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Michael Kühntopf, umstrittene Passagen seines Schweizbuchs

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Michael Kühntopf wurde im November 2010 wegen der negativen Bericht­erstattung der Massenmedien in der Schweiz, ausgelöst durch einige umstrittene Aussagen über die Mentalität der Schweizer in seinem Ratgeber Alltag in der Schweiz, von diesen zum Bösewicht und hässlichen Deutschen gestempelt.


Vor allem die folgenden Passagen sorgten für Anstoß, produzierten einen Rache­feldzug in den Schweizer Medien und füllten die Kommentar­spalten mit einer zum Teil vier­stelligen Anzahl giftigster Repliken:

Kleiner Knigge für ein harmonisch-kollisionsfreies Überleben in der Schweiz

(Gilt nicht nur für Deutsche, sondern beispielsweise auch für Ex-Patriates, die einiges von der Welt gesehen haben und sich ggf. in der Schweiz neu justieren müssen)

  • Treten Sie bescheiden, zurückhaltend und leise, niemals angeberisch auf! Understatement bringt's! Deutsche werden oft als laut, rüpelig und belehrend empfunden, sie gestikulieren heftig, und nur ihre Meinung zählt.
  • Fallen Sie dem Gegenüber nicht ins Wort! Widersprechen Sie nie! Suchen Sie keine Differenzen im mündlichen Gespräch, sondern Gemeinsamkeiten, eine Streitkultur im unverbindlich-geselligen Umgang gibt es gar nicht, der Schweizer wird im Gespräch sofort ausweichen. Zwingen Sie niemandem Ihre Meinung auf, das wird als sehr unhöflich oder gar als Angriff verstanden. Kein Schweizer würde das im umgekehrten Falle tun.
  • In zwischenmenschlichen Beziehungen werden keine unangenehmen Wahrheiten gesagt, Bekanntschaften oder freund­schaftliches Miteinander lässt man, wenn es irgendwie nicht funktioniert, begründungslos auslaufen. Machen Sie sich darauf gefasst. Wenn es Ihnen so ergeht, hat Ihrem Gegenüber irgendetwas nicht gefallen, aber was das war, wird er Ihnen um keinen Preis sagen. Kritik wird nie geübt. - So sind sie, die Schweizer.
  • Seien Sie intelligenter, aber zeigen Sie es nicht!
  • Seien Sie erfolgreicher, wohlhabender und was immer ... aber zeigen Sie es nicht!
  • Respektieren Sie die Eigenheiten des Landes und seiner Bewohner! Es geht halt manchmal nicht so zackig "zu und her".
  • Machen Sie darüber keine Witze! Zweideutiger Humor wird oft nicht, meist sogar falsch verstanden. Überhaupt sind die Schweizer/innen deutlich humorloser als Österreicher/innen oder Deutsche
  • Selbst Ironie ist kontraproduktiv. Schweizer scherzen nicht und verstehen keinen Scherz, sondern nehmen alles ernst, was Sie sagen. Sie haben genug damit zu tun, die geschliffene deutsche Sprache, deren Geschwindigkeit sie in die Nähe eines Maschinen­gewehr­feuers rücken, zu verstehen und in die eigene Sprache zu übersetzen. Da bleibt kein Platz für Ironie. Einfach sachlich sein und langsam sprechen, damit kommen Sie weiter.
  • Schweizer machen keine Komplimente und mögen auch keine. Das macht sie eher noch misstrauischer. Einfach sachlich sein!
  • Vergleichen Sie nicht! Sagen Sie nicht "Bei uns in Deutschland macht man das aber so und so", nichts nervt mehr.
  • Sagen Sie auch nicht "Wir sind da schon weiter ...", wenn man noch nicht so gut befreundet ist, dass Streitkultur besteht. Vielleicht will man in der Schweiz gar nicht dort hin. Vielleicht wollte man dort hin, scheiterte aber an der direkten Demokratie. So haut man demjenigen sein Scheitern um die Ohren. Wer mag das schon?
  • Seien Sie aufmerksam, hören Sie gut zu! Übernehmen Sie nicht sofort die Gesprächs­führung! Achten Sie auf Ihren Tonfall und Ihre Lautstärke!
  • Der Umgangston der Deutschen ist viel rauer, sie stecken auch mehr ein. Was für die Deutschen in Ordnung ist, ist für den Schweizer eine mittelschwere Beleidigung!
  • Wenn Sie Ihre Umwelt beobachten, machen Sie es unaufdringlich und eher unbemerkt, starren Sie nicht in Hausfenster oder beim Spaziergang in fremde Gärten und Grundstücke!
  • Im Gegensatz dazu: Schauen Sie, wenn Sie mit Personen auf ein Glas anstossen, diesen Personen fest in die Augen und nennen Sie laut hörbar deren Namen! Generell sind die Namen von Personen sehr wichtig: Keine Begrüssung oder Verabschiedung ohne Nennung des Namens! (Prägen Sie sich neue Namen unbedingt und sofort ein!)
  • Halten Sie dem Ihnen Folgenden die Tür auf, auch wenn Sie eigentlich keine Zeit haben oder der Nächste noch ziemlich weit entfernt ist. Wird Ihnen die Tür aufgehalten, beeilen Sie sich sichtlich und bedanken Sie sich höflich.
  • Bestellen Sie im Restaurant oder Café nicht mit der Formulierung "Ich bekomme", das klingt in Schweizer Ohren ziemlich unverschämt. Sagen Sie besser "Ich hätte gern ...".
  • Machen Sie sich nie - wörtlich zu nehmen: NIE - über Schweizer Sprache und Mundart lustig!
  • Finden Sie es niemals lustig oder einfach nur niedlich, wenn Schweizer und Schweizerinnen sich in Hochdeutsch versuchen! Unterdrücken Sie selbst ein Schmunzeln!
  • Das Schweizerische hat eine Unmenge von Diminutiven (grammatischen Verkleinerungs­formen). Dadurch wird die Sache, worüber man spricht, aber nicht weniger ernst oder bedeutsam. Lernen Sie die Mundart kennen, bevor Sie selbst Substantive "verkleinern": Fränkli beispielsweise gibt es nicht - ausser als Beweis dafür, dass man wieder ein Fettnäpfchen nicht auslassen konnte.
  • Sprechen Sie langsam, in einfachen Sätzen! Verbergen Sie Ihre deutsche Eloquenz! Im Französischen und Italienischen hingegen lässt man sich gerne mit Ihnen auf einen Wettkampf ein.
  • Engländer mögen es, wenn man versucht, sich in ihrer Sprache auszudrücken, und sei es auch noch so gequält. Schweizer mögen das never, sondern fühlen sich dann auf den Arm genommen. Es sei denn, Sie sprechen nach fünfzig Jahren Aufenthalt in der Schweiz die Mundart zu 98 Prozent fehlerfrei. Aber vergessen Sie es. Es wird Ihnen nicht gelingen.
  • Falls Sie schon einige Monate im Land sind und den Dialekt so ungefähr verstehen: Erlauben Sie Ihrem schweizerischen Gegenüber, mit Ihnen in Mundart zu sprechen! Das erleichtert die Kommunikation ungemein.
  • Und noch etwas: Machen Sie keine unangemeldeten Überraschungs­besuche: Schweizer hassen das. Vielleicht ist es nicht aufgeräumt. Vielleicht können sie Ihnen nicht das richtige Getränk anbieten, was sie sonst zu gern täten. Warten Sie darauf, eingeladen zu werden (das kann dauern, manchmal Jahre!!). Vereinbaren Sie lange genug vorher einen passenden Termin (am besten Wochen oder Monate vorher).
  • Und seien Sie pünktlichst. Immer. Das können Sie nicht wörtlich genug nehmen.
  • Beim Besuch wird alles zügig nach einem festen Schema ablaufen: Apero, Vorspeise, Hauptgang, Dessert (= Nachtisch), Kaffee plus Grappa oder etwas anderem "Geistvollen", danach ist Schluss, es wird nicht nachgeschenkt, und die Gastgeber gehen davon aus, dass man sich schnellstens wieder verkrümelt. Helfen Sie nie beim Auftischen oder Abräumen. Bringen Sie keine selbstgemachten Speisen mit. Wenn Wein und/oder Blumen: nicht zu billig und nicht zu teuer.
  • Warten Sie auch, bis Sie selbst Schweizer zu sich einladen. Diese könnten sich überrumpelt fühlen, möchten sich gerne erst an einem "neutralen Ort" treffen. Wenn Sie sich kennen und schätzen gelernt haben und Sie vollkommen sicher sind, dass das "gut kommt" - dann erst sprechen Sie eine Einladung aus!
  • Und ausserdem: Rufen Sie keinen Schweizer/in in der Mittagszeit (so zwischen 12.00 Uhr und 13.30 Uhr) an, und niemals - ausser es geht um Leben und Tod - nach 20.00 Uhr!

Einige Sitten, Gebräuche, Eigenheiten

Wangenküsse

In der Schweiz sind bei Begrüssung und Verabschiedung Umarmung plus drei (angedeutete oder echte) Wangenküsse (links beginnend) üblich, wenn man sich (manchmal auch nur flüchtig) kennt und mag. Überwiegend in der Kombination Mann/Frau, Frau/Mann, Frau/Frau. Manche (Ausländer) finden das vollkommen übertrieben und machen sich darüber lustig ("6 Küsse bei einem Drei-Minuten-Treffen"). Wenn man auf Dauer hier lebt, kann man sich dem allerdings - unter Freunden und guten Bekannten - kaum entziehen. Die Anzahl der Küsse (von 2-4) und die Seite, auf der man beginnt, wird übrigens unterschiedlich gehandhabt. Drei plus links beginnend ist die häufigst zu beobachtende Variante.

Schuhabziehen

Vor dem Betreten des Hauses oder der Wohnung, wenn man jemanden besucht, ist es üblich, sich die Schuhe auszuziehen (hier heisst es nicht aus-, sondern abziehen, das gilt generell für Kleidung: Strümpfe "abziehen", ein Kleid etc. "abziehen"). Da nur ausnahmsweise Hausschuhe oder Pantoffeln (die heissen hier "Finken") zur Verfügung gestellt werden, läuft man dann in Strümpfen herum. Sehr gewöhnungs­bedürftig, sehr lästig, und kalte Füsse bekommt man auch. Manche empfinden es auch als entwürdigend - sowohl fremde benutzte Hausschuhe anzuziehen zu sollen als auch sich in Strümpfen zu bewegen und zu erscheinen. Ein Anblick, an den ich mich nie gewöhnen werde: Wenn man dann in bunter Runde zusammen­sitzt, auf einen Haufen unbeschuhter Füsse zu blicken. Und Arbeit macht es auch, wenn man beispielsweise im Winter mit Wander­schuhen kommt, für deren Verschnürung man einige Zeit benötigt hat, sie dann ausziehen und bald wieder anziehen soll. Diese "Sitte" führt dann dazu, dass man in vielen Eingangs­bereichen in Schweizer Häusern und Wohnungen eine ganze Imelda Marcos-mässige Galerie abgelegter und zu tragender/zu wechselnder Schuhe und Hausschuhe findet - statt repräsentativer Möbel oder anderer geschmackvoller Einzel­objekte, nach meinem Empfinden ein eher unappetitlicher Anblick. Ich versuche mich dieser Sitte zu entziehen, wo ich nur kann.

Apero

Der Apéro (mit oder ohne Akzent) ist eine Sitte, den die Schweiz (auch die Deutschschweiz) mit Frankreich gemeinsam hat. Bei einer Einladung schreitet man nie sofort zum Essen. Es geht immer ein geselliges Anstossen (meist an einem anderen Platz als dem Esstisch) voraus: ein Glas Weisswein, Martini, Campari, Sherry, dazu kleine Snacks.

Das kann sich auch verselbständigen, so dass nach einem Ereignis (ein Vortrag, eine Versammlung, ein Gottesdienst) ein Apero gegeben wird als zwangloser Stehempfang usw.

Ein Apéro riche ("reichhaltiger Apero") ist ein üblicher Apero, der sich dadurch vom normalen Apero unterscheidet, dass es ein reich­haltigeres Angebot an Speisen gibt, auch sättigende Speisen.

Zum Verhalten beim Anstossen/Zuprosten siehe unten "In die Augen schauen". Bemerkenswert beim Anstossen - beim Apero oder manchmal später auch noch am grossen Tisch - ist noch, dass nach Möglichkeit jeder mit jedem anstösst, das ergibt dann bei einer Gästezahl ab 10 aufwärts immer eine kleine Völker­wanderung bzw. ein heilloses Durcheinander - da dann verschiedene Personen nicht mehr auf Armdistanz erreicht werden können und man sich bunt durchmischen muss.

Duzen

Das (erstmalige) Duzen heisst hier "Duzis machen". Im Unterschied zu Deutschland geht man in der Schweiz viel schneller und leichter, auch beiläufiger und routinierter zum "Du" über. Auch über mehrere Gesellschafts­schichten hinweg. Damit steht man dann aber keineswegs auf einer Stufe mit dem Höhergestellten. Und das ist auch keineswegs eine Einladung zu respektlosem Verhalten und plumper Kumpanei.

Akademische und sonstige Titel werden in der Schweiz gerne als nicht so wichtig unterschlagen, ein Auftrumpfen damit wird als unangemessen betrachtet. Gerade in diesem Punkt werden die Schweizer die Österreicher nie verstehen.

In die Augen schauen

Bei einer Begrüssung, einer Verabschiedung und insbesondere beim Zuprosten ist es für den Schweizer wichtig (und führt zu Irritationen, wenn man es nicht macht!), dass man sich tief in die Augen schaut und wirklich ansieht - und dabei auch den Namen des Gegenübers laut und deutlich ausspricht. Wer das nicht beherzigt, wird als schwacher oder unehrlicher Charakter oder noch Schlimmeres angesehen.

Das ist sehr gewöhnungsbedürftig, aber wenn man es selbst einige Monate praktiziert, schwenkt man unmerklich auf die schweizerische Seite um und versteht auch die Welt nicht mehr, wenn man jemandem begegnet, der das nicht so macht ...

Anstossen

Überhaupt, das Anstossen: Wenn man sich nach dem Apero an den grossen Tisch gesetzt und zum Essen nieder­gelassen hat, der Wein eingeschenkt wurde - dann warten Sie besser (meist bis nach dem Salat ...). Nicht einfach den Wein trinken, auch wenn es noch so schwer fällt, ihn stehen zu lassen. Die Schweizer stossen gerne an, in der Regel gibt der Gastgeber das Zeichen, und dann heisst es nochmals Zuprosten, in die Augen schauen, Namen nennen usw. usw. Danach dürfen Sie (formal) so oft trinken, wie Sie wollen und wann Sie wollen.

Namen verkürzen

Das liegt dem Schweizer im Blut. Schon dreisilbige Eigennamen sind ihm zu lang. Manchmal sogar zweisilbige. Und so werden die Namen dann originell verkürzt (in Ausnahme­fällen aber auch verlängert). Das ist gleichzeitig ein Signal: Wenn man so genannt wird, dass man gemocht wird und als sympathisch gilt, wenn man jemanden so nennt, dass man auf einer nicht mehr nur formellen Ebene mit ihm angekommen ist, und nicht zuletzt, wenn man sich so nennen lassen möchte, dass man beispielsweise als Arbeits­kollege oder Chef "harmlos" ist und keinen Stunk machen will.

Hans-Peter wird so zu Hanspi, Ernstpeter zu Epe oder Aepe, Jakob zu Köbi, Christian zu Chrigel oder Chrigeli, Christiane oder Christine zu Chrigi, Samuel zu Sämi, Andreas zu Res, Ernst zu Aschi, Katharina zu Kati, Elisabeth zu Lisbeth, Roland zu Roli usw. usw.

Mitsprechen

Ein eigenartiges Phänomen, das man regelmässig beobachten kann, ist das Mitsprechen, wenn man im Dialog mit einem anderen Menschen ist, der einen gut kennt und zu dem eine positive, sympathische Beziehung besteht. Wenn man diesem anderen Menschen etwas berichtet oder ihm etwas klarzumachen versucht, wird dieser, besonders an den Enden der Sätze oder bei besonders wichtigen Stellen wie von Zauberhand geführt die entsprechenden Mund­bewegungen mitmachen und auch manchmal kaum hörbar, aber klar, manchmal leise, manchmal deutlich vernehmbar dieselben Wörter aussprechen wie der Redende.

Dies ist immer ein Zeichen von Verständnis, Empathie, Sympathie, begleitet von einer für die Dialog­partner vielleicht unbewusst vorhandenen Intimität. Passen Sie also auf, dass man sich nicht in Sie verliebt!

Robidog

Auch "Hundebriefkasten" genannt: die schweizerische Lösung für das Hundekot­problem. Robidog ist ein grüner Behälter für die Abgabe von speziellen Säcken und für die Aufnahme von Exkrementen, insbesondere von Hunde­exkrementen; die Säcke (Robidog-Beutel) dienen auch als Handschuhe, mit denen man den Hundekot aufnehmen muss (sonst droht Bussgeld). Der Name Robidog leitet sich ab vom Nachnamen des Erfinders Joseph Rosenast (für die Schweiz patentiert 1981 und ausgezeichnet auf der Genfer Erfindermesse 1987) und der englischen Bezeichnung für Hund.
- Michael Kühntopf: Alltag in der Schweiz. Leben und Arbeiten in der Eidgenossenschaft. Ein praktischer Ratgeber für alle Neuankömmlinge, Meerbusch 2010, Seiten 200-207
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