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Walter Kadow
Walter Kadow (geb. 29. Januar 1900[1]; gest. 31. Mai 1923 bei Parchim) war ein deutscher Volksschullehrer und Mitglied der rechtsradikalen Deutschvölkischen Freiheitspartei (DVFP).[2] Er wurde vor allem bekannt als Opfer eines vielbeachteten Fememordes im Jahr 1923.
Leben
Nach dem Schulbesuch wurde Kadow an einer Präparandenanstalt zum Volksschullehrer ausgebildet.
Eintritt in die Arbeitsgemeinschaft Rossbach
Anfang 1921 schloss er sich auf dem Gut Herzberg der Arbeitsgemeinschaft Rossbach an, einer paramilitärischen Organisation, die aus dem nach dem Ersten Weltkrieg von Gerhard Rossbach gegründeten Freikorps Rossbach – einer freiwilligen Militäreinheit, die sich an den bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen in Deutschland in der ersten Nachkriegszeit beteiligt hatte – hervorgegangen war. Hintergrund der offiziellen Auflösung des Freikorps Rossbach und seiner Umwandlung in die Form einer Arbeitsgemeinschaft waren die von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs im Versailler Vertrag dem Deutschen Reich auferlegten weitgehenden Demilitarisierungsbestimmungen, die die Berliner Regierung dazu gewzungen hatten, nicht nur die reguläre Armee massiv zu verkleinern, sondern auch die Abwicklung aller Freikorps zu verfügen. Um seine Anhänger bei einer sich später eventuell bietenden günstigen Gelegenheit leicht wieder als eine militärische Einheit reaktivieren zu können hatte Rossbach sein Freikorps nicht ersatzlos liquidiert, sondern seine Anhänger gruppenweise als Landarbeiter auf verschiedenen mecklenburgischen Gütern untergebracht, wobei die Organisation des ehemaligen Freikorps in die genannte Arbeitsgemeinschaft umfirmiert wurde, die als Dachorganisation der Arbeitergruppen diente. Die Arbeitsgemeinschaft Rossbach war dabei sowohl eine Tarnorganisation, hinter deren Fassade das ehemalige Freikorps in einer weitgehend von militärischen Strukturen geprägten Form weiterexistierte, als auch eine Art Übergangslösung, die es den Rossbach-Männern erlaubte, in der nun angebrochenen Phase relativer Befriedung sozusagen zu „überwintern“: Einerseits bot die Beschäftigung als Landarbeiter den Freikorps-Männern die Möglichkeit, sich in der bestehenden Situation der Unfähigkeit, gegen ihre Gegner im Inland und gegen die ausländischen Feindmächte militärisch vorzugehen, einen Lebensunterhalt zu verdienen; gleichzeitig wurde aber der organisatorische Zusammenhalt des Freikorps und damit die Möglichkeit, einer schnellen Remilitarisierung und des Einsatzes gegen ihre Feinde im Falle einer „günstigen“ Entwicklung der politischen Szernerie, aufrecht erhalten. So wurden unter anderem geheime Waffenlager angelegt, die es den Landarbeitergruppen im Falle einer Rückverwandlung der Arbeitsgemeinschaft in einen militärischen Verband erlauben sollten, sich in die bewaffneten Teileinheiten dieses Verbandes zu verwandeln.
Den Forschungen von Karin Orth zufolge gelang es Kadow nach seinem Eintritt in die Arbeitsgemeinschaft Rossbach nicht, sich in diese gut zu integrieren: Viel mehr sei er äußerst unbeliebt gewesen. So habe er sich – nach den Aussagen von Angehörigen der Arbeitsgemeinschaft im späteren Prozess – als Leutnant aufgespielt und sich von Kameraden Geld geborgt, das er später nicht zurückgezahlt habe. Außerdem soll er eine kommunistische Gesinnung an den Tag gelegt haben. 1922 oder Anfang 1923 wurde Kadow daher auf Veranlassung von Martin Bormann, einem führenden Mitglied der Arbeitsgemeinschaft, aus dieser ausgeschlossen. Wie sich bei dieser Gelegenheit herausstellte, hatte er sich zuvor einen Vorschuss von 30.000 RM für sich und andere Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft auszahlen lassen, ohne das Geld an die anderen Männer weiterzugeben. Bormann drängte daher darauf, dass Kadow seine Schulden abarbeiten müsse.
