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Zellkultur

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Als Zellkultur wird die Kultivierung tierischer oder pflanzlicher Zellen in einem Nährmedium außerhalb des Organismus bezeichnet. Zelllinien sind Zellen einer Gewebeart, die sich im Lauf dieser Zellkultur unbegrenzt fortpflanzen können. Es werden sowohl immortalisierte (unsterbliche) Zelllinien als auch primäre Zellen kultiviert (Primärkultur). Als Primärkultur bezeichnet man eine nicht immortalisierte Zellkultur, die direkt aus einem Gewebe gewonnen wurde. Zellkulturen finden breite Verwendung in der biologischen und medizinischen Forschung, Entwicklung und Produktion.

Geschichte

Seit den Anfängen der naturwissenschaftlichen Forschung gab es Bestrebungen, Zellen und Gewebe auch außerhalb eines Organismus am Leben zu erhalten, um sie so nähergehend untersuchen zu können. Wilhelm Roux gelang es erstmals 1885, embryonale Hühnerzellen für mehrere Tage in einer Salzlösung am Leben zu erhalten und so das grundlegende Prinzip zu demonstrieren. Im Jahr 1913 zeigte Alexis Carrel, dass Zellen auch länger in Zellkultur wachsen können, insofern sie gefüttert und aseptisch gehalten werden.

Die älteste tierische Zelllinie ist vermutlich das Sticker-Sarkom, ein infektiöser Tumor natürlichen Ursprungs, der vor etwa 200 bis 11.000 Jahren entstand.[1][2][3] Seit seiner Entstehung hat das Sticker-Sarkom etwa 1,9 Millionen Mutationen angesammelt, 646 Gene wurden deletiert.[3]

In den Jahren 1951/1952 wurde erstmals eine unsterbliche menschliche Zelllinie aus einem Cervixkarzinom etabliert, welche später unter dem Namen HeLa bekannt wurde. In den folgenden Jahrzehnten wurden insbesondere Nährmedien, Wachstumsfaktoren und Bedingungen weiterentwickelt und neue Zelllinien etabliert. César Milstein und Georges Köhler entdeckten 1975 die Möglichkeit zur Bildung monoklonaler Antikörper durch Zellfusion von Lymphozyten mit Krebszellen. Darüber hinaus wurden in diesen Jahren Methoden zur gezielten Einführung und Expression von Genen in Zellen, die sogenannte Transfektion, entwickelt.[4]

Körperzellen, die noch nicht ausdifferenziert sind – sogenannte Stammzellen, wurden erstmals 1981 aus Blastozysten einer embryonalen Maus isoliert. Sie neigen in vitro dazu, spontan zu differenzieren. Dies kann durch Faktoren unterbunden werden, welche die Selbsterneuerung der Zellen fördern. Mehrere solcher Stoffe wurden seit Ende der 1980er Jahre identifiziert. Die Forschung in diesem Feld konzentriert sich derzeit auf die Kultivierung und gezielte Ausdifferenzierung von sowohl embryonalen als auch adulten Stammzellen.

Prinzip

Die Arbeiten mit Zellen erfolgen meistens in einem Zellkulturlabor. Das Anlegen von Primärkulturen kann aus unterschiedlichen Geweben erfolgen, beispielsweise aus ganzen Embryonen oder einzelnen Organen wie Haut, Niere usw. Das Gewebe wird mit einer Protease, beispielsweise Trypsin, behandelt, die die Proteine abbaut, die den Zellverband aufrechterhalten. Dadurch werden die Zellen vereinzelt. Durch Zugabe von Wachstumsfaktoren können gezielt manche Zelltypen zur Teilung angeregt werden. Bei schlecht wachsenden Zelltypen werden auch Fütterzellen, basalmembranartige Matrices und rekombinante Bestandteile der extrazellulären Matrix verwendet.

Die einem tierischen oder humanen Gewebe entnommenen Tumorzellen werden nach anfänglichem Wachstum auf einem Nährboden durch Analyse von Oberflächenantigenen (Immunzytologie) oder des Genoms (PCR und Sequenzierung) analysiert und ausgewählt, um dann einen großen Tumorzellklon in Kultur zu bringen. Die Zellen können auch durch Einschleusung eines Plasmids als Vektor genetisch verändert werden. Von der Stammkultur (stock) werden Zellen abgenommen und in flüssigem Stickstoff tiefgekühlt und stehen so dem Versand an andere Forschungseinrichtungen zur Verfügung.

Die meisten Zellen besitzen eine eingeschränkte Lebensdauer (begrenzt durch das Hayflick-Limit), mit Ausnahme von einigen von Tumoren abstammenden Zellen. Nach einer bestimmten Anzahl von Verdopplungen gehen diese Zellen in die Seneszenz und teilen sich nicht mehr. Etablierte oder unsterbliche Zelllinien haben die Fähigkeit erlangt, sich unendlich zu teilen – entweder durch zufällige Mutation (in Tumorzellen) oder durch gezielte Veränderung (beispielsweise durch die künstliche Expression des Telomerase-Gens).

Man unterscheidet auch adhärent (auf Oberflächen) wachsende Zellen wie beispielsweise Fibroblasten, Endothelzellen oder Knorpelzellen von Suspensionszellen, die frei im Nährmedium schwimmend wachsen, wie zum Beispiel Lymphozyten. Die Kulturbedingungen unterscheiden sich stark zwischen den einzelnen kultivierten Zelllinien. Die verschiedenen Zelltypen bevorzugen dabei unterschiedliche Nährmedien, die spezifisch zusammengestellt werden, beispielsweise unterschiedliche pH-Werte oder Konzentration an Aminosäuren oder Nährstoffen. In der Regel wachsen Säugerzellen bei 37 °C mit einer Atmosphäre von 5 % CO2 in speziellen Inkubatoren. Je nach Teilungsrate und Dichte der Zellen werden die Zellverbände alle paar Tage gelöst und auf neue Gefäße verteilt („Passage“ oder „Splitting“ genannt). Die Passagezahl gibt dabei die Häufigkeit an, mit der die Zellen bereits passagiert wurden. Bei adhärenten Zellen in kontinuierlicher Kultur werden die Zellen regelmäßig vereinzelt, um eine Konfluenz und die damit verbundene Zellkontakthemmung zu vermeiden.

Anwendung

Zellkulturen finden besonders in Forschung und Entwicklung breite Anwendung. Der Stoffwechsel, die Teilung und viele weitere zelluläre Prozesse können so in der Grundlagenforschung untersucht werden. Weiterhin werden kultivierte Zellen als Testsysteme eingesetzt, beispielsweise bei der Untersuchung der Wirkung von Substanzen auf die Signaltransduktion und Toxizität der Zelle. Hierbei wird auch die Anzahl von Tierversuchen drastisch reduziert.

Für die Herstellung von etlichen biotechnischen Produkten haben Zellkulturen ebenfalls hohe Bedeutung. Beispielsweise werden monoklonale Antikörper für Forschung und therapeutische Anwendung in der Medizin mittels Zellkultur hergestellt. Obwohl einfache Proteine mit weniger Aufwand auch in Bakterien produziert werden können, müssen komplexere Proteine in der Zellkultur hergestellt werden, da nur hier die passenden Glykosylierungen der Proteine erfolgen. Ein Beispiel hierfür ist Erythropoetin (EPO). Auch viele Impfstoffe werden in der Zellkultur hergestellt. Für die Entwicklung und die Realisierung von industriellen Zellkulturprozessen werden Bioreaktoren eingesetzt, teilweise in Insektenzellkultur. Dabei sind für die Herstellung von biopharmazeutischen Produkten Einweg-Bioreaktoren von vermehrtem Interesse.

