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Maurice de Hirsch

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Maurice de Hirsch

Baron Maurice de Hirsch (geboren am 9. Dezember 1831 in München; gestorben am 21. April 1896 in der Nähe von Ersek-Ujvar (Ungarn); gebürtig Moritz Freiherr von Hirsch auf Gereuth) war ein deutscher Unternehmer und Philanthrop.

Herkunft und erste unternehmerische Tätigkeit

Baron Hirsch stammte väterlicherseits aus einer geadelten jüdischen Bankiersfamilie aus Bayern, den Freiherren Hirsch auf Gereuth. Seine Mutter war eine geborene Wertheimer aus Frankfurt am Main. 1855 heiratete er Clara Bischoffsheim, die Tochter einer belgischen Bankiersfamilie, und begann bald, Teile seines erheblichen Vermögens in Eisenbahngeschäfte auf dem Balkan und in der Türkei zu investieren. Er schloss mit der türkischen Regierung am 17. April 1869 einen Vertrag zum Bau der ersten durchgehenden Eisenbahnlinie von Europa nach Konstantinopel, der Strecke des späteren Orientexpress, ab.[1] 1870 gründete er als Betriebsgesellschaft für die geplanten Strecken die Compagnie des Chemins de fer Orientaux (CO), als Chefingenieur bestellte er Wilhelm Pressel. Hirsch und Pressel brachten die Bahngesellschaft schnell in Schwung, 1872 betrieb die CO rund 500 Kilometer. Hirsch bekam 200.000 Franken pro Kilometer an Material- und Arbeitskosten zur Verfügung und beauftragte ein Subunternehmen, dem er 100.000 Franken zahlte. Aufgrund der niedrigen Summe, die Hirsch dem Subunternehmen zahlte, erklärte die Regierung 1875 die Eisenbahnlinie für nicht brauchbar und von schlechter Qualität. Dies führte zu einer Verlängerung der Arbeiten bis hin zur Regierungszeit von Sultan Abdülhamid II.[2] Sie wurde nach Fertigstellung ein gewaltiger wirtschaftlicher Erfolg für Hirsch und zeigte dessen großes unternehmerisches Geschick. Er wurde ebenfalls der Korruption an der osmanischen Regierung beschuldigt.

Bis in die 1880er-Jahre war Hirsch zusammen mit dem Berliner Bankier Gerson Bleichröder der wichtigste deutsche Investor im damaligen Osmanischen Reich. Interessanterweise zeigte Hirsch aber keinerlei Interesse, in zionistische Projekte in Palästina zu investieren (s. u.). Die beiden jüdischen Bankiers wurden dann aber im Zuge der beginnenden staatlichen imperialistischen Politik des Deutschen Reiches von Siemens und der Deutschen Bank aus dem Orientgeschäft verdrängt, speziell im Zusammenhang mit dem Projekt Bagdadbahn, bei dem Hirsch keine Rolle mehr und das Bankhaus S. Bleichröder nur noch eine untergeordnete Rolle spielte.[3]

Philanthropische und politische Aktivitäten

Unter dem Einfluss seiner Frau Clara und durch persönliche Erlebnisse während seiner Geschäftsreisen auf dem Balkan und in der Türkei im Zusammenhang mit seinen Eisenbahngeschäften wurde Hirsch bald auf das traurige Los der jüdischen Bevölkerung in Südosteuropa und Kleinasien aufmerksam. Die „Alliance Israélite Universelle“ (AIU) schien ihm ein geeigneter Partner für eigene humanitäre Aktivitäten. Er stiftete der Organisation 1873 eine Summe von einer Million Francs für den Bau von Schulen, und ab 1880 übernahm er das jährliche Budget-Defizit der Organisation, die unter anderem sich in Konstantinopel um Tausende vor antijüdischen Pogromen der russischen „Befreier“ während der Balkankrise geflüchtete bulgarische Juden kümmerte. Trotzdem war Hirsch während des russisch-türkischen Krieges von 1878 auf beiden Seiten humanitär tätig, weil die Juden damals quasi „zwischen den Fronten saßen“ und einerseits die jungen slawischen Nationalbewegungen unterstützten und andererseits von nationalistischen Fanatikern als „fünfte Kolonne des Islam“ gebrandmarkt wurden. Ab 1878 finanzierte Hirsch ein Netz von Handelsschulen auf dem Balkan, die von der AIU aufgebaut wurden. Ab 1885 versuchte er auch in Russland humanitär tätig zu werden, wo das Los der jüdischen Bevölkerung noch bedrückender als auf dem Balkan war.

Hirsch verbrachte die meiste Zeit seines Lebens in der damaligen Donaumonarchie und wurde auch dort humanitär tätig, vor allem in den Gebieten mit hohem jüdischen Bevölkerungsanteil Galizien und der Bukowina. Er wurde zum Freund und Förderer des Kronprinzen Rudolf und unterstützte auch dessen politische, gegen die Allianz mit dem Deutschen Reich und speziell gegen Kaiser Wilhelm II. gerichtete Bestrebungen, etwa durch die Finanzierung der gegen den Zweibund polemisierenden Zeitschrift Schwarzgelb im Jahr 1888.[4] Dies löste eine Welle deutschnationaler und antisemitischer Agitation gegen Hirsch, aber auch gegen Kronprinz Rudolf aus.[5]

Maurice de Hirsch starb 1896 in Ungarn, seine Witwe setzte seine philanthropische Tätigkeit bis zu ihrem Tod 1899[6] fort. Beide ruhen auf dem Friedhof Montmartre in Paris in einem Grabmal. Erbe wurde der Adoptivsohn Maurice-Arnold de Forrest (1879–1968).

Förderung der Auswanderung russischer Juden

Nachdem das Vorhaben, in Russland 50 Millionen Francs für die Verbesserung jüdischer Bildungseinrichtungen zu investieren, aufgrund der mangelnden Kooperationsbereitschaft der russischen Behörden gescheitert war, sah Baron Hirsch die einzige Lösung, die Situation der russischen Juden zu verbessern, in deren Emigration. Er untersuchte systematisch Möglichkeiten, jüdische Kolonien in Übersee zu gründen, und schuf zu diesem Zweck eine internationale Vereinigung, die „Jewish Colonization Association“ (JCA), mit einem Startkapital von zwei Millionen britischen Pfund Sterling. Besonders intensiv unterstützte Hirsch die Ansiedlung von jüdischen Kolonisten in Argentinien, daneben auch in Brasilien, Mexiko und Kanada, wo heute eine Ortschaft, „Hirsch“ in Saskatchewan, nach ihm benannt ist. Auch in den USA unterstützte Hirsch die damals sehr zahlreichen jüdischen Einwanderer, er gründete in New York den Baron de Hirsch Fund mit einem Startkapital von 2,5 Millionen US-Dollar.

Hirsch, der selber der ersten jüdischen Familie in Bayern entstammte, die größere Ländereien erwerben durfte, glaubte daran, dass das jüdische Volk ein natürliches Talent zur Landwirtschaft besaß, und förderte deshalb in Argentinien (hier gründete er sechs Bauerndörfer für jüdische Einwanderer aus Russland)[7] und Kanada vor allem landwirtschaftliche Projekte. Bei einem Gespräch mit Hirsch im Mai 1895 versuchte Theodor Herzl, diesen für die Idee einer jüdischen Staatsgründung in Palästina zu gewinnen. Herzl erhielt jedoch nicht einmal Gelegenheit, die von ihm entwickelten Ideen des Zionismus, die er gleichzeitig in Der Judenstaat schriftlich niedergelegt hatte, im Einzelnen auszuführen, und so endete dieses Treffen völlig erfolglos. Im asiatischen Teil des Osmanischen Reiches betrieb die JCA stattdessen Projekte im Großraum Konstantinopel sowie in der Nähe von Smyrna (heutigen Izmir), die beide nach Gründung der Republik Türkei Mitte der zwanziger Jahre zugunsten Palästinas aufgegeben wurden.

Von konservativ-katholischer Seite wurde gegen Hirsch schon um die Jahrhundertwende der Vorwurf erhoben, durch die Ausgabe von sogenannten „Türkenlosen“ Tausende Christen in den Ruin getrieben zu haben. In den Schmähschriften, die in diesem Zusammenhang verfasst wurden, tritt bereits antisemitisches Gedankengut unverhüllt zu Tage, das später auch in der Propaganda des Nationalsozialismus eine Rolle spielen sollte. Hirsch selbst wurde wegen dieser Aktivitäten in der Presse mit dem Spottnamen „Türkenhirsch“ bedacht.[8] Die JCA wurde dann doch in Palästina tätig und hat im heutigen Israel ihr Hauptbetätigungsfeld.

Literatur

Weblinks

 Commons: Maurice de Hirsch – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Benno Bickel, Karl-Wilhelm Koch, Florian Schmidt: Dampf unterm Halbmond. Die letzten Jahre des Dampfbetriebs in der Türkei. Verlag Röhr, Krefeld 1987, ISBN 3-88490-183-4, S. 9
  2. Kadir Misiroglu: Bir Mazlum Padisah: Sultan Abdülaziz. Verlag Sebil Yayinevi, Istanbul 2006, ISBN 978-975-580-026-4, S. 317
  3. Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, Totalitarismus. Serie Piper, Band 1032. 10. Auflage. Piper, München 2005, ISBN 3-492-21032-5, S. 311.
  4. Vgl. Brigitte Hamann: Kronprinz Rudolf. Der Weg nach Mayerling. Eine Biographie. Goldmann-Taschenbuch, Band 3961. Goldmann, München 1980, ISBN 3-442-03961-4, S. 193 ff.
  5. zum Beispiel in der konservativen Berliner Kreuz-Zeitung vom 28. November 1888
  6. http://www.jewishencyclopedia.com/view.jsp?artid=758&letter=H
  7. Hildegard Stausberg: Argentiniens Juden fliehen vor der allgemeinen Misere nach Israel. In: welt.de, 12. Januar 2002, abgerufen am 18. März 2011.
  8. Der Tiroler, Ausgabe vom 6. Februar 1902, Nummer 15, S. 1 („Warum sind wir Antisemiten?“) [1]
  9. Permalink The Library of Congress.
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