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Memelland
Als Memelland oder Memelgebiet (litauisch Klaipėdos kraštas) wird im deutschen Sprachraum jener in der Zwischenkriegszeit von Deutschland abgetrennte Teil Ostpreußens bezeichnet, der nördlich der Memel bzw. ihres Deltaarms Skierwieth (Skirvytė) lag, sowie der entsprechende Teil der Kurischen Nehrung.
Das Memelland wurde nach Artikel 99 des Versailler Vertrags von 1919 ohne Volksabstimmung mit Wirkung 10. Januar 1920 an die alliierten Mächte abgetreten. Von Anfang 1920 bis Anfang 1923 wurde es von Frankreich als deren Vertreter verwaltet.
Das 2656,7 km² große Territorium war etwa 140 km lang und bis zu 20 km breit. Von den über 140.000 Bewohnern bezeichneten sich im Jahr 1925 72,5 % als Deutsche bzw. „Kulturdeutsche“ (16 % zweisprachig) und 27,5 % als Litauer.[1] Größte Stadt war Memel (Klaipėda) mit 40.000 Einwohnern (1931 11 % Litauer), gefolgt von Heydekrug (Šilutė) mit 5.000 Einwohnern und Pogegen (Pagėgiai) mit 2.800 Einwohnern.
Ab 10. Januar 1923, während der Besetzung des Ruhrgebiets durch Frankreich und Belgien, zog sich die französische Besatzungstruppe vor „einheimischen Aufständischen“, die in Wirklichkeit von der litauischen Regierung beauftragt worden und aus Litauen eingesickert waren, zurück. Die anschließende Annexion des Memelgebiets durch Litauen erkannte der Völkerbund am 8. Mai 1924 in der Memelkonvention an. Damit erhielt Litauen einen Ostseezugang durch deutschsprachiges Gebiet.
Am 20. März 1939 (wenige Tage nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei) verlangte der deutsche Außenminister Joachim von Ribbentrop im Ultimatum an Litauen die Rückgabe an Deutschland. Litauen tat dies am 22. März.[2]
1945, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, wurde das Memelland in der Schlacht um Ostpreußen (13. Januar bis zum 25. April) von der Roten Armee erobert; die Stadt Memel fiel am 28. Januar 1945. Bald darauf wurde es der Litauischen SSR angeschlossen.
Geschichte
Vor der Zugehörigkeit des späteren Memellandes zu einem Staat waren die baltischen Stämme der Schalauer, Kuren und Karschauer dort sesshaft. Die Kuren (der Name bedeutet „schnell zur See“) galten als die versiertesten Seefahrer der Ostsee und werden in den Island-Sagas erwähnt. Dänische Überlieferungen bezeugen, dass sie als Piraten gefürchtet waren. Es gab jedoch auch Handels- und Heiratsbeziehungen der Schalauer mit Dänemark. Die Schalauerburg Ruß an der Memel galt als Ausgangspunkt dieser Beziehungen. Darüber hinaus gab es Beziehungen zu den übrigen Balten im Norden und Osten und zu den Slawen im Süden.
Nach der Eroberung durch den Schwertbrüderorden ab 1200 und dem Bau der Festung Memelburg bzw. der Stadt Memel ab 1250 durch den Deutschen Orden wurde das Memelland ab 1328 dem Ordensstaat zugeteilt. Im Vertrag von Melnosee erfolgte 1422 eine Grenzziehung zu Litauen, die 500 Jahre Bestand hatte. Sie war nach der Pyrenäengrenze die älteste in Europa.
In der Eroberungszeit war die einheimische Bevölkerung aus den Randgebieten des damaligen Preußens dezimiert und teilweise in besser kontrollierbare Gebiete umgesiedelt worden. Als der Zustrom von Siedlern aus Deutschland wegen dortiger Bevölkerungsverluste durch die Pest versiegte, wurden Ende des 15. Jahrhunderts und im 16. Jahrhundert Siedler aus Litauen in den Nordosten Preußens beiderseits der Memel und nördlich des Kurischen Haffs geholt.
