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Slutwalk

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Als Slutwalk (engl. für Schlampenmarsch[1][2][3]) wird eine Demonstration bezeichnet, die sich gegen die Perspektive der Täter-Opfer-Umkehr (sog. Victim blaming) in Vergewaltigungsmythen wendet, der zufolge den Opfern sexueller Gewalt aufgrund ihrer Bekleidung eine Mitverantwortung an Übergriffen gegeben wird. Seinen Ursprung hat der Slutwalk im kanadischen Toronto.

Auslösendes Ereignis

Slogans auf der ersten Slutwalk-Demonstration in Toronto, 3. April 2011

Am 24. Januar 2011 sprach der Polizeibeamte Michael Sanguinetti zusammen mit einem höherrangigen Kollegen vom Toronto Police Service zum Thema der präventiven Verbrechensbekämpfung an der Osgoode Hall Law School der York University in Toronto. Dabei vertrat Sanguinetti die Auffassung, dass „Frauen vermeiden sollten, sich wie Schlampen anzuziehen, um nicht zum Opfer zu werden.“ („women should avoid dressing like sluts in order not to be victimized“). Nach späterer Aussage eines Studierendenvertreters war Sanguinettis Kommentar eine eher spontan eingeworfene und helfend gedachte Anmerkung während des Referats seines älteren Kollegen. Unter den etwa zehn Zuhörenden habe für einen kurzen Moment Sprachlosigkeit geherrscht, bevor Sanguinettis Kollege mit der Präsentation fortfuhr.[4]

Der Vorfall stieß unmittelbar nach Bekanntwerden zunächst in der Universitätsöffentlichkeit auf Unverständnis und ablehnende Reaktionen, in deren Rahmen die Studierendenvertretung York Federation of Students Executive (YFS) die Polizei von Toronto um eine schriftliche Entschuldigung und Erklärung des Vorfalls bat.[5]

Die Polizeisprecherin von Toronto, Meghan Gray, betonte, Sanguinettis Äußerung stünde in komplettem Widerspruch dazu, was Polizeibeamten beigebracht werde, nämlich, dass Frauen nichts zu einem gegen sie verübten sexuellen Übergriff beitrügen. Sanguinetti selbst entschuldigte sich am 17. Februar in einer E-Mail für seine Äußerung und bezeichnete seinen Kommentar als schlecht durchdacht.[4]

Weltweite Slutwalks

Nach ihrer Eigendarstellung dienen Slutwalks dem Engagement für die Unantastbarkeit der sexuellen Integrität des Menschen und den gegenseitigen Respekt vor der persönlichen Entscheidung für oder gegen sexuelle Annäherungen. Weiter soll vermittelt werden, dass durch das Tragen von als aufreizend und freizügig empfundener Kleidung sowie das Kokettieren mit den eigenen sexuellen Reizen nicht unbedingt ein tatsächliches Interesse an sexuellen Handlungen als gegeben angenommen werden könne.[6] Bei den Demonstrantinnen handelt es sich vorwiegend um junge Frauen.

Slutwalk in New York City

Slutwalks fanden außer in Toronto unter anderen in Ottawa, Vancouver, Miami, Seattle, Melbourne, Amsterdam, Stockholm, London, Paris, Glasgow, Sao Paulo, Tegucigalpa und Matagalpa statt.[7][8] Der erste deutsche Slutwalk folgte am 23. Juli im niederbayerischen Passau.[9] Der deutschlandweite Slutwalk fand am 13. August 2011 städteübergreifend in Berlin, München, Ruhrgebiet, Frankfurt am Main, Stuttgart und Hamburg sowie am 15. Oktober 2011 in Leipzig statt.[10][11]

Die Verwendung des Begriffs „Slut“

Erklärte Absicht der Initiatorinnen des Toronto Slutwalks ist eine Wiederaneignung des Begriffs „Slut“ (engl. für Schlampe) im Sinn einer moralischen Aufwertung, da er vor allem im Zusammenhang mit sexueller Übergriffigkeit auf Frauen dazu benutzt würde, „unentschuldbares Verhalten zu rationalisieren“.[12] Das bedeutet nicht, dass für alle Menschen, die am Slutwalk teilnehmen oder mit der Protestform sympathisieren, der Aspekt einer semantischen Umdeutung befürwortet oder als so bedeutsam für den Transport der politischen Inhalte eingeschätzt wird. Nach Auffassung der Psychologin Anna-Sarah Hennig könne man auch nicht zwangsläufig von einem „Marsch der Schlampen“ sprechen, denn schließlich muss eine Selbstidentifikation als „Sluts“ durch eine bloße Teilnahme an einem Slutwalk gar nicht automatisch gegeben sein. Möglich sei auch, mit der Absicht zu protestieren, dass der Slutwalk als eine Aktion verstanden werden soll, „die sich um das Konzept ‚Schlampe‘ dreht, es nutzt, damit spielt“.[13]

Argumentiert wird auch, dass moralisch entschuldende Umdeutungen des Begriffs der Slut in bestimmten Sozialmilieus bereits versucht würden und auch erfolgreich gewesen seien, so beispielsweise für polyamoröse Beziehungen durch das einflussreiche Buch The Ethical Slut: A Guide to Infinite Sexual Possibilities von Dossie Easton und Janet W. Hardy, in dem die Autorinnen das Wort „Slut“ seines abwertenden und seines moralisch brandmarkenden Sinngehalts gegenüber Promiskuität entkleiden wollen.

Der Slutwalk 2012 in Berlin fand unter dem Motto "Gegen Verharmlosung von sexualisierter Gewalt. Für Selbstbestimmung!" statt.[14]

Kritik

Dagegen äußerte sich die britische Frauenforscherin und Aktivistin der Anti-Pornobewegung Gail Dines, in einem Beitrag in der Tageszeitung The Guardian skeptisch über das Potenzial des Slut-Begriffs, semantisch umgedeutet werden zu können und Frauen zu Autonomie über ihre Sexualität zu verhelfen. Problematisch sei in dem Zusammenhang die nach ihrer Auffassung tiefe Verwurzelung in der „patriarchalen Madonnen-/Huren-Sichtweise auf Sexualität von Frauen“, die eine Umdeutung unmöglich mache. Das Wort sei dermaßen „gesättigt mit der Ideologie, dass weibliche sexuelle Energie Bestrafung verdient“, dass jeder Versuch der Bedeutungsverschiebung eine „Verschwendung wertvoller feministischer Ressourcen“ darstelle. Dines schlussfolgert, dass die stolze Selbstetikettierung als „Slut“, die die Organisatorinnen des Slutwalks beabsichtigen, jungen Frauen den „schwierigen Weg durch die Adoleszenz“ eher verkompliziere.[15]

Die Protestform der Slutwalks gilt als umstritten.[16] In der Kritik steht seit dem Transfer des Protestkonzeptes aus Kanada und den USA in den europäischen und deutschsprachigen Raum in erster Linie die Verwendung des Wortes „Slut“ (engl. Schlampe) sowie die teilweise freizügige Bekleidung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.[17] Kritisch in den Blick genommen werden von der Bloggerin Martina Maierhofer auch verschiedene, dem begrifflichen Konzept und der Zielsetzung der Protestaktionen innewohnende Inkonsequenzen. Zum einen beziehe die pornographische Ästhetik, die mit dem Begriff der „Nutte“, „Hure“ oder „Schlampe“ verbunden würde, ihre Faszination gerade aus ihrer Negativität, nämlich der Inszenierung eines Dominanzverhältnisses, das sich gleichwohl nicht als rein ästhetisches Phänomen neutralisieren lasse. Zum anderen gehe mit dem Bemühen um positive Umsemantisierung des „Slut“-Begriffes unweigerlich auch der Versuch einer moralischen Aufwertung pornographischer Ästhetik einher, welche aufgrund ihrer starken Präsenz im öffentlichen Raum dem Phänomen sexualisierter Gewalt gegen Frauen gerade Vorschub leiste. [18]

Die kanadische Aktivistin Harsha Walia reflektiert kritisch eine imperialistisch-feministische Perspektive des Slutwalk, die ihrer Meinung nach der Bewegung zu Grunde liege. Diese Sichtweise lasse die besondere Situation gesellschaftlicher Randgruppen wie etwa muslimischer, schwarzer oder indigener Frauen außer Acht. Während man von ersteren eine „vernünftige Anpassung“ an einen sex(y)-positiven Feminismus westlicher Prägung erwarte, würden gerade schwarze und indigene Frauen – ihrerseits bereits Opfer mehrfach diskriminierender Diskurse (des rassistischen und des kolonialistischen) – unter einer zusätzlichen (Selbst-)Identifikation als „Slut“ besonders leiden. [19]

Der Vorwurf, bei den Slutwalks gehe es um „Sexiness“ und nicht etwa um die Bekämpfung von Sexismus, wird in einem Teil der feministischen Bewegung diskutiert.[20]

Beim Slutwalk 2012 erschienen Teilnehmerinnen der Organisation Femen mit schwarz bemalten Gesichtern und Oberkörpern, um Frauen mit Niqab darzustellen. Einige von ihnen trugen Plakate gegen Kopftuchzwang. Im Anschluss an diese Aktion gab es Kritik aus der Antirassismusszene.[21]

Medien

Während die Medien die Slutwalks zu Beginn der Bewegung noch oft als einen Protest für das Recht auf Sexiness interpretierten[22], stellen die Organisatorinnen der jeweiligen Slutwalks immer wieder klar, dass es ihnen bei den Slutwalks nicht um Kleidung, sondern um Persönlichkeitsrechte geht. Im Vordergrund stünden die Rechte auf (sexuelle) Selbstbestimmung, körperliche Unversehrtheit und die Wahrung der persönlichen Grenzen. Auf ihren Webseiten betonen sie, dass es auf den Veranstaltungen keinen Dresscode gibt[23] und alle Geschlechter gleichermaßen willkommen sind. Für das verfälschte Bild der Slutwalks machen sie die selektive mediale Berichterstattung mitverantwortlich.[24]

Weblinks

 Commons: Slutwalk – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Anja Perkuhn: Von wegen selbst schuld. Süddeutsche Zeitung, 5. August 2011, abgerufen am 6. August 2011.
  2. Schlampen-Marsch in Neu-Delhi. die tageszeitung, 31. Juli 2011, abgerufen am 6. August 2011.
  3. Bascha Mika: Steh auf, Du Schlampe! Berliner Zeitung, 3. August 2011, abgerufen am 6. August 2011.
  4. 4,0 4,1 Curtis Rush: Cop apologizes for ‘sluts' remark at law school. Toronto Star, 18. Februar 2011, abgerufen am 3. August 2011.
  5. Raymond Kwan: Don't dress like a slut: Toronto Cop. Excalibur, 16. Februar 2011, abgerufen am 3. August 2011.
  6. slutwalkberlin.de, Was ist der SlutWalk?
  7. Satellites List. Toronto Slutwalk, abgerufen am 6. August 2011.
  8. Schlampen, Schlampen überall. derStandard.at, 14. Juni 2011, abgerufen am 6. August 2011.
  9. Slutwalk: Knapp bekleidet für Frauenrechte eintreten. Passauer Neue Presse, 24. Juli 2011, abgerufen am 24. Juli 2011.
  10. "Slutwalk"-Demonstrationen gegen sexuelle Gewalt Tagesschau.de, 13. August 2011
  11. Wurdest Du Schlampe genannt? freitag.de, 9. August 2011
  12. Why. Slutwalk Toronto, abgerufen am 3. August 2011.
  13. Don’t call me slut just because you meet me at Slutwalk! mädchenmannschaft.net, 19. Juli 2011, abgerufen am 3. August 2011.
  14. "Wir werden wütend", jungle-world.com vom 16. August 2012
  15. Gail Dines, Wendy J. Murphy: SlutWalk is not sexual liberation. The Guardian, 8. Mai 2011, abgerufen am 3. August 2011.
  16. Sind Slutwalks wirklich sinnvoll? Mädchenblog, 30. Juni 2011, abgerufen am 6. August 2011.
  17. Birgit Tombor: Böses Wort bleibt böses Wort? derstandard.at, 21. Juni 2011, abgerufen am 6. August 2011.
  18. Martina Maierhofer: Schaf im Wolfspelz. blogedition.de, 13. August 2011, abgerufen am 14. August 2011.
  19. Harsha Walia: Slutwalk: To march or not to march. rabble.ca, 18. Mai 2011, abgerufen am 14. August 2011.
  20. Häufig geäußerte Kritik von Magda Albrecht/Mädchenmannschaft Internetseite des Slutwalk Berlin
  21. Christian Jakob: Eine ganz eigene Diktion
  22. Carsten Volkery: Wer demonstriert schon nicht gern für sein Recht, sexy zu sein? Spiegel Online, 11. Juni 2011, abgerufen am 6. August 2011.
  23. FAQ. Slutwalk Ruhr, abgerufen am 6. August 2011.
  24. Ob Schlampe oder nicht: Warum ich Slutwalk unterstütze. mädchenmannschaft.net, abgerufen am 6. August 2011.
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