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Pidgin-Sprachen
Der Begriff Pidgin-Sprache oder Pidgin bezeichnet eine reduzierte Sprachform, die verschiedensprachigen Personen als Lingua franca zur Verständigung dient. Eine Pidgin-Sprache ist somit keine Muttersprache, sondern wird von ihren Sprechern als Fremdsprache erlernt.
„Pidgin“ ist eine in der grammatischen Struktur vereinfachte Behelfssprache, die sich unter kolonialen Bedingungen ausgebildet hat, z. B. in Afrika, Westindien, Amerika. Ihr Zweck ist, sich mit vereinfachten Formen der anderen Sprachen kommunikativ verständlich zu machen. Basis waren Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch (selten auch Deutsch) als Sprachen der Kolonialherren und Handelsleute, an die sich die schwächere Gruppe rudimentär anpasste. Vielfach wurde aus dem Pidgin der ersten Generation in der zweiten eine regulär funktionierende Sprache, das „Kreol“ (Kreolsprache).
In der Linguistik wurde und wird diskutiert, ob dieser Entstehungsprozess durch Universalien der menschlichen Sprachfähigkeit bestimmt wird. Pidgin wird gelernt und folgt eigenen Normen, die unzureichende Zweitsprache von Migranten ist keine Zielsprache von Lernprozessen, sondern lediglich eine Übergangserscheinung während der Phase des Sprachwechsels.
Etymologie
Die Etymologie des Begriffes Pidgin ist nicht geklärt. Mehrere Hypothesen sehen im (Handels)Verkehr der Briten mit dem China des 19. Jahrhunderts eine Erklärung.
Eine Theorie über die Etymologie des Begriffes besteht in der Aussprache des englischen Wortes business im Chinesischen: Demnach entwickelte sich aus business in chinesischer Sprechweise bigeon, was dann im Englischen wiederum zu pigeon wurde und schließlich in pidgin mündete. Pidgin English war demnach ein Pidgin mit englischen, chinesischen und portugiesischen Bestandteilen, das im 18. Jahrhundert und 19. Jahrhundert als Handelssprache in Kanton gebraucht wurde. Diese Theorie ist im renommierten Oxford English Dictionary zu finden; deren Supplement (1982) verweist auf eine Referenz aus dem Jahre 1826 als erstes Vorkommen des Begriffs.
Eine andere Variante der chinesischen Herkunft des Begriffes (Leland 1876) gibt das portugiesische Wort ocupação als Ursprung an: Eine chinesische Aussprache des Wortes könnte demnach über pasao und pasan zum Ausdruck Pidgin geführt haben. Eine dritte Variante des chinesischen Ursprung beschreibt E. C. Knowlton: Er geht davon aus, dass Pidgin aus dem chinesischen pei-ts'in hervorgegangen ist, was Knowlton als Vorgang des Bezahlens von Geld in einer geschäftlichen Transaktion beschreibt.[1]
Eine andere Hypothese besagt, dass pidgin aus der Sprache der südamerikanischen Yayo stamme, wo die Form pidian „Menschen“ in verschiedenen Zusammensetzungen vorzukommen scheint.[2]
Eine weitere Theorie geht wiederum von portugiesischem Einfluss auf die Etymologie des Begriffes aus. Diesmal jedoch nicht im chinesischen Raum, sondern in Afrika. Demnach wäre das portugiesische Wort pequeno (klein) der Ursprung des Begriffes.[3] Das von Einheimischen gesprochene vereinfachte Portugiesisch sei als pequeno Português bezeichnet worden. Dazu korrespondiere die Bezeichnung petit nègre für Pidgin Französisch. Indiz für die Herkunft von Pidgin aus diesem Bereich könnte die Tatsache sein, dass das portugiesische pequeno in diversen, auf Englisch basierenden Pidgins und Creoles überlebt hat, z. B. pikini (Jamaika), pikin (Krio, Sranan), pijin (Salomonen).
Franz Winterstein[4] bringt pidjom (Handel, Geschäft) als Herkunft des Wortes ins Spiel, ein Wort aus der Sprache der Juden des Londoner Ghettos, welche als Pidjom English bezeichnet wurde. Hierbei ist aber schon die Übersetzung des Wortes pidjom problematisch.
Eine letzte Variante, woher der Begriff Pidgin stammen könnte, stammt direkt aus dem Englischen: Ein anonymer Artikel (Vitalité du Pidgin in Présence Africaine 1968, 205-7) kritisiert die Sicht Kiplings auf die Welt und wirft den Briten vor, auf der ganzen Welt nach „Moglis“ gesucht und deren „Gestottere“ mit der Sprache von Tauben (the speech of a pigeon) beschrieben zu haben.
Entwicklung
Pidgins entwickeln sich generell in Umgebungen, in denen mindestens zwei – meistens nicht näher verwandte – Sprachen in Kontakt treten. Ein typischer Kontext für die Entstehung von Pidgins ist der Handel (Handelspidgins). Historisch gesehen entstand eine hohe Anzahl heute erforschter Pidgins während der Zeit der Kolonisation. Wortschatz und Grammatik des Pidgin unterliegen stark dem Einfluss der in Kontakt stehenden Sprachen. Basis war meist die Sprache der herrschenden Kolonialmacht.
