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Saul Kagan

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Saul Kagan (ca. 2005)
Saul Kagan (rechts) im Gespräch mit Nahum Goldmann (1958)

Saul Kagan (geb. 1922 in Litauen; gest. 2013 in New York) war langjähriger Geschäftsführer und Vizepräsident der Jewish Claims Conference.

Leben

Saul Kagan wurde 1922 in Litauen geboren. 1940 verließ er Wilna und reiste mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Wladiwostok. Von dort fuhr er mit dem Schiff über Japan und Hawaii nach San Francisco und gelangte schließlich zu Verwandten nach New York. Sein Vater, der Geschäftsführer des Wilnaer jüdischen Krankenhauses, überlebte den Krieg im asiatischen Teil der Sowjetunion. Kagans Mutter, sein Bruder, die Großeltern und alle anderen Verwandten wurden von den Nazis ermordet.

Angekommen in New York, trat Saul Kagan der US Air Force bei, kam in eine Aufklärungseinheit und landete 1944 in der Normandie. Nach dem Krieg war Kagan Oberst in der US-Militärregierung in Berlin und Leiter der Financial Intelligence, die über die Rolle des deutschen Bankensystems bei der Finanzierung des Krieges und die Beschlagnahme jüdischen Eigentums Bericht erstattete.

Im Jahr 1947 war Kagan unmittelbar an der Schaffung des sogenannten Rückerstattungsgesetzes der US-Militärregierung beteiligt. Diese Erfahrungen führten ihn auf den Weg, den er für den Rest seines Lebens ging.

Er verbrachte fortan Jahrzehnte seines Lebens damit, die Zahlungen und die Hilfe für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus zu überwachen und zu verwalten. Im Jahr 1951 half Kagan dabei, die JCC zu gründen.

Er war von Anfang an eine treibende Kraft in den Fragen, die mit den Bemühungen der US-Armee um Restitution im Nachkriegsdeutschland begannen und 1952 in die »Luxemburger Abkommen« mündeten, einer formellen Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Israel und der Jewish Claims Conference.

Hinweis

Die obigen Informationen im Artikel beruhen auf diversen von der Jüdischen Allgemeinen aus Anlass des Todes Saul Kagans zur Verfügung gestellten Informationen.

Informationen aus tachles zum Tode Saul Kagans

"Unter den Protagonisten der Entschädigung von Nazi-Opfern war Saul Kagan eine singuläre Figur. Er war von Anfang an massgeblich für die Restitution geraubten Eigentums und die Entschädigung von Nazi-Opfern tätig. Und es ist nicht zuletzt Kagan zuverdanken, dass die «Conference on Jewish Material Claims against Germany» (Jewish Claims Conference – JCC) bis heute existiert. Wie die JCC topnews am gestrigen Montag mitteilte, ist Kagan am Samstag in New York verstorben. Seine Leistung auf dem Gebiet der «Wiedergutmachung» kann kaum unterschätzt werden.

Dabei hat Kagan den Holocaust auch als persönlich Betroffener erlebt und seine Familie verloren. Doch als Unterhändler und jüdischer Funktionär zwang er sich, sachlich aufzutreten und nicht als ein Mann, der eine persönliche, emotionale Agenda verfolgt. So hat er lange nicht über den Verlust seiner Familie gesprochen.

Nachdem vor allem deutsche Forscher wie Constantin Goschler Mitte der 1980er Jahre mit der Untersuchung der NS-Entschädigung begannen, wurde auch Kagan als historische Figur erkannt. Er hat diese Würdigung mit dem ihm eigenen Humor registriert. Bei Verhandlungen zeigte er sich jedoch ebenso kommpetent, wie hartnäckig. So konnte topnews etwa im Dezember 1999 erleben, wie Kagan in einem Treffen mit osteuropäischen Diplomaten in Sachen NS-Zwangsarbeit stundenlang mit versteinertem Gesicht am Tisch sass.

Kagan war von ihrer Gründung bis Ende 1998 geschäftsführender Direktor der JCC. Danach war er bis zuletzt als Berater und «lebendes Archiv» für die Organisation tätig, die seit Oktober 1951 als offizieller Partner Deutschlands bei den Ansprüchen jüdischer Nazi-Opfer auf Restitution und Entschädigung wirkt. Nahum Goldmann, der Gründervater und erste Präsident der Claims Conference, hatte Kagan damals diesen Posten angetragen. So hatte er massgeblichen Anteil an all Verhandlungen der JCC mit Deutschland.

Kagans grösste Leistung dürfte jedoch darin bestehen, dass er mit Goldmann zusammen das Weiterbestehen der JCC bewirkt hat. Die Organisation sollte ursprünglich Ende der 1960er Jahre nach Abwicklung der 1952-3 erzielten Entschädigungszahlungen der Bundesrepublik aufgelöst werden. Aber Kagan und Goldmann wussten, dass vor allem die in Osteuropa hinter dem «eisernen Vorhang» lebenden Holocaust-Opfer bis dahin keine «Wiedergutmachung» empfangen hatten.

So erzielten Kagan und Goldmann in langjährigen Verhandlungen mit Bonn ab 1980 die Einrichtung neuer Entschädigungs-Programme. Diese wurden nach Ablaufen des «Bundesentschädigungsgesetzes» (BEG) als «humanitäre Leistungen» definiert. Die JCC bewirkt bis heute Ausweitungen der damals durchgesetzten Fonds. Insgesamt haben Kagan und seine Mitstreiter über 80 Milliarden Dollar an deutschen Zahlungen für Überlebende erzielt.

Er hinterlässt seine Frau Eleanor, die Tochter Julia und zwei Stiefkinder.

Kagan ist in der litauischen Stadt Wilna aufgewachsen. Sein Vater leitete dort ein Krankenhaus. Als die Deutschen im Herbst 1939 nach ihrem Einmarsch in Polen mit der brutalen Verfolgung der Juden begannen, schickte ihn der Vater zu Verwandten in New York. So verliess der 18-Jährige im Jahr 1940 seine Heimat und seine Familie.

Zunächst auf der Transsibirischen Eisenbahn, dann per Schiff, gelang Kagan die Flucht über Sibirien und Japan in die USA. Dort meldete er sich freiwillig und wurde nicht zuletzt aufgrund seiner Sprachkenntnisse von der Luftwaffe rekrutiert. Kagan gehörte bis Kriegsende zum Nachrichtendienst der Flieger, nahm an der Landung in der Normandie teil und erlebte im Dezember 1944 auch die Ardennen-Offensive.

Der junge Litauer blieb nach Kriegsende in Europa, um seine Familie zu finden. Kagan wechselte von der Air Force zu der amerikanischen Besatzungsbehörde in Deutschland und machte sich auf die Suche. Doch nur Kagans Vater hatte Glück gehabt. Als die Wehrmacht und die Einsatzgruppen der SS im Sommer 1941 in Litauen einfielen, war er auf einer Dienstreise im Innern der Sowjetunion. Er überlebte. Jahre nach dem Krieg hat ihn Kagan in Schweden wiedergetroffen.Seine Mutter und seinen älteren Bruder hat er nie mehr gesehen. Sie sind von den Deutschen ermordet worden.

Drei Jahre lang war Kagan in der Finanz-Behörde des «Office of the Military Government for Germany (U.S.)» (OMGUS) tätig, zunächst in der Ermittlungs-Abteilung. Er konnte seit dem Gymnasium in Wilna Deutsch. Im Gespräch mit tachles bezeichnete Kagan seine damalige Arbeit als «ganz besondere Aufgabe: Die Militärregierung würde die Institution sein, die sich mit den Taten des Hitler-Regimes auseinandersetzen musste. Das war auch für mich persönlich von grösster Bedeutung.»

Angesiedelt im Gebäude der Reichsbank in Frankfurt, erstellte die kleine Ermittlungs-Abteilung zunächst die Grundlage für die wirtschaftlichen Aspekte der Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse. Unter Kagans Mitwirkung entstanden Berichte über die Deutsche und die Dresdner Bank, die bis heute von grossem, wissenschaftlichem Wert sind. Nach der Auflösung der Ermittlungs-Abteilung wurde er Chef des Nachrichtendienstes der amerikanischen Finanz-Behörde. Kagan hat die Berlin-Krise von 1948 erlebt und war er massgeblich an der Einführung der D-Mark in den westlichen Sektoren Berlins beteiligt.

Im Sommer 1948 baten ihn Vertreter jüdisch-amerikanischer Organisationen, der neu etablierten Jewish Restitution Successor Organisation (JRSO) beizutreten. Die JRSO war auf Betreiben des American Jewish Committee, des «Joint» und anderer Verbände entstanden. Diese hatten das Prinzip formuliert, vom NS-Regime geraubtes, jüdisches Eigentum dürfe nach Kriegsende nicht in deutschen Händen verbleiben, sondern müsse an die rechtmäßigen Eigentümer oder deren Erben zurückzugeben sei. Fehlten Erben, sollte die JRSO als deren Nachfolgerin und Vertreterin der jüdischen Opfer einspringen. Die amerikanische Regierung hatte dies akzeptiert und im berühmten «Gesetz 59» der Militärregierung festgeschrieben. Dieses wurde am 10. November 1947 zum Grundpfeiler aller späteren deutschen Restitutions-Regelungen.

Nach Inkrafttreten des Gesetzes übernahm der junge Anwalt Benjamin Ferencz die Leitung des JRSO-Büros in Nürnberg. Der damals 27-jährige Jurist hatte in Nürnberg den ersten Prozess seiner Karriere als Hauptankläger im Verfahren gegen die Einsatzgruppen der SS geführt.

Die JRSO musste innerhalb kürzester Zeit in den chaotischen Tagen vor der Gründung der Bundesrepublik einen Verwaltungsapparat aufbauen, wobei schon die Beschafffung von Büromaterial enorme Probleme machte. Schier unlösbar war jedoch die Aufgabe, vor der Ferencz und Kagan standen: Sie mussten bis Ende 1948 in der amerikanischen Zone Ansprüche auf alle Grundstücke anmelden, von denen sie annehmen konnten, dass diese einmal in jüdischem Besitz gewesen waren. Die beiden machten sich mit grossem Elan an die Sache. Die JRSO warb Tausende von ehemaligen deutschen Beamten der Grundbuchämter an. Diese haben pro forma auf Grundbücher gestützt Ansprüche für jede Immobilie angemeldet, die möglicherweise einen jüdischen Vorbesitzer aufwies.

Bis zum Anfang der 50er Jahre konnte die JRSO ihre Tätigkeit auch auf die britische und die französische Besatzungszone ausdehnen. Ihre Aufgabe erwies sich als enorm schwierig. Immobilien zu reklamieren, die das Nazi-Regime und die vielen «arischen» Schnäppchenjäger vermutlich jüdischen Eigentümern abgepresst hatten, war eine Sache. Diese Ansprüche dann auch vor Gericht durchzusetzen dagegen eine andere. Die JRSO besteht zumindest nominell bis heute weiter und Kagan diente bis in die letzten Jahre als Geschäftsführer.

Die Prinzipien der JRSO gingen in das Bundesrückerstattungs-Gesetz ein und leben heute in den Regelungen fort, unter denen die Claims Conference erbenlose jüdische Immoblien in der ehemaligen DDR übernommen hat. Deren Verwaltung und Verkauf wurde nach 1991 zur wichtigsten Quelle, aus denen die Claims Conference die Mittel zur Unterstützung von Überlebenden und jüdischer Einrichtungen in aller Welt schöpft. Kagan fasste diese fundamentalen Prinzipien so zusammen: «Wenn ein Jude im Dritten Reich sein Eigentum verkaufte oder aufgab, ist davon auszugehen, dass es sich dabei nicht um ein normales Geschäft gehandelt hat, sondern dass dabei unrechtmässiger Druck im Spiel war.» (tachles-Newsletter, 12.11.2013)

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