Nach der Reformation wurde das Deutschordensland 1525 zum protestantischen Herzogtum Preußen, das seit 1618 in Personalunion von den Kurfürsten von Brandenburg regiert wurde. 1701 erhob Kurfürst Friedrich III. es zum „Königreich Preußen“ und sich selbst zum König. In den folgenden Jahrzehnten wurde das Königreich zur namensgebenden Provinz des brandenburgisch-preußischen Staates. Das Memelland gehörte von 1422 bis 1920 zu Ostpreußen. Abgesehen von der Zeit der Frankfurter Nationalversammlung 1848–1851 lag es außerhalb der Grenzen des Heiligen Römischen Reiches bzw. des Deutschen Bundes. Mit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs wurde Ostpreußen 1871 zum nördlichsten Territorium Deutschlands. Die Grenze zwischen dem ostpreußischen Landesteil um die Memel und Litauen, das ab dem 16. Jahrhundert unter polnischer, ab 1795 unter russischer Herrschaft stand, blieb von 1422 bis 1920 weitgehend unverändert.
Erster Weltkrieg und seine Folgen
Im Ersten Weltkrieg besetzten deutsche Truppen die damals russische Provinz Litauen. Deutschland wollte Litauen aus dem Russischen Reich herauslösen und als souveränen Staat anerkennen, jedoch nur unter der Bedingung einer zukünftigen engen ökonomischen und militärischen Zusammenarbeit mit dem Deutschen Reich. Nach einer Erklärung des Litauischen Staatsrates am 11. Dezember 1917 passierte nichts dergleichen; am 16. Februar 1918 gründete sich die Erste Litauische Republik. Sie wurde im März 1918 vom Deutschen Reich anerkannt. Am 11. Juli 1918 wurde Litauen durch die Wahl des deutschen Adligen Wilhelm Karl von Urach zum König von Litauen zum kurzlebigen Königreich Litauen. Im Sommer 1919 bestimmte der Vertrag von Versailles bei der Festlegung der deutschen Grenzen (Artikel 28[3]), ein von nun an in Deutschland „Memelland“ genannten Teil Ostpreußens ohne Abstimmung abzutrennen und dem Mandat des Völkerbunds zu unterstellen. Der Versailler Vertrag beinhaltete auch die internationale Anerkennung Litauens.[4] Deutschland musste sich bereit erklären, eine später von den Alliierten zu treffende staatliche Zugehörigkeit des Memellandes anzuerkennen (Artikel 99). Das Mandatsgebiet wurde von französischen Truppen besetzt und unter französische Verwaltung gestellt.
Mit Inkrafttreten des Vertrages zum 10. Januar 1920 wurde diese Schutzherrschaft eingerichtet. Am 4. Oktober 1920 erhielt das Memelland unter einem französischen Präfekten (Gabriel Petisné) einen eigenen Staatsrat.
Die Abtrennung des Memellandes wurde mit dem dortigen litauischsprachigen Bevölkerungsteil begründet, der jedoch tatsächlich keinen litauischen Dialekt sprach, sondern einen Mischdialekt aus Prußisch, Kurisch und Žemaitisch, der sich erheblich vom polnisch beeinflussten hochlitauischen Aukschtaitisch unterschied und eine Verständigung mit den Hochlitauern fast unmöglich machte. Ein kleiner Teil dieser Minderheit hatte im Akt von Tilsit eine Angliederung an Litauen gefordert. Große Teile auch der einen baltischen Dialekt sprechenden Bevölkerung des Memellandes fühlten sich jedoch eher zu Ostpreußen als zum neuen litauischen Nationalstaat zugehörig. Dazu kam ein starker kultureller Gegensatz: Die Memelländer waren zu mehr als 95 % evangelisch, während das übrige Litauen katholisch war und lange Zeit unter polnischer beziehungsweise russischer Herrschaft gestanden hatte. Wirtschaftlich war das Memelland weiter entwickelt als Litauen.
Die junge Republik Litauen war ab Ende 1918 in einen Unabhängigkeitskrieg, den russischen Bürgerkrieg bzw. Litauisch-Sowjetischen Krieg, verwickelt. Er wurde im Juli 1920 im Friedensvertrag von Moskau beigelegt. Im Rahmen des Polnisch-Sowjetischen Krieges war Polen jedoch im Herbst 1920 wieder auf dem Vormarsch, und entgegen internationalen Verträgen überfielen polnische, angeblich abtrünnige, Truppen im kurzen Polnisch-Litauischen Krieg im Oktober 1920 die litauische Hauptstadt Vilnius. Das Gebiet wurde 1922 von Polen annektiert.
Außer wegen der Sprache erhob Litauen Ansprüche auf Memel (litauisch Klaipėda), um einen fertig entwickelten Ostseehafen zu bekommen, denn Litauen hatte nur den kleinen Ostseehafen von Palanga (dt. Polangen).
1922 und 1923 grassierte in Deutschland die Inflation; sie betraf auch das Memelgebiet.
Nach dem Ergebnis einer von den Franzosen genehmigten Unterschriftenaktion sowie einer vorläufigen Entscheidung der Pariser Botschafterkonferenz sollte das Memelland auf mindestens zehn Jahre in einen „Freistaat Memelland“ umgewandelt werden.
Jean Gabriel Petisné, der ab dem 31. März 1920 in Memel als Verwaltungsbeamter der französischen Militärmission arbeitete, wurde am 8. Juni 1920 zum Zivilkommissar des Memellandes ernannt und erhielt am 1. Mai 1921 nach Rückkehr von General Dominique Odry nach Frankreich den Status eines Hochkommissars.
Besetzung durch litauische Kräfte 1923: „Klaipėda-Revolte“
Ab 10. Januar 1923, gleichzeitig mit der Besetzung des Ruhrgebiets durch Frankreich und Belgien, besetzten über 1000 bewaffnete Litauer im Handstreich („Klaipėda-Revolte“) das Memelland und die Stadt Memel. Offiziell wurde dies als interner memelländischer Aufstand bezeichnet, die Aktion wurde jedoch von Litauen aus mit einem „Schützenbund“ und Mitgliedern regulärer Truppen durchgeführt, in Zivilkleidung, aber markiert mit Armbinden (MLS, lit. Mažosios Lietuvos sukilėlis, kleinlitauischer Aufständischer). Unterstützung aus dem Memelland war dabei vernachlässigbar. Die in zahlreichen litauischen Veröffentlichungen erwähnten 300 Memelländer schlossen sich der Bewegung erst an, nachdem sie erfolgreich beendet war.[5] Bekannte Einheimische ließen sich nicht als „Anführer“ anwerben, sodass der Anführer Jonas Polovinskas unter dem Namen eines ehemaligen deutschen Offiziers (Budrys) auftrat.
Die 200 französischen Alpenjäger, von der Ausbildung und Ausrüstung her den Freischärlern überlegen, wurden zwar durch einige Hundert deutsche Polizisten und Freischärler unterstützt, ließen sich aber nach zwei Tagen in ihre Kaserne und die Präfektur zurückdrängen. Auch diese wurde gestürmt, nach französischen Angaben von über 5000 Gegnern. Als Verluste gelten zwölf litauische Freischärler, zwei Franzosen und ein deutscher Gendarm (dessen Familie wurde vom Führer der litauischen Freischärler finanziell entschädigt). Später per Schiff anreisende Truppen aus Frankreich und England traten angesichts der neuen Herrschaftsverhältnisse unverrichteter Dinge wieder die Heimreise an.
Die Hintergründe sind nicht vollständig geklärt. Polen war mit Frankreich verbündet, hatte 1920 seine Grenzen weit nach Osten ausgedehnt, dabei Vilnius unter seine Kontrolle gebracht, stand seither in Konflikt mit einem schwachen Litauen, und erhob auch Ansprüche auf das Memelland. Es gibt ein umstrittenes Gerücht, die litauische Besetzung des französisch verwalteten Gebietes sei mit Billigung der deutschen Regierung bzw. von Reichswehrchef General Hans von Seeckt und der Tolerierung durch die ostpreußische Grenzpolizei geschehen, um Litauen gegenüber dem gemeinsamen Gegner Polen zu stärken. Bekannt ist, dass die Freischärler Waffen aus deutscher Produktion besaßen. Die Litauer hatten von Deutschland 1500 deutsche Gewehre, fünf leichte Maschinengewehre und viel Munition zu günstigen Bedingungen erhalten, für die Ernestas Galvanauskas aus einem geheimen Fonds (Mažosios Lietuvos Fondas) zahlte. Beim Aufmarsch der litauischen Kämpfer mischte sich die deutsche Polizei nicht ein.
Autonome Region Litauens
Diplomatisch konnte Litauen glaubhaft machen, dass es sich um einen Aufstand örtlicher Kräfte handele, die den Anschluss suchten, und dass nicht auf Befehl der litauischen Regierung gehandelt wurde. Am 19. Januar 1923 verließen die französischen Truppen und Verwaltungskräfte das Land. Am 16. Februar 1923 erkannte die Botschafterkonferenz die Annexion des Memelgebietes als Faktum an und übergab formell die Hoheit über das Gebiet an Litauen.
Im Mai 1924 wurde die Annexion in der Memelkonvention vom Völkerbund anerkannt; zu ihren Bestimmungen gehörte eine Autonomie des Memellandes innerhalb Litauens. Das Autonomiestatut wurde vom litauischen Parlament am 8. Mai 1924 beschlossen.[6] Mit der Annexion verloren die Memelländer die deutsche Staatsangehörigkeit und wurden Litauer. Sie konnten allerdings für die deutsche Staatsbürgerschaft optieren.
Die Wahl zum Landtag 1925 erbrachte sehr hohe Stimmenanteile (ca. 95 %) für die Deutschsprachigen, die Autonomie oder einen Anschluss an das Deutsche Reich vertraten.
Im Dezember 1926 wurde per Kriegsrecht die Autonomie weitgehend aufgehoben, die weiteren Wahlergebnisse fielen aber weiter eindeutig gegen die litauische Militärdiktatur von Antanas Smetona aus.
Auf Grund polnischen Drucks gelangten verantwortliche litauische Politiker zu der Überzeugung, das Verhältnis zu Deutschland zu verbessern: „So war Mitte September 1938 Legationsrat von Grundherr im Auswärtigen Amt zweimal von dem litauischen Journalisten – Chefredakteur des halbamtlichen ‚Lietuvas Aidas‘ – Gustainas, der gute Beziehungen zum Staatspräsidenten Smetona, zum Ministerpräsidenten Mironas und auch zum litauischen Außenminister hatte, besucht worden. Von Grundherr berichtete, daß Gustainis sehr offenherzig die Befürchtung äußerte, die Memelbevölkerung könne das Selbstbestimmungsrecht und die Volksabstimmung verlangen. Für die Beibehaltung des Memelgebietes könne Litauen nicht seine ganze Existenz aufs Spiel setzen. Es sei besser, sich mit der deutschen Regierung ins Benehmen zu setzen, falls sie den Litauern Rechte am Memeler Hafen belassen würde. Deutliche Anzeichen, dass litauischerseits eine Bereitwilligkeit bestand, auch über das Memelgebiet hinaus Konzessionen zu machen, ergaben sich Anfang Dezember 1938. So wurde am 1. Dezember 1938 Peter Kleist von der Dienststelle Ribbentrop, einem Privatbüro des Außenministers in seiner Eigenschaft als Ratgeber Hitlers in außenpolitischen Angelegenheiten, von dem litauischen Generalkonsul Dymscha in Königsberg aufgesucht, um über das deutsch-litauische Verhältnis und insbesondere über das Memelgebiet zu sprechen.“[7]
Noch heute werden die damals populären Argumente wiederholt, obwohl das Gegenteil beweisende litauische Archive seit 1990 öffentlich zugänglich sind und internationale Konferenzen zu diesem Thema stattfanden. 1965 waren die damals noch lebenden Führer der Annexion nicht bereit, die Wahrheit zu sagen, aus Furcht, Litauen könnte wegen des Skandals von Betrug und Konspiration kompromittiert werden.[8]
Besetzung durch Deutschland
Am 22. März 1939, eine Woche nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Prag und der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren, schloss die litauische Regierung unter starkem Druck mit dem Deutschen Reich einen Übergabevertrag (Deutsch-litauischer Staatsvertrag). Litauen war gezwungen, auf das deutsche Ultimatum an Litauen vom 20. März 1939 zu reagieren, zog daraufhin seine Truppen und Behörden ab und erhielt im Gegenzug eine Freihandelszone in Memel sowie freies Wegerecht für 99 Jahre. Das Memelland wurde in das Land Preußen und in die Provinz Ostpreußen eingegliedert und kam zum Regierungsbezirk Gumbinnen. Memelländer, die ihre deutsche Staatsbürgerschaft wegen der Abtretung an Litauen verloren hatten, wurden wieder deutsche Staatsbürger.
Zweiter Weltkrieg und die Folgen
Im Oktober 1944 evakuierte Deutschland die gesamte Bevölkerung über die Memel. Kurz darauf marschierte die Rote Armee ein. Nach der Besetzung Memels am 28. Januar 1945 setzte die litauische Sowjetregierung im Memelland eine neue Verwaltung ein, die sofort mit der Besiedlung durch Litauer begann. Das Memelland wurde Teil der Litauischen SSR.[9]
Schon im Februar zogen deutsch- und litauischsprachige Memelländer, die nach ihrer Evakuierung in Ostpreußen verblieben waren, in großen Scharen über die Memel zurück oder flüchteten aus den dortigen sowjetischen Zwangsarbeitslagern nach Hause. So war Klaipeda zunächst menschenleer – der sowjetische Stadtkommandant registrierte nach vier Wochen nur 28 Deutsche in der Stadt –, während viele Bauern auf ihre Höfe zurückgekehrt waren. In Wellen folgten mehrere Tausend Memelländer aus den Flüchtlingslagern in der sowjetischen Besatzungszone den Aufrufen sowjetischer „Repatriierungsoffiziere“ und kamen mittels eigens bereitgestellter Güterzüge in das Memelland zurück, wo sie zunächst in Auffang- und Überprüfungslagern leben mussten. Sehr viele wurden direkt nach ihrer Ankunft zur Zwangsarbeit auch im Inneren der Sowjetunion eingesetzt. Neben NSDAP-Mitgliedern und Menschen, die Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter beschäftigt hatten, wurden auch solche Bauernfamilien nach Sibirien deportiert, die wegen ihrer Hofgröße als „Kulaken“ angesehen wurden. Bei den Neusiedlern handelte es sich oft um ehemalige Land- und Saisonarbeiter aus Samogitien, die den Hof zwar aus ihrer vorherigen Arbeit kannten, ihn jedoch nicht leitend zu bewirtschaften wussten, so dass hier recht schnell Misswirtschaft herrschte, die sich auch auf die Ernährungslage der Bevölkerung auswirkte. Wenn rückkehrende Altbesitzer auf ihren Hof kamen, wurden sie vertrieben oder getötet. Erst 1947 konnten alteingesessene Memelländer die sowjetische Staatsbürgerschaft erwerben, was ihnen zwar Rechte, nicht jedoch ihr altes Eigentum verschaffte.
Durch Flucht und Vertreibung Deutscher aus Mittel- und Osteuropa 1945 bis 1950 und Neuzuzug ist das seit der Reformation evangelisch geprägte Gebiet heute vorwiegend katholisch.
Politik
Oberkommissare
(vom Völkerbund eingesetzt)
- 1920–1921: General Dominique Odry
- 1921–1923: Gabriel Petisné
Gouverneure
(von der litauischen Regierung eingesetzt)
- 1924–1925: Jonas Polovinskas-Budrys (Budrys war ein memelländischer Bauer, unter dessen Namen sich Polovinskas als Memelländer darstellen wollte)
- 1925–1926: Jonas Žilius
- 1926–1927: Karolis Žalkauskas
- 1927–1932: Antanas Merkys
- 1932–1933: Witold Gylys
- 1933–1935: Jonas Navakas
- 1935–1936: Vladas Kurkauskas
- 1936–1938: Jurgis Kubilius
- 1938–1939: Viktor Gailus, litauisiert Viktoras Gailius
Deutsche Diplomaten
- 1934–1939: Reinhold von Saucken, Generalkonsul in Memel
Landespräsidenten
- 1920–1921: Arthur Altenberg, litauisiert Arturas Altenbergas
- 1921–1923: Wilhelm Stepputat, litauisiert Vilius Steputaitis
- 1923Erdmann Simoneit, litauisiert Erdmonas Simonaitis :
- 1923–1925: Viktor Gailus, litauisiert Viktoras Gailius
- 1925Heinrich Borchert, litauisiert Endrius Borchertas :
- 1925–1926 Gustav Josupeit, litauisiert Gustavas Juozupaitis
- 1926–1926: Erdmann Simoneit, litauisiert Erdmonas Simonaitis
- 1926–1927: Wilhelm Falk (Landespräsident), litauisiert Vilius Falkas
- 1927Wilhelm Schwellnus, litauisiert Vilius Švelnys :
- 1927–1930: Otto Kadgiehn, litauisiert Otonas Kadgienas
- 1930Martin Reisgys, litauisiert Martinas Reizgys :
- 1931–1932: Otto Böttcher, litauisiert Otonas Betcheris
- 1932Eduardas Simaitis :
- 1932–1934: Ottomar Schreiber, litauisiert Otomaras Šreiberis
- 1934Martin Reisgys, litauisiert Martinas Reizgys :
- 1934–1935: Georg Bruweleit, litauisiert Jurgis Bruvelaitis
- 1935–1939: August Baldszus, litauisiert Augustas Baldžius
- 1939Wilhelm Bertuleit, litauisiert Vilius Bertulaitas :
Landesdirektoren
- 1920–1921: zunächst sieben, neun seit 12.1920 (Erdmann Simoneit und Mikelis Reidys kamen hinzu), meist deutsche Mitglieder
- 1923 : Martinas Reizgys (Martin Reisgys), Toleikis
- 1926–1926: Scharffetter, Kairies, Stumber, Augustas Baldzius (August Baldschus)
- 1926–1927: Scharffetter, Endrius Borchertas (Heinrich Borchert)
- 1927 : Czeskleba, Endrius Borchertas (Heinrich Borchert)
- 1927–1930: Vorbeck, Martinas Reizgys (Martin Reisgys), Sziegaud
- 1930 : Dugnus (14.8.–9.10.); Czeskleba (14.8.–9.10.); Sziegaud (9.–29.10.); Schult (9.–29.10.)
- 1931–1932: Podszus
- 1932 : Toleikis (ab 14.3.), nahm die Ernennung nicht an; Vongehr (ab 14.3.), nahm die Ernennung nicht an;
Tolischus (ab 14.3.); Martinas Reizgys (Martin Reisgys), Kadgiehn
- 1932–1934: Sziegaud, Fritz Walgahn
- 1934–1935: Ludwig Buttgereit, Martin Anysas, Martin Grigat
- 1935–1939: Sziegaud, Willy Betke, Ernst Suhrau
- 1939Herbert Böttcher, Monien : Sziegaud,
Landtagswahlen
→ Hauptartikel zum Memelländischen Landtag: Seimelis
Der Landtag hatte 29 Sitze, einen für jeweils 5000 Einwohner. Frauen und Männer ab 24 hatten das Wahlrecht.[10][11] Die Altersgrenze wurde 1930 auf 30 Jahre angehoben.
Jahr | MLP Memelländische Landwirtschaftspartei |
MVP Memelländische Volkspartei |
SPM Sozialdemokratische Partei des Memelgebietes |
AP Arbeiterpartei des Memellandes |
KPM Kommunistische Partei des Memelgebietes |
andere | LVP Litauische Volkspartei |
---|---|---|---|---|---|---|---|
1925 | 38,1 % – 11 Sitze | 36,9 % – 11 Sitze | 16,0 % – 5 Sitze | Andere 9,0 % – 2 Sitze | |||
1927 | 33,6 % – 10 Sitze | 32,7 % – 10 Sitze | 10,1 % – 3 Sitze | 7,2 % – 2 Sitze | 13,6 % – 4 Sitze | ||
1930 | 31,8 % – 10 Sitze | 27,6 % – 8 Sitze | 13,8 % – 4 Sitze | 4,2 % – 2 Sitze | 22,7 % – 5 Sitze | ||
1932 | 37,1 % – 11 Sitze | 27,2 % – 8 Sitze | 7,8 % – 2 Sitze | 8,2 % – 3 Sitze | 19,7 % – 5 Sitze |
(An 100 % fehlende = nicht im Landtag vertretene Wahlvorschläge)
Jahr | Deutsche Einheitsliste | Großlitauische Parteien |
---|---|---|
1935 | 81,2 % – 24 Sitze | 18,8 % – 5 Sitze |
1938 | 87,2 % – 25 Sitze | 12,8 % – 4 Sitze |
Religion
Landessynodalverband Memelgebiet
Die evangelischen Gemeinden im Memelgebiet kamen durch Annexion 1924 an Litauen. Das im Rahmen der Autonomie gewählte memelländische Landesdirektorium (Landesregierung), angeführt von Landesdirektor Viktor Gailus, und die Evangelische Kirche der altpreußischen Union (APU), geleitet von Präses Johann Friedrich Winckler, schlossen am 31. Juli 1925 das Abkommen betr. die evangelische Kirche des Memelgebietes,[12] demnach die evangelischen Kirchengemeinden des Memellandes aus der Kirchenprovinz Ostpreußen ausschieden und einen eigenen Landessynodalverband mit eigenem Konsistorium innerhalb der APU bildeten.[A 1] Nach Kirchenwahlen 1926 nahm das evangelische Konsistorium in Memel 1927 seine Arbeit auf und bestimmte das geistliche Oberhaupt, den Generalsuperintendenten. Diese waren:
- 1927–1933: Franz Gregor (Wogau, Kr. Pr.-Eylau, 24. Juli 1867 – 27. Mai 1947, Walsrode), zuvor Superintendent des Kirchenkreises Memel.[13]
- 1933–1944: Otto Obereigner, ab 1. Juli 1933
Geographie
Die größte Stadt des Memellandes war Memel, das heutige Klaipėda.
Nach der Abtrennung der südlich der Memel gelegenen Kreisstädte Tilsit, Ragnit und Heinrichswalde war das Memelland neu zu gliedern. Als neuer Kreisort wurde Pogegen (Kreis Pogegen) ausgewiesen. Nach 1923 übernahmen die litauischen Machtinhaber diese Struktur.
Für die Gerichtsorganisation siehe Gerichte des Memellandes.
Die heutigen Bewohner bezeichnen das Gebiet vielfach auch als Kleinlitauen, wobei diese Begriffe nicht deckungsgleich sind, da auch Gebiete südlich der Memel dazuzählen (heute Kaliningrad Oblast).
Literatur
- Ruth Kibelka: Memellandbuch. Fünf Jahrzehnte Nachkriegsgeschichte. Basisdruck, Berlin 2002, ISBN 3-86163-128-8.
- Jens Hinrich Riechmann: Evangelische Kirche Altpreußens in den Abtretungsgebieten des Versailler Vertrags. Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des Memellandes zwischen 1918 und 1939. Traugott Bautz, Nordhausen 2011, ISBN 978-3-88309-665-0.
- Die Wiedervereinigung des Memelgebiets mit dem Deutschen Reich, Vertrag vom 22. März 1939, veröffentlicht in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Band 9 (1939), S. 512–515
Weblinks
- Jahrbuch der deutsch-litauischen Beziehungen; Ausgabe 2003 ist der Geschichte des Memellands gewidmet
- Portal Memelland (GenWiki)
- Karte Memelland 1920–1939
- Ostpreußen-Gesamtübersichtskarte
- Statistiken im Memelgebiet
- Arbeitsgemeinschaft der Memellandkreise e.V.
- Flagge 1920–1939
- Daten bei worldstatesmen.org
- Nationalitätenkarte (1900)
- Reihe Annaberger Annalen: Klaipeda 1945 (PDF; 132 kB)
Anmerkungen
- ↑ Die memelländische evangelische Kirche genoss damit wie der Landessynodalverband der Freien Stadt Danzig den Status einer Kirchenprovinz innerhalb der APU, ohne selbst den Begriff Kirchenprovinz im amtlichen Namen zu führen.
Einzelnachweise
- ↑ „Memelgebiet“. In: Der Große Brockhaus, 15. Auflage, Bd. 12, 1932, S. 382
- ↑ Unterschrieben am 23. um 1:00 Uhr, mit Wirkung zum 22.; siehe Vertragsunterzeichnung.
- ↑ Volltext
- ↑ www.laender-lexikon.de: Litauens Geschichte
- ↑ Vygantas Vareikis: Ein zählebiger Mythos oder wer hat das Memelgebiet befreit? In: Annaberger Annalen, Jahrbuch 2008, S. 201 (PDF).
- ↑ Autonomiestatut vom 8. Mai 1924
- ↑ Zitiert nach Hans Hopf: Auswirkungen des Verhältnisses Litauens zu seinen Nachbarn auf das Memelgebiet. In: Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr. 1962, Bd. 12, S. 262 f.
- ↑ Vygantas Vareikis: Ein zählebiger Mythos oder wer hat das Memelgebiet befreit? In: Annaberger Annalen, Jahrbuch 2008, S. 195 (PDF)
- ↑ Kibelka, S. 33; dort auch das Folgende.
- ↑ Wahlen in der Weimarer Republik – Memelgebiet
- ↑ worldstatesmen.org – Lithuania
- ↑ Ernst Rudolf Huber: Verträge zwischen Staat und Kirche im Deutschen Reich (= Abhandlungen aus dem Staats- und Verwaltungsrecht sowie aus dem Völkerrecht, Siegfried Brie, Max Fleischmann und Friedrich Giese (Hrsg.), H. 44). Breslau: Marcus, 1930, S. 82.
- ↑ Albertas Juška: Die Kirche in Klein Litauen.
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