Die Ermordung Kadows und ihre juristische Aufarbeitung
Als Kadow am 31. Mai 1923 nach einer längeren Abwesenheit nach Parchim zurückkehrte, hatte Bormann seine Meinung geändert: Er erklärte nun, dass es zwecklos sei, Kadow seine Schulden abarbeiten zu lassen, und dass man ihm besser eine „Tracht Prügel“ verabreichen solle. Daraufhin bemächtigten sich einige Rossbacher von den Gütern Neuhof und Herzberg - darunter der spätere Kommandant des KZ Auschwitz Rudolf Höß -, Kadows, indem sie ihn in einer Gaststätte in Parchim betrunken machten und in der Nacht in ein Waldstück bei Gut Neuhof verschleppten, wo sie ihn zunächst durch Prügel schwer misshandelten. Dies gipfelte darin, dass einer der Männer, Emil Wiemeyer dem am Boden liegenden die Kehle durchschnitt, woraufhin zwei andere, Höß und Karl Zabel ihm in den Kopf schossen. Kadow, der an Ort und Stelle starb wurde am nächsten Tag von den Tätern im Wald vergraben.
Einige Monate später wurden sieben der Beteiligten verhaftet. Nachdem die Staatsanwaltschaft Schwerin den Fall zunächst unpolitisch als Prügelei unter Saufkumpanen mit tödlichem Ausgang wertete, zog der Ankläger beim Reichsgericht in Leipzig Ludwig Ebermayer den Fall auf Grundlage des Gesetzes zum Schutze der Republik an sich, so dass die Zuständigkeit an den Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik in Leipzig überging. Vor diesem wurden sechs der Männer, darunter Höß, wegen Mordes angeklagt. Einem siebten, Bormann, wurde ein geringeres Vergehen zur Last gelegt.
Im nachfolgenden Prozess brachten die Angeklagten zur Motivierung ihrer Tat vor, dass sie seinerzeit bei Kadow einen Mitgliedsausweis der kommunistischen Jugend sowie größere Mengen russischen Geldes gefunden hätten, was sie als Beweise dafür gewertet hätten, dass Kadow ein kommunistischer Spitzel gewesen sei, der mit dem veruntreuten Geldern der Arbeitsgemeinschaft ins Ruhrgebiet habe fahren wollen, „um Deutschland an die Franzosen zu verraten“. Des Weiteren machten sie geltend, dass die kurz zuvor erfolgte Hinrichtung des ehemaligen Offiziers Albert Leo Schlageter, der wegen Sprengstoffanschlägen auf Einrichtungen der französischen Besatzungsverwaltung im Ruhrgebiet von einem französischen Miltiärgericht zum Tode verurteilt und standrechtlich erschossen worden war, ihren Haß auf Kadow als einem Mann, der die Stirn besessen habe, mit den „Mördern“ eines so „vaterländisch“ gesinnten Mannes wie Schlageter gegen die Interessen des Reiches zusammenarbeiten zu wollen, weiter entfacht hätte. Rudolf Höß führte in einem Brief an eine Bekannte über die Motivierung und den Ablauf der Tat aus:
„Nun stell' Dir unsere Wut vor 5 Tagen wurde Schlageter erschossen. All die Prügel, die wir durch Verräterei dieses Halunken [Kadow], durch Überfälle der Kommunisten in schwach besuchten Versammlungen, bezogen hatten. Wir waren alle auch schon ziemlich betrunken und überlegten überhaupt nicht mehr. Wir fuhren auf einem Wagen aus Parchim raus und nach unserem Wohnhause in Neuhof bei Parchim. Unterwegs kriegte er ganz erbärmliche Prügel, aber er leugnete immer noch. Auf einer Wiese wurde angehalten und er nochmals zur Rede gestellt. Er leugnet und beteuert seine Unschuld. Unsere Wut wird zur Raserei, keiner achtet darauf, wie oder mit was er zuschlägt. [...] Da geschah das Schreckliche an der Sache. Einer bekam einen Koller und stürzt wie wahnsinnig auf den am Boden liegenden Kadow und schneidet ihm die Kehle durch. Ein anderer jagt ihm zwei Schüsse durch den Schädel. Am anderen Morgen wird er im Waldesdickicht vergraben.“[3]
