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Kriminalisierung
Als Kriminalisierung wird im Sprachgebrauch eine Gesetzesänderung bezeichnet, die zur Strafbarkeit von Handlungen führt. Oft bildet sich bei der Erschließung neuer Rechtsräume wie z. B. neuen Medien ein Regulationsvakuum, sog. Strafbarkeitslücken, in denen sich verschiedene gewohnheitsrechtliche Strukturen bilden, die sich noch an vorhandenen Gesetzen ähnlicher Bereiche orientieren. Bei der Regelung durch den Gesetzgeber kommt es dann zu einem Verbot von Handlungen, die sich in diesem Vakuum eingebürgert haben. Auch beim Wechsel der Gesetzgebung in ein neues Paradigma durch technische, wissenschaftliche und kulturelle Veränderungen (z. B. durch die sexuelle Befreiung nach Verfügbarkeit von einfach anzuwendenden Verhütungsmitteln) werden die Gesetze in Richtungen geändert, die vorher gestattetes oder erwünschtes Verhalten unter Repressionen, d. h. Strafe, stellt.
Beispiele in der Zeit des Nationalsozialismus
- Die „Kriegssonderstrafrechtsverordnung“ wurde im August 1938 erlassen. Sie definierte Wehrkraftzersetzung
- die „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“ (1. September 1939 (RGBl. I. S. 1683))
- die Verordnung gegen Volksschädlinge (VVO) wurde vier Tage nach Beginn des Zweiten Weltkriegs am 5. September 1939 erlassen.
Sie stellte der nationalsozialistischen Justiz ein wirksames Instrument zum Schutz der „inneren Front“ zur Verfügung. Die einzelnen Tatbestände und Strafrahmen waren bewusst äußerst weit gefasst, so dass auch für sehr geringfügige Taten die Todesstrafe verhängt werden konnte. Neben der VVO wurden eine Reihe weiterer Kriegsverordnungen erlassen, zum Beispiel
- die „Verordnung zur Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutz der Wehrkraft des Deutschen Volkes“ (25. November 1939 (RGBl. I. S.2319)) und
- die „Verordnung gegen Gewaltverbrecher“ (5. Dezember 1939 (RGBl. I. S.2378)).
Beispiele in Deutschland
- Einführung des „Stromdiebstahls“ als Entziehung elektrischer Energie (heute § 248c StGB), erstmals in einem Gesetz von April 1900.
- 1976 wurde die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung strafbar.
- Heraufstufung des „Mundraubs“ zu einem Diebstahl geringwertiger Sachen (§§ 242, 248a StGB)
- Schaffung von Umweltdelikten.
- Abschaffung eines gewohnheitsrechtlich anerkannten Züchtigungsrechts (verboten durch das Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung), nunmehr in die Tatbestände der Körperverletzungsdelikte, Freiheitsberaubung und Nötigung einzustufen, „Kriminalisierung der Eltern“.
- Erich Honecker erteilte Weisung, jeden Ausreiseantrag-Steller aus seinem Arbeitsverhältnis zu entlassen; sie wurden durch das Strafrechtsänderungsgesetz vom April 1977 kriminalisiert.[1]
- Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe (in Deutschland seit 1997)
- Schaffung der Computerdelikte im Rahmen der Automatisierung zahlreicher Lebenssachverhalte (das sind u.a. Computersabotage, Datenveränderung, Ausspähen von Daten), „Kriminalisierung der Hacker“.
- Eine in Erwägung gezogene Verschärfung des Urheberrechts wurde von vielen dies ablehnenden Gruppen als „Kriminalisierung der Schulhöfe“ bezeichnet (gemeint sind Schulkinder).
- Strafjuristische Verurteilung der Beschneidung minderjähriger Jungen ohne medizinische Indikation durch das LG Köln 2012 ("Kriminalisierung der Juden und Muslime")
Motivation
Für die wesentlichen Umwälzungen in der Kriminalisierungen stehen in der Regel punitive Auffassungen der Funktionsträger in den Gesetzgebungsorganen. Die Ursachen sind vielfältig. Nachweisbar ist das Agenda Setting im Wechselwirkungsprozess zwischen Medien, Politik und Bevölkerung. Häufig kommt der Presse dabei nicht nur die Funktion des Katalysators zu. Teilweise wird auch im Rahmen politischer "Schnellschüsse" auf singuläre Ereignisse reagiert (Schaffung von Straftatbeständen in Deutschland wie unerlaubter Umgang mit gefährlichen Hunden).
Entkriminalisierung
Im Rahmen der Liberalisierung sind auch gegenläufige Tendenzen sichtbar. So wird als Entkriminalisierung die Herabstufung von Straftatbeständen zu Ordnungswidrigkeiten oder die völlige Streichung von Straftatbeständen bezeichnet. Beispiele in Deutschland hierfür sind:
- Streichung der Strafbarkeit homosexueller Handlungen (§ 175 StGB aF) im Rahmen der Großen Strafrechtsreform.
- Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs (aber nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts teilweise verfassungswidrig)
Weitere Verwendung
Der Begriff Kriminalisierung wird in der Auseinandersetzung auch als abwertendes Schlagwort verwendet, wenn der Vorwurf der einseitigen Strafverfolgung erhoben wird. So wurde den Strafverfolgungsbehörden beispielsweise vorgeworfen, Hausbesetzer zu kriminalisieren, wenn diese wegen Hausfriedensbruchs oder anderer Straftaten verurteilt wurden.
Von Kriminalisierung spricht man auch, wenn zwei widerstrebende Rechtsgüter so gegeneinander abgewägt werden, dass jemand ungeachtet seiner Motivation zum Straftäter gemacht wird.
Einzelnachweise
- ↑ Klaus Schroeder: Der SED-Staat. Partei, Staat und Gesellschaft 1949–1990. Econ-Taschenbuchverlag, München 2000, S. 235, ISBN 3-612-26729-9 (Erstausgabe München 1998).
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