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Kamisarden
Kamisarden (französisch Camisards) war der Name der Hugenotten in den Cevennen. Sie waren nicht selten Abkömmlinge der Waldenser und hatten sich im 16. Jahrhundert der Reformation angeschlossen. Ein erster Aufstand der Kamisarden nach der Aufhebung des im Jahr 1598 von Heinrich IV. erlassenen Edikts von Nantes durch das von Ludwig XIV. erlassene Edikt von Fontainebleau (1685) führte zu einem latenten Partisanenkrieg, der sich während des Spanischen Erbfolgekrieges im sogenannten Cevennenkrieg (1702–1705) blutig entlud. In diesem Krieg wurden die Kamisarden von den Engländern mit Geld und Waffen unterstützt. Der Krieg endete mit der Entvölkerung der Cevennen und verursachte einen wesentlichen Teil der französischen Staatsschulden am Ende des Erbfolgekrieges.
Der Name Camisards bedeutet eigentlich ‚Blusenmänner‘ (von camise bzw. chemise = ‚Hemd‘ oder ‚Bluse‘; hiervon ist auch abgeleitet das französische Wort camisade = ‚nächtlicher Überfall‘).
Historischer Hintergrund
Als Ludwig XIV. im Jahr 1685 im Edikt von Fontainebleau das Edikt von Nantes zurückgenommen hatte, erhoben sich in den Cevennen, einer der ärmsten Gegenden Frankreichs, die Kamisarden. Die Aussendung von Soldaten und Mönchen zu ihrer gewaltsamen Bekehrung und der Terror der berüchtigten Dragonaden heizte den Widerstand jedoch nur noch mehr an. Die Wut richtete sich auch gegen die Steuereinnehmer, die oft ermordet wurden und deren Häuser niedergerissen wurden.
Schon 1689 wurde diese erste Empörung der Kamisarden polizeilich und militärisch unterdrückt. Der Abbé du Chaila spürte die Zufluchtsorte der Kamisarden auf, ließ sie beim Gottesdienst überfallen; einige wurden gehängt, andere eingekerkert. Wegen dieser Gewalttaten wurde 1702 der Abbé mitsamt seiner Polizeitruppe erschlagen. Die gebirgige Beschaffenheit des Landes erleichterte den Partisanenkrieg. Die Bekriegung war umso schwieriger, als Ludwig XIV. zugleich durch den Spanischen Erbfolgekrieg in Anspruch genommen war und seine Gegner alles taten, um die Kamisarden in ihrem Widerstand zu bestärken. Mehrere königliche Heere wurden geschlagen und zum Teil vernichtet, so dass der König zunächst 1702 den Militärkommandanten des Languedoc, Victor-Maurice, comte de Broglie zur Niederschlagung des Aufstandes entsandte. Nachdem dieser wenig Erfolg vorweisen konnte, wurde er 1703 durch den Marschall Montrevel ersetzt. Dieser konnte letztendlich mit 60.000 Mann erfolgreich gegen die Kamisarden vorgehen. Montrevel, ein ehemaliger Hugenotte, führte einen Krieg der verbrannten Erde. Massenweise wurden die Menschen hingerichtet und das Land in eine Wüste (désert) verwandelt; 436 Dörfer wurden zerstört. Die Kamisarden gingen ebenfalls mit äußerster Gewalt vor, in der Diözese Nîmes allein erwürgten sie 84 Priester und brannten etwa 200 Kirchen nieder.
An der Spitze der Kamisarden stand Jean Cavalier, ein 20-jähriger Bäckerbursche aus dem Dorf Ribaute bei Anduze. Nach großen anfänglichen Erfolgen plante Cavalier, seine Truppen in der Dauphiné mit denen des Herzogs von Savoyen zu vereinigen. Die Einwohner von Nîmes, Montpellier, Orange, Uzès etc. unterstützten die Kamisarden mit allem Notwendigen; die Glocken der zerstörten Kirchen wurden zu Kanonen etc. umgegossen.
Ludwig XIV. ersetzte im April 1704 den unfähigen Montrevel durch den Marschall Villars. Dieser verkündete eine Amnestie für alle, die die Waffen niederlegen würden, und ließ Gefangene frei, welche Treue gelobten. Dagegen ließ er jeden, der mit Waffen gefangen wurde, sofort töten und organisierte bewegliche Kolonnen, die nach allen Richtungen hin operierten. Infolge dieses Vorgehens nahm eine Gemeinde nach der anderen die Amnestiebedingungen an und Cavalier selbst schloss am 10. Mai 1704 zu Nimes einen Vergleich mit Villars und trat als Oberst in die Dienste des Königs.
Einige Kamisarden setzten den Kampf dennoch fort, wurden wiederholt besiegt und bis Ende 1704 unterworfen. Die Gewalttaten des Herzogs von Berwick, der zu Beginn des Jahres 1705 als Nachfolger Villars den Oberbefehl erhielt, riefen einen neuen Aufstand hervor, zumal die Kamisarden von den Engländern und Holländern mit Geld und Waffen unterstützt wurden.[1] Aber im April 1705 war auch dieser beendet und die letzten Aufständischen zu Nîmes hingerichtet. Das ganze Gebiet der Cevennen war aber entvölkert und verödet. Ein Teil der Kamisarden trat unter Cavalier, der seinen Abfall bereute und den Dienst Ludwigs XIV. wieder verließ, in englische Dienste und focht aufseiten der Verbündeten in Katalonien, wo die meisten in der Schlacht bei Almansa am 25. April 1707 den Tod fanden. Cavalier ging nach England und starb als Gouverneur von Jersey 1740.
Das Leben der Hugenotten in den Cevennen
Das Haus
Die einfachen Häuser in den Cevennen waren zur damaligen Zeit meist aus Lehm oder Stein gemauert und mit Stroh gedeckt. Das Mobiliar beschränkte sich auf ein Minimum: Tisch, Bank, einige wenige Hocker oder Stühle sowie Truhe und Ehebett; die Kinder schliefen oft auf dem mit Stroh bedeckten Lehmfußboden. Gefertigt waren diese Möbel meist aus Kastanien- sowie aus Maulbeerbaum- und Kirschholz. Außerdem mussten im Haus genügend Versteckmöglichkeiten vorhanden sein – so gab es Häuser, die doppelte Wände hatten, in denen sich ein oder zwei Personen verstecken konnten; andere Häuser warteten mit ausgehöhlten Fußböden oder unterirdischen Fluchtwegen auf. Auf jeden Fall brauchte man Platz, um die Bibel und andere Schriften zu verstecken. Denn der Besitz einer Bibel oder von Schriften, deren Inhalt die reformierte Religion war, war verboten. Fanden königliche Truppen solche Dinge, galten diese als Beweismittel und ihre Besitzer mussten damit rechnen, angeklagt zu werden.
Das religiöse Leben
Die Mitglieder der Hugenotten waren in allen Bevölkerungsschichten zu finden. So konnte auch der berufliche Alltag völlig unterschiedlich ausfallen. Doch gab es auch immer wieder Gemeinsamkeiten. Sie konnten alle ihren Glauben nicht offen praktizieren. Das wirkte sich nicht nur auf den Hausbau aus, sondern fing schon bei der Hochzeit an. Denn sie durften sich ja offiziell nicht protestantisch trauen lassen, und doch konnte es kaum einer mit seinem Gewissen vereinbaren, sich katholisch verheiraten zu lassen. Jedoch ließen einige ihre Kinder katholisch taufen und ins Kirchenrodel eintragen, um dem Schein nach außen zu genügen. Nach dem Edikt von Nantes ließ ein Großteil jedoch auch dies bleiben. Da Gottesdienste nach dem Edikt von Fontainebleau verboten waren, konnten Treffen nur im Verborgenen stattfinden. Nachdem die protestantische Oberschicht geflohen war, musste man Laienprediger als Pfarrer einsetzen, die durch prophetische Visionen und ekstatische Verzückungen als von Gott eingesetzt angesehen wurden. Man musste immer auf der Hut sein, da die Truppen des Königs bei denen, die in ihren Augen Ketzer waren, keine Gnade kannten. So wurden Gottesdienste oftmals nachts und im Freien abgehalten. Felsschluchten, Täler, Wälder gaben den Hugenotten Schutz und ließen im Fall eines Angriffs der Truppen auch Fluchtmöglichkeiten zu. Um zu diesen Gottesdiensten zu gelangen, nahmen die Gläubigen lange, beschwerliche Fußmärsche auf sich. Zu dieser Zeit nannten sich die Hugenotten auch Kirche der Wüste. Heute noch wird an diese Zeit als Le désert erinnert.
Die Pfarrer
Abgehalten wurden diese Gottesdienste von Predigern, die sich später mit ausgebildeten Pastoren zusammentaten, um eine geregelte Ausbildung zu erlangen. Die Ausbildung bestand z. B. darin, dass der Schüler sich die Predigten seines Pfarrers anhörte und auswendig lernte, um sich so die Struktur einer Predigt anzueignen. Der Lohn eines ordinierten Pfarrers betrug 53 sou (ein sou = 5 centimes), doch nur selten konnte der ganze Lohn ausgezahlt werden. Doch kam es den Pfarrern nicht darauf an. Sie kamen auch ohne Geld durch, da sie von ihren Gemeindemitgliedern versorgt wurden. Sie führten über jede Taufe und jede Heirat genauestens Buch, so dass nahezu jedes Gemeindemitglied in ihren Unterlagen auftauchte. Diese Aufzeichnungen mussten gut versteckt werden. Sollte ein Pfarrer zusammen mit seinen Aufzeichnungen gefangen werden, würden alle seine Gemeindemitglieder in große Schwierigkeiten geraten. Eine Beerdigung wurde von den Wüstenpfarrern nur selten vorgenommen, da es Wochen dauern konnte, bis sie an den Ort kamen. Die Toten wurden außerhalb des Friedhofs bestattet, da die Kamisarden die Sakramente der katholischen Kirche nicht annehmen wollten.
Die Strafen
Die Art der Bestrafung war sehr vielfältig und ebenso willkürlich. Möglich waren, je nach Härte des Richters, der Tod durch Hängen oder das Köpfen. Andere erwartete ein Leben als Galeerensträfling; in Forschungen des 19. Jahrhunderts ging man noch von 2000 bis 5000 zu den Galeeren Verurteilten aus (vgl. Pierre Jurieu oder Élie Benoît). Diese Zahl muss jedoch nach unten revidiert werden. In den Matrikeln der Galeeren sind 1550 Männer verzeichnet, die aufgrund ihres protestantischen Glaubens auf die Galeeren kamen.[2] In diesen Listen werde sie stets mit dem Kürzel RPR (religion prétendue réformée – vermeintlich reformierte Religion) vermerkt. Unter diesen 1.550 befinden sich auch um die 60 Katholiken, die als Fluchthelfer oder Schlepper versucht hatten, die Protestanten aus dem französischen Königreich zu führen. Viele Frauen und Männer wurden auch in ein Gefängnis gebracht. Das Gefängnis war meist ein unterirdisches Verlies, in dem die Menschen in drangvoller Enge gefangengehalten wurden. Ihr Bett waren Strohmatten, das Essen bestand aus 1,5 Pfund Brot am Tag und Wasser. Das wohl bekannteste Schicksal einer Gefangenen ist wohl das der Marie Durand. Sie wurde als 15-Jährige in den Turm de la Constance in Aigues-Mortes am Mittelmeer eingesperrt und wurde 38 Jahre später begnadigt und entlassen. Gründe für diese Strafe waren, dass ihr Bruder Wüstenpfarrer war und sie außerhalb der katholischen Kirche geheiratet hatte. Eine Freilassung konnte normalerweise nur unter der Auflage geschehen, dass man seinem reformierten Glauben abschwor. Doch ebenso wie Marie Durand taten das nur die wenigsten.
Nachwirkungen
Die Flucht vieler hugenottischer Prediger aus den Cevennen in die protestantischen Nachbarländer Frankreichs führte in London zur Gründung der Gemeinde der French Prophets und trug in Deutschland zur Entstehung der sogenannten Inspirationsgemeinden bei. Viele deutsche Inspirierte wanderten im 19. Jahrhundert in die USA aus, wo ihre Nachfahren heute in den Amana Colonies leben.
Das Thema des Cevennenkriegs wurde in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts mehrfach aufgegriffen. So hat Isaac von Sinclair eine Dramentrilogie darüber geschrieben und von Ludwig Tieck stammt die Novelle Der Aufruhr in den Cevennen. Eugène Sue schrieb den Roman Die Fanatiker oder der Religionskrieg in den Cevennen in 14 Bänden.
Auch die Maquisarden knüpften teilweise wieder an die Tradition der Kamisarden an.
Literatur
- Friedrich Schulz: Geschichte der Camisarden, (1790–1795).
- Therese Huber: Geschichte des Cevennen-Krieges, (1834).
- Heino Schwarz: Der Kamisarden-Aufstand in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts. Eine Quellen-Untersuchung, Düsseldorf 1911.
- Chrystel Bernat (Hrsg.): Die Kamisarden. Eine Aufsatzsammlung zur Geschichte des Krieges in den Cevennen (1702–1710), Mit einem Vorwort von Philippe Joutard. Aus dem Französischen übertragen von Eckart Birnstiel. Deutsche Hugenotten-Gesellschaft, Bad Karlshafen 2003, ISBN 978-3-930481-16-3.
- Christian Mühling: Die europäische Debatte über den Religionskrieg (1679-1714). Konfessionelle Memoria und internationale Politik im Zeitalter Ludwigs XIV. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, 250) Göttingen, Vandenhoeck&Ruprecht 2018, ISBN 978-3-525310540.
- André Zysberg: Les galériens. Vies et destins de 60 000 forcats sur les galères de France (1680–1748). Éditions du Seuil, Paris 1987, ISBN 2-02-009753-2.
Roman:
- Ludwig Tieck: Der Aufruhr in den Cevennen. Editions La Colombe, Bergisch Gladbach 2001, ISBN 3-929351-13-7
- Jean-Pierre Chabrol (1963): Die Toren Gottes. Friedrich Bahn, Konstanz.
Französische Literatur:
- Henri Bosc: La Guerre des Cévennes. 6 Bände, 1985–1992
- Philippe Joutard: Les Camisards. 1994
- Philippe Joutard: La légende des Camisards. 1985
- Pierre Rolland: Dictionnaire des Camisards. 1995
- Jean-Pierre Chabrol: Les Fous de Dieu. Gallimard, Paris 1961
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Sophie Bazalgette: Der Aufstand der Kamisarden. In: Chrystel Bernat (Hg.): Die Kamisarden. Eine Aufsatzsammlung zur Geschichte des Krieges in den Cevennen (1702–1710). Deutsche Hugenotten-Gesellschaft, Bad Karlshafen 2003, ISBN 3-930481-16-2, S. 69–92.
- ↑ André Zysberg: Les galériens. Éditions du Seuil, Paris 1987, S. 102–110 (Kapitel Les galériens «pour la foi»).
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