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Sozialphilosophie
Sozialphilosophie (auch Gesellschaftsphilosophie) beschäftigt sich mit Fragen zum Sinn und Wesen einer Gesellschaft. Insbesondere beleuchtet sie das Verhältnis zwischen dem einzelnen Menschen und der Gemeinschaft sowie die Strukturen des Zusammenlebens. Teilweise wird sie als eine Variante der Philosophie betrachtet, wenn diese sich mit der Soziologie berührt. Neben der geisteswissenschaftlichen Perspektive wird der Begriff auch auf publizistische oder essayistische Arbeiten bezogen.
Themen
Bei den Gegenständen der Sozialphilosophie spielt die Ethik häufig eine Rolle. In der Sozialethik hat sich eine eigenständige Bereichsethik herausgebildet, in der moralische Fragen zur Gesellschaft systematisch diskutiert werden.
Der Sozialphilosophie geht es um die grundlegende Klärung von Fragen wie:
- Was ist das Wesen einer Gesellschaft? (Organismus, Prozess ...)
- Was sind ihre Funktionen? (Gemeinwohl, Subsidiarität ...)
- Brauchen Menschen einen Gesellschaftsvertrag?
- Wozu brauchen Menschen überhaupt andere Menschen?
- Wie kann das Zusammenleben von Menschen geregelt werden?
Auch wenn diese Fragen in den meisten Philosophien seit Platon in jeweils eigener Weise bearbeitet wurden, wird der Begriff Sozialphilosophie erst seit dem 19. Jahrhundert mit der Verwirklichung der bürgerlichen Revolution und dem Nachdenken über alternative Staatskonzepte verwendet.
Einige, zueinander teilweise konträre, Positionen sind:
- Thomas Hobbes vertritt die Annahme, der absolutistische Staat sei notwendig, um den beständigen Kampf der Menschen gegeneinander (Bellum omnium contra omnes) zu unterbinden.
- Max Stirner geht davon aus, dass der Einzelne vollkommen ungebunden sei (Solipsismus).
- Karl Marx formuliert die gesellschaftliche Bedingtheit des Menschen (Dialektischer Materialismus).
- Amitai Etzioni u.a. entwickeln Ideen zum Kommunitarismus.
- Rudolf Steiner entwickelt Ideen zur Dreigliederung des sozialen Organismus.
- Erich Fromm differenziert die Beziehung von Individuum und Gesellschaft in Haben oder Sein und Die Kunst des Liebens.
- Joseph Beuys prägte den „erweiterten Kunstbegriff“ Soziale Plastik, beziehungsweise soziale Skulptur, und fordert ein kreatives Mitgestalten an der Gesellschaft.
- Kurt Röttgers geht statt von „Menschenbildern“ vom medialen Prozess zwischen den Menschen aus, den er den „kommunikativen Text“ nennt.
Indem der „Gesamtzusammenhang“ des Gesellschaftlichen überlegt werden soll – samt dessen historischen, politökonomischen, kulturellen, gesellschaftsmoralischen und zukunftsweisenden Bedingungen –, wohnt der Sozialphilosophie meist auch ein idealistisches Element inne. Konstitutiv wird sie von einer „Leitidee“ getragen, welche, wie Adorno es einmal ausdrückte, in der „treibenden Sehnsucht, daß es endlich anders werde“ ihr heimliches Kraftzentrum hat.
Überschneidungen der Sozialphilosophie bestehen u. a. mit der Anthropologie, Soziologie, Politikwissenschaft, Wirtschaftsphilosophie, Politischen Philosophie, Rechts- und Staatsphilosophie.
Entwicklung
Will man den Beginn der abendländischen Sozialwissenschaften mit der Epoche der Aufklärung in Zusammenhang bringen und Henri de Saint-Simon als deren „Urvater“ betrachten, so ist dort die Anstrengung erkennbar – wie bei seinem bekannteren Nachfolger Auguste Comte – , zunächst die vorgefundene gesellschaftliche Wirklichkeit zu erfassen und nachfolgend einen Entwurf ihres zukünftigen Zustandes vorzulegen.
Literatur
Primärliteratur
- Platon: Politeia
- Aristoteles: Politik
- Thomas Hobbes
- Jean-Jacques Rousseau
- Adam Ferguson: Versuch über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Junius, Leipzig 1768 (hrsg. und eingeleitet von Zwi Batscha und Hans Medick, Frankfurt 1985)
- Immanuel Kant: Die Metaphysik der Sitten. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre
- Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts
- Karl Marx
- Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie
- Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie
- Auguste Comte: Die Soziologie. Die positive Philosophie im Auszug, Jena 1923 (Kröner, Stuttgart 1974)
- Herbert Spencer: Die Principien der Sociologie. Drei Bände E. Schweizerbart’sche Verlagshandlung, Stuttgart 1877, 187 und 1889 (insb. Band 2)
- Émile Durkheim
- Frühe Schriften zur Begründung der Sozialwissenschaft, hrsg., eingeleitet und übersetzt von Lore Heisterberg, Luchterhand, Darmstadt / Neuwied 1981
- Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die Organisation höherer Gesellschaften, mit einer Einleitung „Arbeitsteilung und Moral“ von Niklas Luhmann, 2. Aufl. Suhrkamp, Frankfurt 1996
- Georg Simmel
- Über sociale Differenzierung (1890)
- Philosophie des Geldes
- Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung (1908)
- Ferdinand Tönnies: Gemeinschaft und Gesellschaft
- Rudolf Steiner: Die Kernpunkte der Sozialen Frage
- Max Weber
- Die protestantische Ethik und der 'Geist' des Kapitalismus
- Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 1922, 7. Auflage Mohr Siebeck, Tübingen 1988
- Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur: Und andere kulturtheoretische Schriften, 10. Aufl. Fischer, Frankfurt 2007
- Helmuth Plessner: Grenzen der Gemeinschaft. Eine Kritik des sozialen Radikalismus. (1924) , Suhrkamp Frankfurt 2002 (GS V, 7-133)
- Talcott Parsons: Das System moderner Gesellschaften, mit einem Vorwort von Dieter Claessens, Nachrdruck Juventa, Weinheim / München 1985
- Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation, 2 Bde., Basel 1939, Neuauflage Frankfurt am Main 1976
- George Herbert Mead: Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus. Suhrkamp, Frankfurt 1968
- Max Horkheimer, Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung
- Georg Lukács: Geschichte und Klassenbewußtsein (1923)
- Peter Winch: Die Idee der Sozialwissenschaft und ihr Verhältnis zur Philosophie, Suhrkamp, Frankfurt 1966
- Cornelius Castoriadis
- Gesellschaft als imaginäre Institution. Entwurf einer politischen Philosophie. Suhrkamp, Frankfurt 1984
- Durchs Labyrinth. Seele, Vernunft, Gesellschaft. Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt 1981
- Sozialismus und autonome Gesellschaft, in: Ulrich Rödel (Hrsg.:) Autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie, Suhrkamp, Frankfurt 1990, S. 329ff.
- Michel Foucault
- Überwachen und Strafen
- Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1, Frankfurt am Main 1983
- Pierre Bourdieu
- Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1982
- Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1987
- Jürgen Habermas:
- Zur Logik der Sozialwissenschaften, Suhrkamp, Frankfurt 1970
- Theorie des kommunikativen Handelns
- Niklas Luhmann
- Soziale Systeme (1984)
- Die Gesellschaft der Gesellschaft, Suhrkamp, Frankfurt 1997
- Zygmunt Bauman
- Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit, Junius, Hamburg 1992
- Ansichten der Postmoderne, Argument, Hamburg 1995
Sekundärliteratur
- Norbert Brieskorn: Sozialphilosophie: Eine Philosophie des gesellschaftlichen Lebens, Kohlhammer, Stuttgart/Berlin/Köln 2009, ISBN 3-17020521-8
- Norbert Brieskorn, Miachel Reder: Sozialphilosophie. Komplett-Media, München 2011. 155 S. - ISBN 978-3-8312-0379-6 (sechs einführende Vorlesungen)
- Wolfgang Caspart: Idealistische Sozialphilosophie. Ihre Ansätze, Kritiken und Folgerungen. Universitas Verlag, München 1991. ISBN 3-8004-1256-X.
- Gerhard Gamm/Andreas Hetzel/Markus Lilienthal: Interpretationen. Hauptwerke der Sozialphilosophie. Reclam, Stuttgart 2001, ISBN 3-15-018114-3
- Johannes Heinrichs: Logik des Sozialen. Woraus Gesellschaft entsteht, Steno, München 2005 (= erweiterte Neuauflage von Reflexion als soziales System)
- Detlef Horster: Sozialphilosophie. Reclam, Leipzig 2005, ISBN 3-379-20118-9
- Kurt Röttgers: Kategorien der Sozialphilosophie. (Sozialphilosophische Studien Bd. 1) Scriptum Verlag, Magdeburg 2002, ab 2003: Parerga Verlag Berlin. ISBN 978-3933046550
Weblinks
- Detlef Horster: Sozialphilosophie (PDF; 38 kB), in: Annemarie Pieper (Hrsg.): Philosophische Disziplinen, Reclam, Leipzig 1998, S. 368 - 391
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Sozialphilosophie aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |