Gegenstand in ihn werfe. Er selbst schrieb dazu 1714 „Ich selbst habe im Beisein der Sennen, welche diese Fabeln verlachen, Stein, Holz und anderes nicht nur einmal in diese Pfütze geworfen ohne Gefahr und Schaden“. Ebenfalls zur Volksbildung schrieb Scheuchzer 1701 das erste Physikbuch in deutscher Sprache mit dem Titel Physica, oder Natur-Wissenschaft.

1697 heiratete Scheuchzer Susanna Vogel, die Tochter des Färbers Hans Vogel. Unter seinen Söhnen trat Johann Caspar Scheuchzer als Arzt, Naturforscher und Japanologe hervor.[1]

Wissenschaftliche Leistungen

Von besonderer Bedeutung sind die wissenschaftlichen Leistungen Scheuchzers, der als Erster Höhenmessungen mit barometrischen Instrumenten statt der wesentlich unzuverlässigeren trigonometrischen Berechnungen durchführte. Durch Untersuchungen an Bergkristallen wurde er mit dem Luzerner Stadtphysikus Moritz Anton Kappeler und seinem Schüler Johann Heinrich Hottinger (1680–1756) zu einem der Mitbegründer der modernen Kristallographie, und aufgrund seiner klimatologischen Beobachtungen konnte er regelmässige Wetterberichte abfassen.

Bekannt ist Johann Jakob Scheuchzer jedoch vor allem für seine paläontologischen Arbeiten. In seiner Lithographia Helvetica beschrieb er die Fossilien noch als „Naturspiele“ oder Überreste der Sintflut. Durch die Übersetzung des Buches Essay toward a Natural History of the earth von John Woodward ins Lateinische wurde er allerdings von den Denkweisen des René Descartes überzeugt, der ein Nebeneinander von göttlicher Allmacht und der Existenz von Naturgesetzen in Gottes Werk darstellte. Scheuchzer befasste sich intensiver mit den Fossilien, insbesondere denen der Tiere, und stellte 1726 in den Philosophical Transactions of the Royal Society ein von ihm am Schiener Berg gefundenes Skelett als das eines in der Sintflut ertrunkenen Menschen vor (Homo diluvii testis). Mit dieser Deutung des Fossils lag er allerdings falsch und es wurde etliche Jahre später durch den Franzosen Georges Cuvier (1769 bis 1832) als das Skelett eines ausgestorbenen Riesensalamanders erkannt und als Andrias scheuchzeri benannt.

Durch das 1709 erschienene Herbarium diluvianum wurde Johann Jakob Scheuchzer zum Begründer der Paläobotanik. In diesem Werk zeigt er auf 14 Tafeln Pflanzenabdrücke, die vor allem aus dem Karbon, Perm und Tertiär stammende Pflanzen darstellen. Diese Tafeln sind so naturgetreu gemacht, dass aufgrund der Bilder bei den meisten Abbildungen eine Artbestimmung möglich ist. Seine umfangreiche Sammlung von Versteinerungen und Mineralien wird heute im Paläontologischen Museum von Zürich aufbewahrt, ein kleiner Teil davon ist ausgestellt.

1712 entstand eine vierblättrige Karte der Schweiz, die Nova Helvetiae tabula geographica[2], die einige Zeit als die beste und die gültige Karte der Schweiz galt. Durch seine wissenschaftliche Arbeit erlangte Johann Jakob Scheuchzer internationale Anerkennung. So beteiligte sich etwa der damalige Präsident der Royal Society in London, Isaac Newton, am Druck Scheuchzers ersten Werkes Itinera alpina tria, und 1710 bot ihm der russische Zar Peter der Große auf Empfehlung von Gottfried Wilhelm Leibniz die gut bezahlte Stelle als Leibarzt an, die Scheuchzer aber ablehnte.

Beispielabbildung aus dem Herbarium diluvianum
Andrias scheuchzeri
Die Teufelsbrücke auf Scheuchzers Karte von 1712

In der Schweiz selbst jedoch wurde Scheuchzer gemieden, vor allem wegen seiner neuartigen Ideen und Interpretation des göttlichen Wirkens. Besonders durch das Werk Physica Sacra, oder Geheiligte Natur-Wissenschaft (kurz Kupfer-Bibel) verspielte er sich die Sympathien der Landsleute. In diesem vierbändigen Werk sollte versucht werden, den Gottesbeweis durch die Naturwissenschaft zu erbringen. Diese sogenannte Physikotheologie stellte biblische Geschichten durch naturwissenschaftliche Erklärungen dar. Eine Druckgenehmigung der Kupfer-Bibel wurde Scheuchzer in der Eidgenossenschaft verweigert. 1731 bis 1735 erschien die Physica sacra allerdings doch, und zwar in Augsburg. Mit vier Foliobänden und 2098 Seiten sowie 750 Kupfern wurde sie zu einem Meisterwerk der Druckkunst der damaligen Zeit. Scheuchzer konnte zwar die Manuskripte für die deutsche und die lateinische Ausgabe noch fertigstellen, durch seinen Tod am 23. Juni 1733 erlebte er allerdings die Vollendung nicht mehr. Nach der lateinischen und der deutschen Fassung folgten eine niederländische und eine französische Version des Werkes.

Ehrungen

1697 wurde er zum Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina gewählt.[3]

Das Scheuchzerhorn und das Scheuchzerjoch in den Berner Alpen sind nach Johann Jakob Scheuchzer benannt. Im Zürcher Quartier Oberstrass (Kreis 6) wurde die Scheuchzerstrasse nach ihm benannt. In der Nummer 68 lebte zwischen 1916 und 1919 der Schriftsteller Elias Canetti.

Carl von Linné benannte ihm und seinem Bruder Johannes Scheuchzer zu Ehren die Gattung Scheuchzeria der Pflanzenfamilie der Blumenbinsengewächse (Scheuchzeriaceae).[4][5][6]

Gedenktafel
Gedenktafel an der Trittligasse in Zürich

Nachlass

In der Zentralbibliothek Zürich befindet sich Scheuchzers Nachlass, der 12,3 Laufmetern entspricht. Darunter sind Briefe, Materialien zum Werk, Akten, Arbeiten, Bildmaterial und Karten (in der Kartensammlung); ausserdem Protokolle des Collegiums der Wohlgesinnten (1694–1709), Reden, Vorträge und Vorarbeiten.

Werke

Homo diluvii testis (Zürich, 1726)
Illustration von der Rezension im Piscium querelae et vindiciae (Acta eruditorum, 1709)
  • Physica, oder Natur-Wissenschaft. Zürich 1701.
  • Specimen lithographiae helveticae curiosae Zürich 1702. doi:10.3931/e-rara-12116
  • Beschreibung der Natur-Geschichten des Schweizerlands. Zürich 1706–1708 doi:10.5962/bhl.title.65822.
  • Seltsamen Naturgeschichten des Schweizer-Lands wochentliche Erzehlung. Zürich 1707.
  • Ouresiphoites Helveticus, sive itinera per Helvetiae alpinas regiones. London 1708 online
  • Piscium Querelae et vindiciae. Zürich 1708 doi:10.5962/bhl.title.9145.
  • Herbarium diluvianum. Zürich 1709.
  • Naturgeschichte des Schweitzer Landes. Zürich 1716.
  • Jobi physica sacra, Oder Hiobs Natur-Wissenschafft, vergliechen mit der Heutigen. Zürich 1721.
  • Herbarium Diluvianum. 1723. doi:10.5962/bhl.title.44483, Digitalisat
  • Homo diluvii testis. Zürich 1726, Digitalisat
  • Sceleton duorum humanorum petrefactorum pars, ex epistola ad H. Sloane. In Philosophical Transactions of the Royal Society 34, 1728.
  • Physica sacra. 4 Bände, Augsburg und Ulm 1731–1735.

Literatur

  • Claus BernetJohann Jakob Scheuchzer. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 21, Nordhausen 2003, ISBN 3-88309-110-3, Sp. 1312–1355.
  • Simona Boscani Leoni (Hg.): Johann Jakob Scheuchzer (1672–1733) und die frühneuzeitliche Naturforschung, Basel: Schwabe 2010.
  • Simona Boscani Leoni: "Vernetzte Welten: Das Korrespondenznetz von Johann Jakob Scheuchzer", in: Urs B. Leu (Hg.): Natura Sacra. Der Frühaufklärer Johann Jakob Scheuchzer (1672–1733), Zug 2012, S. 130–165
  • Simona Boscani Leoni (Hg.): "Unglaubliche Bergwunder". Johann Jakob Scheuchzer und Graubünden. Ausgewählte Briefe 1699–1707, Chur 2019, ISBN 3-905342-59-6.
  • Simona Boscani Leoni (Hg.): "Lettres des Grisons": Wissenschaft, Religion und Diplomatie in der Korrespondenz von Johann Jakob Scheuchzer. Eine Edition ausgewählter Schweizer Briefe (1695–1731), Online Edition: https://hallernet.org/edition/scheuchzer-korrespondenz
  • Dunja Bulinsky: Nahbeziehungen eines europäischen Gelehrten. Johann Jakob Scheuchzer (1672–1733) und sein soziales Umfeld, Zürich: Chronos Verlag 2020 ISBN 978-3-0340-1561-5.
  • Madlena Cavelti Hammer: An Kunstwerken lernen, zum Beispiel: Die Schweizerkarte von Johann Jakob Scheuchzer um 1720. In: Cartographica Helvetica Heft 1 (1990) S. 29–31 Volltext
  • Arthur Dürst: Jakob Scheuchzer: «Nova Helvetiae tabula geographica.» De Clivo Press, Zürich 1971.
  • Arthur Dürst: Johann Jakob Scheuchzer und die «Natur-Histori des Schweitzerlands». Begleittext zur Faksimile-Ausgabe. Orell Füssli, Zürich 1978.
  • Arthur Dürst: Johann Jakob Scheuchzer, Vorlage (Handzeichnung) ca. 1712 zur «Nova Helvetiae tabula geographica» von 1712/1713. Begleittext zur Reproduktion. Mathieu, Zürich 1999.
  • Robert Felfe: Naturgeschichte als kunstvolle Synthese. Physikotheologie und Bildpraxis bei Johann Jakob Scheuchzer. Akademie-Verlag, Berlin 2003.
  • Hans Fischer: Johann Jakob Scheuchzer, Naturforscher und Arzt (= Neujahrsblatt der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich). Leemann, Zürich 1973.
  • Michael Kempe: Wissenschaft, Theologie, Aufklärung. Johann Jakob Scheuchzer (1672–1733) und die Sintfluttheorie. Epfendorf 2003, ISBN 3-928471-33-3.
  • Michael Kempe: Scheuchzer, Johann Jakob. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 22, Duncker & Humblot, Berlin 2005, S. 711 f. (Onlinefassung).
  • Urs B. Leu (Hg.): Natura Sacra. Der Frühaufklärer Johann Jakob Scheuchzer (1672–1733), Zug 2012.
  • Hanspeter Marti: Scheuchzer, Johann Jakob im Historischen Lexikon der Schweiz
  • Paul Michel: Das Buch der Natur bei Johann Jacob Scheuchzer. In: W. Haubrichs, W. Kleiber, R. Voss (Hrsg.): Vox Sermo Res. Festschrift Uwe Ruberg. Hirzel, Stuttgart/Leipzig 2001, ISBN 3-7776-1069-0. S. 169–193.
  • Bernhard Milt: J. J. Scheuchzer und seine Reise ins Land Utopia. In: Notizen zur schweizerischen Kulturgeschichte. Band 91 (1946) S. 143–146.
  • Irmgard Müsch: Geheiligte Naturwissenschaft. Die Kupfer-Bibel des Johann Jakob Scheuchzer. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2000, ISBN 3-525-47903-4.
  • Eberhard Rohse: Paläontologisches Behagen am Sinflutort. Naturhistorie und Bibel in und um Raabes „Stopfkuchen“. In: Sören R. Fauth, Rolf Parr und Eberhard Rohse (Hrsg.): „Die besten Bissen vom Kuchen“. Wilhelm Raabes Erzählwerk: Kontexte, Subtexte, Anschlüsse. Wallstein, Göttingen 2009, ISBN 978-3-8353-0544-1, S. 63–116 (hier insbes. S. 72–85: „Odfeld“-Exkurs: Noah Buchius als Sintflut-Paläontologe – „Homo diluvii testis“).
  • Hermann Alfred Schmid: Die Entzauberung der Welt in der Schweizer Landeskunde, Diss. Basel 1942 (S. 98–161 über Scheuchzer).
  • Rudolf Steiger: Johann Jakob Scheuchzer I. Werdezeit (bis 1699). (Schweizer Studien zur Geschichtswissenschaft XV/1; 1927), Zürich 1930. [Diss. Zürich 1927; mehr nicht erschienen].
  • Rudolf Steiger: Verzeichnis des wissenschaftlichen Nachlasses von Johann Jakob Scheuchzer. (Vierteljahresschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich LXXVIII), Zürich 1933.
  • Georg von WyßScheuchzer, Johann Jakob. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 34, Duncker & Humblot, Leipzig 1892, S. 710–715.
  • Christian Walkmeister: Johann Jakob Scheuchzer und seine Zeit. In: Bericht über die Thätigkeit der St. Gallischen Naturwissenschaftlichen Gesellschaft, Bd. 37, 1895–1896, S. 364–401 (Digitalisat).

Weblinks

 Commons: Johann Jakob Scheuchzer – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Wolfgang Michel: Johann Caspar Scheuchzer (1702–1729) und die Herausgabe der History of Japan. In: Asiatische Studien / Études Asiatiques, 64, 1, 2010 Zurich Open Repository and Archive ZORA S. 101–137
  2. Hanspeter Marti: Johann Jakob Scheuchzer im Historischen Lexikon der Schweiz
  3. Mitgliedseintrag von Johann Jakob Scheuchzer bei der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, abgerufen am 30. Mai 2022.
  4. Carl von Linné: Critica Botanica. Leiden 1737, S. 94.
  5. Carl von Linné: Genera Plantarum. Leiden 1742, S. 153.
  6. Lotte Burkhardt: Verzeichnis eponymischer Pflanzennamen – Erweiterte Edition. Teil I und II. Botanic Garden and Botanical Museum Berlin, Freie Universität Berlin, Berlin 2018, ISBN 978-3-946292-26-5 doi:10.3372/epolist2018.
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