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Ethnie
Ethnie (Aussprache: [ɛtˈniː], [etˈniː], auch [ˈɛtni̯ə];[1] von altgriechisch ἔθνος éthnos „Volk, Volksstamm, Volkszugehörige“) oder ethnische Gruppe bezeichnet in den Sozialwissenschaften (insbesondere der Ethnologie) eine abgrenzbare soziale Gruppe, der aufgrund ihres intuitiven Selbstverständnisses und Gemeinschaftsgefühls als Eigengruppe eine Identität als Volksgruppe zuerkannt wird. Grundlage dieser Ethnizität können gemeinsame Eigenbezeichnung, Sprache, Abstammung, Wirtschaftsordnung, Geschichte, Kultur, Religion oder Verbindung zu einem bestimmten Gebiet sein.[2][3]
Eine Ethnie muss keine gemeinsame Abstammungsgruppe sein (familienübergreifend), die Zugehörigkeit vererbt sich weiter (familienumfassend) und es muss keine eindeutigen Grenzziehungen geben (Zugehörigkeit zu mehreren Ethnien möglich).[4] Der geschichtliche, soziale und kulturelle Vorgang der Entstehung einer Ethnie wird als Ethnogenese bezeichnet.
Zu den rund 1.300 weltweit erfassten Ethnien[5] gehört eine große Anzahl indigener Völker (lateinisch „eingeboren, ursprünglich“; siehe die Liste indigener Völker). Im Deutschen wird die Bezeichnung „Volk“ gemeinsprachig mit gleicher Bedeutung wie Ethnie verwendet, während Wissenschaftler sie eher vermeiden oder als Oberbegriff für Gesamtgesellschaften aus mehreren verbundenen Ethnien verstehen.[6][7]
Begrifflichkeiten
Das altgriechische Wort ἔθνος éthnos beschreibt die Abgrenzung durch Selbst- und Fremdzuweisung. Der Ausdruck wurde zunächst nur als Fremdzuweisung benutzt. Seine Bedeutung und Verwendung unterliegt starkem Wandel. Ethnische Gruppierungen definieren sich in der Regel durch eine gemeinsame Vergangenheit. Die Gemeinsamkeit zeigt sich oft in geschichtlicher Überlieferung (Tradition), Brauchtum, Sprache, Religion, Kleidung, Ernährung und Lebensgewohnheiten.
Der Begriff der Ethnie ist teilweise dem der Volkszugehörigkeit und teilweise dem der Kulturnation verwandt. Bei Max Weber wird eine ethnische Gruppe folgendermaßen definiert:
„Wir wollen solche Menschengruppen, welche auf Grund von Ähnlichkeiten des äußeren Habitus oder der Sitten oder beider oder von Erinnerungen an Kolonisation und Wanderung einen subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinschaft hegen, derart, dass dieser für die Propagierung von Vergemeinschaftungen wichtig wird, dann, wenn sie nicht ‚Sippen‘ darstellen, ‚ethnische‘ Gruppen nennen, ganz einerlei, ob eine Blutsgemeinschaft objektiv vorliegt oder nicht.“
„Ethnie“ oder fast gleichbedeutend „ethnische Gruppe“ sind mehrdeutige Bezeichnungen aus einem weiten Begriffsfeld verwandter Ausdrücke,[8] sie werden innerhalb und zwischen verschiedenen Wissenschaften in unterschiedlichen Grundbedeutungen verwendet:
- Nach der Theorie der ursprünglichen Bindung (Primordialismus) sind bestimmte menschliche Gruppen reale Einheiten, die sich in realen Merkmalen unterscheiden; Individuen gehören primordialen Gruppen durch ihre Geburt an.
- Nach der in den Sozial- und Geisteswissenschaften vorherrschenden Theorie des Sozialkonstruktivismus sind kollektive Identitäten soziale Konstrukte. Für Konstruktivisten sind ethnische Gruppen geschichtlich entstandene, sozial wirkmächtige Einheiten, welche die Identität ihrer Mitglieder durch Selbst- und Fremdzuschreibungen prägen und durch sie geprägt werden (vgl. Entitativität sozialer Gruppen). Sie können durch soziale Prozesse entstehen und wieder untergehen, eine Ethnie kann in einer anderen durch Assimilation aufgehen.
Viele Sozialwissenschaftler lehnen eine Existenz von Ethnien unabhängig von der sozialen Zuschreibung ab; dabei handele es sich um den Fehler des Essentialismus. Dieser Ansatz steht im Widerspruch zu Konzepten der eher naturwissenschaftlich orientierten Anthropologie und Humangenetik, nach denen ethnische Gruppen tatsächlich gemeinsame Merkmale oder eine gemeinsame Abstammung besitzen können. Die jeweilige ethnische Gruppe kann nach beiden Denkrichtungen gleich abgegrenzt sein, wird aber radikal anders begründet, woraus sich auch im politischen Handeln unterschiedliche Schlüsse anbieten. Sozialwissenschaftliche Begriffe sind zudem keine völlig autarken Fachbegriffe, sondern werden in ihrer Definition von Begriffen der Alltagssprache mitgeprägt und wirken auf diese zurück (nach Anthony Giddens „doppelte Hermeneutik“ genannt).
Überlappende Begriffe zum Begriff der Ethnie/ethnischen Gruppe sind etwa Stamm, Rasse, Volk und Nation.[9] Jeder dieser Bezeichnungen besitzt ein eigenes Begriffsfeld, das zudem in verschiedenen Sprachen nicht gleich ist, bei Übersetzungen können Verschiebungen der Bedeutung eintreten. Ein „Volk“ (der deutsche Begriff ist durch die Ideen von Johann Gottfried Herder geprägt) ist etwa eine ethnische Gruppe, die eine Vorstellung von einer gemeinsamen Herkunft, Kultur und Sprache aufweist; über den staatsrechtlichen Begriff der Volkssouveränität kann es Träger eines Staats sein. Wird eine Ethnie als ein Volk bezeichnet, sind damit unausgesprochene Folgerungen über seine Identität und Organisationsform verbunden. Die Bezeichnung Ethnie, gleichbedeutend auch Volksgruppe, wird eher für Untergruppen einer größeren Einheit, innerhalb einer Nation oder eines Staates, gebraucht. Durch die rassistischen Ideologien des Völkischen Nationalismus und Nationalsozialismus ist dabei das Adjektiv „völkisch“ historisch vorbelastet und kaum noch als neutral beschreibender Ausdruck verwendbar,[10] während dem entsprechenden Adjektiv „ethnisch“ kein solcher Beigeschmack anhaftet.
Die Bezeichnungen „Ethnie“ und „Ethnizität“ stammten ursprünglich von US-amerikanischen Sozialforschern (ethnic group, ethnicity) und wurden in der modernen Verwendung durch ein einflussreiches Werk von Nathan Glazer und Daniel Patrick Moynihan im Jahr 1975 geprägt, wobei der Ausdruck ethnic group in Amerika bereits eine längere Geschichte hat.[11]
Abgrenzung Ethnos und Demos
Die Gesamtmenge der Angehörigen eines Volkes im ethnischen Sinn (eines Ethnos) ist nicht identisch mit der Menge der Wahlberechtigten in einem Staat (mit dessen Demos). So sind nicht alle Staatsbürger Finnlands, Frankreichs, Deutschlands usw. auch ethnische Finnen, Franzosen, Deutsche usw., und nicht alle Angehörigen eines Volks oder einer Volksgruppe bewohnen ihren Nationalstaat, in dem sie die Mehrheit der Bevölkerung stellen. Es gibt Völker und Volksgruppen ohne „eigenen Staat“ (z. B. Tamilen und Kurden) oder solche, die sich mit anderen Völkern und Volksgruppen einen Staat teilen (in Europa z. B. Schweiz und Belgien).
Im Deutschen ist die Bezeichnung Volksgruppe üblich. Oft leben verschiedene Volksgruppen in einem Staatsgebiet. Beispielsweise bestand der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn im 19. und 20. Jahrhundert aus verschiedenen Ethnien (vor allem Deutschen, Ungarn, Tschechen (Böhmen), Slowaken, Slowenen, Bosniaken, Kroaten und Italienern). Das gilt auch heute noch für die Schweiz, die keine ethnische Einheit bildet, sondern aus verschiedenen ethnischen Gruppen besteht (deutsch-, französisch-, italienisch-, rätoromanisch- und jenischsprachige Schweizer) und aufgrund diverser ethnischer Minderheiten in Deutschland und Österreich (etwa Dänen, Friesen, Sorben, Sinti, Roma, Kroaten, Ungarn) in geringerem Umfang auch für diese beiden Staaten. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass es kaum ethnisch homogene Staaten gibt. Besonders heterogen sind Staaten, deren Existenz und willkürliche Grenzziehung auf die Kolonialzeit zurückgehen, so zum Beispiel die Staaten Süd- und Mittelamerikas, Afrikas, Asiens und Polynesiens (z. B. Indonesien), oder durch Einwanderung geprägt sind, wie die Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada, Australien, sowie Süd- und Mittelamerika.
Abgrenzung Ethnos und Sprachgemeinschaft
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In manchen Ländern, insbesondere in klassischen Einwanderungsländern wie den USA oder Kanada, benutzen verschiedene ethnische Gruppen dieselbe Sprache als gemeinsame Verkehrssprache, selbst als Muttersprache. Gleiches gilt in Deutschland für die Angehörigen nationaler Minderheiten. Andererseits gibt es innerhalb der Sprache vieler Ethnien starke Dialektunterschiede, die im Laufe der Zeit zur Ausbildung von zwei verschiedenen Sprachen führen können; in diesem Fall stellt sich die Frage, ob deren Sprecher Angehörige von zwei verschiedenen Ethnien sein können. Umgekehrt gibt es Fälle, in denen Dialekte nicht als Unterscheidungsmerkmal verwendet werden: So gelten nicht nur Menschen, die mit Hochdeutsch oder einem mittel- oder oberdeutschen Dialekt als Muttersprache aufgewachsen sind, als „Deutsche“, sondern auch Menschen mit Plattdeutsch als Muttersprache. Auch zählen sich viele Menschen zu einer bestimmten Ethnie, obwohl sie deren Sprache nicht oder nur gebrochen sprechen (z. B. empfinden sich viele Russlanddeutsche, die nur Russisch fließend sprechen, als deutsche Volkszugehörige). Bei Nationalitäteneinträgen in amtlichen Dokumenten, die es z. B. in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion gibt, wird die Frage, ob jemand die Sprache seiner Nationalität spricht, nicht gestellt. Stattdessen werden dort bei der Festlegung der Nationalität eines Menschen seine Abstammung, gegebenenfalls sein Bekenntnis zu einer Nationalität als Zuordnungskriterien verwendet. Bei den Volkszählungen in der Türkei wird seit 1985 nicht mehr nach der Muttersprache gefragt, so dass es anhand dieses Kriteriums keine exakten Angaben zur Anzahl der Kurden in der Türkei gibt.
Ethnie und Religion
Im Osmanischen Reich und im späteren Jugoslawien wurde als Unterscheidungskriterium der Nationalitäten oder Ethnien häufig die Religionszugehörigkeit statt der Sprache verwendet. So war lange Zeit die Bezeichnung „slawische Muslime“ üblich und ist es in Serbien und Montenegro teilweise immer noch. Im Zusammenhang mit den Jugoslawienkriegen gelangte 1992 der Begriff „ethnische Säuberung“ in die deutsche Sprache.
Bis Ende des 18. Jahrhunderts wurden die jüdische Religion und die Zugehörigkeit zum ethnischen Judentum gleichgesetzt. Seitdem wird dieses Prinzip auch im Zuge der jüdischen Emanzipation und Säkularisierung diskutiert.[12][13] Die Thematik findet in der Öffentlichkeit spätestens seit 1962 Beachtung, als sich Gerichte in Israel mit der Zugehörigkeit zum Judentum auseinandersetzten.[14] Betroffen sind Personen, die zum Judentum konvertierten, jedoch nicht bei einem orthodoxen Rabbiner, und Personen, deren Väter Juden sind, während ihre Mütter, zumindest nach orthodox-jüdischer Auffassung, nicht Jüdinnen sind.
Die Nürnberger Gesetze und die Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935 verbanden die jüdische Religionszugehörigkeit auch mit einer „jüdischen Rasse“.[15]
„Indigene Völker“ als Ethnien
Dem englischen Sprachgebrauch entsprechend werden auch solche Kulturen und Kulturelemente ethnisch genannt, die in einer westlichen oder in der globalen Zivilisation als Überreste von Urbevölkerungen und deren Traditionen lebendig sind. Beispiel für indigene Völker (lateinisch indiges „eingeboren“) sind die Indianer Nordamerikas, die sich als Angehörige einer „Indianischen Nation“ (Indian Nation) und damit einer gemeinsamen Ethnie verstehen. Entsprechendes gilt für die Aborigines in Australien, die südafrikanischen Buschleute (San) und die Eskimos im nördlichen Polargebiet (siehe auch Indigene Völker der Welt, Indigene Völker in Wildnisgebieten, Isolierte Völker).
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Ethnische Gruppe
Meist ist die Selbstidentifikation mit der eigenen ethnischen Gruppe so stark, dass sie dem handelnden Individuum als völlig selbstverständlich, gar natürlich erscheint. Es ist dieses kollektive Gefühl des Einander-zugehörig-Seins oder Anders-Seins, das für die Konstitution einer ethnischen Gruppe ausschlaggebend ist. Das Konzept der kulturellen Differenzierung zwischen dem „Wir“ und den kulturell „Anderen“ nennt man Ethnizität. Das Empfinden, einer bestimmten ethnischen Gruppe anzugehören, ändert sich nicht ohne weiteres dadurch, dass neue Staatsgrenzen gezogen werden: So entschied das Arbeitsgericht Stuttgart, dass ehemalige DDR-Bürger und deren Nachfahren keine Ethnie im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes seien, weil sich binnen 40 Jahren keine separate Geschichte, Sprache, Religion, Tradition und Kultur, kein Solidaritätsgefühl sowie keine spezifischen Ernährungsgewohnheiten entwickelt hätten.[16] Auch 40 Jahre nach Gründung der DDR demonstrierten 1989 DDR-Bürger in großer Zahl unter dem Motto: „Wir sind ein Volk!“, was nahelegt, dass sich die Mehrheit der Staatsbürger der DDR als Deutsche und immer als Teil eines Gesamtdeutschlands verstanden hat.
Ethnische Gruppen sind keine unveränderlichen Erscheinungen, sondern definieren sich anhand der Innen- und Außensicht von Kollektiven. Es gibt auf der Welt eine Vielzahl ethnischer „Wir-Gruppen“, die einer Vielzahl von anderen ethnischen Gruppen gegenüberstehen. Allerdings sind diese Gruppen und ihr Verhältnis zu den „Anderen“ keine biologischen Gegebenheiten. Ethnische Gruppen sind sozial konstruiert und ihre Grenzen verändern sich im Laufe der Zeit. Dies unterscheidet das Ethnizitätskonzept wesentlich vom überholten Konzept der Rassentheorie, das ausschließlich von einer physischen, biologischen Differenzierung der Menschheit ausgeht. Ethnische Gruppen können beispielsweise miteinander verschmelzen (vgl. Mestizen in Südamerika) oder sich durch einen Konflikt abspalten.
Das Verhältnis zwischen ethnischen Gruppen kann aufgrund der jeweiligen politischen, ökonomischen und sozialen Gegebenheiten verschieden sein. Die ethnische Zugehörigkeit ihrer Mitglieder kann in einer Gesellschaft, die ethnisch niemals homogen ist, nebensächlich sein oder aber von essentieller Bedeutung für die soziale Stellung des Individuums. Kulturelle und ethnische Identität bilden sich in Abgrenzung zu den „Anderen“. Dies kann auch zu Ethnozentrismus (Interpretation der Umwelt durch die Maßstäbe der eigenen Gruppe) und Xenophobie (Feindseligkeit gegenüber Fremdem) führen. Ethnozentrismus und Xenophobie kommen oft ins Spiel im Zusammenhang mit politischen Debatten zur Migration.
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Zusammensetzung
Ethnische Gruppen sind nicht immer so homogen, wie sie wahrgenommen werden. Die Zugehörigkeit eines Individuums zu einer ethnischen Gruppe ist vielschichtig und im Zusammenhang mit Migration und diasporischen Realitäten manchmal auch nicht eindeutig. Neue ethnische Gruppen können sich beispielsweise im Zuge von Konflikten oder auch durch Aus-/Einwanderung bilden (Ethnogenese). Ein jüngeres Beispiel der Geschichte sind die nordamerikanischen Afroamerikaner, eine sehr heterogene ethnische Gruppe, die nur aufgrund der Ereignisse der letzten 500 Jahre entstehen konnte. Ähnlich die auf der Karibikinsel Jamaika lebenden Maroons, deren Ursprung auf geflüchtete Sklaven zurückgeht, die aus Westafrika in die Karibik verschleppt wurden.
Ethnische Gliederung
Die kleinste denkbare Menschengruppe aus ethnischer Sicht ist die Lokalgruppe: Das sind sogenannte „Face-to-Face Communities“ wie Wildbeuter-Horden, Nomadenlager oder Dorfgemeinschaften.[17] Für sie gelten alle eingangs genannten Kriterien der Ethnizität: gemeinsame Eigenbezeichnung, Sprache, Abstammung, Wirtschaftsweise, Geschichte, Kultur, Religion und die Verbindung zu einem bestimmten Territorium.
- Beispiel: Die einzelnen Familiengruppen der !Kung-San
Aus mehreren Lokalgruppen setzt sich eine Ethnie zusammen. Bei großen, deutlich differenzierten Ethnien, die trotz ihres gemeinsamen Selbstverständnisses regional unterschiedliche Lebensweisen, Werte und Normen entwickelt haben, werden nochmals Untergruppen genannt,[18] die auch als Subethnien bezeichnet werden.
- Beispiel: Die Samen Lapplands werden unterteilt in die Küstensamen (Meeresfischer), Bergsamen (Rentierhüter) und Waldsamen (früher Jäger).
Das gleiche gilt in die „andere Richtung“: Verstehen sich mehrere Ethnien nach ihrer willentlichen Entscheidung als historisch zusammengehörig, verwenden manche Autoren die Bezeichnung Volk als Überbegriff.[6] Selten wird dafür auch die Bezeichnung Superethnie benutzt.
- Beispiel: Die drei Ethnien Lakota, Nakota und Dakota bilden zusammen das Volk der Sioux (Sioux-Nation).
Benachbarte Ethnien oder Völker mit bestimmten gemeinsamen Merkmalen werden ungeachtet ihrer tatsächlichen Beziehungen untereinander bisweilen zu abstrakten Völkergruppen zusammengefasst (nicht zu verwechseln mit dem Begriff Volksgruppe).
- Beispiele: Papua nennt man die kraushaarigen Einwohner Neuguineas, die sehr viele vollkommen unterschiedliche Ethnien bilden; Germanen nennt man die historischen Völker mit germanischen Sprachen; Prärie-Indianer werden die nordamerikanischen Reiterkulturen genannt, deren Subsistenzbasis der Bison war.
Diese Einteilung hat nur noch einen klassifizierenden Wert als Sammelbezeichnung und in den seltensten Fällen eine Entsprechung bei den so bezeichneten Menschen.
- Beispiel: Die „Eskimo-Völkergruppe“ zeichnet sich durch eine weitgehend einheitliche Kultur aus und dies spiegelt sich ausnahmsweise auch im Selbstverständnis dieser Menschen wider, die sich gemeinsam von den Indianern abgrenzen.
Kombiniert die Einteilung auf globaler Ebene kulturelle und geographische Gemeinsamkeiten sind noch die ethnologischen Kulturareale zu nennen.
- Beispiel: „Eurasische Steppe“ – Khanate, Ständeordnung, Stammeskonföderationen, vorwiegend Viehwirtschaft; „Amazonien“ – halbsesshafter Gartenbau, Wanderfeldbau, Jagd und Fischfang; „Horn von Afrika“ – Clansysteme in Staaten, Agropastoralismus.
Es bleibt anzumerken, dass es in den Wissenschaften nur selten einheitliche Zuordnungen gibt: Einige Autoren sprechen von Untergruppen, anderen von Ethnien; einige verwenden den Terminus Volk, andere grundsätzlich nicht und so weiter.
Literatur
- Mehrere Autoren: Ethnos, Rasse, Volk: Zur gesellschaftlichen Konstruktion von (Welt-)Anschauungen. Seminararbeit. Institut für Volkskunde, Universität Hamburg 1998 (online auf uni-hamburg.de (Memento vom 22. März 2007 im Internet Archive)).
- Christian F. Majer: Rasse und ethnische Herkunft in § 1 AGG: Eine Begriffsbestimmung. In: Jura Studium & Examen. Nr. 3, 2018 S. 124–127 (PDF: 2,2 MB, 60 Seiten auf zeitschrift-jse.de).
Ausstellungen
- Museum Fünf Kontinente, München, 5. Juli 2018 bis 30. Juni 2019: Fragende Blicke. Neun Zugänge zu ethnografischen Fotografien.[19]
Weblinks
- Lexikon der Geographie: Ethnie. In: Spektrum.de. 2001.
- Gabriele Rasuly-Paleczek: Ethnische Gruppe / Ethnizität. (PDF: 227 kB; 39 Seiten) (Nicht mehr online verfügbar.) In: Einführung in die Formen der sozialen Organisation (Teil 5/5). Institut für Kultur- und Sozialanthropologie, Universität Wien, 2011, S. 218–225, archiviert vom Original am 4. Oktober 2013 (Unterlagen zu ihrer Vorlesung im Sommersemester 2011).
Einzelnachweise
- ↑ Duden-Online: Ethnie. Abgerufen am 27. Oktober 2019.
- ↑ Charlotte Seymour-Smith: Dictionary of Anthropology. Hall, Boston 1986, ISBN 0-8161-8817-3, S. 95–96: “Ethnic group: any group of people who set themselves apart and are set apart from other groups with whom they interact or coexist in terms of distinctive criterion or criteria which may be linguistic, racial or cultural. […] ethnicity may be objective or subjective, implicit or explicit, manifest or latent, acceptable or unacceptable to a given grouping or category of people. Paradox and ambiguity often characterize ethnic designations, tying such designations to ideas about culture, society, class, race, or nation.”
- ↑ Georg Elwert: Ethnie. In: Christian F. Feest, Hans Fischer, Thomas Schweizer (Hrsg.): Lexikon der Völkerkunde. Reimer, Stuttgart 1999, S. 99–100.
- ↑ Walter Hirschberg (Begr.), Wolfgang Müller (Red.): Wörterbuch der Völkerkunde. Neuausgabe, 2. Auflage, Reimer, Berlin 2005, S. 99–100.
- ↑ Der Ethnographic Atlas by George P. Murdock enthält mittlerweile Datensätze zu genau 1300 Ethnien (Stand Dezember 2012 im InterSciWiki), von denen oft nur Stichproben ausgewertet wurden, beispielsweise im internationalen HRAF-Projekt.
- ↑ 6,0 6,1 Wolfgang Fikentscher, Manuel Pflug, Luisa Schwermer (Hrsg.): Akkulturation, Integration, Migration. Utz, München 2012, ISBN 978-3-8316-4137-6, S. 268.
- ↑ Walter Hirschberg (Begr.), Wolfgang Müller (Red.): Wörterbuch der Völkerkunde. Neuausgabe, 2. Auflage, Reimer, Berlin 2005, S. 99, 400.
- ↑ Martin Sökefeld: Problematische Begriffe: »Ethnizität«, »Rasse«, »Kultur«, »Minderheit«. In: Brigitta Schmidt-Lauber (Hrsg.): Ethnizität und Migration. Einführung in Wissenschaft und Arbeitsfelder. Reimer Kulturwissenschaften. Reimer, Berlin 2007, ISBN 978-3-496-02797-3, S. 31–50 (doi:10.5282/ubm/epub.29311; PDF: 1,1 MB, 11 Doppelseiten auf epub.ub.uni-muenchen.de).
- ↑ Friedrich Heckmann: Ethnische Minderheiten, Volk und Nation: Soziologie inter-ethnischer Beziehungen. Friedrich Enke, Stuttgart 1992, ISBN 3-432-99971-2, Kapitel 3: Ethnizität und Grundkategorien von Ethnizität: Volk, Nation, ethnische Gruppe und ethnische Minderheit.
- ↑ Vgl. beispielsweise Friedrich Heckmann: Ethnische Minderheiten, Volk und Nation: Soziologie inter-ethnischer Beziehungen. Friedrich Enke, Stuttgart 1992, S. 49.
- ↑ Nathan Glazer, David P. Moynihan (Hrsg.): Ethnicity: Theory and Experience. Harvard University Press, 1975, ISBN 0-674-26856-3, S. ?? (englisch).
- ↑ S. Zalman Abramov: Perpetual dilemma. Jewish religion in the Jewish State. Associated University Press, Cranbury (New Jersey) 1976, Kap. 9: Who is a Jew, S. 271.
- ↑ Lawrence H. Schiffman: Who was a Jew? – Rabbinic and Halakhic perspectives on the Jewish-Christian Schism. Ktav Publishing House, 1985, Vorwort, S. IX.
- ↑ Vgl. z. B. Ephraim Tabory: The Israel Reform and Conservative Movements and the Market for Liberal Judaism. In: Uzi Rebhun, Chaim Isaac Waxman (Hrsg.): Jews in Israel. Contemporary Social and Cultural Pattern. 2. Auflage. Brandeis/University Press of New England, Lebanon, NH, 2004, S. 285–314, hier S. 296 ff.
- ↑ Gesetzestext: Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935. In: fasena.de, Abgerufen am 27. Oktober 2019.
- ↑ Arbeitsgericht Stuttgart: Entschädigungsklage im sog. „Ossi-Fall“ abgewiesen. (Nicht mehr online verfügbar.) Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, 15. April 2010, archiviert vom Original am 20. Juli 2013; abgerufen am 27. Oktober 2019.
- ↑ Walter Hirschberg (Begr.), Wolfgang Müller (Red.): Wörterbuch der Völkerkunde. Neuausgabe, 2. Auflage, Reimer, Berlin 2005, S. 236–237.
- ↑ Bettina Beer: Kultur und Ethnizität. In: Bettina Beer, Hans Fischer (Hrsg.): Ethnologie. Eine Einführung. 7. überarbeitete und erweiterte Auflage, Dietrich Reimer, Berlin 2012, S. 68.
- ↑ Homepage: Fragende Blicke. Museum Fünf Kontinente, abgerufen am 21. Februar 2019.
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