In der Pflanzenvermehrung erzeugt man bei der Pflanzlichen Gewebekultur aus Zellkulturen komplette Pflanzen.

Zellkultur-Linien

Zelllinie Bedeutung Ursprungsspezies Ursprungsgewebe Morphologie Link
293-T enthält Plasmid mit temperatursensitiver Mutante des Simian-Virus 40 großen T-Anigen Mensch Niere (Embryo) Derivat von HEK-293 Epithel DSMZ
A431 Mensch Haut Epithel Biotech institute (Memento vom 12. April 2009 im Internet Archive)
A549 Mensch Adenokarzinom der Lunge Epithel DSMZ
BCP-1 Mensch Blut Lymphozyt ATCC
bEnd.3 brain endothelial Maus Gehirn / Großhirnrinde Endothel ATCC
BHK-21 syrian baby hamster kidney Hamster Niere (embryonal) Fibroblast DSMZ
BxPC-3 Mensch Pankreas, Andenokarzinom Epithel ATCC
BY-2 Bright Yellow-2 Tabak Am Keimling induzierter Kallus DSMZ (Memento vom 8. November 2007 im Internet Archive)
CHO Chinese hamster ovary Hamster Ovarien Epithel ICLC (Memento vom 18. Dezember 2012 im Webarchiv archive.is)
CMT canine mammary tumor Hund Brustdrüse Epithel
COS-1 Durch Transformation eines origin-defective SV-40 aus CV-1 Zellen hervorgegangen Affe – Chlorocebus aethiops (Äthiopische Grünmeerkatze) Niere Fibroblast ATCC
COS-7 Durch Transformation eines origin-defective SV-40 aus CV-1 Zellen hervorgegangen Affe – Chlorocebus aethiops Niere Fibroblast ATCC
CV-1 Affe – Chlorocebus aethiops Niere Fibroblast DSMZ
EPC herpesviral induziertes, papuläres Epitheliom Fisch (Pimephales promelas) Haut Epithel ATCC
HDMEC human dermal microvascular endothelial cells Mensch Vorhaut Endothel Journal of Investigative Dermatology[5]
HEK-293 human embryonic kidney Mensch Niere (embryonal) Epithel ATCC
HeLa Henrietta Lacks Mensch Zervixkarzinom (Gebärmutterhalskrebs) Epithel DSMZ
HepG2 human hepatocellular carcinoma Mensch Leberzellkarzinom Epithel ATCC
HL-60 human leukemia Mensch Promyeloblasten Blutzellen DSMZ
HMEC-1 immortalized human microvascular endothelial cells Mensch Vorhaut Endothel Journal of Investigative Dermatology[6]
HUVEC human umbilical vein endothelial cells Mensch Nabelschnurvene Endothel ICLC (Memento vom 18. Februar 2013 im Webarchiv archive.is)
HT-1080 Mensch Fibrosarkom Bindegewebszellen Cancer[7] ATCC
Jurkat Mensch T-Zell-Leukämie Blutzellen DSMZ
K562 Mensch älteste Leukämie-Zelllinie des Menschen myeloische Blutzellen, etabliert 1975 DSMZ
LNCaP Mensch Prostata Adenokarzinom Epithel ATCC
MCF-7 Mensch Brust, Adenokarzinom Epithel ATCC
MCF-10A Michigan Cancer Foundation Mensch Brustdrüse Epithel ATCC
MDCK II Madin Darby canine kidney Hund Niere Epithel ATCC
MTD-1A Maus Epithel
MyEnd myocardial endothelial Maus Endothel
Neuro-2A (N2A) Neuroblastom Maus Gehirn Neuroblast ATCC
NIH-3T3 NIH, 3-day transfer, inoculum 3 × 105 cells, contact-inhibited NIH Swiss mouse embryo Maus Embryo Fibroblast ATCC (Memento vom 27. September 2007 im Internet Archive)
NTERA-2 cl.D1 [NT2/D1] Pluripotente Zelle mit Tretinoin differenzierbar Mensch Hoden, Lungenmetastase Epithel ATCC
P19 Pluripotente Zelle mit Tretinoi differenzierbar Maus Embryonales Karzinom Epithel ATCC
PANC-1 pancreas 1 Mensch Pankreas, Andenokarzinom Epithel ATCC
Peer Mensch T cell leukemia DSMZ
RTL-W1 rainbow-trout liver – Waterloo 1 cells RegenbogenforelleOncorhynchus mykiss Fibroblast (wahrscheinlich) Cell Biol Toxicol.[8]
Sf-9 Spodoptera frugiperda Insekt – Spodoptera frugiperda (Nachtfalter) Ovar DSMZ
Saos-2 Mensch Osteosarkom Epithel ATCC
T2 Mensch T cell leukemia /B cell line hybridoma DSMZ
T84 Mensch Kolorektales Karzinom / Lungenmetastase Epithel ATCC
U-937 Mensch Burkitt-Lymphom monozytär Int J Cancer[9]

Literatur

  • Sabine Schmitz: Der Experimentator: Zellkultur. 1. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, 2007, ISBN 978-3-8274-1564-6.
  • Toni Lindl, Gerhard Gstraunthaler: Zell- und Gewebekultur. Von den Grundlagen zur Laborbank. 6. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, 2008, ISBN 978-3-8274-1776-3.
  • W. W. Minuth, L. Denk: Advanced Culture Experiments with Adherent Cells. – From single cells to specialized tissues in perfusion culture. Open access publishing. Universität Regensburg 2011, ISBN 978-3-88246-330-9.

Einzelnachweise

  1. C. Murgia, J. K. Pritchard, S. Y. Kim, A. Fassati, R. A. Weiss: Clonal origin and evolution of a transmissible cancer. In: Cell (2006), Band 126(3), S. 477–487. PMID 16901782; PMC 2593932 (freier Volltext).
  2. I. D. O'Neill: Concise review: transmissible animal tumors as models of the cancer stem-cell process. In: Stem Cells (2011), Band 29(12), S. 1909–1914. doi:10.1002/stem.751. PMID 21956952.
  3. 3,0 3,1 H. G. Parker, E. A. Ostrander: Hiding in Plain View-An Ancient Dog in the Modern World. In: Science. 343, 2014, S. 376–378, doi:10.1126/science.1248812.
  4. Landmarks
  5. Zbigniew Ruszczak, Michael Detmar u. a.: Effects of rIFN Alpha, Beta, and Gamma on the Morphology, Proliferation, and Cell Surface Antigen Expression of Human Dermal Microvascular Endothelial Cells In Vitro. In: Journal of Investigative Dermatology. 95, 1990, S. 693–699, doi:10.1111/1523-1747.ep12514496.
  6. Edwin W. Ades, Francisco J. Candal u. a.: HMEC-1: Establishment of an Immortalized Human Microvascular Endothelial Cell Line. In: Journal of Investigative Dermatology. 1992, Band 99, S. 683–690, doi:10.1111/1523-1747.ep12613748.
  7. S. Rasheed, W. A. Nelson-Rees, E. M. Toth, P. Arnstein, M. B. Gardner: Characterization of a newly derived human sarcoma cell line (HT-1080) In: Cancer. 1974; 33(4), S. 1027–1033. PMID 4132053.
  8. Lucila E. J. Lee, Janine H. Clemons u. a.: Development and characterization of a rainbow trout liver cell line expressing cytochrome P450-dependent monooxygenase activity. In: Cell Biology and Toxicology. 9, 1993, S. 279, doi:10.1007/BF00755606.
  9. Christer Sundström, Kenneth Nilsson: Establishment and characterization of a human histiocytic lymphoma cell line (U-937). In: International Journal of Cancer. 1976; 17(5): 565–577.
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