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Kumyken

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Siedlungsgebiet der Kumyken in Kaukasien
Flagge der Kumyken

Die Kumyken (kumyk. Къумукъ, Къумукълар Qumuq, Qumuqlar) sind eine turksprachige Ethnie von 503.060 Menschen nach der Volkszählung in Russland 2010[1], die westlich des Kaspischen Meeres am nordöstlichen Rand des Kaukasus in Dagestan siedeln. In der russischen Teilrepublik Dagestan leben nach der Volkszählung 2010 385.240 Kumyken, wo sie mit 14,9% die drittgrößte Ethnie bilden.[2] Die Sprache der Kumyken gehört zur nordwesttürkischen Sprachgruppe.

Damit besteht eine enge sprachliche Verwandtschaft mit den benachbarten Nogaier, Balkaren und Karatschaier. Diese Sprachen weisen untereinander nur geringe Unterschiede auf. Ein größerer sprachlicher Unterschied besteht jedoch zu den Tataren.

Alternative Bezeichnungen

Diese Volksgruppe ist auch unter den Namen „Kumücken/Kumüken“ (veraltet) und „Qumuq“ bzw. „Kumuk“ (nach der Selbstbezeichnung) bekannt. Sie wurden in der Vergangenheit auch verfälschend „kaukasische Türken“, „Berg-Tataren“ oder „Tataren“ genannt.

Siedlungsgebiet, Demographie und Tradition

Die Kumyken bewohnen hauptsächlich nördliche Teile der russischen Teilrepublik Dagestan, vorwiegend die Küstenebene und die Randgebirge von Derbent bis zur Terekmündung, daneben kleine Teile der tschetschenischen Republik, Nordossetiens und der Region Stawropol.

Nach der Volkszählung 1989 bezeichneten sich rund 390.000 Menschen als Kumyken. Die russische Volkszählung 2002 ergab rund 450.000 Kumyken, davon 365.804 in Dagestan,[3] wo sie die drittgrößte Ethnie bilden.

Die Kumyken sind noch teilweise, wie die meisten dagestanischen Völker, halbsesshaft, leben also einen Teil des Jahres als Wanderhirten und betreiben die übrige Zeit Acker- und Gartenbau, sowie Bienenzucht. Sesshafte Kumyken betreiben Ackerbau und an den Küste des Kaspischen Meeres die Fischerei. Die Gesellschaft ist traditionell vaterrechtlich organisiert. Viele Kumyken leben heute in Städten.

Herkunft

Kaukasien 1000. Auch nach Zerfall des Chasarenreiches war die Region Rückzugsgebiet chasarischer Stämme

Die Traditionen der Kumyken ähneln den Traditionen anderer kaukasischer Völker. Zu ihrem Entstehungsprozess trugen alteingesessene Laken und andere kaukasische Völker und auch turksprachige Völker, wie die teilweise jüdisch konvertierten, animistischen, christlichen und muslimischen Chasaren, die vorwiegend muslimischen Kiptschaken und die Onoguren und Protobulgaren bei, die im Mongolensturm im 13. Jahrhundert an die Gebirgsränder abgedrängt wurden und sich dort mit kaukasischsprachigen lakischen Vorbevölkerung vermischten. Die Lakische Sprache blieb nur in Gebirgsgebieten erhalten.

Religion

Die Kumyken waren einst durch den Einfluss Georgiens oft orthodoxe Christen, teilweise auch jüdischer, islamischer oder animistischer Religion. Sie wurden aber in der Zeit zwischen dem 11. und 14. Jahrhundert islamisiert und sind sunnitische Muslime (Hanafiten), eine Minderheit sind schiitische Imamiten. Wie bei allen kaukasischen Völkern haben sich auch vorislamische Elemente erhalten.

Geschichte

Nach der mongolischen Unterwerfung bildeten die Kumyken und Laken einen tributpflichtigen Teil der Goldenen Horde und ab ca. 1280 der Nogaier-Horde.

Die Herrscher der Kumyken wurden von den mongolischen Khanen der Goldenen und der Nogaier-Horde als basqaq (Steuereintreiber, vergleichbar der zeitgleichen Rolle der Fürsten von Wladimir, später Moskau in Russland) für die Staaten- und Stammeswelt Dagestans eingesetzt. In dieser Funktion waren die Khane vom 14. Jahrhundert bis zum 16. Jahrhundert dominierende Herrscher Nordostkaukasiens. Das Khanat umfasste auch Siedlungsgebiete der Laken (früher auch „Ghazi-Kumyken“ = „Krieger-Kumyken“ genannt) und einige Siedlungsgebiete der Lesgier und beherrschte indirekt weitere Staaten der Region. Die kumykisch-lakischen Herrscher trugen den Titel Schamchal[4] Zentrum war anfangs die vorwiegend von Laken bewohnten Bergstadt Kumuk, die den Kumyken und "Ghazi-Kumyken" (Laken) die Namen gab. Der kumykische Titel "Schamchal" leitet sich von der Bezeichnung frühester muslimischer Gouverneure Dagestans in Derbent (10. Jahrhundert) "schām" (arab. "Syrer") ab. Nach ihrer Herrscherlegende, die ihnen mehr Autorität verschaffen sollte, stammten sie vom ersten "Schām" von Derbent, Schahbaala ibn Abdullah ab[5]. Seit der Zeit der Vorherrschaft der Schamchale war die kumykische Sprache Verkehrssprache (Lingua franca) im extrem vielsprachigen Nordostkaukasien, die auch den Vorteil hatte, von den benachbarten Turkvölkern der Tataren, Nogaier, Aserbaidschaner und noch von den historisch verwandten nordwestkaukasischen Balkaren und Karatschaiern verstanden zu werden. Aus dieser Rolle wurde das Kumykische in Dagestan erst im 19. Jahrhundert durch die russische Sprache verdrängt.

Karte Kaukasiens von 1856. Oberhalb der Hälfte der Karte ist an der Ostküste das "Chanat Tarku oder Schamchalat" verzeichnet.

Nach dem Verfall der Goldenen Horde im 15. Jahrhundert ging das Schamchalat wechselnde Koalitionen mit dem Khanat der Krim, dem Osmanischen Reich, dem persischen Safawidenreich und Russland ein. Nach dem Tod des Schamchal Tschoban (gest. 1578) erhoben sich fast alle Lakenclans gegen seinen Nachfolger Sultan-But, woraufhin sich auch andere Bergvölker, wie die kaukasischen Awaren, Darginer u.a. dem Aufstand gegen ihre Oberherren anschlossen. Die Schamchale verlegten ihren Sitz 1578 nach Buinaksk und 1640 weiter nach Tarki (auch "Tarchu"/"Tarku" genannt, nahe Machatschkala, heute administratorisch dem Stadtkreis von Machatschkala eingemeindet). Die Laken begründeten ein eigenes Khanat (manchmal als "Schamchalat der Ghazi-Kumyken" oder "Schamchalat von Qumuq/Kumuk" bezeichnet, ihre eigene Bezeichnung war aber Chachlawtschāt). Bis Anfang des 17. Jahrhunderts verloren die Schamchale die Kontrolle über das dagestanische Bergland. In den folgenden Jahren mehrfach von Russland (1594, 1604 und 1605) und den Laken besetzt, zerfiel das Schamchalat durch Erbteilung und durch zunehmend selbständig agierende kumykische und lesgische Fürstentümer ("beylik"), u. a. Yarym, Qaraqach, Qarabudach, Erpeli, Dschengutaj (das spätere lesgische "Khanat Mechtulin"), Enderi, Aksaej, Bammatullah, Buinaksk u. v. a. Einige der Kleinstfürsten legten sich den gewaltigen Titel "Sultan" zu, der Bey von Yarym bezeichnete sich selbst als "Schamchal" und rivalisierte damit offen mit den Schamchalen von Tarki, die im 18./19. Jahrhundert nur noch einen kleinen Landstrich beherrschten (vgl. nebenstehende Karte). Während des Russisch-Persischen Krieges der 1720er Jahre wurde das Schamchalat und andere kumykische Staaten von Russland erobert, aber von Nadir Schah wiedererrichtet. Mit der Ansiedlung der Terekkosaken seit Ende des 18. Jahrhunderts und der folgenden Anlage eines Festungsgürtels (vgl. Karte) waren die Aussichten der kumykischen Herrscher im Flachland schlecht. Einige Kumyken beteiligten sich am langjährigen Aufstand des Imam Schamil und seiner Vorgänger. Nach russischen Oberhoheiten (1776–1811 und 1820–1858) beendete der letzte Schamchal Schams ad-Din 1867 das Schamchalat, wofür er, wie viele nordkaukasischen Fürsten in den höheren russischen Adel aufstieg.

