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Rot-Grün-Sehschwäche
Klassifikation nach ICD-10 | ||
---|---|---|
H53.5 | Farbsinnstörungen - Rot-Grün-Schwäche | |
ICD-10 online (WHO-Version 2013) |
Die Begriffe Rot-Grün-Sehschwäche und Rot-Grün-Blindheit stehen für bestimmte Farbfehlsichtigkeiten, die umgangssprachlich auch als Farbenblindheit bezeichnet werden. Die Betroffenen können hierbei die Farben Rot und Grün schlechter als Normalsichtige unterscheiden, wobei eine Grünschwäche deutlich häufiger auftritt als eine Rotschwäche. Zudem sind signifikant mehr Männer betroffen. [1] Die medizinischen Fachbegriffe hierfür lauten Deuteranomalie bzw. Deuteranopie für Grünschwäche bzw. Grünblindheit, sowie Protanomalie und Protanopie für die entsprechende Rotstörung.[2]
Ursachen
Hervorgerufen wird die X-chromosomal rezessiv bedingte Sehschwäche durch Veränderungen der Aminosäuresequenz in den Sehpigment-Proteinen (Opsin) der entsprechenden Zapfen der Netzhaut, die aus der Veränderung der Gensequenz des entsprechenden Opsins resultiert.
Es existieren bei jedem Menschen jeweils ein Gen für das rotempfindliche Opsin und drei identische Gene für das grünempfindliche Opsin. Alle liegen nahe beieinander auf dem X-Chromosom. Durch Fehler beim Crossing-over kommt es zu falschen Genkombinationen, vor allem zu Kombinationen, die sich phänotypisch durch verschobene Absorptions-Empfindlichkeitsmaxima in den entsprechenden Zapfen-Typen äußern, meist bei den Grün-Rezeptoren, da ihre Gene direkt an einer Crossing-over-Stelle des X-Chromosoms sitzen.
Fehlt das Gen für eines dieser Opsine, spricht man von einer Rot- oder Grünblindheit (Protanopie oder Deuteranopie).
Rot-Grün-Sehschwäche oder -Blindheit ist immer angeboren und verstärkt oder vermindert sich nicht im Laufe der Zeit. Von ihr sind etwa 9 % aller Männer und etwa 0,8 % der Frauen betroffen, sie ist damit deutlich häufiger als eine Gelb-Blau-Sehschwäche (Tritanopie) oder die vollständige Farbenblindheit.
Protanopie ist der Fachausdruck für Rot-Blindheit (Rot-Zapfen fehlt), Protanomalie für Rotsehschwäche (Rot-Zapfen degeneriert), Deuteranopie für Grün-Blindheit (Grün-Zapfen fehlt), Deuteranomalie für Grünschwäche, die häufigste Art der umgangssprachlich genannten Farbenblindheit.
Blauzapfenmonochromasie stellt einen Sonderfall der Rot-Grün-Blindheit dar, hier fehlen Rot- und Grünzapfen völlig, nur der Blauzapfen ist vorhanden[3][4].
Weitergabe der Rot/Grün-Sehschwäche oder -Blindheit
Diese Form der Sehschwäche ist erblich, d. h. sie wird über die elterlichen Gene weitergetragen. Grund für das bei Männern gegenüber Frauen etwa zehnmal so häufige Auftreten ist, dass die Fähigkeit zum Unterscheiden dieser Farben durch das 23. Chromosom, das X-Chromosom, weitergegeben wird und dass es sich bei dem Defekt um ein rezessives Merkmal handelt. Chromosomen liegen bei Menschen stets paarweise vor, und wenn ein Merkmal auf beiden Chromosomen unterschiedlich ausgeprägt ist, so überdeckt das dominante Merkmal das rezessive, das sich somit phänotypisch nicht bemerkbar macht (X-chromosomaler Erbgang).
Das 23. Chromosom entscheidet beim Menschen auch über das Geschlecht. Regulär besitzen Frauen zwei X-Chromosomen, Männer dagegen nur ein X-Chromosom. Das zweite 23. Chromosom wird Y-Chromosom genannt. Hat also eine Frau ein X-Chromosom, das die Erbinformation, die das Unterscheiden der Farben ermöglicht, nicht enthält, so wird ihr durch das zweite X-Chromosom diese Fähigkeit trotzdem ermöglicht, da es den Defekt überdeckt. Damit eine Frau unter der Rot-Grün-Farbschwäche leidet, müssen beide X-Chromosomen den Defekt aufweisen. Beim Mann ist jedoch kein zweites X-Chromosom vorhanden, das den Defekt kompensieren könnte.
