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Berliner Hostienschänderprozess
Im Berliner Hostienschänderprozess war 1510 gegen die in der Mark Brandenburg ansässigen Juden Anklage wegen Hostienfrevel und Kindesmord erhoben worden. Anlass dafür bot der Einbruch in die Kirche von Knoblauch und der damit verbundene Diebstahl einer vergoldeten Monstranz und zweier geweihter Hostien. Dem Prozesses folgte noch im selben Jahr die Vertreibung aller Juden aus der Mark Brandenburg.[1][2][3][4][5][6][7]
Der angebliche Täter, der Bernauer Paul Fromm – mal als Kesselflicker, ein anderes Mal als Kesselschmied von Beruf erwähnt – soll aus der Knoblaucher Kapelle eine Monstranz und eine Hostienbüchse mit zwei geweihten Hostien gestohlen haben. Nach seiner Verhaftung gab Fromm unter Folter zu Protokoll, den größten Teil der Hostien an den Juden Salomon aus Spandau verkauft zu haben. Im nun folgenden Prozess wurden ca. 100 verdächtigte Juden nach Berlin gebracht. Ihnen wurde nicht nur Hostiensfrevel vorgeworfen – sie sollen versucht haben Teile einer geweihten Hostie in ihre Mazzen einzubacken – sondern auch die Marterung und Ermordung von sieben Christenkindern.
Eine Flugschrift berichtete über den angeblichen Hostienfrevel in der Ortschaft Knobloch:
„Aber Salomon, der jud, hat das hochwirdig Sacrament genomen auf ain eck aines tisch gelegt / darauf auß hässigem, jüdischem, angepornen nedt / mermals gehawen / gestochen / edoch hat er das nicht verwunden mügen / biß so lang das er zu zorn bewegt / und under vil andern ungestümen worten geflucht / und gesprochen: Bistu der Cristen got / so erzad dich in tausendt teüfel namen. Auf der stund hat sich von dem stich / der helig fronlechnam Cristi / wunderbarlich in drej tail (…) getailt. Also / das die örtter [=Stellen] blutfarbig sind gewesen.“
Die Juden wurden als gehässige Neider des christlichen Glaubens stilisiert, die sich vergeblich an der geweihten Hostie zu schaffen machten. Als unmittelbare Antwort auf den jüdischen Fluch soll sich die Hostie dann auf wundersame Weise zerteilt und verfärbt haben. Das Eingeständnis solcher wundersamen Geschichten wurde einzelnen Juden zumeist unter Folter abgepresst.[8]
Die „entdeckten“ so genannten „Beweisstücke“ wurden im Brandenburger Dom ausgestellt, die Resonanz beim gläubigen Fußvolk war jedoch geringer als vom Klerus erhofft. Für die Bevölkerung war jedoch die Frage, ob schuldig oder nicht, klar beantwortet. Sie war von der Schuld überzeugt und so wurden am 19. Juli 1510 in Berlin 38 Juden auf einem großen Gerüst verbrannt, zwei weitere, jedoch getaufte Juden, starben unterm Schwert. Bereits vorher waren zehn weitere Juden durch die Folter umgekommen.
Der Berliner Prozess stimmte in zahlreichen Details mit dem Sternberger Hostienschänderprozess von 1492 überein.[9]
Dem Prozess folgte nun die große Judenverfolgung in der Mark Brandenburg. Historiker, die sich mit dem Ereignis befassten, gaben hierfür unterschiedliche Gründe an. Im Ergebnis des Prozesses wurden die übrigen Juden aus der Mark Brandenburg und sämtlichen Herrschaften des Joachim I. ausgewiesen, somit lebten und handelten von 1511 bis 1535 keine Juden mehr in der Mark. Viele jüdische Grabsteine kamen als Folge der Tat ins Fundament der sich zu dieser Zeit im Bau befindlichen Spandauer Zitadelle.[10] Durch die Ausweisung der Juden entledigten sich die Stände ihrer Gläubiger, diese hatten die Vertreibung der Juden bereits 1503 vom Kurfürsten gefordert. Die Stände sollen vom Kurfürsten gefordert haben, dass die Juden am Michaelstag, dem 29. September, das Land verlassen sollten. Ob es eine dies bezügliche Anordnung der Kurfürsten gab, ist nicht bekannt, eher aber nicht. Denn im Jahre 1509 wurden die Schutzbriefe für 30 Juden verlängert bzw. befristet für 3 Jahre neu ausgestellt. Diese 30 Juden lebten in Stendal, Gardelegen, Salzwedel, Seehausen, Werben, Tangermünde, Havelberg, Kyritz, Pritzwalk, Perleberg, Lenzen, Brandenburg an der Havel, Nauen und Cottbus. Man geht davon aus, das ca. 400 bis 500 Juden zu dieser Zeit in der Mark Brandenburg lebten. Sie hatten das Privileg Geldleihgeschäfte zu betreiben – ihr Zins war auf 2 Pfennigen für 1 Gulden pro Woche begrenzt, sie durften des weiteren Handel treiben, Fleisch kaufen und sie durften baden. Die Genehmigung auch einen Rabbiner zu haben, welcher auch als Richter die Streitigkeiten unter den Juden regeln sollte, musste zusätzlich erkauft werden. Demgegenüber stand eine Vielzahl von verarmten und verschuldeten christlichen Bewohnern der Mark.
Erst nach dem Tode des Kurfürsten Joachim I. 1535 wurde Juden aus Polen der Besuch von offenen Jahrmärkten in der Neumark durch dessen neuen Herrscher Hans von Küstrin gestattet, 1539 folgte dann die Öffnung der gesamten Mark zu Handelszwecken durch den Kurfürsten Joachim II., welcher ab 1543 wieder Juden in die Mark aufnahm, darunter seinen jüdischen Hofdiener Michael, der ihm sowohl ein Diener, als auch ein Getreuer war. Michael und seine Frau Merle waren beide wohnhaft in Frankfurt (Oder) und besaßen zu dem noch zwei Häuser in Berlin. Der Grund für die Aufnahme der Juden dürfte in der großen Schuldenlast nach dem missglückten Türkenfeldzug zu finden sein. Martin Luther war ein Gegner der Aufnahme der Juden, er warnt den Kurfürsten vor der „jüdischen Tücke“ und lehnt deren Zulassungen ab. Im Jahre 1555 äußerte der Kurfürst Joachim II., dass die Christen nunmehr im verbotenen Münzgeschäfte, Wucher und anderem unziemlichen Handel „der Juden Meister“ seien. Die Städte jedoch widersprachen dem und meinten, dass der Wucher der Christen nicht so schädlich sei, da diese schließlich keine Pfänder nahmen, sondern nur Verschreibungen oder Bürgen verlangten.
Der Jude Lippold wurde am 20. Januar 1556 für die Dauer von 10 Jahren zum obersten Aufseher aller märkischen Juden erklärt. Lippold, aus Prag stammend, kam um 1550 in die Mark. Die Aufgabe Lippolds war es, alle Schutz- und Geleitbriefe zu überprüfen und die Münzstätten zu kontrollieren, etwaige Verstöße hatte er sofort anzuzeigen. Kurfürst Joachim II. stirbt in der Nacht vom 2. zum 3. Januar 1571, sein Sohn und Nachfolger Kurfürst Johann Georg lässt daraufhin bereits am 3. Januar 1571 die Juden von Frankfurt(Oder) und Berlin festsetzen. Der obersten Aufseher aller märkischen Juden Lippold wird verhaftet und am 28. Januar 1573 hingerichtet. Die Synagoge in der Klosterstraße zu Berlin wurde im Verlauf von Unruhen, zu denen es aufgrund der neuerlichen Judenverfolgung kam, zerstört. 1573 mussten die Juden wie bereits 62 Jahre zuvor die Mark Brandenburg verlassen, die meisten von ihnen zog es nach Polen und Böhmen.
Weitere 100 Jahre sollten nunmehr vergehen, ehe ein Jude nach Ende des Dreißigjährigen Krieges in der Mark wieder ansässig wurde. Als 1750 das Generalprivileg erlassen wurde, lebten in Brandenburg 4716 Juden, davon allein 2188 in Berlin.
Literatur
- Werner Heise: Die Juden in der Mark Brandenburg bis zum Jahre 1571. Verlag Dr. Emil Ebering, Berlin 1932.
- Fritz Backhaus: Die Hostienschändungsprozesse von Sternberg (1492) und Berlin (1510) und die Ausweisung der Juden aus Mecklenburg und der Mark Brandenburg. In: Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte. Band 39 (1988), S. 7–26.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ http://www.stg-brandenburg.de/event-leser-zvd/events/vortrag-die-angebliche-hostienschaendung-von-knoblauch.html?day=20110210&page=2
- ↑ Einheit Sozialistische Einheitspartei Deutschlands. Parteivorstand, Sozialistische Einheitspartei Deutschlands. Zentralkomitee - 1947 "Februar 1510 wurde in der Kirche des Dorfes Knoblauch im Havelland ein Einbruch verübt, wobei der Altarschrein ... Zu der Hostienschändung trat nun noch der Verdacht, die Hand an Christenkinder gelegt und diese ermordet zu haben."
- ↑ Jüdische Familien-Forschung: 35-50 Arthur Czellitzer, Gesellschaft für Jüdische Familien-Forschung 1934"Sie waren der Hostienschändung angeklagt und es sind fast eben dieselben Juden, denen er den Aufenthalt gestattet ... Ein Christ mit Namen Paul Fromm hatte im Dorfe Knoblauch im Havelland aus der Kirche eine Monstranz nebst zwei Hostien ..."
- ↑ Historischer Führer: Stätten und Denkmale der Geschichte Lutz Heydick, Günther Hoppe, Jürgen John (Dr. phil.) - 1987 -"... antisemitische Tendenzen (Knoblauch) widerspiegelnden Legende nach angeblicher jüdischer Hostienschändung. "
- ↑ Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins 1886 "Ein Einbruch in die Dorfkirche zu Knoblauch im Jahre 1510, bei welchem unter anderen zwei Hostien entwendet waren, ... Juden seines Landes wegen Verdachtes der Theilnahme an jener Hostienschändung strafrechtlich einzuschreiten."
- ↑ Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 28 Verein für Regensburger Bistumsgeschichte 1994 "... niemals die Durchführung einer Hostienschändung nach Art der Juden vorgeworfen, wenngleich die Anschuldigung selbst regelmäßig erfolgte, so im berühmt-berüchtigten „Hexenhammer" von 1487 (Jakob Sprenger / Heinrich Institoris. ....z.B. die Frevel in Iphofen (1294), Röttingen (1299), Brüssel (1369/70) und Knoblauch ( 1510) ..."
- ↑ Kein Stein bleibt auf dem anderen Martin Krapf - 1999 "1510 gab es in Knoblauch ..."
- ↑ Das reformierte Quartalsmagazin - herausgegeben im Auftrag des Reformierten Bundes - 3. Jahrgang 2002, Nr. 3 - September 2002 [1]
- ↑ Fritz Backhaus: Die Hostienschändungsprozesse von Sternberg. 1988, S. 22. (s. #Literatur)
- ↑ Eckart Elsner: Süßmilchs Zeit in Etzin. In: Berlinische Monatsschrift 9/1997 beim Luisenstädtischen Bildungsverein
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Berliner Hostienschänderprozess aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |