Jewiki unterstützen. Jewiki, die größte Online-Enzy­klo­pädie zum Judentum.

Helfen Sie Jewiki mit einer kleinen oder auch größeren Spende. Einmalig oder regelmäßig, damit die Zukunft von Jewiki gesichert bleibt ...

Vielen Dank für Ihr Engagement! (→ Spendenkonten)

How to read Jewiki in your desired language · Comment lire Jewiki dans votre langue préférée · Cómo leer Jewiki en su idioma preferido · בשפה הרצויה Jewiki כיצד לקרוא · Как читать Jewiki на предпочитаемом вами языке · كيف تقرأ Jewiki باللغة التي تريدها · Como ler o Jewiki na sua língua preferida

Adam Müller-Guttenbrunn

Aus Jewiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Adam Müller-Guttenbrunn (1852–1923)

Adam Müller-Guttenbrunn, eigentlich Adam Müller, Pseudonyme: Franz Josef Gerhold, Ignotus, Michl Vetter, Figaro, (geb. 22. Oktober 1852 in Guttenbrunn, im Kronland Wojewodschaft Serbien und Temescher Banat, im Kaisertum Österreich, heute Zăbrani in Rumänien; gest. 5. Januar 1923 in Wien), war ein deutsch-österreichischer Schriftsteller, Journalist, Bühnenautor, Theaterdirektor, Kritiker und Nationalrat. Er gilt als Integrationsfigur und Hauptvertreter der Literatur der Donauschwaben, sein Werk ist im antisemitisch-deutschnationalen Umfeld zu sehen.

Leben

Gedenktafel am Geburtshaus von Adam Müller-Guttenbrunn in Zăbrani

Weg nach Wien

Müller-Guttenbrunn stammte aus dem Kreis der Banater Schwaben, einer deutschsprachigen Minderheit im Banat. Als uneheliches Kind eines Bauern und einer Wagnerstochter sowie als Angehöriger einer sprachlichen Minderheit war er in vieler Hinsicht sozial benachteiligt. Er besuchte deutschsprachige Schulen in Guttenbrunn und Temeswar und betätigte sich in verschiedenen Berufen.

Sein Scheitern am Piaristengymnasium in Temeswar führte Müller-Guttenbrunn auf die Einführung des Ungarischen als Unterrichtssprache im Zuge der verstärkten Magyarisierung in den Jahren des Österreichisch-Ungarischen Ausgleichs zurück:

Mitte der 60er Jahre bereitete die plötzliche Einführung der magyarischen Vortragssprache am Temeswarer Gymnasium meinem Studienfortgang ungeahnte Schwierigkeiten. Der Unterricht verwandelte sich mit einem Schlage in eine mechanische Abrichtung, wir plapperten unverstandene magyarische Sätze, wir beteten sogar magyarisch und sangen in der Kirche in dieser Sprache. Die Schule verlor infolge dieser Vorgänge jeden Reiz für mich, sie wirkte entsittlichend auf mich. (Der Roman meines Lebens, 1927)

1865–68 machte Müller-Guttenbrunn eine Lehre bei seinem Onkel Johann Guthier als Feldscher und Barbier. 1870 kam er zum Zweck einer militärärztlichen Weiterbildung im Josephinum nach Wien, besuchte dort aber 1871–73 eine Handelsschule und machte einen Kurs als Schreibtelegrafist. 1873–79 betätigte er sich als Telegrafist in Linz und Bad Ischl, bildete sich als Autodidakt an der philosophischen Fakultät und verfasste Theaterstücke, die den Beifall des Burgtheater-Direktors Heinrich Laube fanden, der ihn protegierte. So konnte Müller-Guttenbrunn 1879 endgültig nach Wien übersiedeln.

Die Dezemberverfassung ermöglichte nicht nur eine nationale Selbstständigkeit der Ungarn, sondern machte auch Juden de jure zu gleichberechtigten Bürgern. Angehörige von deutschsprachigen Minderheiten aus der Peripherie der Donaumonarchie und Juden, die über das Jiddische leichter Zugang zum Deutschen als zum Ungarischen oder zu den slawischen Sprachen hatten, fanden sich in großer Zahl in Wien ein. Im Angesicht der rasanten Veränderungen entstanden die Wunschvorstellung eines vergangenen, unversehrten Alt-Wien und die Angst mancher Wiener vor Überfremdung, der Müller-Guttenbrunn einen publikumswirksamen Ausdruck gab.

In seiner Schrift Wien war eine Theaterstadt (1884), die gegen die Wiener Operette polemisierte und ihr das Wiener Volksstück von Ferdinand Raimund und Johann Nestroy entgegenhielt, beschwor Müller-Guttenbrunn eine scheinbar verlorene Zeit des Volkstümlichen im Strudel der Urbanisierung: „… der edle Raimund, der Wiener Aristophanes Nestroy und Andere hoben die Volksbühnen Wiens auf eine ungeahnte Höhe. […] Nun aber steht dieses stolze Wien in Gefahr, decapitalisiert zu werden“[1]. Zur Abhilfe forderte er eine Spartentrennung und Spezialisierung der Wiener Theater nach dem Vorbild von Paris und Berlin, die seiner Meinung nach eine zerstörerische Konkurrenz vermeiden und „Stabilität der Verhältnisse“ in der Theaterwelt schaffen würden:

Theilt euch in die Arbeit! Spielt im Carl-Theater Possen, Schwänke und das spießbürgerliche Lustspiel, baut meinethalber ein Theater für französische Sensationsdramen, aber vergesst nicht an ein Volkstheater für das Beste und Edelste, das im Volksstück geschaffen wurde, und dem Theater an der Wien lasst, da sie nun einmal nicht todtzuschlagen ist, die Operette![2]

1883 begann seine journalistische Tätigkeit in der Deutschen Wochenschrift, ab 1886 leitete er das Feuilleton der Wiener Deutschen Zeitung. 1886 heiratete er seine Frau Adele, mit der er drei Söhne, Herbert, Manfred und Roderich, und eine Tochter, Eva, hatte.

In seiner Wiener Zeit ist er der Freimaurerloge Zukunft im damals ungarischen Pressburg beigetreten.

Theaterdirektionen

Die Wiener Volksoper, vormals Kaiserjubiläums-Stadttheater

1893–1896 war Müller-Guttenbrunn Direktor des neu gegründeten Raimundtheaters. Er und sein künstlerischer Beirat Hermann Bahr verstanden das Theater als Sprechbühne mit klassischen Volksstücken, die ein Gegengewicht zur großbürgerlichen „Operettendekadenz“ darstellen sollten. Alexander Girardi, Eleonora Duse, Max Reinhardt, Louise Dumont und Adele Sandrock traten hier auf. Müller-Guttenbrunn versuchte, seine konservativen Vorstellungen in die Tat umzusetzen, und bemühte sich um eine „Erneuerung der Wiener Bühne im nationalen Geist“ (Deutsches Theater-Lexikon, 1953). Da aufgrund dieses Programms viele Erfolgsstücke und -autoren nicht gespielt werden konnten, mündete die Direktion in den kommerziellen Misserfolg.

1898–1903 führte Müller-Guttenbrunn das ebenfalls neu gegründete Kaiserjubiläums-Stadttheater. Dieses zweite Direktorat endete wie das erste mit einem wirtschaftlichen Fiasko, das Theater ging 1902 in Konkurs.

In einer „Denkschrift“ an Bürgermeister Karl Lueger rühmte sich Müller-Guttebrunn 1903 seines antisemitischen Spielplans, versicherte „Wir haben nur christliche Schauspieler, wir führen nur Werke christlicher Schriftsteller auf“, und schrieb:

„Durch die Gründung dieses Schauspielhauses sollte der Beweis erbracht werden, daß die deutsche Literatur reich genug ist, das deutsche Theater zu versorgen und daß wir der internationalen Mode-Literatur und der zumeist durch jüdische Übersetzer eingeschleppten französischen Unsitten-Stücke, die das gesunde Gefühl unseres Volkes verpesten, entraten können; durch dieses Theater sollte die vom jüdischen Journalismus vollständig überwucherte und entmutigte heimische Produktion, die seit drei Jahrzehnten fast versiegt schien, wieder geweckt werden; auf dieser Bühne sollte den arischen Talenten auf dem Gebiete der Literatur und der Schauspielkunst der Weg geebnet, durch den Bestand dieses Theaters sollte Bresche gelegt werden in den Ring, der das gesamte deutsche Künstlerleben unterjocht und dasselbe zu seiner geschäftlichen Domäne gemacht hat.“[3]

Über Müller-Guttenbrunns Scheitern am Kaiserjubiläums-Stadttheater schrieb Karl Kraus 1903 in der Fackel: „Zu seinen Gunsten spricht, daß er nicht blind ins Unheil getappt ist, sondern die maßgebenden Personen über die wirtschaftliche Lage des antisemitischen Theaters aufgeklärt hat. Zu seinen Ungunsten, daß er, der Literat, — und dies wird seinem frischen Ansehen bei der liberalen Presse gewiß nicht förderlich sein — eine Schaubühne politischer Propaganda dienstbar gemacht, Shakespeare als antisemitischen Hausdichter verwendet und die Parteifessel als Schmuck getragen hat.“[4]

Politische Tätigkeit

Müller-Guttenbrunn schrieb fortan unter dem Pseudonym „Ignotus“. 1897 wurde er Präsident der als national und antisemitisch eingestuften Deutsch-österreichischen Schriftstellergenossenschaft. Der Germanist Horst Fassel erklärte dazu: „In Wien selbst hatte sein Ansehen gelitten, weil er einem Theaterverein beigetreten war, dessen Satzung antisemitische Zielsetzungen enthielt.“[5]

Unter dem Pseudonym Franz Josef Gerhold veröffentlichte Müller-Guttenbrunn 1903 den Roman Gärungen – Klärungen. „In diesem Werk spricht er von den Juden als Nomaden und spielt dabei auf die christliche Legende von Ahasver an. Der ‚jüdische Geist‘ ist für den Protagonisten des Buches der schlimmste Feind des deutschen Volkes, die Emanzipation betrachtet er als einen ‚weltgeschichtlichen Irrtum‘. Die Aufklärung, die Sozialdemokratie sowie allgemein alle liberalen Anschauungen seien das Werk der Juden, heißt es weiter.“[6] Der Wiener Schriftsteller und Universitätsbibliothekar Karl Wache lobte es 1930 als „eine der stärksten antisemitischen Streitschriften […], die je geschrieben wurden“.[7]

1919 trat Müller-Guttenbrunn für kurze Zeit als Angehöriger der Großdeutschen Vereinigung als Listenführer für den Wahlkreis I in den Nationalrat der neuen Republik Deutschösterreich ein.

Der Schwabendichter

Nach der Frühpensionierung als Journalist und seinem Rückzug aus dem öffentlichen Leben widmete sich Müller-Guttenbrunn in verstärktem Maß der Schriftstellerei und schrieb in den letzten fünfzehn Jahren seines Lebens vorwiegend Heimatromane. Eine Reise in seine banatische Heimat im Jahre 1907 gab die Anregung für diese Spätwerke, die sich bevorzugt mit der deutschen Minderheit im Königreich Ungarn beschäftigen.

Die Anthologie Schwaben im Osten, die Müller-Guttenbrunn 1911 in Heilbronn herausgab, vereinte zum ersten Mal Werke banatschwäbischer Autoren. Die Glocken der Heimat, ein Siedlerroman, der das Schicksal der deutschen Gemeinde Rudolfsgnad gestaltete, wurde mit dem Bauernfeld-Preis ausgezeichnet. Die Novelle Der kleine Schwab wurde in der Zwischenkriegszeit zur Schulbuchlektüre.

Hauptwerk ist der Roman Der große Schwabenzug (1913), der die im 18. Jahrhundert aus Südwestdeutschland eingewanderten Donauländer zum Thema hat, für die sich der Name Donauschwaben eingebürgert hat. Rolf Bossert, der bekannteste deutsche Literat des Banats in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, parodierte später diesen Heimatroman. – Die Banater Schwaben waren keine Schwaben im eigentlichen Sinn, obwohl sie so genannt wurden. Ihr Dialekt gehört zu den Fränkischen Sprachen, was sich an Müller-Guttenbrunns Dichtungen leicht erkennen lässt. Er wurde in der Folge als der „Schwabendichter schlechthin“ bezeichnet.

Der (staatlich geduldete) Temeswarer Literaturkreis der lokalen Schriftstellervereinigung trug ab 1968 den Namen Adam Müller-Guttenbrunn. Zu den Mitgliedern des Literaturkreises gehörten u.a. die spätere Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller sowie die früheren Mitglieder der Aktionsgruppe Banat, Rolf Bossert, Richard Wagner, Johann Lippet und William Totok.

Nachwirkung