Die in der Literatur bis heute weitverbreitete Behauptung, die Rossbacher hätten Kadow nicht bloß grundsätzlich gegrollt, weil er nach der Verhaftung und Hinrichtung Schlageters den Willen gehabt hätte, sich den Franzosen als den Mördern des „nationalen Mannes“ zur Mitarbeit zur Verfügung zu stellen – wobei keiner von ihnen glaubte, dass Kadow mit diesen beiden konkreten Vorgängen persönlich irgendetwas zu tun hatte –, sondern weil sie gemeint hätten, dass er persönlich derjenige gewesen sei, der Schlageter „an die Franzosen verraten“ habe, ist Karin Orth zufolge erstmals im Jahr 1947 nachweisbar, als Höß sie in seinem Kriegsverbrecherprozess vorbrachte, während sie in den Prozessakten von 1924 nirgends auftaucht. Orth wertet sie daher als Teil von Höß' „Rechtfertigugsstrategie“.[4]
Im übrigen vertritt Orth die Auffassung, dass die 1924 von den Tätern vorgebrachten Rechtfertigungsgründe, Kadow sei kommunistisch gesinnt gewesen und er habe sich in irgendeiner Weise den Franzosen zur Verfügung stellen wollen, wenig Gewicht zukommt und dass es sich bei ihnen vermutlich um nachträglich konstruierte Schutzbehauptungen handelt. Sie wertet die Tat daher als einen Totschlag im Affekt, wobei die Absicht ihn lediglich zu verprügeln, aus der Erzürnung über Kadows Geldveruntreuungen sowie der Trunkenheit der Täter in eine ursprünglich nicht intendierte Tötung eskaliert sei:
„Ausschlaggebend für den Mord war letztendlich, daß sie sich gegenseitig aufstachelten, jeder den anderen in Wort und Tat zu übertrumpfen suchte. Die sich radikalisierende Prügelorgie - fünf Männer schlugen auf den schlafenden und durch Alkohol halb betäubten Kadow mit Fäusten, Gummiknüppeln, einem Spazierstock, schließlich mit einem Ast ein - fanden ihren Höhepunkt in der Forderung Höß, man solle Kadow »im Wald vergraben«, ihm den »Gnadenschuss« geben. Bevor Kadow tatsächlich zwei Schüsse trafen, schnitt einer der Mörder dem bewusstlos und blutüberstömt auf dem Boden Liegenden mit »einem Taschenmesser« den Hals durch.“[5]
Woran Kadow starb und wer als der eigentliche Mörder anzusehen ist konnte das Gericht nicht feststellen. Entscheidend sei, so Orth dass die Täter gemeinsam und willenlich gehandelt hätten, so dass keiner bei diesem „Femegericht“ abseits habe stehen wollen: „Sie allen waren, wenn nicht juristisch, so doch moralisch die Mörder Kadows.“[6]
Das Leipziger Gericht befand die Angeklagten für schuldig: Höß wurde am 15. März 1924 wegen schwerer Körperverletzung und vollendeten Totschlag zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Infolge einer Amnestie kam er bereits am 14. Juli 1928 frei. Bormann, der nach dem Mord versuchte hatte, die Spuren zu beseitigen, erhielt ein Jahr Gefängnis wegen Beihilfe und Begünstigung. Die übrigen Beteiligten Bernhard Jurisch, Karl Zabel, Georg Pfeiffer, Emil Wiemeyer und Zenz erhielten Gefängnisstrafen zwischen neuneinhalb und fünfeinhalb Jahren wegen schwerer Körperverletzung und vollendeten Totschlag.
Bormann bekam im September 1938 für dieses Verbrechen den „Blutorden" verliehen.
Literatur
- Mario Niemann: „Der Fall Kadow - ein Fememord in Mecklenburg 1923“, Ingo Koch Verlag, Rostock 2002, ISBN 3-935319-52-5.
- *** (Carl Mertens): „Die Fememorde“, Die Weltbühne vom 17. November 1925 II, S. 750.
- Maximilian Scheer: „Laufbahn eines Organisators“, Die Neue Weltbühne 1938 I, S. 77ff.
Einzelnachweise
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Walter Kadow aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |