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Michael Kühntopf, umstrittene Passagen seines Schweizbuchs
Michael Kühntopf wurde im November 2010 wegen der negativen Berichterstattung der Massenmedien in der Schweiz, ausgelöst durch einige umstrittene Aussagen über die Mentalität der Schweizer in seinem Ratgeber Alltag in der Schweiz, von diesen zum Bösewicht und hässlichen Deutschen gestempelt.
Vor allem die folgenden Passagen sorgten für Anstoß, produzierten einen Rachefeldzug in den Schweizer Medien und füllten die Kommentarspalten mit einer zum Teil vierstelligen Anzahl giftigster Repliken:
Kleiner Knigge für ein harmonisch-kollisionsfreies Überleben in der Schweiz
(Gilt nicht nur für Deutsche, sondern beispielsweise auch für Ex-Patriates, die einiges von der Welt gesehen haben und sich ggf. in der Schweiz neu justieren müssen)
Einige Sitten, Gebräuche, Eigenheiten Wangenküsse In der Schweiz sind bei Begrüssung und Verabschiedung Umarmung plus drei (angedeutete oder echte) Wangenküsse (links beginnend) üblich, wenn man sich (manchmal auch nur flüchtig) kennt und mag. Überwiegend in der Kombination Mann/Frau, Frau/Mann, Frau/Frau. Manche (Ausländer) finden das vollkommen übertrieben und machen sich darüber lustig ("6 Küsse bei einem Drei-Minuten-Treffen"). Wenn man auf Dauer hier lebt, kann man sich dem allerdings - unter Freunden und guten Bekannten - kaum entziehen. Die Anzahl der Küsse (von 2-4) und die Seite, auf der man beginnt, wird übrigens unterschiedlich gehandhabt. Drei plus links beginnend ist die häufigst zu beobachtende Variante. Schuhabziehen Vor dem Betreten des Hauses oder der Wohnung, wenn man jemanden besucht, ist es üblich, sich die Schuhe auszuziehen (hier heisst es nicht aus-, sondern abziehen, das gilt generell für Kleidung: Strümpfe "abziehen", ein Kleid etc. "abziehen"). Da nur ausnahmsweise Hausschuhe oder Pantoffeln (die heissen hier "Finken") zur Verfügung gestellt werden, läuft man dann in Strümpfen herum. Sehr gewöhnungsbedürftig, sehr lästig, und kalte Füsse bekommt man auch. Manche empfinden es auch als entwürdigend - sowohl fremde benutzte Hausschuhe anzuziehen zu sollen als auch sich in Strümpfen zu bewegen und zu erscheinen. Ein Anblick, an den ich mich nie gewöhnen werde: Wenn man dann in bunter Runde zusammensitzt, auf einen Haufen unbeschuhter Füsse zu blicken. Und Arbeit macht es auch, wenn man beispielsweise im Winter mit Wanderschuhen kommt, für deren Verschnürung man einige Zeit benötigt hat, sie dann ausziehen und bald wieder anziehen soll. Diese "Sitte" führt dann dazu, dass man in vielen Eingangsbereichen in Schweizer Häusern und Wohnungen eine ganze Imelda Marcos-mässige Galerie abgelegter und zu tragender/zu wechselnder Schuhe und Hausschuhe findet - statt repräsentativer Möbel oder anderer geschmackvoller Einzelobjekte, nach meinem Empfinden ein eher unappetitlicher Anblick. Ich versuche mich dieser Sitte zu entziehen, wo ich nur kann. Apero Der Apéro (mit oder ohne Akzent) ist eine Sitte, den die Schweiz (auch die Deutschschweiz) mit Frankreich gemeinsam hat. Bei einer Einladung schreitet man nie sofort zum Essen. Es geht immer ein geselliges Anstossen (meist an einem anderen Platz als dem Esstisch) voraus: ein Glas Weisswein, Martini, Campari, Sherry, dazu kleine Snacks. Das kann sich auch verselbständigen, so dass nach einem Ereignis (ein Vortrag, eine Versammlung, ein Gottesdienst) ein Apero gegeben wird als zwangloser Stehempfang usw. Ein Apéro riche ("reichhaltiger Apero") ist ein üblicher Apero, der sich dadurch vom normalen Apero unterscheidet, dass es ein reichhaltigeres Angebot an Speisen gibt, auch sättigende Speisen. Zum Verhalten beim Anstossen/Zuprosten siehe unten "In die Augen schauen". Bemerkenswert beim Anstossen - beim Apero oder manchmal später auch noch am grossen Tisch - ist noch, dass nach Möglichkeit jeder mit jedem anstösst, das ergibt dann bei einer Gästezahl ab 10 aufwärts immer eine kleine Völkerwanderung bzw. ein heilloses Durcheinander - da dann verschiedene Personen nicht mehr auf Armdistanz erreicht werden können und man sich bunt durchmischen muss. Duzen Das (erstmalige) Duzen heisst hier "Duzis machen". Im Unterschied zu Deutschland geht man in der Schweiz viel schneller und leichter, auch beiläufiger und routinierter zum "Du" über. Auch über mehrere Gesellschaftsschichten hinweg. Damit steht man dann aber keineswegs auf einer Stufe mit dem Höhergestellten. Und das ist auch keineswegs eine Einladung zu respektlosem Verhalten und plumper Kumpanei. Akademische und sonstige Titel werden in der Schweiz gerne als nicht so wichtig unterschlagen, ein Auftrumpfen damit wird als unangemessen betrachtet. Gerade in diesem Punkt werden die Schweizer die Österreicher nie verstehen. In die Augen schauen Bei einer Begrüssung, einer Verabschiedung und insbesondere beim Zuprosten ist es für den Schweizer wichtig (und führt zu Irritationen, wenn man es nicht macht!), dass man sich tief in die Augen schaut und wirklich ansieht - und dabei auch den Namen des Gegenübers laut und deutlich ausspricht. Wer das nicht beherzigt, wird als schwacher oder unehrlicher Charakter oder noch Schlimmeres angesehen. Das ist sehr gewöhnungsbedürftig, aber wenn man es selbst einige Monate praktiziert, schwenkt man unmerklich auf die schweizerische Seite um und versteht auch die Welt nicht mehr, wenn man jemandem begegnet, der das nicht so macht ... Anstossen Überhaupt, das Anstossen: Wenn man sich nach dem Apero an den grossen Tisch gesetzt und zum Essen niedergelassen hat, der Wein eingeschenkt wurde - dann warten Sie besser (meist bis nach dem Salat ...). Nicht einfach den Wein trinken, auch wenn es noch so schwer fällt, ihn stehen zu lassen. Die Schweizer stossen gerne an, in der Regel gibt der Gastgeber das Zeichen, und dann heisst es nochmals Zuprosten, in die Augen schauen, Namen nennen usw. usw. Danach dürfen Sie (formal) so oft trinken, wie Sie wollen und wann Sie wollen. Namen verkürzen Das liegt dem Schweizer im Blut. Schon dreisilbige Eigennamen sind ihm zu lang. Manchmal sogar zweisilbige. Und so werden die Namen dann originell verkürzt (in Ausnahmefällen aber auch verlängert). Das ist gleichzeitig ein Signal: Wenn man so genannt wird, dass man gemocht wird und als sympathisch gilt, wenn man jemanden so nennt, dass man auf einer nicht mehr nur formellen Ebene mit ihm angekommen ist, und nicht zuletzt, wenn man sich so nennen lassen möchte, dass man beispielsweise als Arbeitskollege oder Chef "harmlos" ist und keinen Stunk machen will. Hans-Peter wird so zu Hanspi, Ernstpeter zu Epe oder Aepe, Jakob zu Köbi, Christian zu Chrigel oder Chrigeli, Christiane oder Christine zu Chrigi, Samuel zu Sämi, Andreas zu Res, Ernst zu Aschi, Katharina zu Kati, Elisabeth zu Lisbeth, Roland zu Roli usw. usw. Mitsprechen Ein eigenartiges Phänomen, das man regelmässig beobachten kann, ist das Mitsprechen, wenn man im Dialog mit einem anderen Menschen ist, der einen gut kennt und zu dem eine positive, sympathische Beziehung besteht. Wenn man diesem anderen Menschen etwas berichtet oder ihm etwas klarzumachen versucht, wird dieser, besonders an den Enden der Sätze oder bei besonders wichtigen Stellen wie von Zauberhand geführt die entsprechenden Mundbewegungen mitmachen und auch manchmal kaum hörbar, aber klar, manchmal leise, manchmal deutlich vernehmbar dieselben Wörter aussprechen wie der Redende. Dies ist immer ein Zeichen von Verständnis, Empathie, Sympathie, begleitet von einer für die Dialogpartner vielleicht unbewusst vorhandenen Intimität. Passen Sie also auf, dass man sich nicht in Sie verliebt! Robidog Auch "Hundebriefkasten" genannt: die schweizerische Lösung für das Hundekotproblem. Robidog ist ein grüner Behälter für die Abgabe von speziellen Säcken und für die Aufnahme von Exkrementen, insbesondere von Hundeexkrementen; die Säcke (Robidog-Beutel) dienen auch als Handschuhe, mit denen man den Hundekot aufnehmen muss (sonst droht Bussgeld). Der Name Robidog leitet sich ab vom Nachnamen des Erfinders Joseph Rosenast (für die Schweiz patentiert 1981 und ausgezeichnet auf der Genfer Erfindermesse 1987) und der englischen Bezeichnung für Hund.- Michael Kühntopf: Alltag in der Schweiz. Leben und Arbeiten in der Eidgenossenschaft. Ein praktischer Ratgeber für alle Neuankömmlinge, Meerbusch 2010, Seiten 200-207
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