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Ritualmordlegende

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Darstellung des angeblichen Ritualmords an Simon von Trient im Jahr 1475, aus der Weltchronik Hartmann Schedels von 1493

Eine Ritualmordlegende (auch: Ritualmordfabel, Ritualmordvorwurf, Blutbeschuldigung, Blutanklage, Blutlüge; englisch blood libel) sagt gesellschaftlich diskriminierten Minderheiten Ritualmorde an Angehörigen einer Mehrheitsgruppe nach. Die Kolporteure greifen oft unaufgeklärte Entführungs-, Unglücks- oder Tötungsfälle auf, besonders von Kindern, und bieten dafür „Sündenböcke“ an. Die Legenden dienen zur Verleumdung der behaupteten Täter, verstärken und rechtfertigen ihre Unterdrückung, Verfolgung und Ermordung.

Historisch besonders wirksam waren Ritualmordanklagen im europäischen Christentum, die behaupteten: Die Juden bedürften des Blutes von Christenkindern für ihre Pessachfeier und zu verschiedenen magischen oder medizinischen Zwecken. Dieser Vorwurf tauchte erstmals 1144 in England auf und wurde zu einem dauerhaften Stereotyp des christlichen Antijudaismus. Die Legende bewirkte oft Judenpogrome, Lynch- und Justizmorde an den Beschuldigten, ihren Angehörigen und Gemeinden. Sie wurde von lokalen, regionalen oder staatlichen Interessengruppen gezielt konstruiert und wanderte später in Volkssagen und religiöse Folklore ein. Sie verknüpfte kirchliche Beeinflussung mit Aberglauben und wirkte aufgrund kombinierter Faktoren von wirtschaftlicher Not, sozialer Unzufriedenheit und apokalyptischen Ängsten.[1] Sie begründete die antisemitische Verschwörungstheorie eines angeblichen Weltjudentums, das sich heimlich für schwerste Verbrechen an Nichtjuden verabrede.[2]

Von England gelangte die Legende über Spanien und Frankreich in den deutschsprachigen Raum (13. Jahrhundert), dann nach Italien, Polen und Litauen (15. Jahrhundert), schließlich nach Russland (18. Jahrhundert) und in das Osmanische Reich (19. Jahrhundert). Sie überdauerte das Zeitalter der Aufklärung und erlebte parallel zum Antisemitismus seit 1800 einen neuen Aufschwung in Mittel- und Osteuropa. Die Nationalsozialisten benutzten sie zur systematischen Volksverhetzung vor und während des Holocaust. Gegenwärtig lebt sie unverändert und in neuen Varianten vor allem im Rechtsextremismus und Islamismus fort.

Antike

Hauptartikel: Antike Judenfeindschaft

Griechisch-Römische Überlieferung

Vorwürfe ritueller Kindesmorde, Menschenverzehr und das Trinken oder der kultische Gebrauch von Menschenblut sind aus griechischer Literatur der Antike seit den Historien des Herodot (5. Jahrhundert v. Chr.) bekannt. Sie richteten sich ursprünglich nicht gegen Juden, sondern andere Fremdvölker.[3]

Im antiken Griechenland wurden Menschenopfer bis etwa 480 v. Chr. abgewertet und verboten. Doch zugleich wurden manche Andersgläubige und Fremde mit Vorwürfen geheimer ritueller Menschenopfer dämonisiert. Im Hellenismus brachten gebildete Griechen solche Gerüchte gegen das Judentum in Umlauf. Dies war Teil der im hellenistischen Bildungsbürgertum üblichen antiken Judenfeindschaft.

Der Sophist Apion verleumdete die Juden in Alexandria um 40 n. Chr. gezielt beim römischen Kaiser Caligula, um jüdischen Widerstand gegen den Kaiserkult zu brechen. Apions Vorwürfe, die der jüdische Historiker Flavius Josephus in seiner Gegenschrift Contra Apionem (94 n. Chr.) wiedergab, gipfelten in der Erzählung: Der seleukidische Herrscher Antiochos IV. Epiphanes habe 167 v. Chr. im Jerusalemer Tempel einen Griechen gefesselt aufgefunden. Dieser habe berichtet, dass Juden ihn gefangen, im Tempel isoliert eingeschlossen und ein Jahr lang für ein rituelles Menschenopfer gemästet hätten, das sie jährlich vollzögen. Dabei würden sie das Fleisch des Opfers essen und ihrem Gott einen mächtigen Eid schwören, die Feindschaft zu den Griechen aufrechtzuerhalten.[4]

Die Einzelmotive der Legende (Menschenopfer, kannibalischer Opferverzehr, eines geraubten Fremden, für einen Gott, als jährliches Ritual, im Zentralheiligtum, zum Bekräftigen einer Feindschaft) lassen sich jeweils auf ältere Vorbilder zurückführen, darunter die antijüdischen Traktate des Ägypters Manetho (3. Jahrhundert v. Chr.). Dem Althistoriker Bezalel Bar-Kochva zufolge wurden die Motive von Menschenopfern und Kannibalismus schon vor den Makkabäeraufständen (ab ~160 v. Chr.) in Persien und Ägypten zu einer antijüdischen Verleumdung kombiniert und gelangten über Hofhistoriker der Seleukiden und Römer an Apion.[5]

Dieser nannte laut Josephus die griechischen Historiker Poseidonios und Apollonius Molon (beide 1. Jahrhundert v. Chr.) als Quellen der Legende. Damit wollte er die Tempelentweihung und Judenverfolgung des Antiochus rechtfertigen. Schon Diodorus hatte diese Verfolgung mit angeblichen jüdischen Bräuchen gerechtfertigt.[6]

Die Suda, ein byzantinisches Lexikon aus dem 10. Jahrhundert, zitierte aus dem Werk Über die Juden des (sonst unbekannten) griechischen Historikers Damokritos (vor oder kurz nach der Tempelzerstörung 70 n. Chr.): „… dass die Juden ihre Köpfe vor einem goldenen Esel beugen und alle sieben Jahre einen Nichtjuden fangen, als Opfer anbieten, sein Fleisch zerreißen und ihn so töten.“ Damokritos variierte hier wohl die von Apion überlieferte Legende.[7]

Seit etwa 150 n. Chr. im Römischen Kaiserreich übertrugen gebildete Römer die etablierten Vorwürfe auch auf die Christen und behaupteten wie zuvor von Juden, dass sie Eselsköpfe verehrten und kleine Kinder in geheimen Ritualen verspeisten. Solche Vorwürfe wurden mitunter durch Folter-Verhöre von Christen scheinbar bestätigt.[8] Sie sind jedoch fast nur in Werken christlicher Apologeten und Kirchenväter belegt, die ihnen entgegentraten: darunter Justin der Märtyrer in seiner Apologiae pro Christianis (um 150); im Dialog mit dem Juden Tryphon (um 160); bei Origenes in Contra Celsum (um 250); bei Eusebius von Caesarea in den Praeparatio evangelica (um 320).[3]

Die römischen Gegner der Christen missdeuteten deren Bräuche, etwa die Adoption von ausgesetzten römischen Neugeborenen und die Eucharistie. Die nächtlichen Feiern der Christen verstärkten das römische Misstrauen: Man glaubte, sie übten dort geheime okkulte und staatsfeindliche Praktiken. Im Zuge der Christenverfolgungen im Römischen Reich sagten die regionalen und staatlichen Verfolger den Christen unter anderem nach, Neugeborene und Kleinkinder zu entführen, um diese heimlich rituell zu töten und zu verspeisen. Dies beschrieb der Christ Minucius Felix in seinem Dialog Octavius (um 200):

„Ein Kind, mit Teigmasse bedeckt, um die Arglosen zu täuschen, wird dem Einzuweihenden vorgesetzt. Dieses Kind wird von dem Neuling durch Wunden getötet, die sich dem Auge völlig entziehen; er selbst hält durch die Teighülle getäuscht die Stiche für unschädlich. Das Blut des Kindes – welch ein Greuel! – schlürfen sie gierig, seine Gliedmaßen verteilen sie mit wahrem Wetteifer. Durch dieses Opfer verbrüdern sie sich …“[9]

Judentum

Im frühen Judentum galten Kindesmord und Kannibalismus als Kennzeichen von Götzendienst der Fremdvölker. Die Israeliten kannten in alter Zeit noch Kulte, die ein Opfer des ersten Kindes verlangten (2 Chr 33,6 EU; 2 Kön 23,10 EU). Dieses verbietet die jüdische Tora streng und wiederholt (Ex 13,2 EU; 13,12f EU; 22,28f EU; 34,19f EU; Num 3,15f EU; 18,15 EU; Dtn 15,19 EU) und bedroht es mit Todesstrafe (Lev 20,2–5 EU). Die biblischen Propheten verurteilten Menschenopfer als Götzendienst (Jes 57,5 EU; Jer 7,31 EU; 32,35 EU; Ez 16,20 EU; 23,37 EU) und tabuisierten sie so.

Eventuell schon in der Väterzeit um 1200 v. Chr., spätestens bis 800 v. Chr. ersetzten im Judentum nach Gen 22 EU Tieropfer jedes Menschenopfer. Die Tora verbietet diese als „Greuel für JHWH“ wiederholt streng (Lev 18,21 EU; 20,2-5 EU; Dtn 12,31 EU; 18,10 EU). Auch die Tieropfer regelte die Tora streng und verbietet Juden unter anderem den Blutgenuss, da im Blut das Leben sei und dieses ausschließlich dem Schöpfergott gehöre (Gen 9,4 EU; Lev 3,17 EU; 7,26-28 EU; 17,10–14 EU). Damit wurde eine wesentliche Begründung für Opfer, das Hingeben und Einverleiben fremder Lebenskraft, entkräftet.

Das apokryphe Buch der Weisheit rechtfertigte im 1. Jahrhundert v. Chr. die fiktive Ausrottung der Kanaanäer bei der Landnahme der Israeliten nachträglich mit deren angeblichen Kindesopfern (Weish 12,5 EU).[10]

Christentum

Im Christentum tauchten Kindesmordvorwürfe zunächst gegen manche gnostischen oder christlichen Sekten auf. So überlieferte Augustinus von Hippo als Gerücht über die Montanisten, sie hätten einem einjährigen Kind kleine Wunden zugefügt, ihm das Blut entzogen, dieses mit Mehl verrührt zu Brot gebacken und dieses bei ihrem Abendmahl verzehrt. Falls das Kind starb, habe man es als Märtyrer, falls nicht, als Hohepriester verehrt.[11]

Die Kirchenväter übernahmen das biblische Verbot der Menschenopfer und begründeten es mit dem Kreuzestod Jesu Christi: Dort sei Gottes Versöhnung mit der Welt ein-für-allemal geschehen (Joh 3,16 EU). Das stellvertretende Selbstopfer des Sohnes Gottes habe alle weiteren Opfer überflüssig gemacht (Heb 9,12 EU; 10,10 EU). Sie unterstellten Juden daher zunächst keine kultischen Menschenopfer. Aber mit der These von der jüdischen Kollektivschuld am Tod Jesu, der Ersetzung des erwählten Gottesvolks Israel durch die Kirche und weiterwirkenden Selbstverfluchung der Juden (Mt 27,25 EU) schufen sie die theologische Basis, auf die spätere Ritualmordlegenden sich stützten (siehe Substitutionstheologie). Nach der Konstantinischen Wende beanspruchte die Kirche, die bis 391 zur Staatsreligion des Römischen Reiches aufstieg, auch politisch die Alleingeltung ihres Glaubens. Bald stellte fast nur noch die jüdische Minderheit ihren Absolutheitsanspruch in Frage, lehnte den Glauben an die Messiaswürde und Göttlichkeit Jesu und Heilswirkung seines Todes ab und widerstand allen Bekehrungsversuchen. Juden galten daher neben „Ketzern“ als Hauptfeinde des Christentums und wurden systematisch diskriminiert.[12]

In der Spätantike waren Ritualmordvorwürfe von Christen gegen Juden noch selten und spielten dann auf das um 160 n. Chr. etablierte Dogma vom Gottesmord an.[13] Mit der Kirchenherrschaft wurde der Glaube an die Heilkraft der christlichen Sakramente dogmatisiert. Parallel dazu wuchs die Vorstellung, die Juden wollten und müssten aufgrund ihrer erblichen Verbindung mit Satan oder dem Antichrist die Folter und Kreuzigung Jesu Christi ständig wiederholen. Dies zeigt der Bildfrevel, den Athanasius von Alexandria († 373) den Juden von Berytos (Beirut) zuschrieb, wobei er das biblische Bilderverbot überging: Sie hätten Jesu Marter an einem Christusbild wiederholt. Das Bild habe begonnen zu bluten und Wunder zu wirken; dies habe die Juden zur Taufe bewegt. Diese Legende wurde später weit verbreitet und vielfach abgewandelt: etwa in der Weltchronik des Sigebert von Gembloux († 1112), aber auch von dem Protestanten Hieronymus Rauscher († 1569). Sie lebt als Wallfahrtslegende in Oberried (Breisgau) bis heute fort.

Der antike Kirchenhistoriker Socrates Scholasticus beschrieb in seiner Historia ecclesiastica (~415) einen Unfall bei einem jüdischen Purim-Fest: Betrunkene Juden hätten in einem syrischen Dorf einen Christenknaben aufgehängt und eher versehentlich zu Tode gefoltert. Cecil Roth, der britische Herausgeber der Encyclopaedia Judaica, sah hier den Ursprung der christlichen Ritualmordlegende und interpretierte diese damit als Fehlwahrnehmung jüdischer Bräuche. Diese Erklärung wird heute als spekulativ zurückgewiesen, da jene Episode keine Bezüge zu einem rituellen Opfer und Blutgenuss enthält und die christliche Legende sich nirgends auf das Purimfest bezog.[14]

Hochmittelalter

Seit dem Hochmittelalter breiteten sich Ritualmordanklagen im von der Römisch-Katholischen Kirche beherrschten Europa aus.[15] Sie wurden zum festen Bestandteil der Verfolgung Andersgläubiger, vor allem von Juden, seltener auch sogenannter Ketzer und Hexen.[16]

Die antijüdische Ursprungslegende

In Norwich, der damals zweitgrößten englischen Stadt, wurde 1144 der christliche Junge William tot aufgefunden. Wie bei ungeklärten Todesfällen üblich, wurden ortsansässige Juden als seine Mörder verdächtigt, aber der örtliche Vogt schützte sie und ein Gericht wies die Anklage ab. Um 1150 kam der Benediktinermönch Thomas von Monmouth nach Norwich und schrieb von da an bis zu seinem Tod 1172 sein siebenbändiges Werk The Life and Passion of Saint William the Martyr of Norwich. Er behauptete, Juden hätten den 12-jährigen William im März 1144 gekauft, gemartert und gekreuzigt. Ostersamstag habe man seine Leiche gefunden. An seinem Grab hätten sich fortan immer wieder Wunder ereignet. Die als Faktenbericht ausgegebene Legende sollte einen Heiligen- und Märtyrerkult in Norwich etablieren, wundergläubige Pilger anwerben und so Einkünfte für den 1096 begonnenen Bau einer Kathedrale gewinnen. Obwohl der Papst diesen Kult nicht autorisierte, stimmten die englischen Bischöfe dem Vorhaben zu und legitimierten damit auch den Ritualmordvorwurf gegen Juden.[17]

Die Kernpassage der Legende lautet:

„Seinerzeit kauften die Juden vor Ostern ein Christenkind und taten ihm all die Martern an, die unser Gott erlitten hat; und zu Karfreitag hängten sie es an ein Kreuz wegen unseres Gottes und dann beerdigten sie es. Sie dachten, es würde nicht entdeckt werden, aber unser Gott offenbarte, daß der Knabe ein heiliger Märtyrer sei, und die Mönche nahmen ihn und bestatteten ihn zeremoniell im Kloster, und Dank unseres Gottes tut er großartige und vielfältige Wunder, und er wird St. William genannt.“[18]

Diese Motive tauchten in vielen Ritualmordanklagen der folgenden Jahrhunderte immer wieder auf:

  • Bezug auf den jährlichen Ostertermin,
  • Motiv des „unschuldigen Kindes“,
  • Entführung oder „Kauf“ und Folterung des Opfers,
  • blasphemisch verspottende Nachahmung der Kreuzigung Jesu,
  • Schuldbeweis durch Wunder, die von der Leiche des vermeintlichen Opfers ausgehen.

Nur der Blutgenuss fehlte noch.

Monmouth stellte Williams Folterung als verabredete Rache von Juden für Grausamkeiten dar, die Christen ihnen bezüglich der Kreuzigung Jesu unterstellt hätten.[19] Damit spielte er auf die Gottesmordtheorie an, mit der die christlichen Kreuzfahrer ihre Judenpogrome rechtfertigten, und projizierte deren Motive und Taten auf die Juden zurück.

Der Vogt, der die Juden 1144 geschützt hatte, war 1147 gestorben. Teilnehmer des Zweiten Kreuzzugs (1147–1149) kehrten nach England zurück, brauchten Arbeit und Einkünfte. 1149 hatte ein verschuldeter christlicher Handwerker, Simon de Novers, in Norwich seinen Gläubiger getötet, den jüdischen Bankier Deulesalt. 1150 wurde Novers in London vor Gericht gestellt. 1150/51 wurde Williams Leichnam erst in die Klosterkapelle, dann die Kathedrale umgebettet.[20] Um Novers zu entlasten, brachte sein Verteidiger, der Bischof von Norwich, den angeblichen Judenmord an William ins Spiel. Monmouth wollte diese Behauptung mit seiner Legende untermauern. Dazu nannte er den Juden, in dessen Haus William angeblich gefangen und gemartert worden war, „Deulesalt“.[21]

Während des Gerichtsverfahrens schmückte er die Legende weiter aus und behauptete: Sein Mitmönch Theobald von Cambridge, ein konvertierter Jude, habe ihm von einem jährlichen Treffen der führenden Juden Spaniens in Narbonne erzählt. Dort werde ausgelost, in welcher Stadt im laufenden Jahr ein Christenkind zu opfern sei, um den Judengemeinden weltweit Christenblut bereitzustellen. 1144 sei das Los auf Norwich gefallen. Jüdische Schriften verlangten dieses jährliche Opfer, weil die Juden nur so ihre Freiheit und verlorene Heimat wiederzuerlangen glaubten.[22]

Hier begann die Theorie der jüdischen Weltverschwörung.[23] Sie verknüpfte den angeblichen jüdischen Ritualmord mit der jüdischen Befreiungshoffnung, an die das Pessachfest erinnert, und stellte diese als Ursache für das Leiden Jesu und der Christen dar. Ritualmordanklagen wurden daher stets in der Karwoche oder zeitlich nahe beim jüdischen Pessachfest erhoben.

Der Historiker Israel Yuval deutete die christlichen Ritualmordanklagen als Reaktion auf die Selbstauslöschung jüdischer Gemeinden bei den Gezerot Tatnu von 1096 im Rheinland. Vor die Wahl zwischen Taufe und Tod gestellt, töteten viele Juden zuerst ihre Kinder, dann sich selbst. Jüdische Chroniken verherrlichten dies als „Heiligung des Gottesnamens“ (Kiddusch Haschem) in Erwartung kommender göttlicher Gerechtigkeit. Dies habe die Christen bestärkt, Juden eine bösartige Gier nach Rache an Christen und nach Kindesopfern zuzuschreiben. Die christlichen Legenden spiegelten die jüdische Märtyrertheologie.[24] Ohne jüdisches Leiden zu bestreiten, wies Yuval dem Judentum damit eine Mitverantwortung für mittelalterliche Ritualmordlegenden zu. Diese Erklärung setzte sich nicht durch.[25]

Scheinprozesse

Im französischen Blois wurden Juden 1171 beschuldigt, sie hätten ein totes christliches Kind in einen Fluss geworfen. Weder wurde ein Kind vermisst noch eine Leiche gefunden. Die bedrohten lokalen Juden zeigten den Fall bei König Ludwig VII. an, der ihnen Hilfe versprach. Gleichwohl erklärten der Bischof und der Graf von Blois dutzende Juden in einem Schauprozess zu Mördern. Die Angeklagten schlugen Angebote aus, sich freizukaufen und christlich taufen zu lassen, um ihre Gemeinde nicht künftigen Erpressungen auszuliefern. Darauf wurden am 26. Mai 1171 mehr als 30 Juden verbrannt. Der Abt Robert von Torigni behauptete später in seiner Chronik einen jüdischen Ritualmord und legitimierte so nachträglich den Massenmord. Die jüdische Gebetsliturgie zum Jom Kippur und zum Tischa beAv erinnert daran.[17]

Auch Legenden zu Richard in Pontoise (1167), Harald in Gloucester (1168) und Rodbertus in London (1181) stellten diese Todesfälle christlicher Knaben analog zur Marter und Kreuzigung Jesu dar und beschrieben Wunder, um die Schuld der Juden zu beweisen und einen Heiligenkult zu gründen. Mit dem Pogrom von 1171 in Blois griffen Ritualmordanklagen auf Frankreich und Spanien über. Auch 1179 in Paris, 1182 und 1250 (Domingo de Val) in Saragossa sollten Juden christliche Knaben gekreuzigt haben. Alle Prozesse dazu endeten mit Todesurteilen.[26]

1191 in Bray-sur-Seine ermordete ein königlicher Vasall einen Juden. Die Opferangehörigen erwirkten gegen Geldzahlungen, dass der Täter verurteilt und ihrer Gemeinde übergeben wurde. Dessen Hinrichtung beim Purimfest stellten dann viele vermeintliche Zeugen als Ritualmord und Bestätigung weiterer Ritualmordanklagen hin. König Philipp II. nutzte dies, um seine Herrschaft in der Region zu festigen. Er zog nach Bray, stellte die Juden dort vor die Wahl zwischen Taufe und Tod und verurteilte 80 Gemeindeglieder zum Tod auf dem Scheiterhaufen. Viele töteten sich vorher selbst. Im englischen Winchester dagegen wurde eine Klage gegen Juden wegen der fehlenden Leiche 1192 abgewiesen. 1244 wurde in London ein toter Säugling gefunden, Wundmale auf der Leiche als hebräische Schriftzeichen gedeutet und Londoner Juden angeklagt. Sie konnten nicht überführt werden und ein Todesurteil gegen hohe Geldstrafen abwenden. Der Londoner Chronist Matthäus Paris hielt fest, frühere Ritualmordberichte, Märtyrerüberführungen und folgende Wunder hätten die Kleriker zu dieser Anklage bewogen.[27]

1255 fand man in Lincoln den Knaben Hugh nahe beim Haus eines Juden tot auf. Dieser wurde gefoltert, gestand, man habe ihn für einen Ritualmord beauftragt, wurde daraufhin durch die Londoner Straßen geschleift und zuletzt gehängt. König Heinrich III. griff die Anklage auf und ließ nach einem Schauprozess 97 (andere Quellen: 18) weitere Juden hängen.[28] Andere Mordanklagen gegen Juden tauchten nach Leichenfunden von christlich getauften Mädchen auf: etwa in Boppard (1179), Speyer (1195), Valréas (1247), Pforzheim (1267), Lienz (1442). Sie zeigen, wie sich der Vorwurf aus seinem rituellen Kontext löste und verallgemeinerte.[29]

Folklore und Literatur

Um 1200 erzählte eine Legende in England von einem jungen Klosterschüler, der durch die Judengasse gezogen sei und dabei das Marienlied Alma redemptoris mater gesungen habe. Ein Jude habe ihn aus Wut erschlagen und in seinem Haus verscharrt. Doch seine Leiche habe weitergesungen und den Täter verraten. Auch Chroniken verbreiteten das Motiv: Matthäus von Paris († 1259) stellte Hughs angebliche Marter in grausamen passionsähnlichen Details dar. Darauf beriefen sich Ankläger in späteren Fällen, so der Stadtprediger von Celle, Sigismund Hosemann, noch 1699 in seinem Pamphlet Das schwer zu bekehrende Juden-Hertz.[30] Geoffrey Chaucer (ca. 1340–1400) nahm die Legende vom Marienlied in seine Canterbury Tales auf und verknüpfte sie mit dem Motiv des Herodianischen Kindermords (Mt 2,16) und dem angeblichen Martyrium des Hugh von Lincoln.[31]

Diese Legenden verstärkten den Judenhass, bis die Juden 1290 aus England vertrieben wurden. Danach bestanden nur noch kleine jüdische Enklaven in manchen englischen Städten fort. Das Stereotyp des blutgierigen, heimtückischen, auf Verbrechen an Christen lauernden Juden wanderte in englische Bühnenstücke ein, so in Christopher Marlowes Der Jude von Malta (1592) und William Shakespeares Der Kaufmann von Venedig (1596–1598).[32]

Christenblut als „Heilmittel“

1215 dogmatisierte das 4. Laterankonzil die Transsubstantiationslehre: Weil sich Wein und Brot bei der Eucharistie in das reale Blut und den Leib Christi verwandeln sollten, schrieb man der Hostie magische Kräfte zu. Ihr Missbrauch konnte im Aberglauben der Bevölkerung weitreichende Folgen haben. Seitdem verband sich der Ritualmordvorwurf mit dem des Hostienfrevels. Mit der Entfaltung der christlichen Blutmystik trat neben die Analogie zum Leiden Jesu immer öfter die Behauptung, Juden bräuchten Christenblut zum Einbacken in ihre Mazzen, für Zauberei oder zur Heilung ihnen angeborener Leiden. Sie seien demnach nicht nur aus Religion, sondern auch von ihrer „Natur“ her genötigt, solche Morde zu begehen. Ihnen wurde also eine analoge Sakramentalisierung ihrer Riten nachgesagt und der eigene Glaube an die Heilswirkung des Blutes unterstellt.

Diese Blutanklage tauchte erstmals 1235 in Fulda auf deutschsprachigem Boden auf. Dort kamen am Heiligabend fünf Kinder bei einem Hausbrand ums Leben. Man beschuldigte örtliche Juden, sie hätten zwei der Opfer ermordet und ihr Blut in Säcke abgefüllt, um es als Heilmittel zu verwenden. Von einer rituellen Tötung reden die Akten nicht; doch erschien die ganze Judengemeinde beteiligt. Zufällig anwesende Kreuzfahrer verbrannten am 28. Dezember 34 ihrer Mitglieder. Seit diesem Massenmord bezeichneten deutsche Aschkenazim alle derartigen Ritualmordanklagen, auch die früheren englischen und französischen, als „Blutbeschuldigung“ (englisch blood libel).[33]

Der Dominikaner Thomas von Cantimpré schrieb 1263, Gott habe die Juden seit ihrer Selbstverfluchung (Mt 27,25 EU) mit einem hässlichen Blutfluss gestraft, der erst aufhöre, wenn sie sich bekehrten. „Sie glaubten aber, sie könnten von ihrer geheimen Qual befreit werden, wenn sie christliches Blut vergössen!“ Darum würden sie jedes Jahr Christen ermorden.[34]

Erfolglose Schutzbemühungen

Um ähnliche Pogrome zu verhindern, ließ Kaiser Friedrich II. den Präzedenzfall von Fulda 1244 durch eine große Theologenkommission untersuchen, der jüdische Konvertiten aus ganz Europa angehörten. Das Ergebnis lautete:

„Weder im Alten noch im Neuen Testament kann man erfahren, dass die Juden begierig wären, Menschenblut ausströmen zu lassen, ja im Gegenteil […] hüten sie sich vor der Befleckung durch jegliches Blut gemäß der Bibel, in den von Moses gegebenen Geboten, die hebräisch Berechet heißen, und in den jüdischen Gesetzen, die hebräisch Talmilloht (Talmud) heißen. Es spricht auch eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit dafür, dass diejenigen, denen sogar das Blut erlaubter Tiere verboten ist, keinen Durst nach Menschenblut haben können. Gegen diesen Vorwurf spricht: 1) der Horror dieser Sache; 2) dass es die Natur verbietet; 3) die menschliche Verbindung, die Juden auch den Christen entgegenbringen; 4) dass sie nicht willentlich ihr Leben und Eigentum gefährden würden. Aus diesen Gründen haben wir im Konsens mit den regierenden Fürsten entschieden, die Juden des Reiches von dem schweren Verbrechen, dessen man sie angeklagt hat, freizusprechen und die übriggebliebenen Juden von allen Verdächtigungen frei zu erklären.“[35]

Mit dieser rationalen Begründung verbot er weitere Ritualmordanklagen. Doch diese erfolgten weiterhin, verbreiteten sich europaweit und endeten fast alle mit Massenhinrichtungen oder Massakern.

1247 in Valréas gaben die Angeklagten nach grausamer Folter alles zu, was die Ankläger hören wollten: Juden würden weltweit am Karfreitag zur Beschimpfung und Entmachtung Jesu ein Christenkind kreuzigen, sein Blut auffangen und dieses am Karsamstag, ihrem heiligen Sabbat, trinken, um so wie früher durch Opfer im Tempel entsühnt und gerettet zu werden. Auf diesen Fall reagierten die Judengemeinden mit einer Petition an den Papst in Rom. Innozenz IV. (1243–1254) gab daraufhin eine Schutzbulle an alle fränkischen und deutschen Bischöfe heraus, die häufige Gründe der Ritualmordanklagen benannte:

„Wir haben die flehentliche Klage der Juden vernommen, dass manche kirchlichen und weltlichen Würdenträger wie auch sonstige Edelleute und Amtspersonen in Euren Städten und Diözesen gottlose Anklagen gegen die Juden erfänden, um sie aus diesem Anlass auszuplündern und ihr Hab und Gut an sich zu raffen. Diese Männer scheinen vergessen zu haben, dass es gerade die alten Schriften der Juden sind, die für die christliche Religion Zeugnis ablegen. Während die Heilige Schrift das Gebot aufstellt: Du sollst nicht töten! und ihnen sogar am Passahfest die Berührung von Toten untersagt, erhebt man gegen die Juden die falsche Beschuldigung, dass sie an diesem Feste das Herz eines ermordeten Kindes äßen. Wird irgendwo die Leiche eines von unbekannter Hand getöteten Menschen gefunden, so wirft man sie in böser Absicht den Juden zu. Es ist dies alles nur ein Vorwand, um sie in grausamster Weise zu verfolgen. Ohne gerichtliche Untersuchung, ohne Überführung der Angeklagten oder deren Geständnis, ja in Missachtung der den Juden vom apostolischen Stuhl gnädig gewährten Privilegien beraubt man sie in gottloser und ungerechter Weise ihres Besitzes, gibt sie den Hungerqualen, der Kerkerhaft und anderen Torturen preis und verdammt sie zu einem schmachvollen Tode … Solcher Verfolgungen wegen sehen sich die Unglückseligen gezwungen, jene Orte zu verlassen, wo ihre Vorfahren von alters her ansässig waren. Eine restlose Ausrottung befürchtend, rufen sie nun den apostolischen Stuhl um Schutz an …“[36]

Er forderte daher die Adressaten auf, die Christen dazu anzuhalten, den Juden „freundlich und wohlwollend zu begegnen“. Doch er war es auch, der den Talmud und Disputationen mit Juden offiziell verbot, so dass sie ihre Religion den Christen nicht erklären konnten. Zudem erlaubte er der Inquisition, Blutanklagen, die oft von Priestern und Theologen formuliert wurden, mit Foltergeständnissen zu bekräftigen. Zwischen 1264 und 1267 erfolgten ständige Judenpogrome. Nach dem Regierungsantritt der Habsburger häuften sich die Ritualmordprozesse, so 1283 in Mainz, 1286 in München und 1288 in Oberwesel.[37]

Eine Schutzbulle von Papst Gregor X. (1272) zeigt, dass Anklagen bewusst gefälscht wurden: Christen würden Juden nicht nur zu Unrecht der Kindesentführung bezichtigten, sondern sogar bewusst Kinder verstecken und Juden eine Anklage androhen, um von ihnen Geld zu erpressen. Dennoch lebte der Glaube an die Legende fort: Manchmal bot man Juden sogar Kinder zum Kauf an. Weitere Schutzbullen von Martin V. (1417–1431), Nikolaus V. (1447–1455) und Paul III. (1534–1549) zeigen die Kontinuität der Anklagen. Päpstliche und königliche Verbote blieben weitgehend wirkungslos. So ist in Ritualmordprozessen von 1200 bis 1500 nur ein einziger Freispruch bekannt (1329 in Savoyen).[38]

Das Statut von Kalisch, das Herzog Bolesław der Fromme 1264 erließ, sicherte allen Juden von Großpolen den Schutz ihres Lebens und Vermögens zu und verbot, sie vor Gericht zu diskriminieren. Der Eid eines angeklagten Juden sollte vor Gericht als Beweis gelten. Das Dokument ist nur noch als Kopie aus dem 16. Jahrhundert bekannt. Die folgenden Herrscher Polens bestätigten die darin erlassenen Rechte. Gleichwohl kam es in Polen später zu Ritualmordprozessen, erstmals 1547.[39]

Kultstiftung

Darstellung der Ritualmordlegende in der Berner Chronik von Diebold Schilling dem Älteren

Im Jahr 1287 sollten Juden Werner von Oberwesel aus religiösen Motiven ermordet haben. Die Legende entstand 1288 und löste blutige Verfolgungen der Juden im ganzen Rheinland aus. In Bacharach wurden deswegen 26 Juden ermordet. Heinrich Heine erinnerte in seiner fragmentarischen Erzählung Der Rabbi von Bacherach daran.[40] Um die Leiche des Jungen entstand ein Kult: Man schrieb ihr besondere Leuchtkraft zu und weigerte sich zunächst, sie zu beerdigen. Um 1370 berichtete eine lateinische Chronik, Juden hätten ihn an den Füßen aufgehängt, um eine Hostie, die er gerade verschlucken wollte, zu erlangen. Daraufhin wurde Werner als Märtyrer mit einem Fest jedes Jahr am 19., später am 18. April verehrt.

Am 17. April 1294 wurde Rudolf von Bern ermordet. Als Täter wurden die Berner Juden verantwortlich gemacht. Auch er wurde später als Märtyrer verehrt. Zudem wurde das Stereotyp mittels christlicher Kunst und volkstümlicher Passionsspiele im Volksglauben verankert. Altar- und Deckengemälde in Kirchen zeigen, wie Juden den kreuzförmig ausgestreckten Leib ihres angeblichen Opfers mit Messern oder Lanzen verletzen oder schächten, ihm Blut entziehen, dieses auffangen usw.; oft auch nach einer vorherigen Beschneidung, so auf dem Herrenberger Altar von Jörg Ratgeb (1518).

1303 wurde den Juden in Weißensee (Thüringen) ein Ritualmord an dem verschwundenen Knaben Conrad nachgesagt, was zu ihrer Verfolgung in der Region führte. Conrad wurde ansatzweise als Heiliger verehrt. Diese Episode wurde in mehreren Chroniken überliefert. Sie war auch Martin Luther bekannt und diente ihm 1543 dazu, allen Juden heimliche Mordabsichten an den Christen zu unterstellen.[41]

Frühe Neuzeit

Ketzer und Hexen

Im 15. Jahrhundert kamen auch Ritualmordvorwürfe gegen weibliche und männliche „Hexen“ auf. Ihnen wurden Praktiken vorgeworfen, die die kirchliche Inquisition seit dem 13. Jahrhundert Katharern und Waldensern unterstellt und mit Folterverhören „bestätigt“ hatte: nächtliche orgiastische Zusammenkünfte mit Teufelsanbetungen oder Huldigungsritualen an böse Geister und Kinderopfern. Nachdem bis dahin nur vereinzelte Klagen gegen als Zauberer Verdächtigte laut geworden waren, wurde nun eine bedrohliche Sekte angenommen, die Praktiken wie „Schwarze Magie“ heimlich verabrede und zur Zerstörung des Christentums ausübe. Motive wie der „Hexensabbat“ (vom Schabbat), die „Synagoge“ (für den Hexentanz) und Ritualmord stammten aus älteren antijudaistischen Vorstellungen.[42]

Die Chronik des Hans Fründ aus Luzern beschrieb um 1431 die Begleitumstände einer Hexenverfolgung im Wallis und zählte dabei erstmals auf, was angeblich an einem Hexensabbat geschehe: Teufelspakt, Luftflug, Herstellung und Verwendung von Hexensalben, orgiastisches Mahl mit geraubten Lebensmitteln, Schadenzauber, ritueller Kindesmord und Kannibalismus.[43] Prozessakten und Chroniken wie die des Heidelberger Hofkaplans Matthias von Kemnat zeigen, wie die Juden unterstellten heimlichen Praktiken verschwörungstheoretisch auf Ketzer und Hexen übertragen wurden.[44]

Juden

Im selben Zeitraum sind 30 Ritualmordanklagen gegen Juden im deutschen Sprachraum dokumentiert, vier in Spanien und Italien, zwei in Polen und eine in Ungarn. Sie endeten fast alle mit Pogromen und Hinrichtungen der Angeklagten. 1431 wurden nach solchen Anklagen die jüdischen Gemeinden von Ravensburg, Überlingen und Lindau zerstört. In Ravensburg hatte man einen 13-jährigen Jungen im Haslachwald zwischen Ravensburg und Weingarten erhängt aufgefunden. Zunächst war ein Fuhrmann, der den Jungen in den Wald gefahren hatte, beschuldigt worden, doch bezichtigte dieser die Juden, einen Ritualmord begangen zu haben. Daraufhin wurden die Ravensburger Juden gefangen genommen. Ein Teil von ihnen wurde im August 1430 verbrannt. Andere konnten fliehen oder wurden aus der Stadt vertrieben. 1431 beschloss die Stadt Ravensburg, nie wieder Juden in der Stadt aufzunehmen. 1559 ließ sich die Stadt dieses Verbot von Kaiser Ferdinand I. ausdrücklich bestätigen. Es blieb bis in die 1870er Jahre wirksam.[45] 1451 dehnte Papst Nikolaus V. die Inquisition unter Johannes von Capistrano auch gegen Juden aus. Dieser erneuerte die Vorwürfe von Ritualmord und Hostienfrevel gegen sie, die Innozenz IV. 1247 zurückgewiesen hatte. War die Anklage einmal erhoben, dann wurden die Begründungen dafür beliebig ausgetauscht, bis das durch Folter erpresste Geständnis das gewünschte Ergebnis lieferte.

Wegen des Vorwurfs eines Ritualmordes wurde 1453 in Breslau ein Prozess gegen Juden geführt.[46]

Ein Verhörprotokoll aus Endingen am Kaiserstuhl 1470 spiegelt die verzweifelte Suche des mit dem christlichen Aberglauben wenig vertrauten Juden Merklin nach der „richtigen“ Antwort, die seine Qual beenden würde: Er und seine Angehörigen bräuchten das Christenblut als heilsame Arznei; dann für die Fallsucht eines seiner Söhne; dann als Odor gegen ihren üblen Körpergeruch; dann als Chrisam (Salböl) für die Beschneidung. Das Christenblut sollte für die Ankläger also die Erlösung garantieren, die Juden nach der Patristik seit Jesu Blutopfer verloren hätten. Merklins Familie wurde lebendig verbrannt. Kaiser Friedrich III. konnte die Ausweitung des Verfahrens auf andere Städte verhindern, nach einem zähen Rechtsstreit 1476–1480 die Regensburger Juden retten und damit die kaiserliche Rechtshoheit über die Reichsstädte wahren.

Die Geschichte des Simon von Trient wurde in ganz Deutschland und Oberitalien bekannt und folgenreich: 1475 begann Bernhardin von Feltre als neu ernannter Prior des Franziskanerklosters eine Serie von Hetzpredigten gegen die Juden von Trient, die ihr bisheriges friedliches Zusammenleben mit den Christen beendete. Am Gründonnerstag (23. Mai) gab er öffentlich den Juden die Schuld am Verschwinden eines Knaben und prophezeite, sie würden noch vor dem bevorstehenden Osterfest ihre Bosheit beweisen. Der jüdische Hofbesitzer Samuel fand am Karsamstag im Bach vor seinem Haus Simons Leiche und meldete den Fund den Behörden. Diese nahmen ihn und weitere Vertreter der jüdischen Gemeinde fest. In einem zweijährigen Verfahren nutzte der Tridentiner Bischof Johannes Hinderbach alle verfügbaren Foltergeständnisse von Ritualmorden im Bodenseegebiet für seine eigenen Verhöre. An der Folter starben 14 der Angeklagten, die übrigen legten erfolterte Scheingeständnisse ab.

Hinderbach gab noch vor Prozessende Druckwerke in Auftrag, die in drastischen Holzschnitten die angebliche Marter Simons illustrierten. Daraufhin beauftragte Papst Sixtus IV. eine Untersuchungskommission mit der Prüfung des Falls. Deren Vorsitzender, ein Freund Feltres, stellte das Unrecht der Foltergeständnisse fest, zugleich aber das Recht zur Festnahme der Juden und Anklage gegen sie. Diese wurde nun ergebnislos fallengelassen. Aber mit „Augenzeugenberichten“ über Simons Leiden und Eingaben erreichte Feltres Orden schließlich, dass der Papst Simon heiligsprach.

Bei Bischof Hinderbachs Sammlung angeblicher Ritualmordfälle von 1475 bezeugten lokale Gewährsleute, 1442 oder 1443 habe man bei Lienz eine mit vielen Stichwunden übersäte Mädchenleiche aus dem Fluss geborgen. Zwei als Mörder verdächtigte Juden des Ortes gestanden unter der Folter alles. Sie wurden erhängt, ihre Ehefrauen sowie eine Christin, die ihnen das Opfer angeblich verkauft hatte, wurden lebendig verbrannt. Diese Ritualmordlegende zu „Ursula Pöck“ war die älteste aus dem 15. Jahrhundert, blieb aber trotz mehrerer Wiederbelebungsversuche wenig beachtet. Kulturzeugnisse dazu wurden nach 1945 ohne Aufsehen beseitigt.[47]

Nachdem Pilger zum Grab Simons in Trient strömten, erinnerte man sich auch anderswo an unaufgeklärte Todesfälle von Kindern, die sich als Ritualmorde ausgeben ließen, um eine einträgliche Heiligenverehrung in Gang zu bringen: so in Padua (1475), Brescia, Mailand (1476), Motta di Livenza (1480) und Marostica (1485). Nur wenige davon lösten erfolgreich einen Kult aus. Erst 1588 erlaubte ein Papst, Sixtus V., den Kult um Simon von Trient.

Die Schedelsche Weltchronik von 1493 zeigte anschauliche Bilder von Juden, um die gängigen antijudaistischen Stereotype zu belegen. Darunter waren die angebliche Kreuzigung des William von Norwich und die rituelle Tötung des Simon von Trient als markante Beispiele aller Ritualmordlegenden des Mittelalters.[48] Das Bild zu Simon nannte sogar die Namen seiner angeblichen jüdischen Mörder. Es wurde oft nachgedruckt; eine danach gestaltete Figurengruppe befand sich bis 1965 in der Kirche St. Peter und Paul in Trient.[49] Ein um 1475 entstandenes, ebenso wirkmächtiges Wandbild auf einem Brückenturm in Frankfurt am Main kombinierte Simons Leichnam mit einer „Judensau“ und einer Bildunterschrift, die an „der Juden Schelmstück“ im Bund mit dem Teufel erinnerte.[50]

Nach Johannes Matthias Tiberinus beglaubigte der Pseudomediziner Hippolyt Guarinoni um 1620 erneut den angeblichen Ritualmord an Simon, indem er seine Gebeine ausgraben ließ, zu einer Mumie präparierte und dann „obduzierte“.[49] Sein Gutachten stellte exakt 5812 Wunden an Simons Körper fest.[51] Nach diesem Muster schuf und propagierte Guarinoni im Zuge der katholischen Gegenreformation auch die Legende zu Anderl von Rinn. Den Anlass dazu gab ihm eine namenlose Kinderleiche, die seit 1612 in der Dorfkirche von Rinn als Reliquie ausgestellt, aber weithin unbeachtet geblieben war. In Rinn waren keine Juden ansässig. Mit Hilfe des Stadtrats und der Jesuiten im nahen Innsbruck konstruierte Guarinoni daraus einen jüdischen Ritualmord, zunächst mit erfolglosen Verhören von Dorfbewohnern, ab 1619 mit eigenen fiktionalen Texten, zuletzt 1642 mit einem langen Gedicht. Als exaktes Morddatum erfand er den 12. Juli 1462, also vor dem Todesjahr Simons, gab dem Kind den Namen des Apostels Andreas, den auch Simons Vater trug, und seiner Mutter wie Simons Mutter den Namen Maria. 1620 ließ Guarinoni das Skelett in Rinn exhumieren und stellte daran 20 Wunden fest. Ab 1621 popularisierte ein Theaterstück der Innsbrucker Jesuiten, dessen Uraufführung auch Erzherzog Leopold V. besuchte, die Legende rasch. Bis 1670 wurde über dem vermeintlichen Tatort, dem „Judenstein“, eine Wallfahrtskirche gebaut. 1671 wurde die Reliquie dorthin zeremoniell überführt und ausgestellt. Bald folgten Wallfahrten, Prozessionen und viele weitere Theaterstücke zu Anderl. 1730 stellte eine barocke Bildserie den erfundenen Ritualmord blutig und plastisch dar. 1754 gestattete Papst Benedikt XIV. den Anderlkult mit der Bulle Beatus Andreas offiziell. So wurde aus einer literarischen Fiktion ein „VolkstumTirols und eine gewinnträchtige Wallfahrt, die Jahrhunderte überdauerte.[52] Das „Anderl-Spiel“ wurde in der näheren und weiteren Umgebung nachgeahmt und trug erheblich zum Aufschwung des Tiroler Volksschauspiels bei.[53]

Abklingen

Im 16. Jahrhundert trat der antijudaistische Ritualmordvorwurf in der kirchlichen Theologie Mitteleuropas zurück und konnte vor Gericht kaum noch durchgesetzt werden. Immer öfter stellten sich Klagen als unwahr und betrügerisch heraus: so 1504 in Frankfurt am Main, 1529 in Pösing und 1540 in Sappenfeld. Dort angeklagte Juden zitierten vor Gericht die anonyme Schrift des Nürnberger Reformators Andreas Osiander, die den Vorwurf exegetisch und logisch widerlegte: Ob es war und glaublich sey / daß die Juden der Christen Kinder heymlich erwürgen / vnd jr blut gebrauchen. Die Gegenschrift von Johannes Eck 1541 führte nochmals alle überlieferten angeblichen Beweise über den religiösen Blutdurst der Juden vor, fand aber kaum noch gelehrte Unterstützer. Auch katholische Theologen beriefen sich nun auf die Verwerfung der Ritualmordanklagen durch Papst Innozenz IV. Die Sappenfelder Juden wurden freigesprochen. 1563 wurde letztmals eine Ritualmordanklage vor dem Reichskammergericht verhandelt. Dort war von einem Bedarf der Juden an Christenblut keine Rede mehr, der Angeklagte wurde freigelassen.[54]

Später schrieben Katholiken auch Protestanten und Freimaurern solche Praktiken zu, während die Puritaner dies Katholiken zutrauten.[55]

Neuzeit

Polen und Litauen

Seitdem die meisten deutschsprachigen Städte die Juden bis etwa 1700 vertrieben hatten, kam es dort nur noch selten zu neuen Ritualmordanklagen; dafür umso mehr in Osteuropa, wohin viele vertriebene Juden geflohen waren. Besonders in Polen wurden die neuzugezogenen Juden anfangs begrüßt und tolerant behandelt. Doch 1407 kam es erstmals in Krakau zu einem Ritualmordvorwurf, begleitet von einem Pogrom. In der Lubliner Union haben Historiker von 1500 bis 1800 mindestens 89 Ritualmordanklagen und -prozesse ermittelt; man schätzt 200 bis 300 Hinrichtungen als ihre Folge.

1758 baten die jüdischen Gemeinden Polens Papst Benedikt XIV., sie gegen die häufigen Ritualmordvorwürfe von Katholiken ihres Landes zu verteidigen. Nach dessen Tod beauftragte das Heilige Offizium den Franziskaner Lorenzo Ganganelli, die Vorwürfe zu prüfen. In seinem Gutachten kam er zu dem Ergebnis, dass historische und aktuelle Beispielfälle unbegründet seien. Er nannte judenhetzende Christen „Pöbel“ und „Lügner“ und wies polnischen Bischöfen Widersprüche ihrer Argumente für die angeblichen Ritualmorde nach. Man müsse vernunftgemäß argwöhnen, dass die Vorwürfe insgesamt nur „Verleumdung“ der Juden durch Christen seien.

Bei Andreas von Rinn 1462 und Simon von Trient 1475, deren Kulte Päpste anerkannt hatten, fand Ganganelli berechtigte Verdachtsmomente für jüdische Ritualmorde. Er betonte jedoch zugleich: Selbst wenn diese Ritualmorde tatsächlich geschehen seien, seien es Einzelfälle, die auf keinen Fall den Verwandten der Täter oder gar allen Juden angelastet werden und als Eigenart der „jüdischen Nation“ ausgegeben werden dürften. Jüdische Ritualgesetze verböten Menschen-, besonders Kindesopfer. Damit machte er das Durchsetzen von Einzelfallprüfungen aufgrund einer juristisch korrekten Beweisaufnahme zur Pflicht des Heiligen Stuhls. Dem schloss sich Papst Clemens XIII. am 24. Dezember 1759 in allen Punkten an. Die jüdischen Beschwerdeführer erhielten einen päpstlichen Sendbrief, der den polnischen Nuntius beauftragte, sie unter seinen Schutz zu stellen. Erst 1762 informierte dieser den polnischen König von dieser Haltung des Papstes und seinem Auftrag, Ritualmordvorwürfe nur noch nach individueller Beweislage zuzulassen und danach Recht zu sprechen.[56]

Russland

In Russland soll bereits Ende des 17. Jahrhunderts angeblich Gavriil der Knabe, ein griechisch-orthodoxer, später als Märtyrer heiliggesprochener Junge – laut einer innerhalb der griechisch-orthodoxen Kirche nie hinterfragten Überlieferung – einem jüdischen Ritualmord zum Opfer gefallen sein.[57] Einige Zaren nutzten Ritualmordlegenden gezielt zur Diskriminierung der Juden und des Liberalismus; sie waren dort also Ausdruck eines gesamtpolitischen Antisemitismus. Der erste dortige Ritualmordprozess 1799 in Senno endete für vier angeklagte Juden mit Freispruch aus Mangel an Beweisen. Danach forderte Zar Paul I. einen offiziellen Bericht über Weißrusslands Juden an. Der als Autor beauftragte spätere Justizminister Gawriil Romanowitsch Derschawin hielt Ritualmorde für das Fantasieprodukt unwissender Fanatiker, schloss aber nicht aus, sie könnten früher tatsächlich verübt worden sein. Es gebe in den Judengemeinden noch lebende Täter. Daher seien solche Anklagen ernst zu nehmen und zu verfolgen.

Nach einem weiteren Fall 1816 in Hrodna verbot Zar Alexander I. mit einem Ukas am 6. März 1817, Juden künftig ohne hinreichende Indizien und nur wegen der abergläubischen Ritualmordlegende anzuklagen. Zugleich aber ließ er die Prüfung von Freisprüchen zu, so im Fall von Welisch 1823. Der mit der Untersuchung beauftragte Generalgouverneur Tschowanski – ein bekannter Judenfeind – bezichtigte 1824 in seinem Bericht die ganze jüdische Gemeinde von Welisch als Auftraggeber des Mordes. Darauf ließ der neue Zar Nikolaus I. alle jüdischen Schulen und Synagogen der Stadt schließen. Tschowanski versuchte nun, auch bei weiteren ungeklärten Mordfällen eine Verstrickung von Juden nachzuweisen und dazu den Fall in Grodno wieder aufzurollen.

Doch 1835 sprach der Staatsrat die seit 1825 inhaftierten Juden von Welisch in letzter Instanz frei, verurteilte drei Belastungszeugen wegen Meineids und verbannte sie nach Sibirien. Der Zar akzeptierte das Urteil, bestätigte aber nicht den Ukas seines Vorgängers von 1817, da er an jüdische Sekten glaubte, die christliches Blut für ihre Riten benötigten. Aus Anlass des Falls von Saratow 1853 beauftragte er eine Sonderkommission, die angeblichen „Dogmen des religiösen Fanatismus der Juden“ zu untersuchen. Obwohl diese bis 1856 keine Beweise fand und den Fall einzustellen riet, verurteilte der Staatsrat die Beschuldigten zu lebenslanger Haft im Arbeitslager. Der als Reformzar geltende Alexander II. bestätigte das Urteil 1860 und lehnte Begnadigungsgesuche ab. Zwei der Verurteilten begingen in Haft Suizid, der dritte wurde 1867 begnadigt. Trotz einer Justizreform wurde etwa die Anklage 1879 in Kutaissi (Georgien) zugelassen, die mit Freispruch für zehn Juden endete.

Unter Alexander III. fanden trotz wachsender antisemitischer Stimmung keine Ritualmordprozesse statt, erst wieder 1900 in Vilnius unter Nikolaus II. (1902 Freispruch nach Revision). 1903 in Kischinjow brachten orthodoxe Priester und die vom Geheimdienst Ochrana mitfinanzierte Tageszeitung Bessarabetz nach einem bereits aufgeklärten Mordfall Ritualmordgerüchte auf, die zu einem schweren Pogrom führten. Unter dem Ruf „Tötet die Juden“ wurden vom 6. bis 9. Februar 45 bis 49 jüdische Bewohner der Stadt ermordet, darunter Frauen, Alte, Säuglinge. 400 bis 500 wurden verletzt und über 700 ihrer Wohnungen und Geschäfte geplündert und zerstört. Die Polizei griff nicht ein. Auf internationale Proteste und eine Petition des US-amerikanischen Senats antwortete der Zar nicht. Dies gab dem Zionismus Auftrieb; zehntausende Juden verließen wie schon nach den staatlich geduldeten Judenpogromen von 1880 Russland.[58]

1910 gelang einer jüdischen Familie in Smolensk, mit einer Verleumdungsklage nach einer gefälschten Anklage die Verurteilung der Hauptbelastungszeugin und eines örtlichen Geistlichen zu erreichen, der das Gerücht als Redakteur der reaktionären Zeitung Russkoje Snamja („Russisches Banner“) und Vorsitzender des Sojus russkowo naroda („Bund des russischen Volkes“) geschürt hatte. 1911 wurde die Jüdin Chana Spektor in Taraschtscha noch im selben Monat nach einer Anklage freigesprochen. Nach Protesten bestätigte der Senat den Freispruch 1912.

Der Prozess gegen Mendel Beilis in Kiew 1911 war die letzte international beachtete russische Ritualmordanklage. Sie wurde vom zaristischen Innenministerium selbst konstruiert, um parlamentarische Forderungen nach Aufhebung der seit Jahrzehnten gültigen antijüdischen Knebelgesetze zurückweisen zu können. Trotz fingierter Beweise sprach eine Jury den Angeklagten nach zweijähriger Haft 1913 einstimmig frei; er musste aber emigrieren. Die Haltung der Staatsbehörden fand vielfache Kritik im Ausland und rückte den russischen Antisemitismus ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit. Sie trug auch zur Verständigung von konservativen und revolutionären russischen Oppositionellen in der „Judenfrage“ bei.[59] Nach 1918 wurde die Ermordung der Zarenfamilie von Gegnern der Bolschewiki als Ritualmord hingestellt: Die Thronfolger seien wie bei einer Schächtung regelrecht ausgeblutet worden.[60] Da das verbreitete Theorem des jüdischen Bolschewismus die Revolutionäre ohnehin oft umstandslos mit dem Judentum gleichsetzte, waren schwere antisemitische Ausschreitungen in den von den Weißen beherrschten Gebieten die Folge.[61]

Osmanisches Reich

Das vom Islam geprägte Osmanische Reich pflegte religiöse Toleranz gegen die Minderheiten der Christen und Juden. Im 15. Jahrhundert nahm es die aus Spanien vertriebenen Juden auf. Seitdem traten auch hier Blutanklagen gegen Juden auf. Sie gingen alle von orthodoxen Christen – Griechen und Armeniern – aus, die die Juden als wirtschaftlich privilegierte Konkurrenten sahen. Sie waren bis 1800 aber sehr selten und wurden allesamt mit Dekreten von der Regierung zurückgewiesen.

Ab 1830 und nochmals ab 1860 nahmen solche Anklagen jedoch sprunghaft zu: Bis 1900 sind 80 Fälle verzeichnet, ein Großteil davon in türkischen Hafenstädten des Mittelmeers. Dies hing mit verschärften Spannungen zwischen christlichen Griechen und muslimischen Türken und dem wachsenden Druck der europäischen Kolonialmächte zusammen. Judenfeindliche Agitatoren versuchten, die Ritualmordlegende nach dem Vorbild christlicher Gruppen für politische Ziele zu nutzen und Unruhe in der Bevölkerung zu schüren. Sie fanden unter Muslimen zunächst wenig Glauben.

Ein Pamphlet von 1803 – Die Widerlegung des Judaismus und seiner Gebräuche – wurde jedoch in zahlreiche Sprachen übersetzt und vor allem auf dem Balkan und Kleinasien verbreitet. Autor war der griechische Mönch Noah Belfer, der sich als bekehrter Jude ausgab (Neophytos, „der Wiedergeborene“) und unter dem Pseudonym E.G. Jab behauptete, sein Vater habe ihn als 13-Jährigen in das Einbacken von Christenblut in die Passahmazzen eingeweiht und ihm den Eid abverlangt, dieses Geheimnis nur einem von zehn seiner zukünftigen Kinder weiterzugeben. Es sei nur den Rabbinern bekannt.

Internationale Wirkung hatte die ebenfalls von christlichen Mönchen initiierte Damaskusaffäre 1840, die antijüdische Ausschreitungen in einigen Städten des Osmanischen Reichs auslöste. Der Vatikan unterstützte die dortige Ritualmordanklage, die mit Folter von acht hochgestellten Juden, Kindesentführung, Erpressung und Bestechung gestützt wurde. Ihr folgten weitere Ritualmordanklagen gegen Juden im arabischen wie europäischen Raum. Die Affäre mobilisierte die westeuropäische und nordamerikanische Öffentlichkeit gegen solche Blutanklagen auch im Nahen Osten und gilt daher als erstes Zeichen einer globalisierten Mediengesellschaft.

1870 mussten jüdische Kaufleute in Konstantinopel zur Passahzeit ihre Handelssäcke öffnen, da man den Transport von Kinderleichen darin vermutete. 1872 folgte ein Pogrom in Smyrna; in Marmara wurde eine Synagoge niedergebrannt. 1874 konnte die türkische Polizei ein weiteres Pogrom in Konstantinopel verhindern.[62]

Österreich-Ungarn

Die verschärfte Lage der Juden in Osteuropa führte ab etwa 1800 zu Rückwanderungsbewegungen. Diesen folgten in den Zuzugsländern wie Österreich-Ungarn wiederum neue Ritualmordanklagen, etwa im ungarischen Tiszaeszlár 1882 und im böhmischen Polná 1899.[63] Diese standen nun auch hier bereits im Kontext des modernen Antisemitismus.[64] Im Fall von Tiszaeszlár verteidigten die ungarische politische Elite unter Ministerpräsident Kálmán Tisza die beschuldigten Juden sofort. Der Nationalratsabgeordnete und Rechtsanwalt Károly Eötvös erreichte vor Gericht ihren Freispruch. Ungarns Behörden und Regierungsparteien traten Judenpogromen, die auf die unbegründete Anklage in einigen Orten des Landes folgten, entschieden entgegen und begrenzten sie so.[65]

Frankreich

In Frankreich wurde der jüdische Viehhändler Raphaël Lévy 1670 in Metz wegen eines Ritualmordvorwurfs angeklagt, gefoltert und hingerichtet. Ein ebenfalls angeklagter jüdischer Entlastungszeuge wurde vor der Hinrichtung bewahrt, indem Ludwig XIV. jeden weiteren Ritualmordprozess und sogar den bloßen Glauben an Ritualmordanklagen verbot.[66] Zwar erreichte ein Theologe posthum die juristische Rehabilitation Levys, doch Schmähschriften verbreiteten diese und andere Ritualmordlegenden weit ins 18. Jahrhundert hinein.[67] Selbst Befürworter der jüdischen Emanzipation wie Henri Grégoire schlossen die Möglichkeit einiger vergangener jüdischer Ritualmorde nicht aus.

In der Dreyfus-Affäre (1894–1906) tauchten modernisierte Ritualmordanklagen in Frankreich wieder auf. Einige Vertreter des katholischen Ultramontanismus warfen Juden wie 200 Jahre früher vor, sie stünden hinter der Säkularisierung durch die Regierung. Die katholische Zeitung La Croix warf Juden vor, sie zerstörten die Seele Frankreichs durch ihre angebliche radikale säkular-antikatholische Agenda, so wie Juden früher Christenkinder ermordet hätten. Um die Justiz zum Eingreifen zu bringen, erinnerte Dreyfus' Verteidiger Joseph Reinach an den Justizmord an Raphael Lévy und das Prozessverbot des damaligen Königs. – Im Jahr 2001 entschuldigte sich ein Urgroßneffe von Didier Le Moyne, dem angeblich von Levy ermordeten Jungen, bei dessen einzigem Nachfahren öffentlich für das seinem Urahnen angetane Unrecht.[66]

Glatigny, die Heimatgemeinde des angeblichen Opfers Lévys, verbot allen Juden das Betreten des Ortes und hob diesen 344 Jahre strikt eingehaltenen Bann erst 2014 auf.[68]

Akademischer Diskurs in Europa

Seit der Aufklärung waren Ritualmordlegenden unter Gebildeten unglaubwürdig geworden. Doch seit 1800 versuchten frühe Antisemiten, sie wiederzubeleben und pseudowissenschaftlich zu untermauern. 1840 entfaltete sich in London wegen der Damaskusaffäre eine rege öffentliche Debatte darum.[69] Man entdeckte frühere Zurückweisungen der Legende wieder, darunter Vindiciae Judaerum (1656) des portugiesisch-niederländischen Rabbiners Menasse ben Israel (1604–1657). Seinen öffentlichen heiligen Eid, Juden seien schuldlos solcher Verbrechen, hatten spätere bekannte Rabbiner und Sprecher des Judentums wie Jacob Emden (1697–1776), Jonathan Eybeschütz (1690–1764), Solomon Hirschell (1762–1842) und David Meldola (1714–1818) oft wiederholt.

Auch zum Christentum übergetretene Juden traten gegen die Ritualmordlegende ein. Alexander McCaul gab 1840 die Schrift Reasons for Believing that the Charge Lately Revived Against the Jewish People Is a Baseless Falsehood heraus und initiierte einen öffentlichen Protestbrief, den 58 Konvertiten unterzeichneten: an erster Stelle Michael Salomo Alexander (1799–1845), erster Bischof für die Anglikanische Kirche in Jerusalem. Darin hieß es:[70]

„Wir, die Unterzeichner, nach Herkunft Juden, […], aber nun, von Gottes Gnade, Mitglieder der Kirche Christi, erklären feierlich, dass wir niemals direkt oder indirekt unter Juden davon gehört haben, noch weniger wissen, vom Brauch, Christen zu ermorden oder christliches Blut zu benutzen. Wir glauben, dieser Vorwurf, der früher so oft gegen sie vorgebracht und erst kürzlich wiederbelebt wurde, ist eine regelwidrige und satanische Lüge.“

In Berlin veröffentlichte der Konvertit Joachim Heinrich Biesenthal (1800–1886) unter dem Pseudonym Karl Ignaz Corvé das Buch Ueber den Ursprung der Wider die Juden Erhobenen Beschuldigung.[71]

1871 versuchte der katholische Alttestamentler August Rohling (1839–1931) mit dem einflussreichen, in viele Sprachen übersetzten Buch Der Talmudjude zu beweisen, dass die jüdische Religion ihren Anhängern gebiete, Christen zu schaden und zu töten, wo sie nur könnten: auch durch Blutopfer. Dabei griff er auf die 1751 erschienene antijudaistische Schrift Entdecktes Judenthum von Johann Andreas Eisenmenger (1654–1704) zurück. Ebenfalls 1871 veröffentlichte der Rabbiner Isaak Kroner die kaum beachtete Gegenschrift Entstelltes, Unwahres und Erfundenes in dem Talmudjuden Professor Dr. August Rohling’s.[72]

Rohling trat in den Folgejahren bei vielen Ritualmordprozessen als Gutachter auf, so 1883 in Tisza-Eszlár nach einem schweren Pogrom. Der protestantische Konvertit und Alttestamentler Franz Delitzsch wies detailliert nach, dass Rohling nur mit entstellten und gefälschten Talmudzitaten argumentierte (Rohling’s Talmudjude Beleuchtet, Leipzig 1881). Er brachte sein Gegengutachten als Buch heraus (Schachmatt den Blutlügnern Rohling und Justus, Erlangen 1883). Nachdem der Rabbiner Joseph Samuel Bloch (1850–1923) Rohling in Wien bewusste Fälschung und Meineid vorgeworfen hatte, zeigte dieser ihn wegen Verleumdung an. Nachdem das Gericht Delitzsch als Gegengutachter zuließ, zog Rohling seine Klage zurück und verlor danach seine akademische Lehrerlaubnis. Seine Schriften wurden dennoch in hohen Auflagenzahlen weiter verbreitet, etwa vom katholischen Bonifatius-Verein.[73]

Der evangelische Theologe und Judaist Hermann Leberecht Strack (1848–1922) engagierte sich gegen die seit 1880 verstärkte antisemitische Propaganda mit mehreren Werken. Er veröffentlichte 1891 den Aufsatz Der Blutaberglaube bei Christen und Juden,[74] den er dann gegen die damalige Kampagne des Osservatore Cattolico zum umfassenden Werk erweiterte und ab 1892 öfter neu auflegen ließ.[75] Ab 1900 erschien von ihm Das Blut im Glauben und Aberglauben der Menschheit. Mit besonderer Berücksichtigung der ‚Volksmedizin‘ und des ‚jüdischen Blutritus‘.[76]

In Frankreich reagierten der Journalist Bernard Lazare und der Religionswissenschaftler Salomon Reinach auf die Schrift La France Juive (1886) des Antisemiten Edouard Drumont mit historischen Abhandlungen, auch zur Ritualmordlegende (L'accusation de meurtre rituel, 1893).[77]

Deutschland

Darstellung aus der Bavaria Sancta (1627) vom angeblichen mehrfachen Ritualmord an sechs Regensburger Knaben 1476

Kultüberlieferung

In Mitteleuropa überdauerten Ritualmordlegenden gegen Juden die Aufklärung und Französische Revolution. Sie lebten vor allem in ländlichen Gebieten mündlich fort und wurden auch durch schriftliche und bildliche Überlieferung, vor allem Heiligenverehrung, gestützt und wachgehalten. Großen Einfluss hatte die weithin bekannte Bavaria Sancta des Jesuiten Matthäus Rader von 1627 (1704 ins Deutsche übersetzt). Sie erneuerte einige mittelalterliche Ritualmordlegenden oder erfand neue und beschrieb die angeblichen Opfer als Märtyrer, „Selige“ oder „Heilige“ Bavarias.[78]

Im Kampf von Judengegnern und Nationalisten gegen die Judenemanzipation erhielten diese Legenden im 19. Jahrhundert neuen Auftrieb und waren in manchen Gegenden noch im späten 19. Jahrhundert gängiger Volksglaube.[79] Hinzu kamen neue Legenden, etwa gegen Freimaurer, die häufig als Werkzeug oder Verbündete der Juden dargestellt wurden.

Auch nach Beendung der Wallfahrten zum Sarg des Werner von Oberwesel 1545 zeigten Deckengemälde der Dorfkirche bis 1834 sein angebliches Martyrium. In der Spitalkirche von Oberwesel wurden ein Reliefbild und Altartafeln regelmäßig restauriert und erst 1968 entfernt. Das Bistum Trier nahm Werner 1761 in den örtlichen Heiligenkalender auf und beging seinen angeblichen Todestag bis 1963 jedes Jahr mit einer Prozession. Womrath, sein angeblicher Geburtsort, widmete ihm noch 1911 eine neue Kapelle mit Kultgemälden und feierte ein jährliches „Wernerfest“ mit eigens komponierten Liedern. Im Kölner Dom war er zusammen mit einem Judensaumotiv in das Chorgestühl eingeschnitzt. Bei Johanneken von Troisdorf gelang der Versuch einer Kultstiftung weniger nachhaltig.

Verfolgungswellen

Vielerorts bedrohte schon das bloße Gerücht eines Ritualmords die ortsansässigen Juden, so in Ilsenburg (1599), Feuchtwangen (1656), Gerabronn (1687), Gunzenhausen (1715), Reckendorf (1746), Markt Erlbach (1758), Muggendorf, Pretzfeld (1785), Küps (1797), Uhlstädt-Kirchhasel (1803), Höchberg bei Würzburg (1830), Thalmässing, im Nördlinger Ries (1845)[80] sowie in Enniger (1873), Kempen (1893), Berent (1894) Burgkunstadt (1894), Ulm (1894), Berlin (1896), Issum (1898), Skaisgirren (1898), Schoppinitz (1898), Langendorf (1898), Braunsberg in Schlesien (1898), Oderberg (1900) und Neuss (1910).[81]

Im katholischen Rheinland führten dutzende Ritualmordanklagen wiederholt zu schweren Ausschreitungen gegen Juden: so 1819 in Dormagen, obwohl das ermordete Mädchen dort nachweislich Opfer einer Sexualstraftat war. Trotzdem wurden auch in Neuss, Grevenbroich, Hülchrath, Emmerich, Binningen (Eifel) und Rheinbrohl Synagogen, Friedhöfe und Häuser von Juden angegriffen und teilweise zerstört; Plünderungen blieben aus. In den Vormonaten hatten in größeren Städten anderer Regionen die stärker ökonomisch motivierten Hep-Hep-Unruhen stattgefunden. In Neuenhoven, Bedburdyck, Stessen (heute Ortsteile von Jüchen) kam es 1834 nach einem Sexualverbrechen an einem Jungen (15. Juli) wiederum wochenlang zu schweren Exzessen gegen Juden, denen diesmal auch Plünderungen und Mordversuche folgten, etwa in Grevenbroich, Neuss, Düsseldorf, Rommerskirchen, Güsten, Aachen und Xanten. Preußisches Militär musste die Krawalle beenden, da örtliche Gendarmerie vielfach nicht eingriff.

1835 wurde in Willich bei Krefeld nach dem Fund einer Kinderleiche sofort das Ritualmordgerücht gegen Juden laut. Ein Handwerkslehrling, der sich als Augenzeuge ausgab und damit einen jüdischen Kaufmann vor Ort zu erpressen suchte, wurde als der Mörder überführt. 1836 in Düsseldorf erhielten Lokalzeitungen ein Ritualmordgerücht noch ein Jahr nach dem Fund einer Kinderleiche aufrecht. 1840 inhaftierte man in Jülich ein altes jüdisches Ehepaar eine Woche lang wegen eines angeblichen Mordversuchs an einem neunjährigen Mädchen. Nachdem sich herausstellte, dass Angehörige das Mädchen zu der belastenden Aussage angestiftet hatten, verebbten die anfangs groß aufgemachten Berichte darüber. Dieser Fall war auch ein Echo der international beachteten Damaskusaffäre.

1862 entstand während der Karwoche in Köln eine Hysterie in der Bevölkerung. Ein Mann, der sein eigenes Kind an der Hand führte, wurde von einer Menschenmenge als vermeintlicher jüdischer Kindesentführer bedroht und konnte sich nur mit Mühe als der Vater ausweisen. Andere als Kindesmörder verdächtigte Personen wurden schwer misshandelt. Einen katholischen Passanten, dem Kinder „Blutjude“ nachgerufen hatten, prügelten herbeieilende Erwachsene fast tot.

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Ab etwa 1870 zeigten sich bei deutschen Nationalisten Tendenzen, pseudowissenschaftliche statt religiöse Erklärungen für „jüdische Ritualmorde“ zu konstruieren. Nun leiteten rassistische Antisemiten den angeblichen jüdischen „Blutdurst“ aus Rasse-Eigenschaften her und stützten sich dabei auf vorherige kirchliche Erklärungen. Papst Pius IX. sah die Kirche von der „Synagoge des Satans“ bedroht, erhob Simon von Trient 1867 zum Märtyrer und Heiligen und pries 1869 das antisemitische Pamphlet Der Jude, das Judentum und die Verjudung der christlichen Völker, das die Juden der Neigung zum Ritualmord bezichtigte. Er verlieh dessen Autor Henri Roger Gougenot des Mousseaux einen hohen kirchlichen Orden. Auch Bischof Konrad Martin von Paderborn gab Schriften heraus, die behaupteten, Juden bräuchten das Blut christlicher Kinder für ihre Religionsausübung. Der Antisemit Max Liebermann von Sonnenberg brachte solche christlichen Ritualmordbeschuldigungen als kostenlose Broschüren in Massenauflage in Umlauf. Der nationalsozialistische Ideologe Alfred Rosenberg übersetzte das Pamphlet von Mousseaux 1921 ins Deutsche.[82]

1881 begann das 1850 von Jesuiten gegründete, unter Leo XIII. herausgegebene einflussreiche katholische Journal La Civiltà Cattolica eine jahrelange antijüdische Artikelserie. Die Autoren behaupteten, dass die Juden, „dieses fremde Volk, wenn es zu viel Freiheit erhält, sofort zum Verfolger, Unterdrücker, Tyrannen, Dieb und Zerstörer der Länder“ würden, in denen sie lebten. Auch jüdische Ritualmorde versuchte man zu beweisen: Jedoch sei nicht das Pessach, sondern das Purimfest der Anlass dafür. Listen zählten Hunderte angebliche Blutmordfälle auf; aktuelle Prozesse in Russland und Österreich wurden ausgeschlachtet. Man empfahl den europäischen Regierungen, „Sondergesetze für eine Rasse einzuführen, die in so außergewöhnlicher Weise durch und durch verdorben ist.“ Auch der Vatikan wiederholte die Verschwörungstheorie einer jüdischen Weltbeherrschung über vermeintliche Geheimsekten wie die Freimaurer öfter (bis 1930).[83]

Die Brüder Grimm nahmen zwei Ritualmorderzählungen in ihre Sammlung Deutsche Sagen auf: den „Judenstein“ als Version der Legende von Anderl von Rinn (Nr. 353) und „Das von den Juden getötete Mägdlein“ (Nr. 354). Für viele weitere deutschsprachige Sagensammlungen gehörten angebliche jüdische Ritualmorde zum beliebten Stoff. So nahm Karl Paulin die Anderle-Legende noch 1972 in seine „Schönsten Tiroler Sagen“ auf und schmückte sie mit grausamen Details aus. Zugleich unterschlug die deutsche Volkskunde alle jüdischen Sagen. So trug sie erheblich zum Judenhass bei. Nur einzelnen Volkskundlern war dies bewusst: So enthielt Will-Erich Peuckerts Sammlung „Schlesische Sagen“ von 1924 nur regionale Ritualmordlegenden, kommentierte sie kritisch und stellte ihnen eine jüdische Messiaserzählung positiv gegenüber.[84]

Der völkische Schriftsteller Max Bewer behauptete in seiner Sammlung „Gedanken“ (1892), die Juden benötigten Christenblut zur Durchführung einer homöopathischen Therapie zwecks Reinhaltung ihrer Rasse. Er versuchte, christliche, nationalistische und rassistische Feindbilder „der Juden“ zu vereinen.[85]

Die Affären in Xanten und Konitz

Nachdem bereits 1885 ein Strafprozess wegen eines angeblichen Ritualmordes in Skurz bei Danzig durchgeführt und am 21. Februar 1889 in Breslau ein weiterer Fall von „ritueller Blutabzapfung“ (der Fall Max [Moses] Bernstein [* 1864], wobei dem Rabbinats-Kandidaten Bernstein vorgeworfen wurde, einem achtjährigen christlichen Knaben Blut abgezapft zu haben, den der neu ernannte Justizminister Hermann von Schelling näher untersuchte) verhandelt worden war,[86] kam es 1891 nach dem Fund einer Kinderleiche am 29. Juni in Xanten zur „Affäre Buschhoff“: Adolf Buschhoff, der Metzger und ehemalige Schächter der kleinen jüdischen Gemeinde, wurde eines Ritualmords verdächtigt. Zeugen behaupteten, sie hätten das Kind kurz vor der Tatzeit des Mordes vor seinem Haus spielen und dann hinein gehen sehen. Nach Ausschreitungen gegen Wohnungen und Läden ortsansässiger Juden, einer antisemitischen Pressekampagne und einem fingierten Polizeibericht, der die Zeugenaussagen stützte, wurde Buschhoff im April 1892 wegen Mordes angeklagt. 160 Zeugen wurden verhört, deren Vorwürfe seit den ersten Vernehmungen erheblich präziser und schärfer geworden waren. Doch Buschhoff konnte ein lückenloses Alibi vorweisen und wurde am 14. Juli freigesprochen. Am Vortag hatte man sein Haus in Xanten zerstört; seine berufliche Existenz war vernichtet, und er konnte nicht mehr dorthin zurückkehren. Während des Prozesses und danach kam es in den Kreisen Neuss und Grevenbroich wie 1819 und 1834 zu schweren judenfeindlichen Ausschreitungen. Dort wurden jüdische Friedhöfe verwüstet, Fensterscheiben eingeworfen, Bäume umgehauen, Gärten zerstört, von Juden bewohnte Häuser angezündet und versucht, die Synagoge von Grevenbroich zu sprengen. Ein Viertel der jüdischen Einwohner von Neuss verließ damals den Ort und zog in andere Gegenden. Die übrigen waren gesellschaftlich geächtet und verarmten in den Folgejahren. Bei der Reichstagswahl 1893 erzielte der liberal-katholische Stadtrat Clemens Freiherr von Schorlemer-Lieser gegen den umgebenden Trend mit antisemitischer Propaganda und Unterstützung der ansonsten im Rheinland abgelehnten preußisch-protestantischen Christlich-Sozialen Partei Adolf Stoeckers enorme Stimmengewinne.[87]

Zudem folgten der überall publizierten Affäre im ganzen folgenden Jahrzehnt viele weitere Ritualmordbeschuldigungen, auch in weit entfernten und überwiegend protestantischen Regionen: so 1893 in Kempen und Posen, 1894 in Berent, Burgkunstadt, Rotthausen, Ulm, 1895 in Berlin, Köln, Mienken, 1896 in Berlin, Seckenburg, Żerków, 1898 in Bromberg, Chorzów, Issum, Langendorf, Schoppinitz, Skaisgirren, 1899 in Braunschweig, Breslau, Versmold, 1900 in Königshütte, Meseritz, Myslowitz, Übermatzhofen, Pudewitz, Rogasen, 1901 in Großschönau, Kleve, Oderberg, Rittel, Rosenberg, Schneidemühl, Strehlen, Uetersen, 1902 in Marienburg und Schlochau. Diese Fälle fanden meist nur lokale Beachtung. Doch zugleich wurden die von 1890 bis 1917 besonders häufigen Ritualmordbeschuldigungen im zaristischen Russland und in der Habsburger K.u.K.-Monarchie stets von der deutschen Presse aufgegriffen und öffentlich stark beachtet.

Der gewaltsame Tod von Ernst Winter am 11. März 1900 in Konitz (Westpreußen) fand erst durch gezielte, antisemitische Pressepropaganda überregionale Aufmerksamkeit. Ein Berliner Zeitungsverleger, Wilhelm Bruhn, der später wegen Landfriedensbruchs verurteilt wurde, schürte das aufgekommene Ritualmordgerücht mit einem Untersuchungsausschuss, dem viele angesehene Stadtbürger angehörten. Er verfolgte in Konkurrenz zur Polizei Spuren, die auf jüdische Täter verweisen sollten, und gab den jüdischen Metzger Adolph Lewy als Tatverdächtigen aus. Die Presse griff jedes belanglose Detail und nachgewiesen unwahre Zeugenaussagen auf und strickte daraus Szenarien des Tathergangs. Eine Ansichtskartenserie zeigte die Leichenteile, ihre Fundorte, den Beschuldigten, den später des Meineids überführten Hauptbelastungszeugen beim Beobachten der Tat, deren Ausführung als rituelles Schächten im Keller des Metzgers, die dabei Anwesenden, darunter den stadtbekannten Metzgersohn, mit Bärten, Zylindern und Gebetsriemen. Darunter standen Parolen wie „Hütet eure Kinder!“, „Den Mördern zur Warnung, den Christen zur Wahrung ihrer teuersten Güter“, „blutgierige Sekte unter den Hebräern“. Die Bildmotive wurden während der laufenden polizeilichen Suche nach dem Täter in Umlauf gebracht, ihr Verkauf sollte den Bau eines Grabmals für das Mordopfer finanzieren.[88]

Neben antisemitischen Zeitungen machten sich auch katholische und evangelisch-lutherische Presseorgane die Anklage zu eigen. Der über Monate anhaltenden Hetzpropaganda folgte am 10. Juni 1900 (einem Sonntag) ein Massenauflauf auf dem Konitzer Markt. Die Menge ließ sich weder vom Bürgermeister noch der Gendarmerie abhalten, das Haus Lewys und die örtliche Synagoge völlig zu zerstören. Auch in den Nachbarorten Prechlau und Kamin wurden Juden angegriffen. Da die Behörden sie nicht schützten, flohen viele aus der Gegend und ließen ihren Besitz zurück; Gemeinden trafen sich nur noch heimlich in ihren Häusern zu Privatgottesdiensten. Die antijüdische Stimmung hielt in der Gegend jahrelang an: 1903 wurde ein älterer Jude in Stegers bei Schlochau erschlagen, nachdem er in einer Gastwirtschaft jede jüdische Beteiligung am Mord an Ernst Winter bestritten hatte.[89]

Weimarer Republik und NS-Zeit

In der Weimarer Republik verbreiteten vor allem Nationalsozialisten und andere völkische Bewegungen, Vereine und Zeitungen Ritualmordlegenden. Franz Fühmann beschrieb in seiner fiktiven, aber autobiografische Erlebnisse verarbeitenden Erzählung Das Judenauto von 1962, wie ein sudetendeutscher Schüler in den 1920er Jahren antisemitische Ritualmordgerüchte in der Schule hörte und aufnahm.[90]

Das antisemitische Hetzblatt „Der Stürmer“, herausgegeben von Julius Streicher, nutzte diese Gerüchte seit 1923 fortwährend für seine Karikaturen, um Juden als besonders abstoßende, heimtückische „Blutsauger“ darzustellen. Es griff dabei auf antijudaistische Hetzschriften wie die von Eisenmenger und Rohling zurück. Artikel über verschwundene oder tot aufgefundene Kinder wurden stets mit Hinweisen auf das „jüdische Blutritual“ verknüpft. Im Juli 1926 erschien aus Anlass eines Doppelmordes in Breslau ein Heft, das sich ausschließlich mit angeblichen von Juden begangenen Ritualmordfällen befasste. Bis 1929 erschienen mindestens neun Einzelhefte nur zu diesem Thema.[91] Im Illustrierten Beobachter ließ sich Hermann Esser ebenfalls über den vermeintlichen Ritualmord in Breslau aus. Die Legende wurde außerdem verschiedentlich mit zeitgenössischen antisemitischen Motiven verknüpft. So schrieb Johannes Dingfelder 1928 in Alfred Rosenbergs Zeitschrift Der Weltkampf einen Aufsatz unter dem Titel „Schächtung und Weltgewissen“, der sich vordergründig mit Tierschutz und einem daraus abgeleiteten Schächtverbot auseinandersetzt, der aber in erster Linie auf die Verbreitung der Falschbehauptung abzielte, von Juden vorgenommene Schächtungen stünden im Zusammenhang mit einem „Blutglauben“, der besonders in „fanatischen orthodoxen jüdischen Kreisen [...] hin und wieder [...] zu sogenannten Ritualmorden an Menschen“ führe. Im „Stürmer“ hieß es im selben Jahr über den Mordfall Helmut Daube, er sei wohl von einer „jüdischen Geheimsekte“ ermordet worden, die mit den Genitalien von Heranwachsenden düstere Rituale durchführe. Das bediente Verschwörungsfantasien, ähnlich wie die populären Protokolle der Weisen von Zion, und voyeuristische Bedürfnisse durch eine stark sexuell konnotierte Berichterstattung über vermeintliche jüdische Sexualverbrechen, Zwangsprostitution und Handel mit heranwachsenden Kindern.[92]

Am 17. März 1929 fand man bei Manau den Jungen Karl Kessler tot auf. Daraufhin schrieb der Zahnarzt Otto Hellmuth als „Sonderberichterstatter“ einen Leitartikel im folgenden „Stürmer“, der behauptete:[93]

„Die Sektion der Leiche ergab, daß der Körper völlig ausgeblutet war. … Damit ist der Beweis einwandfrei geliefert, daß es sich hier nur um einen jüdischen Blutmord handeln kann.“

Der Untersuchungsrichter widersprach öffentlich jedem Detail des frei erfundenen Textes. Doch Hellmuth und der Stürmer-Redakteur Karl Holz hielten im ganzen Landkreis gut besuchte Vorträge zum Thema „Blutmord in Manau“ um das Osterfest (31. März 1929) herum und verteilten dabei eine Hetzschrift mit dem Titel „Jüdische Moral und Blutmysterien“, die 50 vermeintlich nachgewiesene jüdische Ritualmorde behauptete.[94] Daraufhin wurden zahlreiche Juden der Umgebung festgenommen und mussten ein Alibi nachweisen. Am Fundort der Leiche wurde eine Tafel, später ein Gedenkstein mit der Aufschrift „Karl Kessler – Opfer eines Ritualmordes“ aufgestellt. Dort hielten örtliche NS-Aktivisten nun jährlich Gedenkfeiern ab. Hellmuth stieg zum Gauleiter von Mainfranken auf und betrieb 1934 und 1937 die „Aufklärung“ des Falls, um seine Verdienste für das Gau aus der Zeit vor der Machtergreifung hervorzuheben. Nach einer großen „Gedenkfeier“ am 19. März 1937 verhaftete die Gestapo neun Juden in Würzburg und Erlangen, die gestreute Gerüchte mit dem Tod des Jungen verbanden. Obwohl alle Beschuldigten ein hieb- und stichfestes Alibi vorweisen konnten, wurden sie bis November 1937 inhaftiert.[95]

Am 1. Mai 1934 gab der „Stürmer“ ein Flugblatt mit dem Titel „Jüdischer Mordplan gegen nichtjüdische Menschheit aufgedeckt“ heraus, dessen Titelbild einen angeblichen jüdischen Ritualmord darstellte. Der Text beschuldigte die Juden, sie planten aufgrund angeblicher Ritualmordneigungen Morde an führenden NS-Vertretern, darunter Adolf Hitler. Die Reichsvertretung der deutschen Juden protestierte mit einem Telegramm an die Reichskanzlei und an den Reichsbischof der DEK, Ludwig Müller, gegen die Veröffentlichung: Sie bedrohe Juden an Leib und Leben, schände ihren Glauben und gefährde Deutschlands Ruf im Ausland. Eine Antwort blieb aus.[96] Auch die Gestapo befürchtete, das Flugblatt werde eine unüberschaubare Flut einzelner Gewalttaten gegen Juden auslösen. Es durfte dennoch erscheinen; jedoch ließ Hitler die Restauflage beschlagnahmen.[97] Mit dieser Ritualmordkampagne wurden die Nürnberger Gesetze vom September 1935 angebahnt, vor allem das Verbot von Ehen sowie sexuellen Kontakten zwischen Juden und Nichtjuden („Rassenschande“).[98]

Ein seltenes Beispiel für wissenschaftliche Zivilcourage während der NS-Herrschaft waren die Artikel des Breslauer Volkskundlers Will-Erich Peuckert zu den Stichworten „Freimaurer“, „Jude“ und „Ritualmord“ im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Sie widerlegten kenntnisreich die antisemitische Ritualmordlegende und Verschwörungsthese einer Beziehung zwischen Juden und Freimaurern. Eine Denunziation des NS-Volkskundlers Walther Steller führte 1935 zu einem Gestapoverhör Peuckerts und Entzug seiner akademischen Lehrbefugnis wegen „politischer Unzuverlässigkeit“.[99]

Im Mai 1939 folgte eine erneute Sondernummer des „Stürmers“ zum Thema Ritualmord, die wie die Chroniken des Mittelalters „historische Zeugnisse“ aneinander reihte und dabei auf bekannte Bildmotive zurückgriff. Das Titelbild dieser Ausgabe wurde aus der Bavaria Sancta von 1627 übernommen.[100] Ein Aufruf an die Leser, der Redaktion Materialien über ähnliche frühere oder aktuelle Fälle zuzusenden, erzielte jedoch nicht das gewünschte Echo. Neue spektakuläre Anklagen blieben aus, so dass nur die Neuauflage altbekannter Legenden blieb.[101] Umso mehr intensivierte der „Stürmer“ seine Hetzpropaganda mit Kriegsbeginn: Der Krieg wurde als letzter Ritualmord des „Weltjudentums“ dargestellt.

Ein typisches Hetzpamphlet aus dem Umfeld der faschistischen Sekte Bund für Deutsche Gotterkenntnis von Erich und Mathilde Ludendorff war die Schrift von Wilhelm Matthießen: Israels Ritualmord an den Völkern (München 1939). Sie versuchte einen angeblichen religiösen Zwang des Judentums zum Blutopfer aus der Bibel herzuleiten und behauptete einen jüdischen „Geheimplan zur Völkervernichtung“.[102]

Während des Krieges betonten NS-Pamphlete immer wieder den Zusammenhang, den Hitler in seiner Januarrede 1939 konstruiert hatte, so im Jahr 1942:[103]

„… Ritualmorde zu begehen, blieb dem von Natur aus niedrigen, verbrecherischen Instinkt der Juden vorbehalten – Morde, um ihrer Blutgier zu frönen, Morde, um ihren unstillbaren Haß gegen die Gojim zu befriedigen, Morde, um das Gesetz des Glaubens zu befolgen. Was muß das für ein Gott sein, der solche blutigen Opfer von seinen Anhängern verlangt? … Noch glaubt der Jude, einen letzten Trumpf in der Hand zu haben, da es ihm gelang, den jüdischen Bolschewismus im Verein mit dem nicht minder jüdischen Kapitalismus der Engländer und Amerikaner seinen Interessen dienstbar zu machen. Aber … der von den Juden entfesselte Krieg wird mit der radikalen Vernichtung des Judentums enden… Ein dunkles Kapitel menschlicher Geschichte, unverständlicher Dummheit und Verblendung geht damit zu Ende, und eine bessere judenfreie Zeit bricht an.“

Zu diesem Zeitpunkt war der Holocaust in vollem Gang. Die Ritualmordlegende war aufgrund ihrer historischen Konstanz, Volkstümlichkeit und Verankerung im kollektiven Unbewussten hervorragend zu seiner Rechtfertigung geeignet. Hellmut Schramm gab 1943 eine 475 Seiten starke „historische Untersuchung“ im Theodor-Fritsch-Verlag (Berlin) dazu heraus, die sich als Summe aller vorangegangenen Hetzschriften präsentierte und sich dabei ausdrücklich auch auf vatikanische Erklärungen berief: Der jüdische Ritualmord. Heinrich Himmler befahl nach der Lektüre dem Chef des Reichssicherheitshauptamts, Ernst Kaltenbrunner, in den von Deutschland besetzten Gebieten Nachforschungen über Ritualmorde anzustellen. Er wollte diese als Radiopropaganda benutzen. Zugleich bestellte er eine Auflage des Buchs und ließ es an die mit Massenerschießungen beauftragten Untergebenen versenden:[104]

„Ich übersende Ihnen mehrere 100 Stück, damit Sie diese an Ihre Einsatzkommandos, vor allem aber an die Männer, die mit der Judenfrage zu tun haben, verteilen können.“

Hitler verlangte analog zu dem Film Der ewige Jude in den letzten Kriegsjahren einen Propagandafilm über die Damaskusaffäre, der während des Krieges aber nicht mehr gedreht werden konnte.

Außerhalb Europas

Ritualmordgerüchte wurden im 19. Jahrhundert in China, Indien und Madagaskar auch gegen Europäer verbreitet. Diese wiederum unterstellten der aus Westafrika importierten Voodoo-Religion in Haiti Ritualmordpraktiken, so 1886 in dem populären Buch von Sir Spencer St. John, Haiti or the Black Republic.[105]

In Massena (New York) ereignete sich 1928 die einzige bekannte Ritualmordanklage gegen Juden in den USA. Wer sie aufbrachte, ist unbekannt. Besonders war, dass die lokalen Behördenvertreter, Polizei, Justiz und der Bürgermeister, sich den Verdacht unbesehen zu eigen machten.[106]

Seit 1945

Römisch-katholische Kirche

In der römisch-katholischen Kirche besiegelte das Dekret Nostra Aetate vom 28. Oktober 1965 die Abkehr von der Gottesmordtheorie und erklärte die Bekämpfung jeder Form von Antisemitismus zur gesamtchristlichen Pflicht. Das entzog auch der christlichen Ritualmordlegende die theologische Basis.[107]

Der Kult um Werner von Wesel wurde im Bistum Trier erst 1963 eingestellt. Er verschwand 1965 aus dem katholischen Heiligenkalender.[108]

Der Kult um Simon von Trient wurde 1965 vom zuständigen Diözesanbischof verboten; eine päpstliche Kommission stellte einen Justizirrtum fest und hob Simons Heiligsprechung auf.[109]

Die jährlichen Wallfahrten zum Judenstein für Anderl von Rinn wurden 1954 gegen erhebliche Widerstände des Weihbischofs Paulus Rusch, des apostolischen Administrators der Diözese Innsbruck, und der örtlichen Bevölkerung offiziell eingestellt.[110] Papst Johannes XXIII. ließ den Kult um Anderl von Rinn 1961 per Dekret einstellen. Katholische Kultanhänger beriefen sich jedoch auf die päpstliche Anerkennung des Anderlekultes von 1755 und behaupteten, sie komme einer irreversiblen Unfehlbarkeitsentscheidung nahe. Bischof Reinhold Stecher versuchte die Kulteinstellung mit Berufung auf Nostra Aetate seit 1985 durchzusetzen. Der Vatikan erklärte die Angelegenheit 1988 offiziell für eine „Sache des Bistums Innsbruck“, unterstützte aber Stechers Schritte und erklärte alle antijüdischen Ritualmordlegenden als haltlosen Aberglauben.[111] Stecher ließ ein Fresko von Anderls „Schlachtung“ in der Ortskapelle übermalen und suspendierte den Hauptinitiator der Wallfahrten, Kaplan Gottfried Melzer. Dennoch setzen lokale und regionale katholische Fundamentalisten und Rechtsextremisten die Wallfahrten fort. Melzer gab bis 1993 den in der Schweiz gedruckten, in Tirol und Bayern verbreiteten Loreto-Boten heraus, ein auf antisemitischen Aberglauben spezialisiertes Wochenblättchen. Im Frühjahr 1990 erschien dort ein Sonderheft zum Thema Ritualmorde und Hostienschändungen als Werke des Hasses der Gegenkirche, in dem die Redaktion „mit allem Nachdruck“ behauptete:[112]

„Das Martyrium des seligen Kindes von Rinn trägt alle Anzeichen eines jüdischen Ritualmordes an sich. Ritualmorde und Hostienschändungen stehen in einem inneren Zusammenhang: Es offenbart sich in beiden der abgrundtiefe Haß Satans gegen das von Gott geschaffene Leben, und der Haß gegen Gott selbst, der im ‚Brot des Lebens‘ geheimnisvoll gegenwärtig ist. Satan hat seine besonderen Werkzeuge für diese Freveltaten: … Wir müssen sie in besonderer Weise auch bei den Nachfahren jener suchen, die Jesus Christus … ans Kreuz schlagen ließen und seine Anhänger unerbittlich verfolgten.“

Sodann stellten die Autoren 36 Fälle aus der mittelalterlichen und neuzeitlichen antijüdischen Hetzliteratur bis zum Jahr 1932 erneut als Fakten dar und verknüpften sie zu einer globalen Verschwörungstheorie, in der sie auch Ideen des Taxil-Schwindels wieder aufgriffen:[113]

„Da Satan der ‚Menschenmörder seit Anbeginn‘ (Joh 8,44) ist, und da die kultische Verehrung Satans wesentlich zur Freimaurerei gehört […],
und da weiters Kerntruppe und Führungsgremium der Freimaurerei sich aus Personen ausschließlich jüdischer Abstammung zusammensetzen, muß man konsequenterweise sagen, daß die von der Spitze der Freimaurerei geplante und die von den unteren Vertretern der Freimaurerei verwirklichte Fristenlösung, dieser Massenmord an den ungeborenen Kindern (60 Millionen jährlich) als ein ‚immerwährendes‘ und ‚unaufhörliches‘ Menschenopfer an Satan […] anzusehen ist. […]
Teile der Leiber der unzähligen im Mutterschoß hingemordeten Kinder werden von den Menschen konsumiert und aufgenommen in Form von Medikamenten und Schönheitsmitteln, die aus den Leibern der Getöteten hergestellt werden. Wie lange noch wird das Blut der Gemordeten zum Himmel um Rache schreien?! Der Zweck dieses weltweiten ‚rituellen Massenmordes‘ liegt auf der Hand: [Dadurch] sollen dem ‚Herrn der Welt‘ die Wege gebahnt werden.“

Unterstützt wurde Melzer von Rechtsextremisten wie Christian Rogler und Hemma Tiffner[114][115] wie auch von den Engelwerk-Mitgliedern Kurt Krenn, Weihbischof in Wien und Diözesanbischof von St. Pölten[116][117] sowie Robert Prantner, katholischer Theologe und Autor in der von Andreas Mölzer herausgegebenen österreichischen Zeitschrift Zur Zeit, einem Ableger der Jungen Freiheit. Darin riefen auch Veranstaltungshinweise und Annoncen zum „Anderlegedenken“ auf. Melzer wurde in Österreich 1998 wegen Verhetzung verurteilt.

Johannes Paul II. bat mit seinem Schuldbekenntnis im Jahr 2000 Juden um Verzeihung für die Sünden, die „nicht wenige Katholiken gegen das Volk des Bundes und der Seligpreisungen begangen haben“. Er gedachte dabei der „Leiden“, „die dem Volk Israel in der Geschichte auferlegt wurden“. Damit bekannte ein Papst erstmals eine Mitschuld katholischer Christen an Judenverfolgungen.[118]

Der Vatikan widerrief frühere päpstliche Dekrete, die Kulte um angebliche Ritualmordopfer anerkannten, nicht offiziell. Der Historiker David Kertzer, der die 1998 geöffneten Vatikanarchive für den Zeitraum 1800–1938 auswerten konnte, sah darin ein Zeichen einer Verdrängung der kirchlichen Mitwirkung an der Entstehung des Antisemitismus.[119]

Europa

Mit dem Ende des Nationalsozialismus verschwand die Ritualmordlegende nicht. Im Zusammenhang mit Fluchtbewegungen überlebender Juden kam es 1946 in Osteuropa zu neuen Pogromen. Das Pogrom von Kielce am 4. Juli 1946 wurde ebenso durch Ritualmordvorwürfe ausgelöst wie Angriffe auf Juden in Kunmadaras, Miskolc und Özd in Ungarn im Mai und Juli 1946. In Karcag bei Kunmadaras sollten sieben christliche Kinder unauffindbar verschwunden sein; die Landbevölkerung glaubte, Juden würden sie zu Wurst verarbeiten. Eine aufgebrachte Menge verhinderte die Verhaftung eines ortsbekannten Kollaborateurs der Nationalsozialisten, erschlug drei und verletzte 18 von 73 Juden des Ortes.[120]

In Frankreich erinnerte 1969 das Gerücht von Orléans an Ritualmordlegenden. Dieser Antisemitismus wurde jedoch von der Presse, Politikern und Gewerkschaften entschieden verurteilt, zu Gewalttätigkeiten gegen Juden kam es nicht.

2007 erschien in Italien das Werk Pasque di sangue („Passah des Blutes“) des israelischen Historikers Ariel Toaff. Er stützte sich auf Folterverhöre der Damaskusaffäre von 1840 und interpretierte die erfolterten Aussagen als möglicherweise zutreffend. Das Werk löste eine internationale Debatte und viele Proteste aus. Daraufhin stoppte der Verlag den Verkauf. In der gründlich überarbeiteten zweiten Auflage von 2008 stellte Toaff klar, dass die Behauptung, Juden hätten Christenblut verwenden können, eine Legende sei.[121]

Islamische Länder

Etwa seit der Damaskusaffäre 1840 entstand auch in islamischen Ländern ein Antisemitismus, in dessen Kontext die judenfeindliche Ritualmordpropaganda häufiger auftaucht. Besonders in Ägypten, Jordanien, im Iran und in Saudi-Arabien werden Ritualmordlegenden bis in die Gegenwart hinein in staatlich kontrollierten Medien verbreitet.

1983 veröffentlichte Mustafa Tlas, ein ehemaliger Außenminister Syriens, das antisemitische Pamphlet Fatir Ziun („Die Matze von Zion“). Darin gab er vor, die Damaskusaffäre historisch zu untersuchen. Er nahm Verleumdungen und durch Folter erpresste Aussagen damaliger Juden als Beweise seiner These: Der Talmud schreibe Juden den Ritualmord als religiöse Handlung vor. Sie brauchten das Blut von Nichtjuden für die Mazzen ihrer Rituale. Der Talmud fordere Juden auch zum „Hass gegen die Menschheit“ auf. Dazu berief er sich auf August Rohlings Werk Der Talmudjude von 1871, das seit 1899 auch ins Arabische übersetzt war. In Europa sei dieses „verborgene, zerstörerische Böse der jüdischen Ideologie“ bekannt geworden, doch in arabischen Ländern hätten die Juden bis 1840 von der islamischen Toleranz profitiert.[122]

Im September 2000 begann die Zweite Intifada gegen Israel. Im Blick darauf veröffentlichten arabische Staatsmedien neue Ritualmordanklagen gegen Juden. Am 24. Oktober 2000 behauptete der PLO-Vertreter und Mufti Scheich Nader Al-Tamimi im Sender Al Jazeera, es könne keinen Frieden mit den Juden geben, da sie während ihrer Feste Purim und Pessach das Blut von Arabern saugten.[123] Die ägyptische Staatszeitung Al-Ahram publizierte am 28. Oktober 2000 einen ganzseitigen Artikel von Adel Hamooda mit dem Titel: „Eine jüdische Mazze, aus arabischem Blut hergestellt.“[124] Der Autor gab an, schon sein Großvater habe diese Geschichte den Kindern seiner Heimatstadt erzählt. Er habe sie damals für ein Kindermärchen gehalten, später aber in französischen Gerichtsakten der Damaskusaffäre von 1840 entdeckt, dass sie wahr sei. Diese Akten seien 1898 ins Arabische übersetzt veröffentlicht worden. Als Beweise zitierte Hamooda dann ausgiebig Auszüge aus damaligen Folterverhören.[123]

Am 10. März 2002 beschrieb der Dozent der König-Faisal-Universität Umayma Ahmad Al-Jalahma in der saudi-arabischen Regierungszeitung Al Riad angebliche jüdische Bräuche beim Purimfest: „Das jüdische Volk ist verpflichtet, für dieses Fest Menschenblut aufzutreiben, damit ihre Geistlichen dieses Gebäck für die Feiertage vorbereiten können.“[125]

Im Herbst 2003 erschien zuerst im Fernsehsender der Hisbollah Al-Manar in Syrien, dann auch im Al-Mamnou TV in Jordanien und im Iran die Vorabendserie Al Shatat („Die Diaspora“). Über den saudischen Satelliten ArabSat erreichte sie ein Millionenpublikum. Sie stellte die antisemitischen Protokolle der Weisen von Zion szenisch auch für Kinder dar und erweiterte sie um moderne antisemitische Legenden etwa der Täter-Opfer-Umkehr, wonach Juden Hitler beim Holocaust geholfen hätten. Eine Folge zeigt, wie zwei Rabbiner einen christlichen Jungen fangen, ihm die Kehle durchschneiden, sein Blut auffangen und zum Backen von Mazzen verwenden, die sie dann auch säkularen Juden zum Verzehr geben.[126] In einer weiteren Folge inszenieren Rabbiner ein „talmudisches Strafgericht“: Sie halten dem Verurteilten ein Verhältnis zu einer nichtjüdischen Frau vor, füllen seinen Mund mit flüssigem Blei, schneiden ihm ein Ohr ab und schlitzen ihm den Hals auf.[127] Zunächst sollte die Serie im Staatsfernsehen Syriens gezeigt und in mehrere Sprachen übersetzt werden. Auf internationale Kritik hin zog Syriens Regierung den Plan zurück und bestritt, dass sie die Produktion unterstützt habe. Der Direktor des Senders betonte jedoch: „Die Serie zeigt die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.“[128]

Ende 2005 behauptete ein Dr. Hasan Haizadeh in einer Sendung des iranischen Staatssenders Jaam-e Jam TV: Juden hätten vor dem Pessachfest 1883 in Paris und London 150 französische und viele englische Kinder ermordet, um ihr Blut an sich zu nehmen. Dies hätten damalige Untersuchungen ergeben, die durch öffentliche Ausschreitungen gegen Juden erzwungen worden seien. Doch die westliche Geschichtsschreibung, die von Juden und Zionisten beeinflusst werde, erwähne diese Vorfälle nie. – Im April 2015 listete die iranische Nachrichtenagentur Alef angebliche Ritualmorde von Juden aus der Vergangenheit auf. Als eine der Quellen gab sie eine Ausgabe des NSDAP-Hetzblatts „Der Stürmer“ von 1939 an.[129]

Ab 2009 hielt Barack Obama als erster US-Präsident ein privates Seder-Mahl mit seiner Familie zum jährlichen Passahfest. Der Palästinenser Nawwaf Al-Zarou schrieb dazu in einem Zeitungsartikel: „Kennt Obama überhaupt die Beziehung, zum Beispiel, zwischen ‚Passah‘ und ‚christlichem Blut‘?!… Oder sind seine Handlungen bloß Speichelleckerei gegenüber dem Jüdischen Rat…“ In einem langen Text versuchte er dann, jüdische Ritualmorde zum Passah als Faktum darzustellen. Dazu stützte er sich auf das Buch von Ariel Toaff, das kurz zuvor in der israelischen Zeitung Haaretz besprochen worden war.[130] Am 27. März 2013 publizierte die PLO-nahe Organisation Miftah, die BDS unterstützt, Al-Zarous Artikel auf ihren Webseiten. Nachdem ein Blogger dies bekannt machte, griff Miftah ihn als Urheber einer „Schmutzkampagne“ an und löschte den Artikel nur von ihrer englischen, nicht aber von der arabischen Webseite. Die UNO, die Europäische Union (EU), acht EU-Staaten, mehrere Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aus den USA und zwei deutsche Parteistiftungen hatten Miftah mit Millionengeldern gefördert. Die meisten setzten dies trotz Kritik nach dem Vorfall fort.[131] 2016 übernahm Miftah einen Artikel der Neonazigruppe National Vanguard, der die antisemitischen Verschwörungsthesen einer jüdischen Medienkontrolle und eines Zionist Occupied Governments in den USA vertrat. Dies wurde 2019 erneut publik, als zwei Abgeordnete des US-Repräsentantenhauses ihren Israelbesuch über Miftah organisierten.[132]

Am 12. Mai 2013 erklärte der Parteipolitiker Khaled Al-Zaafrani im Staatsfernsehen Ägyptens: „Es ist gut bekannt, dass sie [die Juden] während des Passah Mazzen machen, die sie ‚Blut von Zion‘ nennen. Sie nehmen ein christliches Kind, schlitzen seine Kehle auf und schlachten es.“[133] Die französischen Könige und russischen Zaren hätten dieses Ritual in den Judenvierteln entdeckt. Alle Judenpogrome in ihren Ländern seien Folgen der Entdeckung, dass Juden christliche Kinder entführt und geschlachtet hätten.[134]

Scheich Khaled al-Mughrabi belehrte Jugendliche im Mai 2015 in der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem: „Die Juden suchen nach einem Kleinkind, entführen es und stecken es in ein im Innern mit Nägeln versehenes Fass.“ Um ihren Wunsch nach ewigem Leben zu erfüllen, verzehrten sie dann „mit Kinderblut geknetetes Brot“. Diese Tatsachen seien in Europa enthüllt worden und hätten dort zur Vertreibung und in Deutschland zur Vernichtung der Juden geführt.[135]

Deutschland

Das deutsche Grundgesetz schützt die Persönlichkeitsrechte von Angehörigen religiöser Minderheiten (Artikel 4). Das deutsche Strafgesetzbuch stellt die Verbreitung antisemitischer Propaganda als Volksverhetzung (§ 130), Beleidigung (§ 185) oder Verleumdung (§ 187) teilweise unter Strafe.

Rechtsextremisten verbreiten jedoch antisemitische Ritualmordlegenden und historische Hetzschriften dazu im Internet. So kursiert Hellmut Schramms Pamphlet von 1943 seit 2001 als englische Übersetzung im Netz.[136] Das als aktiv verfassungsfeindlich eingestufte Deutsche Kolleg von Reinhold Oberlercher und Horst Mahler[137] gab nach dem Amsterdamer Mord an Theo van Gogh am Jahrestag der Novemberpogrome 1938, dem 9. November 2004, eine Hetzschrift unter dem Titel „Semitischer Ritualmord“ heraus.[138]

Neuere Varianten

Anti-israelische Karikaturen und Parolen

Am 27. Januar 2003, dem Holocaustgedenktag, erschien in der britischen Zeitung The Independent die Scharon-Karikatur von Dave Brown 2003. Sie zeigt, wie Ariel Sharon, Israels damaliger Ministerpräsident, in den Kopf eines palästinensischen Babys beißt, mit dem Untertitel: „Was ist das Problem? Haben Sie nie einen Politiker ein Kind küssen sehen?“[139] Auf die Beschwerde von Israels Regierung nannte Dave Brown das Bild Saturn opfert seinen Sohn von Francisco de Goya als Vorbild seiner Karikatur; diese sei nicht antisemitisch motiviert. Für viele Kritiker spielte die Darstellung Sharons als eines fast nackten, blutrünstigen Babymörders, der über die Reste bombardierter Häuser von Palästinensern hinwegwalzt, mit dem Titel „Sharon is eating a baby“ jedoch eindeutig auf das Motiv des Ritualmords an.[140]

Am Holocaustgedenktag 2013 veröffentlichte die britische Sunday Times eine Karikatur von Gerald Scarfe: Sie zeigte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu als Maurer mit blutiger Kelle, der mit Blut und Körperteilen von Palästinensern eine Mauer baut. Die Textzeile lautete: „Israel elections. Will cementing the peace continue?“ Die Zeichnung wurde vielfach als Anspielung auf die Ritualmordlegende verstanden und kritisiert.[141] Scarfe entschuldigte sich für das „sehr unglückliche Timing“ der Veröffentlichung und betonte, er sei kein Antisemit und habe nur Netanjahus Politik kritisiert.[142]

Seit den Gaza-Konflikten von 2009 und 2014 wurde bei israelfeindlichen Kundgebungen die antisemitische Parole vom „Kindermörder Israel“ gerufen, zusammen mit Parolen wie „Israel trinkt das Blut unserer Kinder aus den Gläsern der UN“, „Entfernt den Tumor Israel“, „Jude Jude feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein“, „Intifada bis zum Sieg“.[143] Die Parole „Kindermörder Israel“ war auch beim jährlichen Al-Quds-Tag in Berlin zu hören.[144] Sie gilt in der Antisemitismusforschung als moderne Variante der Ritualmordlegende.[145] Dass die deutsche Polizei oft nicht gegen derartige Hetzparolen durchgriff, stieß in Medienkommentaren auf Kritik.[146]

Föten-Verwertung

In den USA richten manche christlichen Fundamentalisten und Abtreibungsgegner Ritualmordlegenden außer gegen Juden auch gegen Satanisten oder Chinesen, denen sie Morde an Föten für rituelle oder medizinische Zwecke nachsagen.[147]

Organhandel

Als Variante der antisemitischen Ritualmordlegende gelten wiederholte Behauptungen eines weltumspannenden mörderischen Organhandels durch Israel. 2009 schrieb der Journalist Donald Boström in der Tageszeitung Aftonbladet in Schweden ohne Belege, die Armee Israels (IDF) fange Palästinenser, unterziehe sie unfreiwilligen Autopsien und entnehme ihnen Körperorgane, bevor man sie töte. Er brachte dies mit einem israelischen Organhändler der 1990er Jahre in Verbindung, der jedoch keinen Bezug zur IDF hatte, mit Organen aus Israel (egal von wem) gehandelt hatte und darum 2001 durch israelische Gerichte verurteilt worden war. Der Artikel zirkuliert auf antisemitischen Webseiten als angeblicher Beweis für einen Organhandelring Israels. Im Anschluss daran wurde etwa Israels humanitäre Hilfe nach dem Erdbeben in Haiti 2010 als Tarnung für Organdiebstahl dargestellt.[148]

Diesen Vorwurf erhob auch Bouthaina Shaaban, die spätere Medienberaterin von Syriens Diktator Bashar Assad. Im Anschluss an Boströms Aftonbladet-Artikel behauptete sie 2010 auf der Webseite der palästinensischen Organisation Miftah: Israel stehle „ukrainische Kinder, um ihre Organe zu ernten.“[149]

Die Palästinenserin und BDS-Unterstützerin Mana Tamimi postete auf Twitter am 23. September 2015 kurz vor dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur: „Vampirzionisten, die ihren Kebore day […] feiern, indem sie palästinensisches Blut trinken. Ja, unser Blut ist rein und schmeckt gut, aber am Ende wird es euch umbringen.“ Die UNO hatte sie bis dahin als Menschenrechtsaktivistin geführt und strich sie danach von ihrer Liste.[150] Ihr Mann Bassem Tamimi postete am 14. Oktober 2015 während seiner von Amnesty International unterstützten Vortragstour durch die USA: „Was ist die Absicht, wenn Israelis KINDER von Palästinensern verhaften? Ihre ORGANE ZU STEHLEN. Die gleichen Zionisten, die das tun, kontrollieren die Medien. Also erwartet nicht, dass die BBC darüber berichtet…“. Dazu zeigte er die Fotografie eines Jungenkörpers mit einer großen Schnittwunde und Nähten.[151]

2018 behauptete der Gewerkschaftsführer Robrecht Vanderbeeken in einem Nachrichtenblatt in Belgien: Israel hungere die Bevölkerung von Gaza zu Tode aus, vergifte sie, kidnappe ihre Kinder und ermorde sie für deren Organe. Nach Beschwerden entfernte das Blatt nur den Satzteil zum angeblichen Organdiebstahl, hielt die übrigen Vorwürfe zum Kidnappen und Töten von Kindern aber aufrecht: Man wolle keinen kausalen Zusammenhang zwischen beidem unterstellen.[152]

„Pizzagate“ und „QAnon“

Der Verschwörungsideologe Ted Gunderson unterstellte einer satanischen „Elite“ schon in den 1980er Jahren einen rituellen Kindesmissbrauch (siehe Missbrauchsvorwürfe an der McMartin-Vorschule). Ähnlich glaubt der Sänger Xavier Naidoo seit 2010, dass ungenannte Eliten verschwundene Kinder organisiert, geheim und rituell missbrauchen, quälen und töten. So sang er auf dem Album „Kopfdisco“ von Olli Banjo: Er habe in „Erfahrung gebracht“, „was ihr so gerne macht. Hm, ihr fickt gern schwer verletzte Kinder“. In einem Interview mit der Internetplattform „Nexworld“ nannte Naidoo als ihm wichtige Themen den Fall des belgischen Sexualstraftäters Marc Dutroux „und die vielen Sachen die in Deutschland im Gang sind“. Es gebe „Spuren die bis hin ins belgische Königshaus führen“. Auch die Stasi sei in den Fall verwickelt. Naidoo meinte: „Egal wie viele tausende Jahre alt diese Rituale alt sein mögen: Ich finde, sie müssen jetzt aufhören.“ 2012 brachte er mit dem Rapper Kool Savas auf dem Album „Gespaltene Persönlichkeit“ einen unbetitelten Zusatztrack heraus. Darin war von satanischen Verschwörern die Rede, die rituell kleine Kinder töten: „Okkulte Rituale besiegeln den Pakt mit der Macht, Teil einer Loge getarnt unter Anzug und Robe. Sie schreiben ihre eigenen Gebote.“[153] Sexistische Gewaltfantasien sollten die angeblichen Kindermörder bestrafen: „Ich schneide euch jetzt mal die Arme und die Beine ab, und dann ficke ich euch in den Arsch, so wie ihr es mit den Kleinen macht. Ich bin nur traurig und nicht wütend. Trotzdem würde ich euch töten. Ihr tötet Kinder und Föten und ich zerquetsch euch die Klöten.“ Er wurde deswegen wegen Volksverhetzung angezeigt. In einem Interview erklärte er, bei den Textzeilen gehe es „um furchtbare Ritualmorde an Kindern, die tatsächlich ganz viel in Europa passieren, über die aber nie jemand spricht, nie jemand berichtet.“ Weiter wollte er sich nicht äußern.[154]

Seit dem Amtsantritt von Donald J. Trump als US-Präsident (Januar 2017) verbreiten Teile seiner Anhänger in sozialen Medien unter dem Kürzel QAnon Verschwörungstheorien, darunter neue Varianten der Ritualmordlegende: Es gebe einen internationalen Geheimbund, der Kinder entführe, in Kellern und Tunnelsystemen gefangen halte, dort foltere und sie als Sexsklaven verkaufe oder ihnen ihr Blut abzapfe, um daraus ein Verjüngungsmittel für Prominente der Elite zu gewinnen. Zu den Verschwörern sollen Regierungsmitarbeiter des „tiefen Staates“, jüdische Geheimzirkel, Trumps unterlegene Gegenkandidatin Hillary Clinton und ihre Demokratische Partei zählen. Laut dem Experten Miro Dittrich (Amadeu Antonio Stiftung) soll die QAnon-Legende alle Misserfolge der Politik Trumps aus geheimen Gegenkräften rechtfertigen. Das Motiv des blutabnehmenden Ritualmords an Kindern durch die Elite stamme aus antisemitischen Legenden des 15. Jahrhunderts.[155]

Der Verschwörungsideologe Alex Jones verknüpfte die schon bestehende Behauptung eines internationalen Pädophilenrings (genannt Pizzagate) kurz nach Trumps Wahlsieg im November 2016 mit dessen unterlegener Gegenkandidatin: „Wenn ich an all die Kinder denke, die Hillary Clinton persönlich ermordet, zerhackt und vergewaltigt hat, dann fürchte ich mich kein bisschen, gegen sie aufzustehen. Ja, ihr habt richtig gehört. Hillary Clinton hat persönlich Kinder ermordet.“ Später ergänzte er, Clinton rieche nach Schwefel, um sie in antisemitischer Tradition als Werkzeug Satans zu dämonisieren. Ein mit einer Schusswaffe bewaffneter Zuhörer griff daraufhin jene Pizzeria an, die Jones als Zentrum des Geheimbunds ausgegeben hatte.[156] Ein Neonazi schrie vor der Pizzeria vom „jüdischem Ritualmord“.[133]

Der Attentäter, der beim Anschlag in Hanau 2020 (19. Februar) neun Menschen tötete, glaubte ebenfalls an Geheimbünde von US-Eliten, die Kinder misshandeln. Seit der COVID-19-Pandemie ab März 2020 verbreiten QAnon-Anhänger diese Legende auch in Deutschland.[155] Im April 2020 verbreitete Naidoo in einem Video, ein Elitenkartell von Pädophilen destilliere aus dem Blut entführter Kinder das Verjüngungselixier „Adrenochrom“.[157] Auch der Rapper Sido hält Promi-Behandlungen mit dem Blut entführter Kinder für möglich.[155]

Literatur

Gesamtdarstellungen

  • Raphael Israeli: Blood Libel and Its Derivatives: The Scourge of Anti-Semitism. Routledge, London 2017, ISBN 1138507741
  • Frauke von Rohden, Regina Randhofer: Ritualmord. In: Dan Diner (Hrsg.): Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur Band 5: Pr–Sy. Metzler, Stuttgart/Weimar 2014, ISBN 3-476-02505-5, S. 235–243.
  • Hannah Johnson: Blood Libel: The Ritual Murder Accusation at the Limit of Jewish History. University of Michigan Press, 2012, ISBN 0472118358.
  • Susanna Buttaroni, Stanisław Musiał (Hrsg.): Ritualmord. Legenden in der Europäischen Geschichte. Böhlau, Wien 2003, ISBN 3-205-77028-5 (Buchauszug online).
  • Ritualmord. In: Gerhard Muller (Hrsg.): Theologische Realenzyklopädie. Band 29. Walter de Gruyter, Berlin 1998, ISBN 3-11-016127-3, S. 253–259.
  • Alexander Baron: Jewish Ritual Murder: Anti-semitic Fabrication or Urban Legend? Anglo-Hebrew Publishing. London 1994, ISBN 1-898318-36-0.
  • Rainer Erb: Die Legende vom Ritualmord. Zur Geschichte der Blutbeschuldigung gegen Juden. Metropol, Berlin 1993, ISBN 3-926893-15-X.
  • Alan Dundes: The Blood Libel Legend: A Casebook in Anti-Semitic Folklore. The University of Wisconsin Press, Madison 1991, ISBN 0-299-13110-6.
  • Stefan Rohrbacher, Michael Schmidt: Judenbilder. Kulturgeschichte antijüdischer Mythen und antisemitischer Vorurteile. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1991, ISBN 3-499-55498-4 (S. 269–291: Ritualmord und Hostienfrevel; S. 304–368: Die Barbarei längst verflossener Jahrhunderte).
  • Ronnie Po-Chia Hsia: The Myth of Ritual Murder: Jews and Magic in Reformation Germany. Yale University Press, New Haven 1988, 1990, ISBN 0-300-04746-0.

Teilaspekte

  • Jürgen W. Schmidt: Kein Fall von „Ritueller Blutabzapfung“ – die Strafprozesse gegen den Rabbinatskandidaten Max Bernstein in Breslau 1889/90 und deren sexualpsychologischer Hintergrund. In: Fachprosaforschung – Grenzüberschreitungen 8/9, Deutscher Wissenschaftsverlag, Baden-Baden 2014, ISSN 1863-6780, S. 483–516.
  • Daniel Roos: Julius Streicher und „Der Stürmer“ 1923 - 1945. Schöningh, Paderborn 2014, ISBN 3-506-77267-8.
  • David I. Kertzer: Die Päpste gegen die Juden. Der Vatikan und die Entstehung des modernen Antisemitismus. List, München 2004, ISBN 3-548-60386-6.
  • Johannes T. Groß: Ritualmordbeschuldigungen gegen Juden im Deutschen Kaiserreich (1871–1914). Metropol, Berlin 2002, ISBN 3-932482-84-0.
  • Hannelore Noack: Unbelehrbar? Antijüdische Agitation mit entstellten Talmudzitaten. Antisemitische Aufwiegelung durch Verteufelung der Juden. Verlag für wissenschaftliche Literatur, Paderborn 2001, ISBN 3-935023-99-5.
  • John M. McCulloh: Jewish Ritual Murder: William of Norwich, Thomas of Monmouth, and the Early Dissemination of the Myth. In: Speculum. Columbus Ohio, 1997 / Nr. 3 (Juli), S. 698–740, ISSN 0739-3806.
  • Gerd Mentgen: Über den Ursprung der Ritualmordfabel. In: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 4 / 1994, S. 405–416
  • Stefan Rohrbacher: Ritualmord-Beschuldigungen am Niederrhein. In: Menora 1 / 1990, S. 299–305
  • Georg R. Schroubek: Zur Kriminalgeschichte der Blutbeschuldigung. In: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform. Köln 1985, Nr. 65, S. 2–17, ISSN 0026-9301.
  • Georg R. Schroubek: Der „Ritualmord“ von Polná – Traditioneller und moderner Wahnglaube. In: Rainer Erb, Michael Schmidt (Hrsg.): Antisemitismus und jüdische Geschichte – Studien zu Ehren von Herbert A. Strauss. Berlin 1987, S. 149–171.

Weblinks

Überblick
Antike
Mittelalter
Neuzeit
 Wikisource: Ritualmordvorwurf – Quellen und Volltexte
Gegenwart

Einzelnachweise

  1. Wolfgang Benz (Hrsg.) Handbuch des Antisemitismus Band 5: Organisationen, Institutionen, Bewegungen. De Gruyter, Berlin 2012, ISBN 3-598-24078-3, S. 219
  2. Achim Bühl: Antisemitismus: Geschichte und Strukturen von der Antike bis 1848. Marix, 2020, S. 126
  3. 3,0 3,1 Bezalel Bar-Kochva: The Image of the Jews in Greek Literature - The Hellenistic Period. University of California Press, 2010, ISBN 978-0-520-29084-6, S. 253 und Fn. 1
  4. Erich S. Gruen: The Construct of Identity in Hellenistic Judaism: Essays on Early Jewish Literature and History. De Gruyter, Berlin 2016, ISBN 978-3-11-037302-8, S. 249
  5. Bezalel Bar-Kochva: The Image of the Jews in Greek Literature - The Hellenistic Period. 2010, S. 241278.
  6. Tricia Miller: Jews and Anti-Judaism in Esther and the Church. James Clarke & Co, 2015, ISBN 9780227902523, S. 51
  7. David Flusser: Judaism of the Second Temple Period, Volume 2: The Jewish Sages and Their Literature. William B. Eerdmans, 2009, ISBN 978-0-8028-2458-5, S. 309
  8. Hans Lietzmann: Geschichte der alten Kirche. (1936) Neuausgabe: De Gruyter, Berlin 1999, ISBN 3-11-016498-1, S. 152 f.
  9. Peter Schäfer: Jesus im Talmud. 2. Auflage, Mohr Siebeck, Tübingen 2010, ISBN 3-16-150253-1, S. 205
  10. Hans Hübner: Die Weisheit Salomons: Liber Sapientiae Salomonis. Das Alte Testament Deutsch, Apokryphen Band 4. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1999, ISBN 3-525-51404-2, S. 160
  11. Susanna Buttaroni: Ritualmord. Legenden in der Europäischen Geschichte. Wien 2003, S. 63
  12. Irmgard Bruns: Von der jüdischen Sekte zur Staatsreligion: Machtkämpfe im frühen Christentum. Patmos, 2008, ISBN 3491704146, S. 194f.; Susanne Galley: Das Judentum. Campus, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3593379775, S. 54.
  13. Wolfgang Benz: Handbuch des Antisemitismus Band 3: Begriffe, Theorien, Ideologien. De Gruyter, Berlin 2010, ISBN 3-11-023379-7, S. 153
  14. Patricia Healy Wasyliw: Martyrdom, Murder, and Magic: Child Saints and Their Cults in Medieval Europe. Peter Lang, New York 2007, ISBN 978-0-8204-2764-5, S. 111; S. 261; Cecil Roth: The Feast of Purim and the Origins of the Blood Accusation. (1933) Nachdruck in: Alan Dundes (Hrsg.): The Blood Libel Legend, S. 261–272
  15. Wolfgang Benz (Hrsg.) Handbuch des Antisemitismus Band 5: Organisationen, Institutionen, Bewegungen. Berlin 2012, S. 353f.
  16. Wolfgang Wippermann: Rassenwahn und Teufelsglaube. Frank & Timme, 2005, ISBN 3865960073, S. 65
  17. 17,0 17,1 Frauke von Rhoden, Regina Randhofer: Ritualmord. In: Dan Diner (Hrsg.): Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur Band 5: Pr-Sy. Springer VS, Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-476-02505-0, S. 235–243, hier S. 236
  18. Stefan Rohrbacher, Michael Schmidt: Judenbilder. Reinbek 1991, S. 18.
  19. Jacob Rader Marcus, Marc Saperstein (Hrsg.): The Jews in Christian Europe: A Source Book, 315-1791. (1999) Hebrew Union College, 2015, ISBN 9780822963936, S. 87
  20. E.M. Rose: The Murder of William of Norwich: The Origins of the Blood Libel in Medieval Europe. Oxford University Press, Oxford 2015, ISBN 978-0-19-021962-8, S. 8
  21. E.M. Rose: The Murder of William of Norwich, Oxford 2015, S. 75–81
  22. Augustus Jessop (Hrsg.): The Life And Miracles Of St William Of Norwich By Thomas Of Monmouth. Cambridge Library, 2011, ISBN 9781108039765, S. 71 (Einführung)
  23. Rainer Erb: Die Legende vom Ritualmord, Berlin 1993, S. 72
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  25. Hannah R. Johnson: Blood Libel: The Ritual Murder Accusation at the Limit of Jewish History. University of Michigan Press, 2012, ISBN 0472118358, S. 104f.
  26. Stefan Rohrbacher, Michael Schmidt: Judenbilder, 1991, S. 276
  27. Rainer Erb: Die Legende vom Ritualmord, Berlin 1993, S. 52–54
  28. Rainer Erb: Die Legende vom Ritualmord, Berlin 1993, S. 63; Richard Utz: Hugh von Lincoln und der Mythos vom jüdischen Ritualmord. In: Ulrich Müller, Werner Wunderlich (Hrsg.): Mittelaltermythen in 7 Bänden: Herrscher-Helden-Heilige. (1996) Universitätsverlag, Konstanz 2001, ISBN 3-86764-117-X, S. 711–722.
  29. Stefan Rohrbacher, Michael Schmidt: Judenbilder, 1991, S. 278
  30. Stefan Rohrbacher, Michael Schmidt: Judenbilder. Reinbek 1991, S. 280
  31. Hannah Johnson, Heather Blurton: The Critics and the Prioress: Antisemitism, Criticism, and Chaucer's Prioress's Tale. University of Michigan Press, 2017, ISBN 9780472130344, S. 57–105
  32. Douglas M. Lanier: The Merchant of Venice: Language and Writing. The Arden Shakespeare, 2019, ISBN 9781472571502, S. 77
  33. Gavin I. Langmuir: Toward a Definition of Antisemitism. University of California Press, 1996, S. 266
  34. Paul Joseph Weiland: Ein Messias aus Galiläa. Das Sachbuch zum Christentum. Araki, 3. Auflage 1991, ISBN 3-9520016-1-9, S. 414; Willehad Paul Eckert: Der Trienter Judenprozeß. In: Paul Wilpert (Hrsg.): Judentum im Mittelalter: Beiträge zum christlich-jüdischen Gespräch. S. 326, Fn. 133
  35. Julius Höxter (Hrsg.): Quellentexte zur jüdischen Geschichte und Literatur (Judaika). Marix, 2009, ISBN 3865391982,S. 235f.
  36. Josef Kastein: Eine Geschichte der Juden. FV Éditions, 2018, ISBN 979-10-299-0554-4, S. 427 (Online in Google Books in der Google Buchsuche).
  37. Josef Kastein: Eine Geschichte der Juden. FV Éditions, 2018, ISBN 979-10-299-0554-4, S. 428 (Online in Google Books in der Google Buchsuche).
  38. Artikel Ritualmord. In: Gerhard Müller (Hrsg.): Theologische Realenzyklopädie Band 29, Berlin 1998, S. 257.
  39. Susanna Buttaroni: Ritualmord. Legenden in der Europäischen Geschichte. Wien 2003, S. 215–218
  40. Heinrich Heine: Der Rabbi von Bacherach (1840) (Text bei Projekt Gutenberg)
  41. Maike Lämmerhirt: Die Ritualmordlegende im thüringischen Raum und die Verfolgung der Juden von Weißensee 1303. In: Enno Bünz, Helmut G. Walther, Stefan Tebruck (Hrsg.): Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Böhlau, Wien 2007, S. 737
  42. Rita Voltmer, Franz Irsigler: Die europäischen Hexenverfolgungen der Frühen Neuzeit – Vorurteile, Faktoren und Bilanzen
  43. Niklaus Schatzmann: Verdorrende Bäume und Brote wie Kuhfladen: Hexenprozesse in der Leventina 1431-1459 und die Anfänge der Hexenverfolgung auf der Alpensüdseite. Chronos, 2003, ISBN 3-0340-0660-8, S. 58
  44. Birgit Studt: Fürstenhof und Geschichte. Legitimation durch Überlieferung. Böhlau, Köln 1998, ISBN 3412035920, S. 337–351.
  45. Ravensburg (Kreisstadt) – Jüdische Geschichte / Synagoge. Alemannia Judaica (2003)
  46. Andreas Angerstorfer: Jüdische Reaktionen auf die mittelalterlichen Blutbeschuldigungen vom 13. bis zum 16. Jahrhundert. In: Rainer Erb (Hrsg.): Die Legende vom Ritualmord – Zur Geschichte der Blutbeschuldigung gegen Juden. Berlin 1993 (= Zentrum für Antisemitismusforschung. Reihe Texte – Dokumente – Materialien. Band 6), S. 133–156.
  47. Johannes E. Trojer: Hitlerzeit im Villgratental: Verfolgung und Widerstand in Osttirol. Haymon, 2016, ISBN 9783709937600, S. 17
  48. Magda Teter: Blood Libel. Harvard 2020, S. 15
  49. 49,0 49,1 Willehad Paul Eckert: Aus den Akten des Trienter Judenprozesses. In: Paul Wilpert (Hrsg.): Judentum im Mittelalter: Beiträge zum christlich-jüdischen Gespräch. (1966) De Gruyter, Berlin 2015, ISBN 9783110842159, S. 283–336, hier S. 288f.
  50. Heinz Schreckenberg: Die Juden in der Kunst Europas. Göttingen 1996, S. 343–345
  51. Stefan Rohrbacher, Michael Schmidt: Judenbilder. 1991, S. 287.
  52. Klaus Davidowicz: Antisemitismus und Dorfkultur: Der Fall Andreas von Rinn. In: von Markus Himmelbauer et al. (Hrsg.): Erneuerung der Kirchen: Perspektiven aus dem christlich-jüdischen Dialog. Herder, Freiburg 2018, ISBN 3451022907, S. 45–65, hier S. 48–52
  53. Bernhard Fresacher: Anderl von Rinn: Ritualmordkult und Neuorientierung in Judenstein 1945-1995. Tyrolia, 1998, ISBN 3702221255, S. 19
  54. Stefan Rohrbacher, Michael Schmidt: Judenbilder. Reinbek 1991, S. 302
  55. Artikel Ritualmord. In: Gerhard Müller (Hrsg.): Theologische Realenzyklopädie Band 29, Berlin 1998, S. 254.
  56. Thomas Brechenmacher: Der Vatikan und die Juden: Geschichte einer unheiligen Beziehung. Beck, München 2005, ISBN 3-406-52903-8, S. 61 ff.
  57. Ute Weinmann: Teil des Dogmas – Bis heute ist Antijudaismus in der orthodoxen Kirche verbreitet. Jüdische Allgemeine, 21. April 2017
  58. Edward H. Judge: Ostern in Kischinjow. Anatomie eines Pogroms. Decaton, Mainz 1995, ISBN 3-929455-30-7
  59. Raimund Elfering: Die „Bejlis-Affäre“ im Spiegel der liberalen russischen Tageszeitung „REČ’“. (PDF S. 15–18)
  60. Michael Hagemeister, Die 'Protokolle der Weisen von Zion' und der Basler Zionistenkongreß von 1897. In: Heiko Haumann (Hrsg.): Der Traum von Israel. Die Ursprünge des modernen Zionismus, Beltz Athenäum, Weinheim 1998, S. 259.
  61. Daniel Pipes: Verschwörung. Faszination und Macht des Geheimen. Gerling Akademie Verlag München 1998, S. 150.
  62. Jacob Barnai: Blood libels in the Ottoman Empire. In: Shmuel Almog (Hrsg.): Antisemitism Through the Ages (Studies in Antisemitism Series), Pergamon Press 1988, ISBN 0-08-035850-0, S. 189–194.
  63. Die „Hilsneriade“ 1899. Radio Prag, 17. April 1999.
  64. Raimund Elfering: Die „Bejlis-Affäre“ im Spiegel der liberalen russischen Tageszeitung „REČ’“. (PDF S. 14)
  65. Regina Fritz: Nach Krieg und Judenmord: Ungarns Geschichtspolitik seit 1944. Wallstein, Göttingen 2012, ISBN 9783835322851, S. 47
  66. 66,0 66,1 Zvi J. Kaplan: From Ritual Murder to Treason: Antisemitism in Early Modern and Modern France, Rezension zu: Pierre Birnbaum. A Tale of Ritual Murder in the Age of Louis XIV: The Trial of Raphaël Lévy, 1669. auf H-Net, Mai 2013
  67. Daniel Gerson: Frankreich. In: Wolfgang Benz, Brigitte Mihok (Hrsg.) Handbuch des Antisemitismus Band 1: Länder und Regionen. De Gruyter, Berlin 2008, ISBN 3-11-023510-2, S. 118
  68. Ulrich W. Sahm: Bann nach 344 Jahren aufgehoben. Jüdische Allgemeine, 22. Januar 2014
  69. Heinrich Graetz: Damaskusaffäre
  70. Jewish Encyclopedia, Blood Accusation pronounce false
  71. Jewish Encyclopedia: Joachim Heinrich Biesenthal
  72. DISS: Gefälschte Talmudzitate. Dr. Kroner, Dr. Bloch und der Prozess Rohling/Bloch vom November 1885
  73. Bautz: August Rohling
  74. Hermann Strack: Der Blutaberglaube bei Christen und Juden. Minden 1891.
  75. Hermann L. Strack: Der Blutaberglaube in der Menschheit. Blutmorde und Blutritus. Zugleich eine Antwort auf die Herausforderung des Osservatore Cattolico. Beck'sche Verlagsbuchhandlung, München 1892
  76. Hermann L. Strack: Das Blut im Glauben und Aberglauben der Menschheit. Achte Auflage 1923; Nachdruck: Ulan Press, 2012
  77. Ulrich Wyrwa: Judentum und Historismus: Zur Entstehung der jüdischen Geschichtswissenschaft in Europa. Campus, 2003, ISBN 3593372835, S. 112
  78. Heinz Schreckenberg: Die Juden in der Kunst Europas: ein historischer Bildatlas. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1996, ISBN 3525633629, S. 287
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