Eine kumykische Familie im 19. Jahrhundert

Die traditionelle kumykische Gesellschaft bestand aus gesellschaftlichen Schichten der Fürsten (bek), des Hochadels (çanka), des Kleinadels und religiöser Autoritäten (sala-uzden), aus den Freien (uzden, der Begriff stammt aus tscherkessischer Tradition), den frei beweglichen Dienstverpflichteten (çagar, organisiert in Gruppen dim), den Dienstverpflichteten, die ihre Dörfer nicht verlassen durften (terkeme) und aus der kleinen Gruppe der Haussklaven (kul)[6]. Ähnliche Traditionen gab es in vielen nordkaukasischen Völkern meist in fruchtbaren, flacheren Gebieten des Kaukasus mit langer Tradition. Hochgebirgsvölker lebten in ihrer dünn besiedelten Heimat dagegen meist in Stammesgesellschaft oder Gemeindebündnissen ohne soziale Schichtung, wie auch die Tschetschenen und Inguschen, die erst seit dem 17. Jahrhundert vom Hochgebirge flachere Regionen besiedelten. In diesen sozialen Schichten war Endogamie, also die Heirat untereinander üblich, weshalb sie in der Fachliteratur gelegentlich des vergleichsweise als Kastengesellschaften bezeichnet werden, aber auch an die europäische Ständegesellschaft und Leibeigenschaft erinnern. Während aber z. B. bei den Tscherkessen Ehen zwischen den verschiedenen Schichten strikt verboten waren, waren sie bei den Laken und den nahestehenden Kumyken nur sozial so ungern gesehen, dass sie selten waren[7].

Als einziges dagestanisches Volk bildeten die Kumyken schon im 19. Jahrhundert eine Nationalliteratur und ein kumykischsprachiges Schul- und Pressewesen, noch in arabischer Schrift, das zwar im gesamtrussischen Rahmen klein war, aber in Dagestan fast allein dastand. Später bildete sich 1916 unter den Schriftstellern Nochai Batirmuzajew und seinem Sohn Zanailabid die intellektuelle kumykisch dominierte dagestanische Nationalbewegung Tañ Çolpan („Morgenstern“), der sich auch tatische, russische und andere Dichter Dagestans anschlossen. Als kumykische Hochsprache wurde der Dialekt von Chassawjurt festgelegt. Tañ Çolpan entwickelte während der sowjetischen Besatzung Dagestans im April 1918, die nationalistische Bewegungen nichtrussischer Kolonialvölker als natürliche Verbündete gegen die Weiße Armee betrachtete, prosowjetisch, forderte aber auch eine Wiederherstellung der im 17. Jahrhundert verlorenen politischen und der im 19. Jahrhundert verlorenen sprachlichen kumykischen Dominanz in Dagestan. Viele Aktivisten schlossen sich nach der sowjetischen Eroberung 1920 der KPdSU an.

In sowjetischer Zeit kam die Mehrheit des Siedlungsgebietes der Kumyken zur ASSR Dagestan innerhalb Russlands und man folgte anfangs der Linie von Tañ Çolpan, ging aber ab 1924 zur Politik der Korenisazija über, die besagte, dass alle Völker in ihrer jeweiligen Hochsprache (die oft festgelegt werden musste) zu 100 % alphabetisiert und gebildet und industriell entwickelt werden müssen[8]. Die kumykische Schrift wurde 1926 auf das lateinische Alphabet umgestellt, 1938 durch Stalin auf das kyrillische Alphabet. In kumykischen Städten hatte die Industrialisierung und Bildung seit den 1930er–1950er Jahren Erfolg. Gleichzeitig wurde die "Atheistische Bewegung" (Gottlosen-Bewegung) propagiert.

Mit Zerfall der Sowjetunion Ende der 1980er Jahre schlossen sich die Kumyken und andere dagestanische Völker zu Bürgerbewegungen zusammen, die sich oft bald nationalistisch orientierten. Die 1988 gegründete kumykische Bewegung Tenglik („Gleichheit“) unter Salau Alijew forderte eine kumykische Dominanz oder einen Austritt der Kumyken aus Dagestan, was auf heftigen Widerstand anderer dagestanischer Nationalbewegungen stieß. Die kumykische Bewegung beklagte eine Überfremdung durch zuziehende Angehörige der Bergvölker in kumykische Städte. Heute sind die Kumyken in größeren Städten ihres Siedlungsgebietes die Minderheit. Tenglik behauptete eine Benachteiligung der Kumyken in Sowjetzeiten, die sprachpolitisch nicht zutrifft. Vielmehr emanzipierten sich in Sowjetzeiten andere Bergvölker. Die dagestanische Verfassung bildete deshalb schon 1992 einen Vielvölker-Präsidialrat, in dem alle Völker Dagestans jeweils einen gewählten Vertreter haben, dessen Vorsitz jährlich wechselt. Entgegen der Verfassung war 1983–2006 der Funktionär Magomedali M. Magomedow bestimmender Politiker Dagestans. Tenglik trat der UNPO (1997–2008, Mitgliedschaft nicht verlängert) bei.

Seit Ende der 1990er/ Anfang der 2000er Jahre haben sich nationalistische Konflikte in Dagestan beruhigt. Dagegen wuchsen islamistische saudisch finanzierte Netzwerke, die zuvor gegen den in der Region verankerten Sufismus (60 %) und Atheismus (30 %) zurückstecken mussten[9]. Die Konzeptlosigkeit Magomedows führte zur Intervention Moskaus und Magomedows Absetzung 2006 und zur Aufhebung der Präsidialratsverfassung. Die Gewalt zwischen der Regierung und dem islamistischen Untergrund verstärkte sich 2008 und 2009[10].

Einzelnachweise

  1. Excel-Tabelle 5, Zeile 101.
  2. Ergebnisse der Volkszählung Russlands 2010, Excel-Tabelle 7, Zeile 447.
  3. Ergebnisse russischer Volkszählungen in Dagestan, letzte Tabelle, fünfte Zeile (nach der Kopfzeile)
  4. V.V. Bartol´d, David K. Kermani: "ḳumuḳ" in: EI2, Bd. V, S. 382
  5. Vgl. Artikel "Laḳ" von Robert Wixman in: "The Encyclopedia of Islam. New Edition" (EI2), Band V., S. 618 oder Chantal Lemercier-Quelquejay: "Cooptation of the Elites of Kabarda and Daghestan in the sixteenth century" in: Abdurrahman Avtorkhanov, Marie Bennigsen Broxup u.a. (Hrsg.): "The North Caucasus barrier: the Russian advance towards the Muslim world", London 1992, online, S. 31-32
  6. Vgl. Barthol´d; Kermani in "The Encyclopedia of Islam. New Edition", Bd. V., S. 382
  7. zum nicht existierenden Heiratsverbot, aber geringem Ansehen in Dagestan vgl. den in Fußnote 3 angegebenen Artikel v. Wixman in Fußnote 3, S. 618
  8. vgl. Gerhard Simon: Nationalismus und Nationalitätenpolitik in der Sowjetunion von der Diktatur zur nachstalinistischen Gesellschaft. Baden-Baden 1986.
  9. Vgl. dazu Paul Lies: "Ausbreitung und Radikalisierung des islamischen Fundamentalismus in Dagestan" Berlin 2008 online
  10. S.12-14

Literatur

  • Wilhelm Barthold, David K. Kermani: "ḳumuḳ" in: EI2, Bd. V., 381-84
  • Wolfdieter Bihl: Die Kaukasuspolitik der Mittelmächte. Teil 1: Ihre Basis in der Orient-Politik und ihre Aktionen 1914–1917. Böhlau, Wien/Köln/Graz 1975, ISBN 3-205-08564-7, S. 31f.
  • Michael Kemper: Herrschaft, Recht und Islam in Daghestan. Von den Khanaten und Gemeindebünden zum ǧihād-Staat. Wiesbaden 2005.
  • Otto Luchterhand: Dagestan. Unaufhaltsamer Zerfall einer gewachsenen Kultur interethnischer Balance? Hamburg 1999.
  • Johannes Rau: Politik und Islam in Nordkaukasien. Skizzen über Tschetschenien, Dagestan und Adygea. Wien 2002.
  • Emanuel Sarkisyanz: Geschichte der orientalischen Völker Rußlands bis 1917. München 1961, S. 123–133.
  • Gerhard Simon: Nationalismus und Nationalitätenpolitik in der Sowjetunion von der Diktatur zur nachstalinistischen Gesellschaft. Baden-Baden 1986.
  • Heinz-Gerhard Zimpel: Lexikon der Weltbevölkerung. Geografie – Kultur – Gesellschaft, Nikol Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG Hamburg 2000, ISBN 3-933203-84-8

Weblinks

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