Durch die Verbindung mit dem das Geschlecht bestimmenden X- bzw. Y-Chromosom ergibt sich eine fast einzigartige Möglichkeit, die Weitergabe des Defekts bzw. die Weitergabe von Merkmalen von Eltern an ihre Kinder im Allgemeinen sichtbar zu machen. Vater und Mutter geben jeweils eines von beiden Chromosomenpaaren an ihr Kind weiter. Da das 23. Chromosom geschlechtsbestimmend ist, entscheidet der Vater über das Geschlecht des Kindes. Gibt er sein Y-Chromosom weiter, wird das Kind männlich, da es ja von der Mutter ein X-Chromosom bekommt. Gibt der Vater das X-Chromosom weiter, erhält das Kind zwei X-Chromosomen und wird damit weiblich. Dadurch ergeben sich folgende Regeln, die – von Mutationen abgesehen – immer eintreten:
- Haben weder Vater noch Mutter die Rot-Grün-Sehschwäche, kann sich der Gendefekt schlimmstenfalls in einem der beiden mütterlichen X-Chromosomen „verstecken“. Folglich wird in dieser Konstellation keine der Töchter von der Sehschwäche betroffen sein, Söhne jedoch, wenn sie dasjenige der beiden mütterlichen X-Chromosomen mit versteckten Defekt erhalten.
- Hat der Vater die Rot-Grün-Sehschwäche, die Mutter hingegen zwei X-Chromosomen ohne den Defekt, wird kein Kind an der Sehschwäche leiden. Alle Töchter haben jedoch ein verstecktes X-Chromosom mit Defekt, was ein 50-prozentiges Risiko für männliche Enkel zur Folge hat.
- Ist die Mutter von der Sehschwäche betroffen, sind beide X-Chromosomen mit dem Defekt versehen. Folglich haben alle Söhne den Defekt und alle Töchter sind zumindest Trägerinnen des Merkmals. Ob die Sehschwäche bei ihnen auch auftritt, hängt davon ab, ob der Vater ebenfalls davon betroffen ist.
Rot-Grün-Sehschwäche im Alltag
Die Sehschwäche wird von den Betroffenen im Allgemeinen als nicht besonders hinderlich angesehen. Zahllose Experimente zum Beispiel mit musterinduzierten Flimmerfarben sprechen ferner dafür, dass Farbfehlsichtige – von der geringeren Farbunterscheidungsfähigkeit in den Bereichen ihrer Störung abgesehen – wohl den gleichen ästhetischen Eindruck von Farben (Farbkreis, Farbästhetik) entwickeln wie normalsichtige Personen (vergl. hierzu auch Tetrachromaten). Allerdings dürfen einige Berufe wie Lokomotivführer, Bus- und Taxifahrer, Pilot oder Polizist nur nach dem erfolgreichen Bestehen umfangreicher und besonderer augenärztlicher Untersuchungen ausgeübt werden. Ähnliches gilt für manche Luft- oder Wassersportarten aufgrund der Bedeutung der Farben Rot und Grün zur Unterscheidung von Backbord und Steuerbord. Die Angewohnheit von Spieleherstellern, häufig die Farben Rot und Grün für Spielsteine zu verwenden, macht die Unterscheidung für Betroffene schwerer.
Bei Publikationen, insbesondere im gegenüber den Printmedien farbreicher gestalteten Web (siehe auch barrierefreies Internet), wird diese Hürde oft nicht bedacht. Besonders erheblich ist sie für dünne Linien und kleinteilige Elemente. Ein in einem Text mit schwarzen Buchstaben hervorgehobenes rotes (oft dunkelrotes) Wort wird von den Betroffenen nicht als Hervorhebung erkannt. Eine Hervorhebung in blau dagegen ist meistens gut zu erkennen.
Thematische Karten, die mit unterschiedlichen Farbnuancen arbeiten, sind für Menschen mit Rot-Grün-Sehschwäche oft nur teilweise lesbar, dagegen werden von ihnen oft mehr unterschiedliche Schattierungen einer Farbe leichter wahrgenommen. Um diese unterschiedlichen Schattierungen zweifelsfrei den Werten der Legende zuordnen zu können, ist es hilfreich, wenn die Legende in einem eigenen Fenster über der Karte verschieblich ist und so direkt nebeneinander mit einem Kartenelement verglichen werden kann.
Da im Alltag auch viele Mischfarben existieren, treten oft auch bei der Unterscheidung von Farben, die auf den ersten Blick kein rot oder grün enthalten, Probleme auf. So zum Beispiel bei Blautönen, denen grün oder rot beigemischt ist.
Es kann auch zu Problemen beim Autofahren in der Nacht kommen. Dies liegt daran, dass sich in der Nacht die farbigen Ampeln für Personen mit einer starken Rotschwäche nur auf kurze Distanzen problemlos erkennen lassen. Personen mit Grünschwäche können zum Teil weiter entfernte Ampeln nur schlecht von Straßenlampen und -reklamen unterscheiden.
Studien[5] haben belegt, dass Farbfehlsichtige eine größere Anzahl von Khakitönen unterscheiden können als Normalsichtige. Dieses Phänomen wird beim Militär genutzt, da Farbfehlsichtige sich nicht so leicht von Tarnfarben täuschen lassen und daher einen etwa getarnten Soldaten im Wald leichter erspähen als Normalsichtige. Dies liegt zum einen am oben genannten Phänomen, zum anderen daran, dass Farbfehlsichtige im Laufe ihres Lebens gelernt haben, sich stärker auf Formen und Konturen zu konzentrieren statt auf Farben wie Normalsichtige.
Es wird auch vermutet, dass neben einer Fehlfunktion der Zapfen auch deren Anzahl auf der Netzhaut geringer ist. Dadurch würden Farbfehlsichtige mehr für das Dämmerungssehen zuständige Stäbchen besitzen, was erklären würde, warum Farbfehlsichtige ein besseres skotopisches Sehen aufweisen als Normalsichtige.
Untersuchungsmethoden
Die Ausprägung einer Rot-Grün-Sehschwäche kann mit Farbtafeln (beispielsweise den hier gezeigten Ishihara-Farbtafeln), etwas genauer durch den so genannten Farnsworth-Test oder mit einem Anomaloskop festgestellt werden. Als weitere Testmethode ist der sogenannte Lantern-Test anerkannt, für den es wiederum drei unterschiedliche Testgeräte gibt (Holmes-Wright Lantern, Beyne Lantern und Spectrolux Lantern).
Simulation der Rot-Grün-Sehschwäche für Trichromaten
Die Rot-Grün-Sehschwäche lässt sich für Trichromaten (Farbsichtige mit drei Zapfentypen) simulieren, indem der rote und grüne Farbkanal eines digitalen Bildes zu einem gelben Kanal zusammengefasst werden, bei dem Rot und Grün die gleiche Helligkeit aufweisen. In der folgenden Übersicht sind einige Beispiele hierfür und zur Simulation der Achromasie, bei der gar keine Farben erkannt werden können, die entsprechenden Graustufenbilder hinzugefügt.
Motiv | Trichromatisches Bild | Dichromatisches Bild ohne Rot-Grün-Unterscheidung |
Achromatisches Bild in Graustufen |
---|---|---|---|
Pseudoisochromatische Farbtafel | |||
Obststand | |||
Mosaikfenster | |||
Regenbogen |
Siehe auch
- Fehlsichtigkeit – Überblick über Abweichungen von der Normalsichtigkeit verschiedenster Natur
- Protanopie – Rotblindheit
- Deuteranopie – Grünblindheit
- Tritanopie – Blaublindheit
- Achromatopsie – Unfarbigkeit (totale Farbblindheit)
- Farbwahrnehmung
Weblinks
- Vischeck – Simulation von Farbblindheit (englisch)
- eye.syde – Softwaretool zur Simulation von Farbenfehlsichtigkeiten
- Colorblind Web Page Filter – Überprüft Webpräsenzen auf Farbenblindheiten. (englisch)
- Hinweise zum Lantern-Test für Flugtauglichkeit und Farbsehen
- Seh-Check.de – online Sehtest zum Ermitteln einer Rot-Grün-Sehschwäche
Einzelnachweise
- ↑ Th. Axenfeld (Begr.), H. Pau (Hrsg.): Lehrbuch und Atlas der Augenheilkunde. Unter Mitarbeit von R. Sachsenweger u. a. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1980, ISBN 3-437-00255-4, S. 59.
- ↑ Fritz Hollwich, Bärbel Verbeck: Augenheilkunde für Krankenpflegeberufe. 2. Auflage. Georg Thieme Verlag, 1980, ISBN 3-13-500402-3.
- ↑ RetinaScience. Abgerufen am 13. September 2015.
- ↑ Orphanet, Das Portal für seltene Krankheiten und Orphan Drugs. Abgerufen am 13. September 2015.
- ↑ Multidimensional scaling reveals a color dimension unique to 'color-deficient' observers. Robinson, Jordan & Mollen, Boston 2005.
Literatur
- Franz Grehn: Augenheilkunde. 30. Auflage. Springer Verlag, Berlin 2008, ISBN 978-3-540-75264-6.
- Wolfgang Hammerstein, Walter Lisch: Ophthalmologische Genetik. Enke Verlag, Stuttgart 1985, ISBN 3-432-94941-3.
- Rudolf Sachsenweger: Neuroophthalmologie. 3. Auflage. Thieme Verlag, Stuttgart 1983, ISBN 3-13-531003-5.
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