Pidgins entwickeln sich aus Jargons und dienen meistens nur sehr wenigen Zwecken, wie etwa der rudimentären Kommunikation für Handel, Arbeiten oder zwangsweise soziale Kontakte (etwa in Arbeitslagern). Sie haben somit einen eingeschränkten Funktionsbereich. Ihre Grammatik ist stark vereinfacht, der Sprachcode restringiert. Ein Großteil des gering umfassenden Vokabulars ist der Sprache entlehnt, die in der Sprachkontaktsituation die dominante Sprache ist (im Kolonisationskontext z. B. die Sprache der Herrschenden). Ein Pidgin hat zunächst keine muttersprachlichen Sprecher. Im Laufe weniger Generationen können sich Pidgins zu grammatisch voll ausgebildeten Kreolsprachen entwickeln, sofern sie lange genug stabil existieren.
Die „Relexifizierungshypothese“ der Kreolforschung besagt, dass Sprecher der Substratsprachen (während der Kolonisation waren das Sprachen der Sklaven) das Vokabular ihrer Sprache durch Wörter der dominanten Sprache ersetzen, während sie die Grammatik ihrer Muttersprache anwandten. Es wurden jedoch sowohl in Pidgins als auch in Kreolsprachen Phänomene nachgewiesen, die sich auf keine der vorangegangenen Kontaktsprachen zurückführen lassen.
Die allgemeine Lebensdauer eines Pidgins ist meistens an die Existenz eines bestimmten Zweckes gebunden (z. B. die Aufrechterhaltung einer Handelsbeziehung zwischen zwei Sprachgemeinschaften) oder an die Übernahme des Pidgins als Muttersprache, d. h. der Entwicklung zur Kreolsprache (Kreolisierung).
Unterstützt wird die Ausbildung eines Pidgin anstelle des Erwerbs der Zweitsprache nach einigen Erklärungsansätzen durch den Effekt, dass Muttersprachler oft gegenüber Ausländern oder Anderssprachigen, bei denen sie eine geringe Sprachkompetenz in ihrer Muttersprache vermuten, eine vereinfachte und überbetonte Sprache (Ausländersprache, „foreigner talk“, einen Xenolekt) benutzen.
Beispiele
- Statt „Gehen Sie bitte erst zum Bahnhof, dann zur Kirche!“: Gehen Bahnhof – dann Kirche!
- statt „So, jetzt brauchen wir noch eine Röntgenaufnahme von Ihnen.“: Komm, Foto machen!
- long time no see (= lange nicht gesehen) kommt vom chinesischen „好久不见 hao jiu bu jian“ (gut – lange Zeit – nicht – sehen).
- look-see (= schauen; wörtlich: blicken + sehen) kommt vom chinesischen „看见 kanjian“.
Kamtok (Westafrika)
Die Schreibung ist an die des Internationalen Phonetischen Alphabets angelehnt, die Buchstaben werden also eher wie im Deutschen als im Englischen ausgesprochen.
David, | A | salut. |
David | 1SG | grüßen |
„David, ich grüße dich.“ |
A | kam | tich | fo | kolej. |
1SG | kommen | unterrichten | in | College |
„Ich bin hier um zu unterrichten“ |
Husai | yu | de | wok? |
Wo | 2SG | Hab | arbeiten |
„Wo arbeitest du?“ |
PS: Husai kommt von "Who('s) side"
Ya | nem | na | weti? |
Dein | Name | sein | was |
„Wie heißt du?“ |
I | de | chop. |
3SG | Prog | essen |
„Er isst (gerade).“ |
Dem | de | sidon | fo | Kumba. |
3PL | Hab | sitzen | in | Kumba |
„Sie leben in Kumba.“ |
jamaikanisch-kreolische Sprache (Karibik; aus dem Liedtext des Banana Boat Songs)
- Hey Mista Tallyman, tally me banana! – auf englisch: „Hey, Boss, count and pay for my bananas which I have brought aboard“
Siehe auch
- Handelssprache
- Liste der Pidginsprachen
- Kreolsprachen
- Mischsprache
- Verkehrssprache
- Inflektiv, eine unflektierte Verbform in Analogie zum Grundwort des englischen Infinitivs
Literatur
- Dell Hymes: Pidginization and Creolization of Languages. Cambridge University Press 1971, ISBN 9780521078337
- J. Arends/P. Muysken/N. Smith (1995) Pidgins and Creoles. Amsterdam: Benjamins
Weblinks
- Pidgin- und Kreolensprachen - unter besonderer Berücksichtigung der Bickerton'schen Theorie einer angeborenen Universalgrammatik (Hausarbeit)
- RA Otto Weikopf: Pidgin- und Kreolsprachen
Einzelnachweise
- ↑ Pidgin English and Portuguese, in: Drake, 1967, 228-37
- ↑ David Kleinecke: An etymology for pidgin. In: International Journal of American Linguistics 25, 271-2. Loreto Todd (1990: 20) vermutet allerdings, dass Kleineckes einziges Beweisstück ein schlichter Druckfehler ist; Pidgins and Creoles, S. 20.
- ↑ Gerald M. Moser, African literature in Portuguese: the first written the last discovered, African Forum 2: 78-96.
- ↑ Franz Winterstein: Die Verkehrs-Sprachen der Erde, Berlin 1908
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Pidgin-Sprachen aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |