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1900

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Ereignisse

  • Vor 1900: Nathaniel Meyer Freiherr von Rothschild liess Ende des 19. Jhdts. das Schloss Rothschild in Reichenau an der Rax (Niederösterreich) errichten
  • um 1900: geschätzte Zahl der Mischehen zwischen Juden und Nichtjuden in Deutschland: 720 000
  • 1900: Verein zur Förderung ritueller Speisehäuser (Hamburg 1, Grosse Bäckerstrasse 6), gegründet 1900, gab periodisch (etwa quartalsweise) Verzeichnisse der unter Aufsicht gesetzestreuer Rabbiner stehenden Speisehäuser heraus
  • um 1900: Die jüdische Sportbewegung Makkabi wurde in Deutschland begründet. Hier entstanden um 1900 die ersten jüdischen Turnvereine zu einer Zeit, als Sport mehr war als reines Freizeitvergnügen. Im Kampf gegen den Antisemitismus, aber auch in Abgrenzung zu eigenen Traditionen wollten jüdische Sportler ein neues, modernes Menschenbild prägen. Nach 1933 gehörten diese Vereine zu den letzten Orten, wo Juden eine geschützte Gemeinschaft finden konnten. – "Der Makkabi", seit 1900 in Berlin monatlich in deutscher Sprache herausgegebenes zionistisches Organ der Makkabi-Bewegung
  • 1900: Dessau: Gründung der Baron Moritz von Cohn-Stiftung (zur Unterstützung bedürftiger Personen und Familien anhaltinischer Staatsangehörigkeit ohne Unterschied der Konfession) durch Baronin Julie Cohn Oppenheim (vgl. 1905)
  • 1900: angeblicher Ritualmord in Konitz
  • um 1900: Chaim S. Schor Oberrabbiner in Bukarest
  • 1900: jüdische Bevölkerung in Palästina, ca. 50 000 Seelen
  • um 1900: Ansiedlung von etwa 150 Juden in den zypriotischen Kolonien Cholmakchi, Kuklin und Margo durch die Jewish Colonization Association
  • um 1900: Wilna: um die Jahrhundertwende bei mehr als 150 000 Einwohnern fast 50% jüdische Einwohner
  • um 1900: Elieser Ben-Jehuda (1858–1922), der Wiedererwecker des Hebräischen, setzt den Gebrauch der Sprache durch.
  • 1900: Boxeraufstand, fremdenfeindlicher Aufstand in Nordostchina, der von einer chinesischen Geheimsekte entfacht wurde; nach Angriffen auf ausländische Vertretungen und Ermordung des deutschen Gesandten von Ketteler von einem Expeditionskorps der europäischen Grossmächte niedergeworfen; unter den deutschen Truppen kämpften 35 Juden
  • Um 1900: Buenos Aires. Zumeist vermittelt durch jüdische Zuhälter/innen bzw. Frauenhändler/innen, landeten Tausende von Frauen aus dem Zarenreich und der k.u.k.-Monarchie in den Bordellen Europas und vor allem Lateinamerikas. In Buenos Aires waren um 1900 mehr als 4000 Jüdinnen als Prostituierte registriert, womit sie rund ein Viertel aller in diesem Gewerbe tätigen Frauen ausmachten.
  • 1900: Max Band in Naumestis, Litauen, geboren, Maler, seit 1924 in Paris, schuf besonders charakteristische Kinderporträts
  • 1900: Hans Meisel geboren, Schriftsteller (Prosa, Dramen)
  • um 1900: Mark Günzburg, Pianist
  • um 1900: Andreas Weissgerber geboren, Violinist
  • um 1900: Simon Goldberg geboren, Violinist
  • um 1900: Boris Schwarz geboren, Violinist
  • um 1900: Frieda Mosheim geboren, Violinistin
  • um 1900: Stefan Frenkel geboren, Violinist
  • 1.1.1900: Baron Rothschild stellt die Hilfe für die jüdischen Dörfer in Palästina ein und überträgt ihre Betreuung der Jewish Colonization Association (J. C. A.)
  • 12.1.1900: Uraufführung von Herzls „I love you“ (einaktiges Lustspiel) am Burgtheater (insgesamt 8 Aufführungen)
  • 12.1.1900–24.1.1951: Eleonora von Mendelssohn (verheiratete Fischer, verheiratete Jessenski, verheiratete Forster, verheiratete Kosleck), Schauspielerin, geb. in Berlin, Selbsttötung New York City; Eleonora (Eleonore) von Mendelssohn, Tochter des Bankiers und Cellisten Robert von Mendelssohn (1857–1917) und der Konzertpianistin Giulietta Gordigiani sowie Bruder des Übersetzers, Theaterdirektors, Cellisten und Schauspielers Francesco von Mendelssohn (1901–1972), erhielt ihren Vornamen nach ihrer Taufpatin, der Schauspielerin Eleonora Duse (1858–1924); sie studierte Schauspiel und Klavier in Berlin; 1925 erhielt sie ihr erstes Engagement am Schauspielhaus in Düsseldorf; nach Theatertourneen durch Europa in Produktionen von Max Reinhardt erhielt sie Engagements an den Kammerspielen in München und am Preussischen Staatstheater in Berlin; Eleonora von Mendelssohn wurde als Jüdin 1933 entlassen und emigrierte nach Wien, wo sie ein Engagement am Theater in der Josefstadt von Max Reinhardt hatte; hier heiratete sie 1936 den Pianisten, Dirigenten, Musikpädagogen, Komponisten und Schriftsteller Edwin Fischer (1886–1960); das Ehepaar verbrachte seine Flitterwochen im Haus der Kunstmäzenin Jenny Mautner (1856–1938), Witwe des Grossindustriellen Isidor Mautner (1852–1930), der seit 1925 auch Besitzer der Textilfabrik Marienthal war; nach ihrer Scheidung heiratete Eleonora von Mendelssohn den ehemaligen österreichisch-ungarischen Offizier und nunmehrigen Reiter und Piloten Jedre Jessenski, von dem sie aber ebenfalls bald geschieden wurde; schliesslich ehelichte sie den Schauspieler Rudolf Forster (1884–1968); 1937 emigrierte sie mit ihrem Ehemann in die USA; Rudolf Forster, von dem sie geschieden wurde, kehrte 1945 nach Österreich zurück; nach Filmarbeiten in Hollywood versuchte sie vergeblich, auf dem Theater Fuss zu fassen; sie engagierte sich auch bei Exilorganisationen und war Mitglied der »Selfhelp«; sie nahm insbesondere an den kulturellen Aktivitäten des »German Jewish Club« in New York teil; seit 1945 trat sie auf Bühnen in New York und Boston auf und unterhielt einen bekannten Künstlerzirkel in ihrer Wohnung; 1947 heiratete Eleonora von Mendelssohn den Schauspieler Martin Kosleck (1904–1994); nach dem gescheiterten Versuch, ihre Drogenabhängigkeit zu bekämpfen, wählte sie den Freitod
  • Seit Januar 1900: Die schwedische Schriftstellerin Selma Lagerlöf hält sich mehrere Monate in Jerusalem auf und schreibt später ihr berühmtes Buch "Jerusalem", für das sie den Nobelpreis erhält
  • 19.1.1900: Brief Herzls an David Wolffsohn in Köln (aber vermutlich nicht abgeschickt): "Lieber Freund, ich will Ihnen nur mit zwei Worten meine Empörung darüber ausdrücken, dass Sie mit dem absolut unfähigen Secretär Loewe [der Banksekretär James Henry Loewe in London] einen 5 jährigen Vertrag abgeschlossen haben. Einen Menschen, der nicht einmal fähig war, Allotmentbriefe zu machen – die grellsten Beispiele lasse ich jetzt zusammenstellen – engagirt man für 5 Jahre. Ich begreife nicht, dass Sie dazu Ihre Einwilligung geben konnten, da Ihnen meine Ansichten bekannt waren. Machen Sie diesen Vertrag ungeschehen, das ist das Einzige, was ich Ihnen sagen kann. Ich habe mich über Ihren Brief heute derartig geärgert, dass ich nach ruhigen Worten suche. Sie sind natürlich ein braver Kerl, aber für die Herren Kann u. Lourie zu schwach. Wenn die wenigstens tüchtig wären. Aber sie sind es nicht u. wenden nur auf dem unrichtigen Platze Gewalt an. Meine Geduld ist zu Ende. Mit herzlichem Gruss, Ihr Benjamin ... Ueber die Anstellung Louries wird das grosse AC [Actions Comité] das sich am 18. Februar in Wien versammelt, entscheiden. Von Ihrer Ehrenhaftigkeit und Freundschaft für mich erwarte ich, dass Sie den 5 jährigen Vertrag mit Loewe annuliren u. fortab keinerlei Beschlüsse zulassen werden, durch welche die Controle des Aufsichtsrathes zu Schanden gemacht wird. Ich würde, wenn Sie mir darin keine Beruhigung geben, zu meinem Schmerze bedauern müssen, dass ich ein so unbegrenztes Vertrauen in Sie gesetzt habe. Zumindest müssen Sie erwirken, dass auch der Vertrag Loewe der Zustimmung des grossen AC vorbehalten bleibe"
  • 26.1.1900–1942: Yva = Ilse Neulaender-Simon, geb. am 26. Januar 1900 in Berlin als Else Ernestine Neuländer, umgekommen höchstwahrscheinlich 1942 im Konzentrationslager Majdanek, deutsch-jüdische Fotografin; die Tochter eines Kaufmanns und einer Modistin war die jüngste von neun Geschwistern; mit 25 (= 1925) gründete sie ihr erstes Photoatelier in Berlin in der Friedrich-Wilhelm-Strasse 17 (lebte und arbeitete dort 1925-1930); danach wechselte sie ihre Adresse noch zweimal, zuerst zog sie in die Bleibtreustrasse 17 (1930-1934), dann in die Schlüterstrasse 45 (1938 zwangsweise Umzug in die Düsseldorfer Strasse); 1926 arbeitete sie kurzzeitig mit dem Fotografen Heinz Hajek-Halke zusammen; seit 1929 arbeitete sie für den Ullstein-Verlag, so dass Yvas Arbeiten in den Zeitschriften des Verlags erschienen; 1932 Beteilung an der 1. Biennale Internazionale d'Arte Fotografica Roma; 1933 Beteilung an der Ausstellung The Modern Spirit in Photography, Royal Photographic Society of Great Britain, London, und La Beauté de la femme, 1. Internationaler Salon der Akt-Photographie, Paris; nach der Machterlangung der NSDAP 1933 erhielt sie wegen ihrer jüdischen Herkunft Berufsverbot als Presse-Fotografin; 1934 heiratete sie Alfred Simon und konnte mit dessen Hilfe ihre Arbeit noch einige Zeit fortsetzen; einer „arischen“ Freundin (Charlotte Weidler) übergab sie dann 1936 die offizielle Leitung des Ateliers, um weiterarbeiten zu können; im selben Jahr begann die Ausbildung des später berühmten Fotografen Helmut Newton als Lehrling; 1938 musste Yva das Atelier (in dem bis zu zehn Angestellte tätig waren) und die Wohnräume ganz aufgeben, da sie nun komplettes Berufsverbot erhielt; sie hielt sich dann über Wasser als Röntgenassistentin im Jüdischen Krankenhaus (Exerzierstrasse) im Wedding; 1942 wurde sie enteignet (die Akten ihres Ateliers sind vernichtet), verhaftet und am 1.6.1942 in das KZ Majdanek deportiert, nachdem sie vorher noch Vorbereitungen zur Auswanderung getroffen hatte; im Konzentrationslager wurde sie höchstwahrscheinlich noch in 1942 umgebracht, aber erst am 31. Dezember 1944 für tot erklärt; "Yva" hatte sich besonders der Aktfotografie und der Modefotografie gewidmet; ihre Fotos wurden unter anderem veröffentlicht in: Uhu, Die Dame, Elegante Welt, Berliner Illustrirte Zeitung und Das Deutsche Lichtbild, Das Illustrirte Blatt, Wiener Magazin, Moden-Spiegel, Münchner Illustrierte Presse; Literatur: "Frauengeschichte(n) aus Tiergarten 1850-1950", 1999; Marion Beckers, Elisabeth Moortgat, "Yva. Photographien 1925-1938", 2001
  • 28.1.1900: zionistische Festversammlung in Köln zu Ehren des Kaisers Wilhelm II. anlässlich seines Geburtstags (die Versammlung schickte eine Grussadresse an Herzl)
  • 28.1.1900–3.5.1996: Hermann Kesten, geb. in Podwołoczyska, Galizien; gest. in Basel, Schriftsteller, einer der Hauptvertreter der literarischen Neuen Sachlichkeit während der 1920er Jahre in Deutschland; Dr. phil., war seit 1927 Lektor, später literarischer Leiter des Kiepenheuer-Verlages in Berlin, leidenschaftlicher Förderer schriftstellerischer Talente; 1933 floh er nach Amsterdam und leitete einen Emigranten-Verlag; 1939 ging er über Paris nach New York; seine zeitkritischen Romane handeln von Freiheit, Gerechtigkeit und Toleranz gegenüber Verblendung und Gewalt; 1974 erhielt er den Büchner-Preis, 1977 den Nelly-Sachs-Preis; 1975 wurde ein Preis nach ihm benannt; Romane (in mehrere Sprachen übersetzt): Der Scharlatan, 1932; Gens heureux, 1933 (deutsch "Glückliche Menschen", 1948); Der Gerechte, 1934; Ferdinand und Isabella, 1936 (= Sieg der Dämonen, 1953); König Philipp II., 1938 (= Ich, der König, 1950); Die Kinder von Guernika, 1939; Die Zwillinge von Nürnberg, 1946; Die fremden Götter, 1949; Ein Sohn des Glücks, 1955; Die Abenteuer eines Moralisten, 1961 (autobiographisch); Biographien: Copernicus, 1953; Lauter Literaten, 1963; Dichter im Café, 1959; Gesammelte Werke 1969 ff.; Roman: Ein Mann von 60 Jahren, 1975; Josef sucht die Freiheit, 1977; Glückliche Menschen, 1981
  • 30.1.1900–1978: Max Kreutzberger, geb. in Königshütte/Schlesien, gest. in Locarno, Sozialpolitiker; Sozialarbeiter, promoviert, war Direktor der Zentralwohlfahrtstelle der deutschen Juden in Berlin bis 1936, der Vereinigung der Einwanderer aus Deutschland (Hitachduth Olej Germania) in Tel Aviv, nach dem Krieg der Jewish Agency in Deutschland, 1955-1967 des Leo-Baeck-Instituts in New York, dessen Bibliothek und Archiv er aufbaute; er war 1936 nach Ceylon emigriert
  • 1.2.1900: Brief eines A. S. Rappaport aus Roman/Rumänien an Herzl, in welchem dieser "im Namen von 1000 Familien" in Rumänien um Herzls Rat zu einer Kolonisation in Anatolien bzw. ersatzweise Amerika bittet; Herzl antwortet sehr zurückhaltend (mit Brief vom 9.2.1900)
  • 15.2.1900: Herzl beim österreichischen Ministerpräsidenten Koerber (halbstündige Audienz in freundlicher Atmosphäre, es ging um die Nichtbehinderung der Jüdischen Colonialbank)
  • Seit Februar 1900: ein gewisser S. Leresku, "Schauspieler und jüdischer Volksdichter" in Sanok/Galizien, hatte ein Theaterstück "Dr. Theodor Herzl" verfasst und in der Folge mehrfach zur Aufführung gebracht – ohne Einverständnis und gegen Herzls erklärten Willen
  • 28.2.1900: Brief Herzls an Martin Buber in Berlin, worin auch Herzls Unzufriedenheit mit der "Stagnation unserer Bewegung in der deutschen Hauptstadt" zum Ausdruck kommt
  • 2.3.1900–3.4.1950: Kurt Weill (Kurt Julian Weill), geb. in Dessau, gest. in New York, aussergewöhnlich vielseitiger US-amerikanischer Komponist deutsch-jüdischer Herkunft; zwei Mal verheiratet mit Lotte Lenya; emigrierte 1935 in die USA; entwickelte für Brechts episches Theater einen neuen Typus der Bühnenmusik (insbesondere „Songs“), der eine Synthese aus Unterhaltungsmusik, Moritat, kabarettistischem Chanson und klassizistischen Elementen der Kunstmusik darstellt; in den USA schrieb Weill insbesondere für Theater des Broadway; erzielte mit der Dreigroschenoper 1928 (nach J. Pepuschs „Beggar’s Opera“ von 1728 in der Bearbeitung von Bert Brecht) einen Welterfolg; weitere Bühnenwerke u.a.: „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“, 1930; „Die Bürgschaft“, 1932; „Lady in the Dark“, 1941; „Down in the Valley“, 1948; „Lost in the Stars“, 1949; Ballett mit Gesang „Die sieben Todsünden“, 1933 (nach Brecht); schrieb daneben Kammermusik, Filmmusik und Lieder
  • 6.3.1900–18.5.1973: Avraham Shlonsky, israelischer Schriftsteller und Übersetzer
  • 10.3.1900: Herzl erneut Audienz bei Ministerpräsident Koerber; Herzl, Zigarre rauchend, erfährt, dass man Herzls Vorschläge bezüglich der Banksache folgen werde, auch wenn das nicht ganz legal sei; Bedingung sei, dass nichts an die Öffentlichkeit gelangen, nichts in den Blättern verlautbart werden dürfe
  • 11.3.1900: Konitz-Affäre: Ein (bis heute) unaufgeklärter (und zu wildesten Spekulationen Anlass gebender) Mord an dem 18-jährigen Gymnasiasten Winter in Konitz (Westpreussen) verursachte gegen Juden gerichtete Mordanklage und Ritualmordbeschuldigung; das Verfahren gegen die Beschuldigten Levy (Vater und Sohn) wurde eingestellt, der Hauptbelastungszeuge Masloff wegen Meineids zu Zuchthaus verurteilt; nach dem Gutachten des preussischen Medizinalkollegiums (Virchow, Bergmann und andere) wurde Winter durch Erwürgen getötet, seine Leiche dann zerstückelt (einzelne Teile des Leichnams tauchten dann, "kunstgerecht zerlegt", nach und nach an verschiedenen Stellen auf: der Rumpf, ein Bein, schliesslich der Kopf)
  • 20.3.1900: Tagebucheintragung Herzl: „Wunderbar, wie man sich auch an Ministerpräsidenten gewöhnt. Ich vergass gestern einzutragen, dass ich wieder bei Koerber war. Er empfing mich charmant wie gewöhnlich, übergab mir die Erledigung, wie ich sie gewünscht hatte u. sprach die Erwartung aus, dass wir, bei gelegenerer Zeit noch über die „hierländige Zulassung“ der Colonialbank reden würden. Er wolle mich nächstens am Abend zu sich bitten, damit wir über die innerpolitische Situation reden könnten, namentlich über seine scheinbare leider nothgedrungene Nachgiebigkeit gegenüber den Antisemiten. „Ich bin doch kein Antisemit“, sagte er. An der Thür sagte ich ihm: Excellenz, ich glaube, Sie werden lange regieren! Er lächelte dankbar für diese Prophezeiung u. führte mich durch den Vorsaal hinaus, wo der Landespräsident von Schlesien hatte warten müssen, bis unsere Unterredung zu Ende war, obwol er schon mit mir zugleich eingetroffen war.“
  • 23.3.1900–18.3.1980: Erich Fromm (Erich Pinchas Fromm), geb. in Frankfurt am Main als einziges Kind einer orthodox-jüdischen Familie, aus der zahlreiche Rabbiner und Gelehrte hervorgegangen waren, gest. in Muralto bei Locarno, deutsch-jüdischer Psychoanalytiker; 1934 in die USA emigriert, Professor in Mexiko und New York; Vertreter einer neopsychoanalytischen Richtung, die die soziokulturellen Einflüsse bei der Entstehung oder Überformung menschlicher Bedürfnisse betonte; er prägte den Begriff Akkulturation für das Hineinwachsen des Einzelnen in eine Kultur; Hauptwerke: Die Furcht vor der Freiheit, 1941; Psychoanalyse und Ethik, 1954; Das Menschenbild bei Marx, 1969; Analytische Sozialpsychologie und Gesellschaftstheorie, 1970; Haben oder Sein, 1976; Anatomie der menschlichen Destruktivität, 1976; Sigmund Freuds Psychoanalyse, 1979; Die Kunst des Liebens, 1980; Und ihr werdet sein wie Gott, 1980, u. a.
  • 26.3.1900: Herzl wieder bei Koerber (ebenfalls am 27.3.1900 und am 13.4.1900; Herzl entpuppte sich zu seinem innenpolitischen Berater: Es ging vor allem um das Sprachengesetz)
  • 31. März 1900: Erstaufführung von Herzls Stück "Gretel" mit mässigem Erfolg im Raimundtheater/Wien
  • 31.3.1900–30.3.1973: Immanuel Estermann, geb. in Berlin, gest. in Haifa, Atomphysiker, 1921 in Hamburg promoviert, ab 1922 dort Dozent; er emigrierte 1933 an das Carnegie-Institut in Pittsburgh/USA, wo er Prof. wurde, ging 1951 an das Office of Naval Research in London, dessen Direktor er 1959 wurde; Hauptwerke: Recent Research in Molecular Beams, 1959; Hrsg. Advances in Atomic and Molecular Physics, 3 Bde., 1965-1968
  • 3.4.1900–14.9.1955: Franz Carl Weiskopf (bekannt als F. C. Weiskopf), geb. in Prag, gest. in Berlin, Sohn eines jüdisch-deutschen Bankangestellten und einer tschechischen Mutter; Autor, Dr. phil. (1923), 1918 Militärdienst, seit 1921 Mitglied der KPC, 1928 Redakteur bei Berlin am Morgen, ging 1933 nach Prag als Chefredakteur der Arbeiter-Illustrierten, emigrierte 1939 über Paris in die USA, war nach dem Krieg diplomatischer Vertreter der CSSR in Washington, Stockholm und Peking, kehrte 1953 nach Berlin zurück; die DDR benannte 1956 einen Literatur-Preis nach ihm; Hauptwerke: Drama Föhn, 1921; Gedichte Es geht eine Trommel, 1923; Umsteigen ins 21. Jahrhundert (Erlebnisse in der Sowjetunion), 1927; Wer keine Wahl hat, hat die Qual, 1928; Romane Das Slawenlied, 1931; Lissy oder die Versuchung, 1937 (verfilmt 1954 f.); Himmelfahrtskommando (KZ), 1947; Abschied vom Frieden, 1950
  • 8. April 1900: flehentlicher Bittbrief an Herzl vom "Comité der niedergeschlagenen Arbeiterclasse" in Borislaw/Galizien, das unter der Führung Josef Goldhammers stand
  • Frühjahr 1900: Beginn einer Massenemigration rumänischer Juden, da die Verfolgungen immer unerträglicher wurden; die offiziellen jüdischen Wohlfahrtsorganisationen waren hoffnungslos überfordert und reagierten planlos, riefen Herzl zu Hilfe, der sie (bzw. die Israelitische Allianz) jedoch in der Presse verspottete
  • 18.4.1900: Herzl beim Grossherzog von Baden in Karlsruhe (Dauer: fünf Viertelstunden): Deutschland könne sich augenblicklich nicht für die zionistische Sache exponieren – Österreich hingegen schon; Bülow sei kein eigentlicher Gegner des Zionismus, nur vorsichtig; Herzl will versuchen, in England Lord Salisbury für den Zionismus zu gewinnen, was dann evtl. auch Bülow umstimmen könnte
  • 21.-22.4.1900: Herzl beim „Poeta laureatus“ Alfred Austin in Ashford, der sich (ohne Erfolg) bei Salisbury für Herzl einsetzte
  • 25.4.1900–15.12.1958: Wolfgang Pauli, geb. in Wien, gest. in Zürich; einer der bedeutendsten Physiker des 20. Jhdts.; 1929 Professor in Zürich, 1935/36 und 1940-1946 in den USA; einer der Mitbegründer der Quantentheorie; Entdecker des Pauli-Prinzips; Nobelpreis für Physik 1945; - Pauli wurde in Wien als Sohn eines Universitätsprofessors für Kolloidchemie, Wolfgang Josef Pauli (1869-1955), geboren, der aus einer jüdischen Prager Verleger-Familie stammte, aber zum Katholizismus konvertiert war (sein ursprünglicher Name war Wolf Pascheles); seine Mutter Berta „Maria“ (1878-1927) war Journalistin und Frauenrechtlerin; Pauli hatte noch eine Schwester Hertha (1906-1973), die Schauspielerin und Schriftstellerin war; mit zweitem Vornamen wurde Pauli nach seinem Patenonkel benannt, dem Physiker Ernst Mach; bereits auf dem Gymnasium in Wien galt Pauli als mathematisches Wunderkind; 1918 veröffentlichte er gleich nach dem Abitur seine erste Arbeit über Hermann Weyls Erweiterung von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie
  • 27.4.1900: Tod des Georg Herz Taubin (geb. 1841); er war ein seit 1878 in Wien lebender vermögender russisch-jüdischer Privatier und hatte Herzl einige Male vor seinem Tod sein beträchtliches Erbe für die zionistische Bewegung angeboten; als Herzl merkte, dass Taubin alkoholkrank und/oder geistesgestört war, war er auf dieses Angebot aus Gewissensgründen nicht mehr zurückgekommen; das Erbe hatte sich dann der ehemalige Wechselstuben-Inhaber Albert Vogl – aus nichtzionistischer Familie – erschlichen, wogegen dessen russische Verwandtschaft klagte und in welchem Zusammenhang Herzl später (März 1901) von der Polizei befragt wurde
  • 1. Mai 1900: Kanns Demissionsbrief an den Aufsichtsrat: "Meine Herren, Ich habe die Ehre, Ihnen mitzuteilen, dass ich den Entschluss gefasst habe als Director der Jewish Colonial Trust meine Demission zu geben. Als ich bei der Gründung der Gesellschaft den Posten von Director auf mich genommen habe, da habe ich das gethan in der Ueberzeugung, dass ich mit meinen Herren Collegen des Directoriums die ganze Verwaltung der Trust in Händen hätte. Ich habe der Aufsichtsrath immer betrachtet als einen Körper, welcher nur dazu geschaffen sei um vorzusehen, dass die Directoren nie etwas unternehmen würden, dass mit dem Zionismus in Widerspruch war. Darum habe ich es nicht als eine Gefahr betrachtet, dass der Aufsichtsrath nicht aus Geschäftsleuten zusammengesetzt war. Ich sehe nun aber, dass ich micht getäuscht habe, und das fortwährende Eingreifen des Aufsichtsraths, namentlich des Herrn Dr. Herzl's in die Arbeit der Directoren, durch welches Eingreifen nach meiner Ansicht die Existenz der Bank ernstlich gefährdet wird, hat mich zu obigem Entschluss bestimmt. Die Firma Lissa & Kann, welche es als eine grosse Ehre betrachtet hat, die Trust mit gegründet zu haben, muss mit derselben jetzt die Beziehungen abbrechen. Sie werden mir wohl erlauben, dass ich in geeigneter Weise publiciere, dass und warum ich die Trust verlasse. Obgleich ich also meine Demission gebe, weil ich die Arbeiten der Führer der Zionistischen Bewegung in Sache der Trust als unpractisch und gefährlich betrachte, so bitte ich Sie überzeugt zu sein, dass die Zionistische Idee immer meine ganze Sympathie haben wird. Selbst aber thätig mitarbeiten werde ich erst dann wieder, wenn in irgend einer Weise Sicherheit dafür geschaffen wird, dass das durch ernste und schwierige Arbeiten Erreichte geschützt ist gegen leichtsinnige Handlungen von Laien. Hochachtungsvoll, J. Kann"
  • 1. Mai 1900: Herzl reibt sich auf in der Arbeit für die zionistische Sache, gefährdet dabei seine wirtschaftliche Existenz als wichtiger Mitarbeiter der Neuen Freien Presse, gibt privates Geld, wird müde und zweifelnd, schreibt in sein Tagebuch: „Ich weiss jetzt eine gute Grabschrift für mich: „Er hatte eine zu gute Meinung von den Juden.““
  • 4. Mai 1900: Herzl bei Koerber, gibt ihm Informationen für Goluchowski (den österreichischen Aussenminister)
  • 4. Mai 1900: Wolffsohn an Herzl: " Lieber Freund! Ihre beiden Depeschen versetzten mich in nicht geringe Angst und Sorge. Sie fassen die Sachlage viel zu leicht auf, weil Sie die hiesigen Arbeiten die das Spezialcomité zu machen hatte nicht kennen, und nicht wissen, was dazu gehört um unsere Bank zu leiten. Wie konnten Sie bloss mit Kann so verfahren? Ich bin erstaunt dass Sie ihn mit Schach und Landau in einem Athemzuge nennen. Kann ist der einzige von allen jüdischen Bankiers der mit uns ging. Er hat von allen Zionisten die grössten Opfer gebracht. Er hat den höchsten Betrag (1700 Pfund) als Erster bei der Gründung beigesteuert und beinahe 2 Jahre lang mehr gearbeitet wie irgend einer unserer Besten. Kann ist einer der nichts für sich verlangte und erwartete, der seine angesehene sociale Stellung der Sache zu Liebe aufs Spiel setzte. Er ist der ehrlichste aller Freunde unserer Sache und nun diese Behandlung! Hüten Sie sich lieber Freund vor einer solchen Undankbarkeit! Sie könnte sich schrecklich rächen! Was soll nun werden, nachdem Sie die Brücke hinter sich zerstört haben? Ich fürchte sehr stark dass Sie damit das sauer und schwer Erworbene der Zerstörung entgegen führen. Kann war unter uns der einzige Fachmann, der ehrlich nach seinem besten Wissen und Gewissen die Arbeit gethan. Wer soll Alles leiten? Auf mich dürfen Sie dabei nicht rechnen. Es war mir durchaus ernst, als ich damals in Gegenwart von Kann sagte, dass ich den mir übertragenen Posten nur annehme, wenn Kann Vicepräsident wird. Meine Arbeit ist wie mir scheint, bei der Bank gethan. Meine Hauptaufgabe war die Vermittlerrolle, die mir schwer und sauer genug gemacht worden ist, die ich aber durchzuführen bestimmt gehofft hatte. Jetzt aber hat mein Bleiben gar keinen Zweck mehr und ich bitte Sie dringend mich von meinen Posten zu entheben. Vielleicht werde ich Ihnen und der Sache der ich treu ergeben bin, als Privatmann mehr nützen können, als es mir unter den jetzigen Umständen möglich sein wird. Jetzt werden Sie Ihr eigener Minister sein. Sie werden die Bank leiten und ich werde, wenn ich nicht den schwersten Schritt meines Lebens – gegen Sie zu sein – thun sollte, Alles mitmachen müssen, was vielleicht unsere ganze Bewegung ruinieren könnte. Bis jetzt wo ich einen Rückhalt hatte, war es mir ein Vergnügen stets auf Ihrer Seite zu sein. Jetzt aber fürchte ich es nicht mehr zu können. Ich wäre und bin zu Allem bereit, wenn es gilt mit Ihnen zusammen für den Zionismus etwas zu wagen. Hier handelt es sich aber nicht um den Zionismus, hier ist eine Geldangelegenheit im Spiele wozu unser beider Vermögen nicht ausreichen wird, um den Schaden zu decken, der entstehen könnte. Aus dem ganzen Directorium – die besten aus den Zionisten die dafür zu haben waren – bleibt schon jetzt nur der kleinste Theil, und zwar der Theil, der bis jetzt noch nichts gethan höchstens geschimpft und verläumdet hat. Loewe, von dem Sie selbst so wenig halten, wird jetzt der einzige Leiter der Bank, weil er der einzige Fachmann ist und an Ort und Stelle sich befindet. Sie werden sich bald zu Handlungen verleiten lassen, die gegen jede Geschäftspraxis sein werden, und es kann nicht ausbleiben, dass Ihr glänzender Adel und makelloser Name dabei Schaden nehmen wird. Bei Geldsachen wird nicht nach den Motiven, sondern nach den Leistungen geurtheilt. Man nennt Jeden der damit nicht umzugehen versteht und Schaden anrichtet, einen Schwindler. Und Sie, die Hoffnung unseres Volkes, Sie setzen sich unnützer Weise diesen Gefahren aus. Dass Sie nicht viel von Geschäften verstehen, beweist Ihre letzte Handlung, die so unkaufmännisch ist, wie ich sie kaum bezeichnen kann. Bei einem so complicirten und umfangreichen Geschäft wie unsere Bank ist, nehmen Sie binnen 5 Minuten die einzige Leiter ohne Ersatz gestellt zu haben. Jeder Kaufmann wird Ihnen sagen, dass Sie nun die Bureaus absperren und die Thätigkeit einstellen müssen, wenn Sie nicht noch grösseren Schaden anrichten wollen. Die Misswirtschaft über die Sie so oft geklagt, wird eine zehnfache schlimmere werden, dafür garantiere ich Ihnen. Und weswegen ist das Alles geschehen? Einzig und alleine weil Ihnen einige Leute die von der ganzen Sache keine Ahnung haben, weder verantwortlich noch dazu berufen sind, Ihnen gesagt haben, dass man 60 000 Rbl. = 6 000 Pfund in verschiedenen Zahlstellen ansammeln liess, die nach deren Ansicht nicht creditfähig sind, und weil einer der Leitenden Directoren der unbesoldet und selbstlos für die Bank gearbeitet, sich geweigert hat, unlegale Beschlüsse die ohne sein Wissen geführt wurden, auszuführen und weil derselbe die Einmischung anderer in Angelegenheiten die ihm übertragen wurden und für die er die Verantwortung übernommen, ablehnte und zwar ausschliesslich im Interesse der Bank. Denken Sie darüber nach lieber Freund! Rathen kann ich jetzt nicht mehr. Ich kenne Sie zu gut und weiss dass Sie jetzt meinen Rath nicht befolgen werden. Mein innigster Wunsch ist, dass es Ihnen gelingen möge sich aus dieser Affaire ohne viel Schaden zu leiden herauszuziehen [sic]. Mich aber lassen Sie jetzt als treu ergebener [sic] Freund gehen, damit ich nicht ausser aus schönen Hoffnungen auch noch Ihre Zuneigung und Freundschaft verlieren muss. Es ist für mich als Zionist der erste trübe hoffnungslose Tag. Gebe Gott dass ich Unrecht behalte. Ihr stets getreuer D. Wolffsohn"
  • 5.5.1900–28.9.1976: Albert Hochheimer, geb. in Steinheim/Westfalen, gest. in Crocifisso/Tessin, Schriftsteller, Autor von Kinder- und Jugendbüchern, historischen und Abenteuerromanen, Hörspielen und Zeitungsartikeln; er war Lederfabrikant in Offenbach, Kriegsteilnehmer im ersten Weltkrieg, emigrierte nach Holland und Frankreich, war Freiwilliger in der Fremdenlegion; Hauptwerke: Jugendbücher: Der Ausreisser, 1952; Die Salzkarawane, 1966; Der Schatz des Montezuma, 1969; Die Eroberung von Tenochtitlan, 1971; Sachbücher: Die Geschichte der grossen Ströme, 1954 (in verschiedene Sprachen übersetzt); Henri Dunant-Biographie, 1963; Gold, die Geissel der Völker, 1956 (in verschiedene Sprachen übersetzt); Romane: Und setzet ihr nicht das Leben ein, 1960; Die Passagiere der Penelope, 1970
  • 7. Mai 1900: Herzl bei Koerber, Beratungsdienste für die Ansprache anlässlich der Einbringung des Sprachengesetzes; letztlich hält Koerber eine ganz andere Rede; warum hilft Herzl ihm? [Herzl:] „Es geschieht nur, damit er mich an Goluchowski u. dieser an den Sultan empfehle“
  • 7. Mai 1900: Herzls Antwort an Wolffsohn in Köln: "Lieber Freund, Sie suchen doch wol keine Ausrede, um uns zu verlassen? Eine Ausrede brauchen Sie nicht, wenn dieser Moment bei Ihnen eingetreten ist. Dann sagen Sie ganz einfach: Ich habe genug! Und gehen weg. Ich habe mir von Herrn Kann mehr gefallen lassen, als von irgendeinem Menschen, selbst nachdem ich seine Unfähigkeit erkannt habe. Was man nach seinem groben Demissionsbriefe, in dem er andeutete, er werde seinen Austritt öffentlich bekanntgeben, Anderes thun konnte, als eine so würdig gehaltene Erklärung zu veröffentlichen [Herzls Erklärung in der "Welt" IV/18 vom 4.5.1900], das müssen Sie mir erst erklären. War vielleicht dieser Demissionsbrief nur eine Komödie, um noch einmal fussfällig angefleht zu werden? Ich verstehe solche Spässe nicht. Mir ist es Ernst. Was jetzt noch übrig bleibt, ist, die geeigneten Massnahmen zu treffen. Wir werden im Zionismus noch andere, grössere Probleme zu lösen haben, als dieses, und werden die mit Gottes Hilfe lösen. In die Hosen scheissen darf man natürlich nicht, wenn eine Schwierigkeit auftaucht. Die Schwierigkeiten sind dazu da, dass man sich stärke, indem man sie überwindet. Der Bank wird Kanns Austritt colossal nützen. Erstens, weil wir statt eines finanziellen Sportsman ernste Leute bekommen werden. Zweitens, weil die Unzufriedenheit unserer Leute mit der bisherigen Bankgebahrung einen Namen bekommen hat. Ich weiss wol, dass Kann nicht an Allem Schuld ist. Ich glaube sogar, dass dieser mir im Grunde sympathische Mensch von Lourie und Loewe gegen mich aufgehetzt worden ist. Möge er mir durch sein Verhalten jetzt nach der Demission den Rückweg nicht verschliessen. Vielleicht kann ich ihn später, bei geklärten Verhältnissen wieder rufen. Ich bin der Mensch, ihm auch wieder goldene Brücken zur Rückkehr zu bauen, wenn er keine weiteren Dummheiten macht. Er ist ein Erbe, kein Erwerber. Ihn muss man in eine fertige Position hineinsetzen, dann kommen seine von mir anerkannten guten Eigenschaften gewiss noch zum Vorschein. Für die Aufgabe, die ihm diesmal gestellt war, hatte er nicht die Fähigkeiten. Wie Sie von Undankbarkeit reden können, ist mir ein Räthsel. Sie, der Sie wissen, wie hoch ich jedem Genossen der ersten Stunde sein Mitgehen anrechne. Mein lieber Daade, werden Sie nicht locker. Sie lassen sich von zu vielen Leuten beeinflussen. Ich werde Ihnen einen Schlüssel zu jeder Situation, in die Sie gerathen können, geben. Fragen Sie sich immer, ob Sie noch an den Zionismus glauben. Wenn ja, dann gehen Sie ruhig durch Dick u. Dünn mit mir. Ihr Brief strotzt von Bemerkungen, die Ihnen Andere eingeblasen haben. Ich kenne jedes Wort, das von Ihnen u. das von Anderen ist. Wie Sie, der Sie alle meine Anschauungen, meine Opferbereitschaft für die Sache u. meine bisherige väterlich ernste Umsicht in allen zionistischen Angelegenheiten kennen, davon reden können, dass ich leichtfertige Experimente mit der Bank im Sinne habe, das verstehe ich nicht. Das hat Ihnen jemand eingeblasen. Ich will nicht "mein eigener Minister", d. h. Bankverwalter sein, sondern die geeigneten Leute dazu finden. Ich glaube sie schon unter der Hand zu haben u. werde sie Ihnen demnächst vorstellen. Um nun zu Ihrem Demissionswunsche zurückzukehren: das, was Sie angeben, ist kein Grund für mich, es ist überhaupt kein stichhaltiger Grund. Verstehen würde ich das nur, wenn Sie Herrn Kann u. nicht mich als den Führer der zionistischen Bewegung ansehen. Dann gehen Sie in Gottes Namen mit ihm, ich werde Sie nicht halten. Sind Sie aber einfach müde, wie mancher Andere auch, dann überlassen Sie es mir, eine schöne, präsentable Ausrede für Sie zu finden, die sich vor den Leuten sehen lassen kann. Sonst blamiren Sie sich. Aber Sie blamiren auch mich, weil ich so lange an Sie geglaubt und Sie in das Innerste meines Herzens habe blicken lassen. Mit herzlichem Gruss noch immer, Ihr treuer Benjamin [= Herzl] "
  • 9.5.1900–1965: Kurt Wilhelm, geb. in Magdeburg, gest. in Stockholm, jüdischer Gelehrter, spezialisiert auf die Erforschung der Geschichte der so genannten Wissenschaft des Judentums; Kurt Wilhelm, der auch Mitglied des Jung-jüdischen Wanderbundes war, studierte 1919 bis 1923 am Jüdisch-Theologischen Seminar in Breslau und wurde 1923 in Würzburg zum Dr. phil. promoviert; 1925 studierte er am Jewish Theological Seminary in New York und erhielt dort sein Rabbinerdiplom; er lebte und wirkte als liberaler Rabbiner in Braunschweig (1925-1929) und in Dortmund (1929-1933) und wanderte 1933 nach Palästina aus (1936 in Jerusalem Gründung und bis 1948 Rabbiner der liberalen Gemeinde Emet ve-Emunah); 1948 bis 1965 war er Oberrabbiner in Schweden (Stockholm, auch Dozent an der Universität Stockholm), seit 1959 auch Honorarprofessor für die Wissenschaft des Judentums an der Universität Frankfurt am Main; Kurt Wilhelm war verheiratet mit Ilka Wilhelm, die ihn überlebt hat; Hauptwerke: Wege nach Zion. Reiseberichte und Briefe aus Erez Jissrael in drei Jahrhunderten, Berlin 1935 (engl. New York 1948); Von jüdischer Gemeinde und Gemeinschaft. Aus Gemeindebüchern, Satzungen und Verordnungen, Berlin 1938; Jüdischer Glaube, eine Auswahl aus zwei Jahrtausenden (Hrsg.), Berlin etc. 1961; Wissenschaft des Judentums im deutschen Sprachbereich (Hrsg.), 2 Bde., Tübingen 1967
  • 10. Mai 1900: Brief Herzls an Eduard Crespi in Konstantinopel (Original französisch): "Sehr geehrter Herr, aus London zurück, finde ich Ihren geschätzten Brief vom 24. IV. [worin Crespi um Zusendung eines neuen Exposés für das türkische Aussenministerium bittet] vor. Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, dass ich nicht den geringsten Nutzen in der Ausarbeitung eines neuen Exposés sehe. Alles was ich zu sagen habe, habe ich schon mehrmals gesagt. Wenn Sie imstande sind zu handeln, so haben Sie reichlich Information. Wenn Sie aber nichts machen können, wäre es besser, es mir einfach zu sagen. Was verlange ich schliesslich? Von Seiner Majestät in Audienz empfangen zu werden, um ihm für sein Reich vorteilhafte Vorschläge zu machen. Er kann sie zurückweisen, wenn er sie nicht gut genug findet. Die genaue Wahrheit aber ist, dass wir die Einzigen sind, die der Türkei etwas bringen. Und dieses Etwas beziffert sich auf Hunderte von Millionen. Wenn man es vorzieht, sich eine Konzession nach der nächsten von anderen ohne Gegenleistung entreissen zu lassen, soll man das tun. Wir warten in diesem Fall ruhig auf unsere Stunde, und all jene, die viel durch uns hätten gewinnen können, werden nichts haben. Nehmen Sie, sehr geehrter Herr, meine vornehmsten Grüsse entgegen, Herzl"
  • 12.5.1900–6.5.1971: Helene Weigel („Helli“ genannt), geb. in Wien, gest. in Berlin, Schauspielerin und Intendantin des Berliner Ensembles, lernte Bert Brecht 1923 kennen, Geburt des gemeinsamen Sohnes Stefan 1924 (da war Brecht noch mit seiner ersten Frau verheiratet), Heirat mit Brecht fünf Jahre später, 1930 kam die Tochter Barbara zur Welt (Haupterbin Brechts und Inhaberin aller Rechte an Brechts Stücken, die sie nur sehr restriktiv vergab); 1933-1947 Emigration; fast alle Frauengestalten der Brechtschen Stücke sind von Helene Weigel beeinflusst, fast alle hat sie verkörpert; 1948 Rolle in der Uraufführung von Brechts Antigone in Chur; 1950 war Helene Weigel Gründungsmitglied der Deutschen Akademie der Künste in Ost-Berlin, für die SED trat sie als Kandidatin für die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus an, dreimal erhielt sie den Nationalpreis der DDR, 1960 erhielt sie den Professorentitel, 1965 den Vaterländischen Verdienstorden in Silber; der Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei 1968 liess sie an der DDR verzweifeln
  • 15. Mai 1900: Brief Herzls an David Wolffsohn in Köln: " Lieber Freund, nun ist es wol Jedermann klar, dass Lourie hinter Kann gesteckt und diesen Esel aufgestachelt hat. Dass Kann ein Esel ist, zeigt mir sein Brief, den Sie mir heute beilegen. Er weiss also noch immer nicht, welchen furchtbaren Stoss er der Bank gegeben oder doch zu geben versucht hat. Auf Louries unerhörtes Circular erlassen wir heute eine Antwort streng vertraulicher Natur. Ihrem Freunde Kann können Sie sagen, dass er mein Vertrauen, das ich in ihn setzte, schlecht belohnt hat. Er hat mir eine der bittersten und kostspieligsten Lehren gegeben. Ich bin diesem jungen Menschen mit grösster Sympathie und Liebenswürdigkeit entgegengekommen, wollte aus ihm einen grossen Menschen machen (das klingt vielleicht unbescheiden) indem ich ihn an vorderster Stelle an einem grossen Werk mitarbeiten liess. Zu dumm um das zu verstehen, hat er sich von Intriganten gegen meine "Tyrannei" aufhetzen lassen. Am Zionismus hat er sich schwer versündigt. Was er mir angethan hat, daran denke ich keinen Augenblick. Ich bin doch kein eitler Narr. Ich würde ihm heute die Hand reichen, als Erster sogar, ich würde ihn geradezu bitten, wieder in die Verwaltung einzutreten – da Lourie beseitigt ist – aber das ist nach seiner scandalösen Publication ausgeschlossen. Ich habe es immer gesagt: wenn ein Jud dumm ist, ist er schrecklich dumm. Das ist Kanns Fall. Alle Schufte haben uns bisher nicht so weh gethan, wie dieser gottverlassene Esel. Ich garantire Ihnen, dass er auch noch das Vergnügen haben wird, den von seiner hochfahrenden Dummheit angerichteten Schaden (Vertrag Loewe etc. etc.) zu bezahlen, wenn er noch eine einzige Zeile veröffentlicht. Er spielt doch nicht mit kleinen Kindern. Im Uebrigen ist mir nicht bange. Ich bin schon anderen Schwierigkeiten beigekommen, als dieser. Lassen Sie sich nur nicht die Hoden herausschneiden, und verlassen Sie sich auf Ihren Benjamin [= Herzl]"
  • 16.5.1900: Brief Herzls an Wolffsohn: "Lieber Freund, Kanns Brief zeigt mir, dass er noch nicht genug Scandal hat. Was sagte ich Ihnen? Er benimmt sich wie Fabius Schach u. Landau, nur richtet er leider viel mehr Schaden an. Er wird schliesslich noch blamirter sein, als die Herren. Sie wollen immer intervenieren, aber Sie intervenieren zu spät, wenn der Schaden schon angerichtet ist. Schreiben Sie jetzt Kann Folgendes: Sie setzen sich immer tiefer ins Unrecht durch Ihren Eigensinn u. machen endlich auch mich zu Ihrem Gegner. Lourie, der wahrscheinlich an der ganzen Verhetzung Schuld trägt, hatte wenigstens die Rücksicht, die Auseinandersetzung in einem streng vertraulichen Circular an die Functionäre der Bank vorzunehmen. Sie tragen einen Familienstreit in die Oeffentlichkeit. Sie waren durch die Drohung mit der Publication in Ihrem Demissionsbriefe Schuld daran, dass der Aufsichtsrath ein Communiqué erlassen musste. In diesem Communiqué hat man Sie als ehrenhaften u. verdienstvollen Mann hingestellt u. der Differenz einen rein sachlichen Charakter gegeben. Daraus machen Sie Scandal in den antizionistischen Blättern u. beschuldigen Dr. Herzl eines leichtsinnigen Gebahrens, weil er von den zahllosen Reclamationen u. der uns Allen wohlbekannten Misswirthschaft in London beunruhigt war und weil er in einemfort um Abhilfe depeschirte. Die Versammlungen, die er einberief, hatten nur den Zweck, eine Aussprache u. besseren Geschäftsgang herbeizuführen. Dass diese Reisespesen hinausgeworfen waren, war Ihre u. Louries Schuld, weil Sie nicht erschienen. All das kann u. wird Herzl leicht rechtfertigen u. Sie stehen dann als derjenige da, der unseren Führer beschimpft hat. Dass Herzl eine sichere Anlage aufgeben wollte, um unsichere zu machen, das wissen Sie selbst ist nicht wahr. Er wird Ihnen am Ende noch einen Verleumdungsprocess machen. Wie es sich mit dem Depot von 3000 Pfund beim Actions Comité verhält, wissen wir doch Alle. Es sollte nur für den Charter, sonst aber nicht genommen werden. Wenn Sie aber eine solche Sache in die Oeffentlichkeit tragen, handeln Sie nicht mehr als Ehrenmann. Man hat Ihnen gewisse geheime Dinge unter Ehrenwort anvertraut. Ich war selbst dabei, wie Ihnen Ihr Ehrenwort abgenommen wurde. Wenn Sie solche Dinge zur Sprache bringen, so werden Sie wohl dem Zionismus einen Augenblick unangenehm werden, aber dann werden sich alle anständigen Leute von Ihnen abwenden. Was machen Sie jetzt für unbestimmte Anspielungen? Glauben Sie, dass Herzl einen Schatten auf seiner Ehre dulden wird? Er wird Sie auffordern, Ihre Anspielungen zu begründen u. wird darthun, dass Sie darauf gerechnet hatten, er müsse schweigen, um die Arbeiten seiner Agenten in Konstantinopel nicht zu compromittieren. So werden Sie derjenige sein, der verleumdet hat, der Indiscretionen begangen hat u. dem Zionismus schwere Wunden zu schlagen versucht hat. Betrachten Sie mich nicht länger als Ihren Freund, wenn Sie die Zeitungspolemik noch mit einer Zeile fortsetzen. Wenn Sie auf die Erklärungen der Wiener Herren noch etwas antworten wollen, so thun Sie es in einem streng vertraulichen Circular. Aber hüten Sie sich vor weiteren Zeitungspublicationen. Da sind Sie erstens Herzl nicht gewachsen, zweitens fügen Sie der Bank unberechenbaren Schaden zu, drittens kränken Sie u. entfremden sich Ihren Freund: Wolffsohn. – So müssen Sie Kann schreiben, wenn Sie noch retten wollen, was möglich ist. Ich fürchte, es ist zu spät. Sie waren zu gut u. nachgiebig gegen Kann und Lourie. Sie hätten viel verhindern können, wenn Sie Einspruch erhoben hätten, wie ich es von Ihnen erwarten durfte. Machen Sie jetzt wenigstens keinen Fehler mehr. Ich grüsse Sie herzlich. Ihr getreuer Benjamin [= Herzl] "
  • 20. Mai 1900: Brief Herzls an Wolffsohn in Köln (Auszüge): "Aus Kanns Briefstelle, "er lasse sich nicht opfern" schliesse ich, dass Sie ihm noch immer als Freund Einblick in meine Correspondenz gewähren. Denn dieses Wort kann sich nur auf meine Bemerkung beziehen, die Unzufriedenheit werde den Namen Kann bekommen. Das ist aber seine, nicht meine Schuld. Seien Sie vorsichtig, Daade! Sie sprechen immer von meinen Fehlern in der Banksache. Ich habe von den Ihrigen nicht gesprochen, weil ich weiss, wie sehr es Sie kränken würde. Aber, mein guter Daade, weitere Fehler dürfen nicht begangen werden. Kann steht ausserhalb, dem entsprechend haben Sie ihn zu behandeln. Er ist unser Vertrauensmann nicht mehr nach dem was er angestellt hat. Nur das Eine können Sie ihm noch von mir sagen: dass ich ihn für einen eigensinnigen Esel aber trotz des schweren Vergehens das er durch seine Publication begangen hat für keinen schlechten Menschen halte. Es thut mir sehr leid um ihn, weil ich ihn gern gehabt habe. Dass er ein Esel war u. sich von Lourie u. Loewe gegen mich aufhetzen liess, wird er wol schon einsehen, oder doch in den nächsten Wochen, bis ich die ganze Intrigue blossgelegt habe. Es thut mir insbesondere darum leid um unseren holländischen Esel, weil er mich für undankbar halten wird, was ich – Gott ist mein Zeuge – nicht bin ... Es zeigt sich wieder einmal, warum ich der Führer bin, obwol unter Euch viele viel bessere Männer sind als ich. Weil ich nämlich nicht in die Hosen scheisse! Wie Sie glauben konnten, dass wir auf Kanns öffentliche Erklärung er gehe weil wir der Bank "eine gefährliche Wendung" geben nicht antworten würden, ist mir einfach unerfindlich. Wenn er repliciren wird, werden wir dupliciren. Er soll sich nur in acht nehmen, dass er sich nicht in einen Verleumdungsprocess verwickelt ... Seien Sie der Präsident der Bank, ich verlange nichts Besseres. Ich werde mich als Erster vor Ihnen beugen, wenn Sie es wirklich sind u. nicht andere für sich präsidiren lassen. Denn zu Ihnen habe ich unerschütterliches Vertrauen. Gott zum Gruss, Ihr Benjamin "
  • 20. Mai 1900: Paul Naschauer, der Bruder von Herzls Frau Julie und Herausgeber der Welt, stirbt unerwartet in Wien im Alter von nur 34 Jahren
  • 21.5.1900–1989: Fritz Naschitz, geb. in Wien, gest. in Tel Aviv; Studium in Ungarn, Deutschland und Frankreich; 1940 Auswanderung nach Palästina und dort im Industriellenverband aktiv; in Israel übernahm er den Posten des Vorsitzenden des Verbandes deutschsprachiger Schriftsteller; erhielt später das deutsche Bundesverdienstkreuz
  • 23. Mai 1900: Herzl bei Koerber; Herzl rät, wie man die Verwaltung auf Linie bringt, verfasst auf Koerbers Wunsch einen Fragebogen für die Behörden
  • 4.6.1900–12.2.1971: Rabbi Nelson Glueck, geb. u. gest. in Cincinnati, US-amerikanischer Reformrabbiner und biblischer Archäologe, der sich mit bahnbrechenden Untersuchungen im Jordantal und im Negev einen Namen machte, archäologische Funde aber nicht wertfrei stets im Hinblick auf die Bibel bewertete; über vier Jahrzehnte hinweg lokalisierte ca. 1500 biblische Orte
  • 7.6.1900: Brief Herzls an M. G. Schlaposchnikoff [1858 – nach 1913, Arzt, Delegierter der ersten vier Zionistenkongresse] in Charkow, Russland: "Sehr geehrter Herr Gesinnungsgenosse! Es wird nothwendig sein, am Londoner Congresse die Universalität unserer Bewegung stärker zu betonen. Von grossem Nutzen wäre eine Delegation der tscherkessischen Bergjuden. Könnten Sie nicht bei den Beziehungen, die Sie besitzen, ein Arrangement treffen, dass Sie nach London 2 oder 3 Originaljuden aus dem Kaukasus mitbringen ... "
  • 13.6.1900: Brief Herzls an Narcisse Leven (ICA-Präsident): "Sehr geehrter Herr Präsident! Am 6. Juni erhielt ich folgendes Telegramm: "20 Familien Israeliten rumänische in Constantinopel dem Elende ausgesetzt. Wünschen Anatolien zu reisen ohne Geldmittel. Bitten telegraphische Stütze. Russo. Advocat der Dette Publique. Steinberg." Ich beantwortete das Telegramm dahin, sich telegraphisch an die Jewish Colonisation Association zu wenden. Nunmehr erhalte ich ein ausführliches Schreiben, dem ich entnehme, dass 120 Seelen in Constantinopel dem grössten Elend schon seit Wochen ausgesetzt sind. Es sind rumänische Auswanderer, die nicht weiter können. Leider stehen mir für momentane Nothstandsactionen keine Fonds zur Verfügung und so beehre ich mich, Ihnen auch diese Thatsache zur Kenntnis zu bringen. Genehmigen Sie den Ausdruck meiner besonderen Hochachtung. Ihr ergebenster Th. Herzl"
  • 15.6.1900–1.1.1976: Walter Strauss, geb. in Berlin, gest. in Baldham/Oberbayern, Jurist, evangelisch getauft, Sohn von Hermann Strauss, Dr, iur. in Heidelberg 1924, erst Richter und Referent im Reichswirtschaftsministerium, als "Nichtarier" 1935 in den Ruhestand versetzt, dann Mitarbeiter bei Rechtsanwälten und Schiffsagenturen, musste sich auch als Arbeiter in der Rüstungsindustrie verdingen; seit 1946 Staatssekretär in Hessen, seit 1949 Leiter des Rechtsamtes der Vereinigten Wirtschaftsgebiete, Mitglied des Parlamentarischen Rates (CDU, deren Berliner Mitbegründer er war), 1949-1963 Staatssekretär des Bundesministeriums der Justiz, nach seinem Ausscheiden (nach der Spiegel-Affäre in den Ruhestand versetzt, weil er Bundesjustizminister Wolfgang Stammberger nicht über die Ermittlungen gegen den Spiegel und insbesondere über seine Informationen über Franz Josef Strauss unterrichtet hatte) als Richter an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg berufen; für den Deutschen Bundestag hatte er 1949 erfolglos kandidiert
  • 16.6.1900: Herzl besucht Vámbéry in Tirol und schreibt darüber in seinen Tagebüchern: „Ich habe einen der interessantesten Menschen kennen gelernt in diesem hinkenden 70jährigen, ungarischen Juden, der nicht weiss ob er mehr Türke oder Engländer ist, deutsch schriftstellert, 12 Sprachen mit gleicher Perfection spricht u. 5 Religionen bekannt hat, wovon er in zweien Priester war. Bei der intimen Kenntniss so vieler Religionen musste er natürlich Atheist werden. Er erzählte mir 1001 Geschichte [sic] aus dem Orient, von seiner Intimität mit dem Sultan etc. Er fasste sofort volles Vertrauen zu mir u. sagte mir unter Ehrenwort, er sei englischer u. türkischer Geheimagent. Die Professur in Ungarn ein Aushängeschild, nachdem es lange eine Marter gewesen inmitten einer judenfeindlichen Gesellschaft. Er zeigte mir eine Menge geheimer Schriftstücke, allerdings in türkischer Sprache, die ich nicht lesen, nur bewundern kann. U. A. eigenhändige Aufzeichnungen des Sultans. Hechler schickte er gleich schroff weg er wollte mit mir allein sein. Er begann: „Ich will kein Geld haben ich bin ein reicher Mann. Goldene Beefsteaks kann ich nicht essen. Eine viertel Million hab’ ich, ich brauche nicht die Hälfte meiner Zinsen. Wenn ich Ihnen helfe ist’s wegen der Sache.“ Er liess sich von mir alle Details unseres Planes, Geld etc. sagen. Er vertraute mir an, der Sultan habe ihn gerufen, um in den europäischen Blättern Stimmung für ihn zu machen. Ob ich da mithelfen könne? Ich antwortete evasiv. Zwischendurch kam er immer wieder auf die Denkwürdigkeiten seines Lebens zurück, die allerdings gross waren. Durch Disraeli wurde er Agent Englands. In der Türkei begann er als Sänger in Kaffeehäusern, anderthalb Jahre später war er Intimus des Grossveziers. Er könnte in Yildiz [in den Gemächern des Sultans] schlafen, meint aber, man könne ihn da ermorden. Er isst an des Sultans Tisch – in der Intimität mit den Fingern aus der Schüssel – aber er kann den Gedanken der Vergiftung nicht loskriegen. Und hundert andere solche pittoreske Sachen. Ich sagte ihm … schreiben Sie dem Sultan er möge mich empfangen, 1. weil ich ihm in der Presse Dienste leisten kann, 2. weil die blosse Thatsache meines Erscheinens ihm seinen Credit hebt. Am liebsten wäre mir, wenn Sie der Dolmetsch wären. Aber er fürchtet die Strapazen der Sommerreise. Meine Zeit war um. Es blieb im Ungewissen, ob er was thun wird … Aber er umarmte und küsste mich, als ich Abschied nahm … „
  • 18.6.1900: Brief Herzls an Bodenheimer: "Lieber Hajol ... Ihre Idee mit dem Correferat entspricht Ihrer Tendenz, allem und sogar sich selbst Opposition zu machen. Wir werden Ihren Vorschlag aber dennoch der Federation nach London schicken. Ob sie gerade Gaster zum Correferenten bestimmen wird, wage ich nicht zu sagen. Jedenfalls würde die Welt in diesem Falle das Schauspiel geniessen, dass sich die beiden Referenten auf das heftigste bekämpfen, soweit ich das Temperament des Herrn Dr. Gaster kenne. Von Ihrem gar nicht zu reden. Mit herzlichen Grüssen. Ihr getreuer Herzl"
  • 20. Juni 1900: Herzl erleidet, angeblich wegen Überarbeitung ("Gehirnanämie"), einen Ohnmachtsanfall
  • 1. Juli 1900: Herzl bei Koerber, eine Stunde nette Plauderei und Gedankenaustausch
  • 5. Juli 1900: Brief Herzls an Samuel Rosenheck in Kolomea/Galizien: "Sehr geehrter Herr Collega! Vor einigen Tagen besuchte mich Herr Hecht in meiner Wohnung. Da ich zufälliger Weise im Bade war, konnte ich ihn nicht empfangen. Herr Hecht ging beleidigt fort. Ich bitte Sie, ihm diesen Thatbestand zu melden. Hochachtungsvoll mit Zionsgruss, Herzl"
  • 9.7.1900–16.2.1989: Ida Ehre, verheiratete Heyde, geb. in Prerau/Mähren, gest. in Hamburg, Schauspielerin und Regisseurin, Kantorstochter, Prof., kam über Wien, Stuttgart, Mannheim nach Berlin, hatte unter Hitler Berufsverbot, kehrte nach dem Krieg nach Deutschland zurück und gründete 1945 die Kammerspiele Hamburg und leitete sie bis zu ihrem Tod mit grossem Erfolg; Vize-Präs. Des Deutschen Bühnenvereins, spielte auch in Filmen wie z. B. "In jenen Tagen", 1947; im Jahr 1970 erhielt sie den Schiller-Preis der Stadt Mannheim; Ehrenbürgerin Hamburgs
  • 14. Juli 1900: Herzl an Moritz Reichenfeld (1862-1940, Direktor der Wiener Union Bank): "Lieber Freund Moriz [sic], Mein Unwohlsein der vergangenene Woche hat mir wieder den Gedanken des Todes näher gelegt. Wenn ich unter meinen Freunden Umschau halte, so bist Du Derjenige, dem ich die Sorge um das künftige seelische und materielle Wohl meiner Angehörigen am ruhigsten anvertraue. Ich bestelle Dich also im Nachhange zu meinen früheren letztwilligen Anordnungen zum Testamentsexecutor, falls mein Vater nicht mehr lebt. Ebenfalls für den Fall des Ablebens meines Vaters sowie meiner Mutter bestelle ich Dich zum Vormund meiner Kinder und zwar in Gemeinschaft mit meinen Freunden D. Wolffsohn in Köln und Johann Kremenetzky in Wien. Und zwar sollst Du, wenn mein Vater und meine Mutter nicht mehr leben, der Erste Vormund sein, Wolffsohn der Zweite und Kremenetzky der Dritte. Ich habe das Gefühl, indem ich das niederschreibe, dass Du für mich ebensoviel aufrichtige Freundschaft empfindest, wie ich für Dich. Dein Theodor Herzl"
  • Juli 1900: die Türken bauen eine neue Stadt in der Negev-Wüste: Beersheva
  • 18.7.1900–19.10.1999: Nathalie Sarraute (Aussprache: ... root), geb. in Iwanowo-Wosnesensk (Russland) als Natalia/Natascha Tscherniak, gest. in Paris, französische Schriftstellerin russisch-jüdischer Herkunft; lebte seit 1904 in Frankreich, früher Rechtsanwältin; Wegbereiterin und Hauptvertreterin – neben Alain Robbe-Grillet und Michel Butor – des Nouveau Roman; Werke: „Tropismen“, 1938, deutsch 1959; „Martereau“, 1953, deutsch 1959; „Das Planetarium“, 1959, deutsch 1960; „Die goldenen Früchte“, 1963, deutsch 1964 (Thema: das Erscheinen eines Buchs und die Reaktion literarischer Kreise und der Kritik darauf); „Zwischen Leben und Tod“, 1968, deutsch 1969 (Thema: das Entstehen eines literarischen Textes, die künstlerische Produktion; in Gesprächen untersuchen anonyme Dialogpartner die Möglichkeit, durch Sprache aussersprachliche Verhältnisse darzustellen, ohne sie zu verfälschen); „ ...sagen die Dummköpfe“, 1975, deutsch 1976; Essays
  • 20.7.1900–9.3.1991: Fritz Neumark, geb. in Hannover, gest. in Baden-Baden, Volkswirtschaftler und Finanzwissenschaftler; Doyen der deutschen Finanzwissenschaft; seit 1932 Prof. in Frankfurt a. M., dann 1933 bis 1951 (im Exil) Prof. in Istanbul, danach wieder Prof. an der Frankfurter Universität (zweimal deren Rektor), 1957 Präsident des Internationalen Instituts für Finanzwissenschaft, 1958-1962 Vorsitzender des "Vereins für Socialpolitik", 1960-1962 Vorsitzender des Steuer- und Finanzausschusses der EWG, seit 1965 Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium; Hauptwerke: Begriff und Wesen der Inflation, 1923; Konjunktur und Steuern, 1930; Wirtschafts- und Finanzprobleme des Interventionsstaates, 1961; Grundsätze der Besteuerung in Vergangenheit und Gegenwart, 1965; Fiskalpolitik und Wachstumsschwankungen, 1968; Grundsätze gerechter und ökonomisch rationaler Steuerpolitik, 1970; Mitherausgeber des Handbuchs für Finanzwissenschaft (2. Aufl. 1952); "Zuflucht am Bosporus", 1980
  • 11. August 1900: Massenversammlung anlässlich des vierten Zionistenkongresses in London, veranstaltet von der englischen Zionistenföderation zu Ehren der Delegierten; ein Saal mit 8 000 Plätzen konnte nicht alle Interessenten an der Veranstaltung fassen; ausser Herzl selbst hielten auch viele andere zionistische Führer Reden; ein Tag später eine Garten-Party; Herzl wird wie ein göttlicher Retter angebetet; Herzl selbst (Tagebuch, 14. August 1900): „Das Mass Meeting am Samstag Abend im Eastend war mir nichts Neues mehr. Das Zujubeln der Menge sagt mir nichts. Eine neue Note war nur die Garden-Party im Botanischen Garten am Sonntag. Das ganze Publicum wälzte sich mir immer in compacter Masse nach. Ich hätte gern den feinen englischen Garten genossen, wurde aber unter königlichen Ehren erstickt. Sie sahen mir bewundernd zu, als ich eine Tasse Thee trank. Man reichte mir Kinder hin, stellte mir Damen vor, Greise wollten mir die Hand küssen. Ich habe dabei immer die Versuchung zu fragen: Entschuldigen Sie, warum machen Sie das Alles? Gestern in der Nachmittagssitzung übergab ich das Präsidium Gaster u. Nordau u. floh nach dem Kensington Garden, wo ich in reizender Landschaft vor einer Wasser-Perspective eine Tasse Thee in Frieden trank“
  • 13.-16. August 1900: Vierter Zionistenkongress, von Herzl nach London einberufen (obwohl er ursprünglich wieder für Basel optierte), um auf diese Weise das Interesse der englischen Öffentlichkeit für die Bewegung zu erwecken. Von Anfang an hatte Herzl auf die Unterstützung Grossbritanniens gehofft, das sich seit Jahren judenfreundlich verhalten und durch seine liberale Politik viele Einwanderer aus dem europäischen Osten angezogen hatte. Der Kongress war der bisher bestbesuchte und hatte 497 Delegierte gegenüber 197 beim ersten (1897), 349 beim zweiten (1898) und 153 beim dritten (1899). Herzl selbst äusserte sich nach dem Kongress so: „Der vierte Zionisten Congress ist zu Ende. Es war viel Lärm, Schweiss und Trommelschlag. „Gearbeitet“ wurde natürlich nichts, u. dennoch war das Resultat vorzüglich. Wir haben vor der englischen Welt manifestiert und die Manifestation wurde bemerkt. Die englischen Blätter brachten im Ganzen u. Grossen solche Berichte, wie wir sie brauchen konnten u. können … „ (Tagebücher, 20.8.1900)
  • 25.8.1900–22.11.1981: Hans Adolf Krebs, geb. in Hildesheim, gest. in Oxford, Biochemiker, Krebsforscher, emigrierte 1933 nach England und wurde 1945 Prof. für Biochemie in Sheffield und 1954 in Oxford; 1953 erhielt er gemeinsam mit Fritz Albert Lipman den medizinischen Nobelpreis für Stoffwechselforschungen, den Krebs-Zyklus = Zitronensäurezyklus; er wurde geadelt: Sir Hans Adolf; 1972 Mitglied des Ordens Pour le mérite für Wissenschaften und Künste; -- Zitat: "Hitler hat mich zum Juden gemacht"
  • 26.8.1900: Gründung des Liverpooler zionistischen Frauenvereins "Ladie's Zionist Association"
  • 7.9.1900–2.2.1975: Irene Harand, geb. in Wien, gest. in New York City, war eine bemerkenswerte (katholische) österreichische Widerstandskämpferin, Autorin, Gegnerin der Nationalsozialisten; in den späten 1920er-Jahren arbeitete sie im "Verband der Kleinrentner und Sparer Österreichs" des jüdischen Anwalts Moriz Zalman, der sich unentgeltlich für Opfer der Inflation einsetzte; sie lernte Zalman 1927 kennen; durch dessen selbstlose Arbeit stark beeindruckt, begann sie den Antisemitismus der damaligen Gesellschaft abzulehnen; in diesem Verband wurde sie schliesslich seine Stellvertreterin und schrieb für dessen Zeitung "Welt am Morgen"; 1930 gründete sie gemeinsam mit Zalmann die Österreichische Volkspartei, die sich für Kleinrentner und Ärmere einsetzte und, im Gegensatz zu den anderen Parteien, aktiv gegen den Rassismus auftrat; bei den Wahlen 1930 verfehlte die Partei den Einzug in den Nationalrat, was an geringen Geldmitteln und der Kampagne der Sozialdemokraten lag, denen Zalman zuvor nahestand und über dessen Kandidatur sie verärgert waren; diese Partei geriet aber 1933 in den Hintergrund, als die "Harandbewegung" gegründet wurde und eine der schärfsten Kritiker der Nationalsozialisten in Österreich wurde; Irene Harand selbst war allerdings auch eine überzeugte Anhängerin des Austrofaschismus und forderte einen christlichen Ständestaat; die "Harandbewegung" wurde Teil der Vaterländischen Front, und Harand übersah und verharmloste in ihren Reden dabei auch den Antisemitismus dieser Bewegung; schon seit Beginn der 1930er-Jahre war Irene Harand den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge: Sie stand dem christlich-konservativen Lager nahe, gründete 1933 die "Weltbewegung gegen Rassenhass und Menschennot" und gab ausserdem die antinationalsozialistische Wochenzeitschrift "Gerechtigkeit" heraus, welche eine Auflage von 28 000 Exemplaren hatte; drei Jahre nach dem Erscheinen ihres Buches "Sein Kampf. Antwort an Hitler" ((erschienen 1935; ein Buch, das Hitlers Machwerk "Mein Kampf", die "Hakenkreuzbibel", zur Ausgangsbasis nahm, um, bezogen auf die Textfolge des "Originals", dessen "Argumente" eines nach dem anderen auseinanderzunehmen und zu widerlegen; ein Buch mit wohltuendem Ton; unglaublich klar und schlüssig hat Irene Harand die komplette Idiotie des Rassenwahns und die Gefährlichkeit, die Verrücktheit der Nazis und ihrer Ideologie gesehen und beschrieben, wenn auch gesagt werden muss, dass sie, wenngleich in bester und löblicher Absicht, nicht selten sinnentstellend zitiert)), das sie auf eigene Kosten herausgab, wurde im Jahre 1938 ein Kopfgeld in Höhe von 100 000 Reichsmark auf sie ausgesetzt und ihre Bücher öffentlich in Salzburg verbrannt; Irene Harand, die sich zu jener Zeit in England befand, konnte jedoch nicht gefasst werden und flüchtete in die USA, wo sie die Emigrationsorganisation "Austrian Forum" gründete, die vielen österreichischen Juden das Leben gerettet hat; 1969 erhielt sie die Ehrenmedaille "Gerechte unter den Völkern"; sie starb 1975 in New York; ihre Asche wurde am 27. Juni 1975 in einem Ehrengrab der Gemeinde Wien beigesetzt; beinahe wäre Harands Antwort auf Hitlers "Mein Kampf" verloren gegangen - Vor kurzem wurde allerdings eine Kopie des Buches gefunden, das Original war nicht mehr aufzutreiben; im Zuge einer Neuauflage durch den Verleger Franz Richard Reiter gaben am 12. März 2005 mehr als 100 Künstler, Literaten, Wissenschaftler und Publizisten der Österreicherin im Erzbischöflichen Palais in Wien und via Videowall auf dem Stefansplatz ihre Stimme zurück; die Lesung fand statt unter jenem Christusbild, das am 8. Oktober 1938 beim Sturm der Hitlerjugend von Dolchen durchbohrt und zur Erinnerung in diesem Zustand belassen wurde
  • 7.9.1900–1992: Mary S. Rosenberg, geb. als Marie Sara Rosenberg in Fürth, gest. in New York, US-amerikanische Publizistin und Verlegerin; sie war zunächst in der Buchhandlung ihres Vaters tätig und erwarb dort ihre ersten Kenntnisse und Erfahrungen; nach ihrer Emigration nach New York gründete sie dort den noch heute bestehenden Verlag Mary S. Rosenberg Publishers, der sich auf deutschsprachige Literatur spezialisierte; zum Verlag gehört auch eine gut gehende Buchhandlung am Broadway; 1942 hatte sie die gesamte Bibliothek des Verlegers und Chefredakteurs der Frankfurter Zeitung, Heinrich Simon, käuflich erworben
  • 12.9.1900: Angriff von Beduinen auf Hadera
  • September 1900: Rosamond Oliphant-Templeton, Witwe des 1888 verstorbenen Laurence Oliphant, rät Herzl von seiner bisher verfolgten Taktik ab; Herzl werde mit Sicherheit keinen Charter für Palästina von der türkischen Regierung erhalten, damit nur Geld und Zeit vergeuden; gestützt auf langjährige eigene Erfahrung in Palästina sowie auf die Erfahrung ihres verstorbenen Mannes rät sie Herzl stattdessen zur üblichen Praxis, Land unter fremdem (nichtjüdischen!) Namen zu kaufen, um auf diese Weise die tatsächliche Kolonisation voranzutreiben: " ... allgemein wird angenommen, dass Israel schliesslich das Heilige Land einmal besitzen wird und sich die Prophetie in dieser Hinsicht verwirklichen wird; wenn Sie sich also eher auf Gottes Versprechen als auf die türkische Regierung verlassen und sich ganz in Ruhe allmählich in Palästina etablieren, werden Sie, wenn es einmal einen Herrschaftswechsel gibt, das erste Recht darauf haben, nämlich das Recht des tatsächlichen Eigentums ... werden dann ... die Europäischen Mächte nicht bereit sein, Palästina zu schützen, ein Palästina, das tatsächlich international sein wird, wo doch die Israeliten aus den verschiedensten Ländern kommen? Ist nicht das der einzige Weg, das Heilige Land allen Nationen zu geben und sie alle zufriedenzustellen, während man gleichzeitig eine "Heimstätte" für Israel findet?" – Frau Oliphant berichtete dann von ihren eigenen grossen Ländereien, die sie dort besitze, und bot sie Herzl zum Kauf an
  • 8. Oktober 1900: Herzl erneut zu Koerber gerufen
  • 14. Oktober 1900: Herzl (Wien) an David Wolffsohn (Köln): " ... Traurig sieht es ... in London aus. Mir habt Ihr ja das Maul verboten, weil ich nichts verstehe. Und was ist in diesen zwei Monaten seit dem Congress geschehen? Nichts, nichts, nichts! Wieder habt Ihr die Congressstimmung verrauchen lassen, wieder war man nicht im Stande die ungeheuer schwierige und räthselhafte Arbeit der Sharesausgabe zu machen, wieder liegt die Bank auf den faulen Schultern des Herrn Loewe, der mir zum Trotz engagirt wurde. So lange man mir folgte, sind wir vorwärts gekommen, haben einen Erfolg nach dem Anderen erzielt. Ihr habt Euch gegen meine unverständigen Befehle aufgelehnt – da habt Ihr das Resultat. Ich bin tiefbekümmert und entmuthigt, das kann ich Dir im Vertrauen sagen ... "
  • 15. Oktober 1900: Brief der türkischen Regierung an Herzl lanciert, sie benötige kurzfristig und dringend 700 000 bis 800 000 türkische Pfund gegen 6 bis 6,5 % Zins; wenn die Sache schnell und erfolgreich erledigt werde, dürfe Herzl beim Sultan vorsprechen; Antwort Herzls: Man werde ein entsprechendes Angebot zu 6,5% Zins machen, aber nur mit dem Sultan direkt verhandeln (d. h. Audienz vor Geld und nicht umgekehrt); Antwort (Telegramm vom 29.10.1900) eines der Mittelsmänner der türkischen Regierung: sofortige Anzahlung von 200 000 Pfund als Vorschuss auf den verbindlichen Gesamtkredit in Höhe von 700 000 zu 6 Prozent, dann werde man das Angebot dem Sultan vorlegen in der Hoffnung, dass Herzl dann gerufen werde; Antwort Herzl: Die Zinsreduzierung wird sich machen lassen, wenn er, Herzl, sich davon persönlich überzeugen könne, dass der Sultan dem zionistischen Begehren gegenüber aufgeschlossen sei, die Überweisung des Vorschusses werde eine Woche nach (!) der Audienz erfolgen; mit Anstrengung sicherte sich Herzl dann Garantien, dass die Gesamt-Summe zur Verfügung gestellt werden könne, die dann nach einigem diplomatischen Hin und Her nicht abgerufen wurde
  • 17. Oktober 1900: Bernhard von Bülow, der deutsche Aussenminister, wird nach dem Rücktritt des Fürsten Hohenlohe deutscher Reichskanzler und preussischer Ministerpräsident
  • 17. Oktober 1900: Herzl wieder zu Koerber gerufen, Besprechungspunkt: Gründung einer Zeitung, die den Kurs der Regierung nachhaltig stützt, eine Idee, die schon länger diskutiert wird, aber Koerbers Berater haben hinsichtlich der Person Herzl Zweifel, da er eben in erster Linie den Zionismus repräsentiere
  • 3.11.1900–21.1.1993: Leo Löwenthal, geb. in Frankfurt/M., gest. in Berkeley, Kalifornien, Soziologe, Dr. phil. in Frankfurt 1923, emigrierte 1934 in die USA und war seit 1956 Prof. an der Berkeley University; Mitbegründer der Kritischen Theorie/Frankfurter Schule; sein Arbeitsgebiet war die Literatursoziologie und Kommunikationsforschung; Ehrendoktor der Universität Hamburg; Hauptwerke: Prophets of deceit, 1949 (deutsch: Agitation und Ohnmacht, 1966); Literature and the image of man, 1957 (deutsch: Das Bildnis des Menschen, 1966); Literature, popular culture and society, 1961 (deutsch: Literatur und Gesellschaft, 1964)
  • 12.11.1900–März 1944: Dr. phil. Emanuel Ringelblum, geb. in Buczacz/Ostgalizien, gest. in Warschau, polnisch-jüdischer Historiker, Politiker, Pädagoge und Publizist, der unter der deutschen Herrschaft im Generalgouvernement das Ringelblum-Archiv / Untergrundarchiv Oneg Szabat (Oneg Schabbat / Oneg Shabbat / Oyneg Shabbes, abgekürzt O. S. = hebr./jiddisch "Freude an der Schabbat-Zusammenkunft", wenn man am Freitag Abend in froher Stimmung zusammenkommt, gut isst und trinkt, Lieder singt, Vorträge hält, sich ausspricht etc.; es sollte auch unter Ghetto-Bedingungen versucht werden, ein kulturelles, bewusst jüdisches, freudiges Leben aufrechtzuerhalten) des Warschauer Ghettos aufbaute und leitete; er wurde geboren als Sohn eines Lehrers im damals österreichischen Galizien; Kindheit und Jugend verbrachte er in Nowy Sącz; 1927 promovierte er an der Universität Warschau mit einer Arbeit über die Geschichte der Juden im Mittelalter; in den politisch bewegten Jahren der jungen Republik Polen trat er der linkszionistischen Partei "Linke Poale Zion" bei und wurde schnell zu einem ihrer führenden Vertreter; er propagierte einen "proletarischen Palästinismus", der die Gründung eines sozialistischen jüdischen Territoriums in Palästina anstrebte; die Grundlage sollte ein friedliches, gleichberechtigtes Zusammenleben der Einwanderer mit der arabischen Bevölkerung sein; mehrere Jahre arbeitete er als Geschichtslehrer an jüdischen Schulen; 1938 wurde er als Vertreter des Joint Distribution Committee in das Auffanglager Zbąszyń (bis 1918: Bentschen) an der Grenze zu Deutschland geschickt, um die dorthin Ende Oktober 1938 vertriebenen 6 000 polnischen und staatenlosen Juden karitativ zu betreuen; später lebte er im Warschauer Ghetto; Marcel Reich-Ranicki, der im November 1940 zur Umsiedlung in das Warschauer Ghetto gezwungen worden war, arbeitete dort bei dem von den Nationalsozialisten eingesetzten Judenrat als Übersetzer und auf besondere Anforderung für den Obmann des Rates Adam Czerniakow; gleichzeitig arbeitete er dem Ghetto-Untergrundarchiv des Emanuel Ringelblum zu; in seiner Autobiographie beschreibt Reich-Ranicki seine Arbeit für den zwanzig Jahre älteren Ringelblum und den positiven Eindruck ("ein stiller, unermüdlicher Organisator ..., ein kühler Historiker, ein leidenschaftlicher Archivar, ein erstaunlich beherrschter und zielbewusster Mann. Immer hatte er es sehr eilig, unsere wenigen Gespräche waren leise, knapp und ganz sachlich", Reich-Ranicki, Mein Leben, München 2000, S. 216), den dieser auf ihn gemacht hat; im Archiv wurde alles gesammelt, was das Leben im Ghetto dokumentieren konnte; daraus sollten künftige Historiker Nutzen ziehen; aufgrund dieser Materialien wurden auch Berichte für die polnische Untergrundbewegung und für die polnische Exilregierung in London verfasst; insbesondere der Briefwechsel des Judenrates mit den deutschen Behörden war für das Archiv von grosser Bedeutung; Reich-Ranicki schreibt, dass er von allen wichtigeren Briefen und Berichten Kopien anfertigte und sie einem der Mitarbeiter Ringelblums im Sekretariat des Judenrates aushändigte; Emanuel Ringelblum wurde am 7. März 1944 mit seiner Frau, seinem kleinen Sohn und anderen Untergetauchten in seinem Versteck aufgestöbert; einige Tage später wurden alle, zusammen mit den polnischen Beschützern, im Warschauer Pawiak-Gefängnis von Deutschen erschossen; - das Archiv: Am 22.7.1942 begann die "Grosse Aussiedlung" der Warschauer Juden in das Vernichtungslager Treblinka; Anfang August sicherten die Mitarbeiter des Untergrundarchivs ihre wertvollen Bestände: Zehn wasserdichte Metallkisten für Dokumente wurden angefertigt und im Keller einer ehemaligen Schule im Ghetto eingemauert; ein mithelfender 18jähriger Schüler schrieb noch rasch seinen Lebenslauf und sein Vermächtnis: "Ich möchte den Augenblick erleben, wenn die Schätze, die wir hier verstecken, ausgegraben werden und die Welt die ganze Wahrheit erfährt. Glücklich sei, wem das Schicksal diese Leiden erspart hat! Und wir werden uns fühlen wie Veteranen mit Orden auf der Brust, wie die Weisen, die in die Zukunft schauen"; nach der Befreiung begannen überlebende Mitarbeiter Ringelblums mit der Suche nach dem verborgenen Untergrund-Archiv; im September 1946 wurden die zehn Blechkisten mit 1208 Archivalien tief unter den Trümmern des Hauses wiedergefunden; im Dezember 1950 wurden bei einer weiteren Suchaktion zwei grosse Milchkannen mit 484 Archivalien geborgen; von der dritten Abteilung des Archivs fanden sich an anderer Stelle nur eine Anzahl halbzerstörter Blätter; der vierte und letzte Teil mit Ringelblums letzten Arbeiten aus den Jahren 1943 und 1944 war noch während des Kriegs bei polnischen Freunden versteckt worden und wurde später an das "Museum der Ghettokämpfer" im Kibbuz Lochamei haGeta'ot (im nördlichen Israel) abgegeben
  • 14.11.1900: Brief Herzls an Wolffsohn, Köln: "Mein lieber Daade, ich überlese eben noch einmal deinen letzten Brief. Da steht etwas von einer Provision. Damit meinst Du doch unsere Leute bei Cohn [d. h. beim Sultan] u. die Financiers. Selbst wenn die Sache gar nichts mit dem Zionismus zu thun hätte u. als reines Finanzgeschäft zustandekäme würde ich für meinen Theil keinerlei Provision oder Betheiligung annehmen. Das musst Du jedenfalls Kann sagen, der vielleicht glaubt, dass ich da etwas Geschäftliches mache. Er darf dabei verdienen, Du darfst es ebenfalls, aber ich als Führer darf an keinem Geschäfte theilnehmen ... "
  • 14.11.1900: Brief Herzls an Joseph Cowen, London: "Mein lieber Cowen, Sie halte ich für unseren fähigsten Mann in England, darum übergebe ich Ihnen eine wichtige und ungemein delicate Sache zur Besorgung ... Wenn es irgend möglich ist, Dr. Gaster, den ich für meinen persönlichen Feind halte, zu umgehen, so lassen Sie ihn ausserhalb Ihrer Combinationen. Es handelt sich darum, dass ich so bald als möglich mit Lord Rothschild eine eingehende Unterredung haben muss ... Nun kenne ich aber diese Leute zur Genüge, um zu wissen, dass er stolzer und unzugänglicher sein wird, als ein König, wenn ich ihn um eine Audienz bitte. Es entspricht aber der Würde u. den Interessen des Zionismus nicht, dass ich mich vor ihm erniedrige. Darum muss diese Unterredung durch geschickte und energische Mittelspersonen ohne mein Hinzuthun herbeigeführt werden. Darin besteht Ihr Auftrag ... Uebrigens überlasse ich es Ihnen vollkommen, in welcher Weise Sie Lord R. dazu bestimmen. Die Sache müsste nur die Form bekommen, dass der Vermittler es übernimmt, mich dazu zu bewegen, dass ich zu einer Unterredung mit Lord R. eigens nach London komme. Haben Sie mich verstanden? ... Der ganze Gedanke muss scheinbar von Ihnen und nicht von mir ausgehen. Decouvrieren Sie mich auch vor den Intimsten nicht! ... "
  • 14.11.1900–2.12.1990: Aaron Copland (eigentlich Aaron Kaplan), geb. in Brooklyn, NY, gest. in North Tarrytown, NY, US-amerikanischer Komponist, Dirigent und Musikschriftsteller, einer der wichtigsten Vertreter der amerikanischen Moderne, Sohn litauischer Juden, die in Amerika eingewandert waren, Schüler von Nadia Boulanger; liess sich in seinen frühen Werken vom Jazz und folkloristischen Klängen inspirieren und fand nach 1950 zu einem avantgardistischen Stil mit Experimenten in Zwölftontechnik und dissonanten Elementen; schrieb Ballette ("Appalachian Spring", 1944; dafür Pulitzer-Preis 1945), Orchesterwerke ("El Salón México", 1937), Sinfonien und Filmmusiken; gilt als Pionier einer eigenen amerikanischen Musik und beeinflusste als Lehrer zeitgenössische Komponisten wie Leonard Bernstein, mit dem er auch befreundet war; Mitte der 80er Jahre erkrankte der bisexuelle Copland an Alzheimer und starb 1990
  • 16.11.1900: Attentatsversuch auf Kaiser Wilhelm II. in Breslau, der misslang; eine Frau hatte ein Beil gegen den kaiserlichen Wagen geworfen; Herzl bringt (Brief in unterwürfigstem Tonfall an den Grossherzog von Baden, der es dem Kaiser ausrichten möge) auf Anraten Hechlers seine Freude über die glückliche Abwendung des Attentats zum Ausdruck
  • 17.11.1900–16.8.1979: Otto Kahn-Freund, geb. in Frankfurt am Main, gest. in Oxford, mehrfach ausgezeichneter Jurist, Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, Studienkollege von Carlo Schmid bei Sinzheimer, Richter an deutschen Gerichten 1928-1933 (u. a. am Arbeitsgericht in Berlin), im Juni 1933 nach England emigriert, wo er erneut ein Jurastudium beginnt, seit 1951 Prof., 1971 emeritiert, 1976 geadelt ("Sir Otto Kahn-Freund") für seine Verdienste im Bereich des Arbeitsrechts; Hauptwerke: The Growth of Internationalism in English Private International Law, 1960; Delictual Liability and the Conflict of Laws, 1968; General Problems of Private International Law, 1975
  • 19.11.1900–1.6.1983: Anna Seghers, Schriftstellerin, bürgerlich Netty Radványi, gebürtig Reiling, das Pseudonym „Seghers“ entlieh sie dem von ihr geschätzten niederländischen Radierer und Maler Hercules Pieterszoon/Pietersz Seghers (ca. 1590 – ca. 1638, auch: Segers); Anna Seghers wurde geboren in Mainz und starb in Berlin Ost; sie war das einzige Kind des Mainzer Kunsthändlers Isidor Reiling und seiner Frau Hedwig (geb. Fuld); die Familie bekannte sich zum orthodoxen Judentum; allerdings war das abgegriffenste Buch in der Familienbibliothek der Reilings die Lutherbibel; sie heiratete einen ungarischen Sozialisten, 1928 Mitglied der KPD; als Emigrantin seit 1933 in Frankreich und Mexiko; seit 1947 in Ostberlin, dort Nationalpreisträgerin und Präsidentin des Schriftstellerverbands; gegenüber dem Unrecht, vom DDR-Regime begangen an Walter Janka, dem Leiter des Aufbau-Verlags, der auch ihre Bücher verlegte, an Heiner Müller, an Wolf Biermann und vielen anderen, blieb sie stumm; ihre Parteitreue und unverhohlene Stalin-Begeisterung irritiert; Erzählungen und Romane (Auswahl): „Der Aufstand der Fischer von St. Barbara“, 1928; „Die Rettung“, 1937; „Das siebte Kreuz“, 1942; „Transit“, spanisch 1944, deutsch 1948; „Der Ausflug der toten Mädchen“, 1946; „Die Toten bleiben jung“, 1949; „Die Entscheidung“, 1959; „Das Vertrauen“, 1969; „Überfahrt“, 1971; „Steinzeitliche Wiederbegegnung“, 1977
  • 23.11.1900: Brief Herzls an Joseph Cowen [vgl. 1868-1932], London: "My dear Cowen, Sir Francis Montefiore must be elected for the House of Commons in the Eastend instead of Sir Samuel Montagu. Zion exspects every man to do his duty [!]. If Sir Francis is not willing, you must be elected. Yours sincerely Herzl" [einer der ersten Versuche gezielter Einflussnahme von Zionisten auf die jeweilige Landespolitik]
  • 2. Dezember 1900: feierliche Eröffnung der ersten (jüdischen) "Toynbee-Halle" [benannt nach Arnold Toynbee, 1852-1883] in Wien, zurückgehend auf eine Initiative von Leon Kellner: Lokalitäten, wo "reiche Studierte mit armen Unwissenden" Kontakt aufnehmen, miteinander lernen und soziale Ungleichheiten ausgeglichen werden sollten
  • 4. Dezember 1900: Brief Herzls an Joseph Cowen in London: "Mein lieber Cowen, eine wichtige Anregung wird mir gegeben [die Anregung kam von Eduard Crespi]. Es würde auf E. [Codewort für den Sultan] einen grossen Eindruck machen, wenn die englische Regierung die Zionisten auffordern würde, den Strom der Auswanderer nach Transvaal zu leiten. Unter uns gesagt, wir würden von dieser Aufforderung keinen Gebrauch machen. Aber für meine jetzigen Unterhandlungen brauche ich das, und zwar rasch. Ich kann dann darauf hinweisen, dass eine Macht wie England unsere Leute für ein werthvolles u. friedliches Culturelement ansieht. Der einzuschlagende Weg wäre vielleicht der, dass Sir Francis Montefiore Mr. Barrington [der Privatsekretär des Aussenministers Lord Lansdowne] aufsucht u. ihn bittet, ihm einen officiellen Brief, adressirt an Sir Francis oder an mich, zu schreiben. Von diesem Brief würde ich bestimmt keinen öffentlichen Gebrauch machen, sondern ihn nur E. zeigen lassen. Sie haben mich verstanden. Vorliegender Brief ist nur für Sie, Sir Francis u. Greenberg bestimmt. Sonst darf ihn Niemand kennen lernen. Mit herzlichen Grüssen Ihr getreuer Benjamin"
  • 8.12.1900–3.9.1942: Georg Hornstein, geb. in Berlin; getötet im KZ Buchenwald, jüdischer Widerstandskämpfer in der Zeit des Nationalsozialismus; im Jahre 1902 übersiedelte die Familie nach Düsseldorf, wo sie auf der noblen Königsallee ein Geschäft besass; nach dem Abitur und dem kurzen Besuch der Handelshochschule in Köln meldete sich Georg Hornstein im Januar 1918 als Kriegsfreiwilliger nach Wien und diente bis zu seiner Entlassung im November desselben Jahres als Fähnrich in Krakau; in der Folge setzte er seine Studien in Köln, Paris, London und Buenos Aires fort und kehrte im Jahr 1926 nach Düsseldorf zurück; nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten emigrierte Georg Hornstein nach Amsterdam und baute sich dort eine Existenz auf; mit Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges meldete er sich als Freiwilliger beim Rekrutierungsbüro der spanischen Armee in Barcelona; bei den Gefechten um Madrid wurde er durch einen Kieferschuss schwer verwundet, seit September 1937 war er aber wieder bis zum April 1938 als Verbindungs-Offizier in Albacete tätig; nach der deutschen Besetzung der Niederlande im Mai 1940 gelang es ihm noch im selben Monat, sein Geschäft zu liquidieren und sich für den Verkaufserlös Schmuckstücke und andere Wertgegenstände zuzulegen; die Niederlande zu verlassen und ins Ausland zu flüchten, gelang ihm aber nicht mehr; er wurde durch die Sicherheitspolizei festgenommen und in das Polizeigefängnis Düsseldorf verbracht, wo er zunächst inhaftiert blieb und auch mehrfach gefoltert wurde; aufgrund der Vernehmungen und Einschätzungen der damaligen deutschen Machthaber wurde Georg Hornstein mit Schutzhaftbefehl vom 6. März 1942 in Schutzhaft der Stufe drei genommen (Einstufung als "besonders gefährlicher Gegner") und in das KZ Buchenwald überstellt, wo er am 7. Mai 1942 ankam; dort war er unter ständiger Beobachtung und durfte nicht bei Arbeiten der Aussenkommandos beschäftigt werden; inzwischen wurde seine Mutter Hulda Hornstein aus Düsseldorf am 21. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert; am 3. September 1942 wurde Georg Hornstein in Buchenwald durch die SS getötet; Zitat aus einem Vernehmungsbericht der SS, 24. Januar 1942, Düsseldorf: "Ich besitze zwar die deutsche Staatsangehörigkeit und gelte nach den Buchstaben des Gesetzes als deutscher Staatsangehöriger. Als Jude habe ich jedoch praktisch alle Rechte in Deutschland verloren und war darum bemüht, mir eine neue Heimat zu suchen ... [ ... ] ... Als Jude habe ich [in Spanien] für meine Überzeugung und meine Lebensrechte gekämpft. Ich betrachte mich unter den gegebenen Umständen nicht mehr als deutschen Staatsangehörigen und würde jede mir gegebene Gelegenheit benutzen, eine neue Staatsangehörigkeit zu erwerben, wie ich auch als Jude jederzeit bereit wäre, für meine Lebensrechte zu kämpfen. Weitere Angaben habe ich nicht zu machen."
  • 13.12.1900–3.7.1978: Johann Lorenz Schmidt, geb. in Ungarn (als Laszlo Radvanyi), Soziologe, seit 1928 Mitglied der KPD, leitete vor 1933 die Marxistische Arbeiterschule in Berlin und gab die Zeitschrift "Der Marxist" heraus; 1933 emigrierte er nach Frankreich, 1941 nach Mexiko; 1947 kehrte er nach Deutschland zurück und wurde in Ost-Berlin Prof. für "Imperialismusprobleme"; er war mit Anna Seghers verheiratet; seit 1961 war er Präsident der Deutsch-Lateinamerikanischen Gesellschaft der DDR, wo er wiederholt ausgezeichnet wurde
  • 27. Dezember 1900: Die Zeitungen melden, dass die Türkei wegen des politischen Zionismus verschärfte Einwanderungsbeschränkungen für Palästina erlassen habe; darauf Herzl brieflich an Vámbéry (28.12.1900): „Ich halte das nicht nur für kein schlechtes Zeichen, sondern für ein gutes. Die Hure [gemeint ist die Türkei] will den Preis hinaufsetzen, darum sagt sie, dass sie nicht zu haben sei. Am I right?“ [das Gleiche schrieb er an Joseph Cowen/London einen Tag später]
  • 29. Dezember 1900: Brief Vámbéry an Herzl, er, Vámbéry, habe vom Sultan bei seiner letzten Audienz etwas ganz anderes zu hören bekommen: „Ihm ist alles Wurst, er will nur Geld und Macht haben“
  • 31. Dezember 1900: Brief Herzl an Vámbéry: Vámbéry solle dem Sultan in geeigneter Form mitteilen und wissen lassen, dass wenn er, der Sultan, nicht auf die finanziellen Offerten der Zionisten eingehen werde, er, Herzl, ihm, dem Sultan schaden wolle: „ … Flectere superos si nequeo, Acheronta movebo [„Wenn ich die Oberen = die Götter = nicht umstimmen kann, werde ich die Unterwelt bewegen]. Ich werde Mitte Januar eine Rundreise zu meinen finanziellen Freunden antreten u. sie bestimmen, der türkischen Regierung alle Geldquellen abzuschneiden. Das wird ihnen vielleicht zeigen, dass Ihr Dori [ = Herzl ] keine quantité négligeable ist … „ ; Vámbéry möge dem Sultan ein Ultimatum (eine „Freundeswarnung“) formulieren für eine Einladung bis zum 15. Januar 1901 – unter Hinweis auf die vielen Hilfen, die die Türkei bisher ohne Dank von den jüdischen Freunden erhielt und die nun bald in offenbare Schädigungen umschlagen werden, falls sich die Türkei nicht eines Besseren besinnt; Vámbéry trug dem Sultan (am 2.1. oder 3.1.1901) alles vor
  • Vor und nach 1900: Juden im Pferdesport:
    • Bruno Cassierer (Deutschland), Züchter
    • Eduard Fischhof (Deutschland), Züchter
    • Egon Fürstenberg (Deutschland), Züchter
    • I. B. Joel (Deutschland), Züchter
    • M. J. Oppenheim (Deutschland), Züchter
    • Lionel Rothschild (Frankreich), Züchter
    • Felix Sommer (Deutschland), Züchter
    • Arthur Weinberg (Deutschland), Züchter
    • Otto Koch (Deutschland), Reiter
    • Walter Mossner (Deutschland), Reiter (vgl. 1846-1932)
    • Victor Sassoon (England), Reiter
    • George Stern (Deutschland), Reiter
    • A. Treuherz (Deutschland), Reiter
  • Nach 1900: Im britischen Königreich kam es erst im Zuge der starken Einwanderung von fast 200 000 Ostjuden aus Polen und Russland zu Konflikten um das Jahr 1900 herum. Die Zuwanderer waren durch Sprache, Tracht und Sitten deutlich unterscheidbar und trafen meist völlig mittellos in England ein. Aus Furcht vor billigen „Lohndrückern“ streikten 1903 die Bergarbeiter von Süd-Wales gegen ihre aus Polen stammenden Kollegen und verlangten einen Einreisestopp für verarmte Ausländer. Diese „Anti-Alien-Bill“ wurde 1905 gegen Proteste der englischen Liberalen erlassen. Ein späterer Zusatz nahm allerdings aus religiösen und politischen Gründen Verfolgte davon wieder aus, so dass aus Russland und Rumänien vertriebene Juden weiterhin fast ungehindert einreisen konnten. Sie wurden relativ reibungslos integriert.
  • Nach 1900: Felix Semon Leibarzt Eduard VII.
  • Nach 1900: Moshe Cohen aus London General in China
  • Nach 1900: Ruth Abramowitsch, berühmte Tänzerin
  • Nach 1900: Eduard Lichtenstein, Sänger (Operette)
  • Nach 1900: Iso Elinson, Pianist
  • Nach 1900: Sarkany ungarischer Landesmeister im Turnen
  • Nach 1900: Tauber ungarischer Landesmeister im Turnen
  • Nach 1900: Radvany (Ungarn) Weltmeister im Turnen
  • Nach 1900: Stein (USA) amerikanischer Landesmeister im Turnen
  • Nach 1900: Richard Weiss (Ungarn) Olympiasieger und Weltmeister im Turnen
  • Nach 1900: Emanuel Bano (Ungarn) ungarischer Landesmeister im Rudern (Einer)
  • Nach 1900: Josef Gerö (Ungarn) ungarischer Meister über 100 und 200 m
  • Nach 1900: Hecks (CSR), erfolgreicher Marathonläufer
  • Nach 1900: Martel Jacob, Deutscher Meister im Speerwerfen
  • Nach 1900: Andres Madarasz (Ungarn), erfolgreicher Diskuswerfer
  • Nach 1900: George Spitz (USA) Weltrekordhalter, amerikanischer Landesmeister im Hochsprung
  • Nach 1900: Bado (Ungarn) erfolgreicher Ringer
  • Nach 1900: Erich Finscus (Österreich) Österreichischer Meister im Ringen
  • Nach 1900: Fischer (Österreich) Weltmeister im Ringen
  • Nach 1900: Gelb (Ungarn) Europameister im Ringen
  • Nach 1900: Frankenstein (Deutschland) Deutscher Meister (Wassersport)
  • Nach 1900: Hans Goldberger (Österreich), mehrfacher Österreichischer Meister (Wassersport)
  • Nach 1900: Leo Donath (Deutschland) Präsident des europäischen Schwimmverbands
  • Nach 1900: Brüll (Ungarn) Führer des internationalen Ringerverbandes
  • Nach 1900: Esther Bernstein (Dänemark) Dänische Meisterin (Wintersport)
  • Nach 1900: Szende Andor (Ungarn) Ungarischer Meister (Wintersport)
  • Nach 1900: Mirjam Horwitz, Schauspielerin; Ehefrau des Schauspielers, Regisseurs, Intendanten und Bühnenautors Erich Ziegel; 1934 versuchte er, seiner jüdischen Ehefrau, der Schauspielerin Miriam Horrowitz, zuliebe einen weiteren Neuanfang in Wien; da er mit der österreichischen Mentalität nicht klar kam, scheiterte das Unternehmen kläglich; daraufhin engagierte ihn sein früherer Hamburger Star Gustaf Gründgens, der nun das Berliner Staatstheater leitete, als Schauspieler, Regisseur und Dramaturg an sein Haus und sorgte - wie in so vielen anderen Fällen - auch für den Schutz von Ziegels Ehefrau
  • Nach 1900: Paul Falkenberg geboren, Filmproduzent seit den 20er-Jahren, begann in Deutschland, arbeitete später mit Fritz Lang zusammen, 1938 Emigration in die USA, wo er seine eigene Filmproduktion gründete, war dort 35 Jahre, vor allem in der Kunstdokumentation, tätig, danach Filmprofessor, u. a. an der Columbia University, schrieb auch viele Artikel über Kino und Kinofilme; er starb am 13.1.1986
  • Nach 1900: Juden im österreichischen Militär: ca. 2000 Juden, beinahe 100 höhere Offiziere, unter ihnen die Offiziersfamilie von Eiss (zwei Mitglieder im 1. Weltkrieg gefallen, eines schwer verwundet, Generalmajor Alexander Ritter von Eiss); die Feldmarschalleutnants Edler von Hecht und Adolf Kornhaber; die Generäle Julius Bauer von Krupjecz, von Österreicher, Eduard von Schweizer, Martin Höld von Siegard; Konteradmiral Ludwig Tobias; Generalmajor Josef Pewny (1860-1926) Armeesanitätschef im Weltkrieg
  • Nach 1900: grosszügige landwirtschaftliche jüdische Emigrantensiedlungen der I.C.A., auch in Übersee (Argentinien im Jahr 1926 über 31 000 Menschen; Brasilien knapp 1500 Menschen)
  • Nach 1900: Zeire Zion („Junge Zionisten“), zionistische Arbeiterorganisation, für stärkere Betonung des nationalen Gedankens.
  • Nach 1900: Argentinien das Land mit der fünftgrössten jüdischen Bevölkerung, Heimat der jiddischen Presse Südamerikas, seit der Jahrhundertwende entstanden mehr als 150 jüdische Zeitungen/Zeitschriften (fast ausnahmslos in Buenos Aires), zwei Drittel davon in Jiddisch: "Jiddische Kolonisation", "Kolonist Kooperator" zwischen 1909 und 1919; satirische Zeitschriften wie "Poenimer und Poenimlach", "Der Mazik", "Humor und Ernst" von 1919 bis 1930; Berufsorgane wie "Mein Doktor", "Mein Lehrer"; Handelsblätter wie "Jidd. Handelswoch" und "La Semana Commercial"; Kulturzeitschriften wie "Die Penn", "Oifgang", "Der Aktor", "Teatro"; Jugendblätter wie "Pionier", "Renaciemento", "Kinderwelt"
  • 1900–1906: erfolgreiche Zeit von Meyer Prinstein (USA), Olympiasieger (Weit- und Dreisprung), Weltrekordhalter
  • 1900–1946: Vittorio Emmanuele III. (1869-1947) König von Italien
  • 1900–12.8.1952: Itzik Feffer (auch Fefer, russisch Ицик Фефер, Исаак Соломонович Фефер); geb. in Schpola, Ukraine; in der Lubjanka erschossen als Opfer des stalinistischen Säuberungswahns; jiddischer Dichter in der Sowjetunion, zeitweise auch NKWD-Informant; Feffer war zunächst Mitglied des Bund und wurde 1919 Mitglied der KPdSU; 1920 veröffentlichte er seine ersten jiddischen Gedichte und nahm bald darauf einen führenden Platz in der sowjetisch-jiddischen Literatur ein; er schrieb rhythmische und musikalische Verse in einer reichen und idiomatischen Sprache, die seine lyrische und zum Teil sentimentale Natur zum Ausdruck brachten; er hielt sich an die vorgegebene Parteilinie, und die meisten seiner Werke sind Propaganda für die Kommunistische Partei; bekannt wurde sein Gedicht Stalin; Feffer schrieb jedoch im Zweiten Weltkrieg auch Ich bin a Jid, und seine Gedichte Schotens fun Warschewer Geto („Schatten aus dem Warschauer Ghetto“) sind ein bedeutender Beitrag zur Literatur des Holocaust; daneben verfasste er Gedichte über das Jüdische Autonome Gebiet Birobidschan in Ostsibirien sowie Naturbeschreibungen und Gedichte für Kinder; seine Werke erschienen in sämtlichen jiddischen Zeitschriften der Sowjetunion und wurden mehrmals gesammelt und neu aufgelegt; nachdem er im Krieg gegen Deutschland als Oberstleutnant in der Roten Armee an der Front gekämpft hatte, besuchte er 1943 zusammen mit dem Schauspieler Solomon Michoels die USA als Vertreter des Jüdischen Antifaschistischen Komitees; 1948 wurde er im Zuge der antijüdischen Stalinschen Säuberungen verhaftet und am 12. August 1952 gemeinsam mit weiteren Leidensgenossen hingerichtet; nach Stalins Tod und der Verurteilung des Stalinkults durch Chruschtschow wurde Feffer rehabilitiert; 1958 wurden Auszüge aus seinen Werken in einer russischen Übersetzung in der Sowjetunion veröffentlicht
  • 1900–4.11.1955: William Morris Bioff (William Morris „Willie“ Bioff), US-amerikanisch-jüdischer Gangster aus dem Bereich der organisierten Kriminalität; er operierte seit den 1920er Jahren als „Arbeiterführer“ im Filmgeschäft und erpresste einige Millionen US-Dollar von Filmstudios durch die Drohung von Produktions- bzw Vorführungsausfällen in den Lichtspieltheatern, falls er die auf ihn hörenden Arbeiter und Angestellten zum Streik veranlasst; er wuchs in einem koscheren jüdischen Haushalt in Chicago auf, aber sein Vater schmiss ihn mit acht Jahren auf die Strasse, es folgten kleine Diebstähle, Gaunereien, Schutzgelderpressungen, Zuhälterei; später arbeitete er für Harry und Jake „Greasy Thumb“ Guzik, durch den er auch Al Capone und dann Frank „The Enforcer“ Nitti kennenlernte; in den 1930er Jahren schickte ihn Nitti nach Kalifornien, um dort das Mafia-Business im Gewerkschaftsbereich aufzubauen; über den von der Mafia kontrollierten Gewerkschaftsführer George Browne, der später Präsident der Alliance of Theatrical Stage Employees and Motion Picture Operators wurde, konnten schöne Mechanismen des Abkassierens installiert werden; leider wurde Bioff zu schnell reich und dadurch verdächtig, man verklagte ihn zusammen mit einigen seiner Kumpane der Steuerhinterziehung und Erpressung; angesichts der Drohung, hinter Gittern zu wandern, sagte Bioff aus gegen Paul „The Waiter“ Ricca, Philip D’Andrea, Charlie „Cherry Nose“ Gioe, Johnny Rosselli, Lou Kaufman und auch gegen Nitti, der kurz darauf Suizid beging; Bioff und Brown erhielten wegen ihrer Kooperation gemilderte Urteile; nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis ging Bioff nach Arizona und nahm eine neue Identität an: „William Nelson“; dort begann er eine Freundschaft mit Senator Barry Goldwater, dem er zu seiner Wiederwahl verhalf, und mit dessen Sohn Bobby er „geschäftlich“ tätig war; bald arbeitete Bioff für Gus Greenbaum, den kriminellen Riviera Casino-Manager, und zwar im Casino in Las Vegas; aber Bioff sollte nicht mehr lange leben, am 4. November 1955 setzte er sich ans Steuer seines Trucks, einen Moment später gab es eine riesige Explosion, die Bioff und den Lkw in Stücke riss; die Polizei fand die Reste einer Dynamit-Bombe, die mit dem Anlasser des Trucks verkabelt war; Bioffs Mörder wurden nie gefunden
  • 1900–23.11.1973: Jennie Tourel, geb. vermutlich im Juni 1900 in Vitebsk als Jennie Davidowitsch, gest. in New York, amerikanische Mezzosopranistin und Gesangspädagogin russisch-jüdischer Herkunft, sie erlernte zunächst das Flötenspiel, studierte dann aber Klavier; nach der Revolution verliess die Familie Russland und siedelte sich zunächst in der Nähe von Danzig an, verzog aber später nach Paris, wo Jennie Tourel ihren ersten Gesangsunterricht erhielt; ihr europäisches Operndebüt hatte sie an der Opéra Russe in Paris 1931, an der Met sang sie seit 1937; in diesem Jahr war sie auch, unmittelbar bevor die Deutschen Paris besetzten, über Lissabon in die Vereinigten Staaten emigriert; 1946 wurde sie amerikanische Staatsbürgerin
  • 1900–1975: Raw Salaman Muzpi, geb. in Bagdad, gest. in Israel, 1935 nach Erez Israel ausgewandert, bedeutender Talmud-Gelehrter und Kabbalist; über ihn sagte Raw Efrajim Kohen: "Die Generation ist sich der Grösse des Zadik Chacham Salaman gar nicht bewusst. Ich weiss bestimmt, dass unsere Generation wegen ihm besteht und dass die Welt in seinem Verdienst bestehen bleibt"; in seiner Jugendzeit soll er wie ein Besessener bereits wieder vor Mitternacht aufgestanden und jeweils 18 Stunden ohne Unterbrechung gelernt haben
  • 1900–1985: Ernst Scheyer, geb. in Breslau, gest. in Detroit, herausragender Kunsthistoriker

Bücher

  • Salomon Bamberger, Historische Berichte über die Juden in der Stadt und des ehemaligen Fürstbistums Aschaffenburg, Strassburg 1900
  • M. Rosenmann, Jüdische Realpolitik in Oesterreich, Wien 1900
  • General Elections 1900. Opinions of Parliamentary Candidates on Zionism, hrsg. von der English Zionist Federation
  • Ludwig Müller, Aus fünf Jahrhunderten. Beiträge zur Geschichte der jüdischen Gemeinden im Ries, Augsburg 1900
  • Alphonse Levy, Geschichte der Juden in Sachsen, Berlin 1900
  • Robert Jaffe, Ahasver, Berlin 1900
  • Emil Kautzsch (Hrsg.), Die Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testaments, 2 Bde., Tübingen 1900 (in Verbindung mit Fachgenossen)
  • Prof. Hermann Leberecht Strack, Das Blut im Glauben und Aberglauben der Menschheit, 1900
  • Emil Kronberger, Zionisten und Christen. Ein Beitrag zur Erkenntnis des Zionismus, Leipzig 1900
  • Theodor Herzl, Philosophische Erzählungen, Berlin 1900 (Sammlung von 17 Feuilletons aus den Jahren 1887-1900)
  • S. Buber, Sechel Tob. Commentar zum ersten und zweiten Buch Mosis von Rabbi Menachem ben Salomo verfasst ..., Berlin 1900/1901
  • Adolph Kohut, Berühmte israelitische Männer und Frauen in der Kulturgeschichte der Menschheit. Lebens- und Charakterbilder aus Vergangenheit und Gegenwart. Ein Handbuch für Haus und Familie. Mit zahlreichen Porträts und sonstigen Illustrationen. Druck und Verlag von A. H. Payne in Leipzig-Reudnitz, 2 Bände, 1900-1901
  • Ludwig Salomon, Geschichte des Zeitungswesens (von den ersten Anfängen bis zur Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches / Napoleon I. und die deutsche Presse / Die deutschen Zeitungen während der Fremdherrschaft (1792-1814)), 1900–1906

Zeitungen und Zeitschriften

  • 1900: Der Schadchen, in New York wöchentlich erscheinende, der Vermittlung jüdischer Ehen dienende Zeitschrift
  • 1900: Die von Herzl seit 1897 in Wien herausgegebene Welt bekommt eine ebenfalls in Wien wöchentlich herausgegebene jiddische Parallel-Ausgabe (die sich dann aber nur ein Jahr halten kann)
  • 1900: Israelitisches Wochenblatt, in Berlin wöchentlich in deutscher Sprache erscheinend
  • 1900–1901: Blätter von a Tagebuch, in Petersburg wöchentlich in jiddischer Sprache erscheinende Zeitschrift (ohne Parteizugehörigkeit)
  • Seit 1900: Jung Juda, in Prag dreiwöchentlich in deutscher Sprache erscheinende Jugendzeitschrift
  • Seit 1900: Magyar Zsinagoga, in Mohacs/Ungarn monatlich in ungarischer Sprache erscheinende orthodoxe Zeitschrift
  • Seit 1900: L' Israélite Algérien, in Oran (Algier) erscheinende jüdische Halbmonatsschrift fortschrittlicher Richtung in französischer Sprache
  • Seit 1900: Al Farach, in Alexandria erscheinende jüdische Monatsschrift in arabischer Sprache
  • 1900–1904: Halewanon, in Frankfurt a. M. in deutscher Sprache erscheinende wissenschaftliche Publikation
  • 1900–1904: Hador, in Krakau/Galizien wöchentlich in hebräischer Sprache erscheinende Literaturzeitschrift
  • 1900–1905: Der Minsker Arbeiter, in Minsk/Weissrussland in zwangloser Folge erscheinende jiddisch-bundistische Zeitschrift
  • 1900–1906: The New Occident, in San Francisco erscheinende jüdische Monatsschrift
  • 1900–1908: Germinal, in London halbmonatlich in jiddischer Sprache erscheinendes anarchistisches Blatt
  • 1900–1910: The Jewish American, in Detroit erscheinende Wochenschrift reformerischer Richtung
  • 1900–1914: Wschód, in Lemberg/Galizien wöchentlich in polnischer Sprache erscheinendes zionistisches Blatt
  • 1900–1921: L'Echo Sioniste, in Paris wöchentlich in französischer Sprache erscheinendes zionistisches Blatt
  • 1900–1922: Jüdische Turn- und Sportzeitung, in Berlin monatlich in deutscher Sprache hrsg. nationaljüdisches Organ
  • 1900–1934: Jüdische Volksstimme; Herausgeber: Max Hickl (1900-1920), Gustav Kohn (1920) u.a.; Redaktion: Jakob Fingermann, Isaak Zandner, Arnold Hickl u.a.; erschien seit Februar 1900 wöchentlich im Brünner Verlag von Max Hickl; zur Jahresmitte 1934 wurde das Blatt eingestellt; die "Jüdische Volksstimme" war 1900 von dem Brünner Verleger Max Hickl (1874-1924) ins Leben gerufen worden und fand ihr Hauptabsatzgebiet zunächst vor allem in den östlichen Regionen der k.u.k. Monarchie Österreich-Ungarn; neben Herzls "Welt" (1897-1914) wurde die Zeitschrift bald zum zweiten überregionalen Organ, das sich mit grosser Resonanz der Unterstützung des zionistischen Programms widmete; die Wochenschrift, die mit Änderung des Verlagsorts kurzzeitig unter dem Titel "Wiener Jüdische Volksstimme" erschien, richtete sich insbesondere an die jüdische Arbeiter- und Handwerkerschaft; berichtet wurde über alle Lebensbereiche und Tagesereignisse, die das Judentum bzw. den Zionismus bzw. den militanter werdenden Antisemitismus betrafen; einen besonderen Schwerpunkt bildete die Berichterstattung über das Ostjudentum, dessen gefährdete Existenz dem weitgehend assimilierten Westen vermittelt werden sollte
  • 1900–1939: Haint, Warschau (jiddisch)

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