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Budge-Palais
Der Budge-Palais ist ein klassizistischer Villenbau des Architekten Martin Haller am Harvestehuder Weg 12, in Hamburg-Rotherbaum im Bezirk Hamburg-Eimsbüttel. Er wurde 1884 als Wohnhaus errichtet und später mehrfach umgebaut, war ab 1903 der Wohnsitz von Henry und Emma Budge und von 1938 bis 1945 der Sitz des Reichsstatthalters Karl Kaufmann. Seit 1959 wird er von der Hochschule für Musik und Theater Hamburg (HfMT) genutzt und ist mit Anbauten moderner Architektur erweitert worden.
Geschichte
In der Gründerzeit
Der Architekt Martin Haller baute das Haus 1884 für den Schiffsmakler Ivan Gans. 1900 kaufte Henry Budge (1840–1927), ein amerikanischer Geschäftsmann deutscher Herkunft, die klassizistische Villa samt der Parkanlage am Alstervorland und ließ sie in den Folgejahren von Haller etappenweise umbauen und erweitern. Es entstand ein großzügig angelegter Komplex mit Remisen, Stallgebäuden, Obst- und Treibhäusern, einer Blumenhalle und einem Teepavillon am Alsterufer. Vom Ursprungsbau des Wohnhauses sichtbar erhalten blieben der mittlere, zweigeschossige Trakt und die beiden Außenflügel mit Erkern. Zur Alsterseite hin wurde das Gebäude um einem halbrunden Mittelrisaliten mit Verandavorbau erweitert, das Dachgeschoss erhielt einen Ausbau und die Seitenflügel markante steile Runddächer.[1] Hinzu kam eine unterirdische Kegelbahn. In den Jahren 1909/1910 ließ Henry Budge als Geburtstagsgeschenk für seine vielseitig kunstinteressierte Frau Emma Budge (1852–1937) auf der Rückseite einen im Stil des Historismus gehaltenen Saal anbauen, der – als Spiegelsaal eingerichtet – privaten Theater- und Musikaufführungen diente.[2] Bezogen hat das Ehepaar Budge das Haus im Jahr 1903, der Gesamtumbau zum Budge-Palais dauerte bis 1913.
„Viele Hamburger nannten es aber die ´Badeanstalt´, weil es so viele Badezimmer hatte (20, so viel ich mich erinnere). Das kam daher, dass Budges von Amerika kamen, wo Badezimmer unbedingte Notwendigkeiten der Leute guten Tones geworden sind (...).“
In der Zeit des Nationalsozialismus
Am 20. Oktober 1928 starb Henry Budge. Nach einer gemeinsamen Verfügung mit seiner Frau Emma war vorgesehen, dass die umfangreiche gewerbliche Kunstsammlung, die das Ehepaar seit seiner Übersiedlung nach Deutschland zusammengetragen hatte, nach dem Tod des letzten Ehegatten an das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe übergehen sollte. Emma Budge, die nach dem Tod ihres Mannes die Vollmacht über den Besitz erlangte, erweiterte die Schenkungsabsicht und handelte im Frühjahr 1932 mit dem damaligen Staatsrat Leo Lippmann die Gründung einer weiteren Emma-Budge-Stiftung aus, nach der auch der gesamte Grundbesitz am Harvestehuder Weg in das Eigentum der Stadt übergehen und mit seinen Kunstschätzen als Museum geöffnet werden sollte.[4]
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zog Emma Budge dieses Angebot im Herbst 1933 zurück und änderte ihr Testament bis zu dessen endgültiger Fassung im November 1935 mehrmals. Sie reagierte auf die unsicheren politischen Verhältnisse, indem sie in dieser letzten Verfügung vier Testamentsvollstrecker einsetzte, die nach eigenem Ermessen eine Verwertung des Hauses, der Kunstsammlung und ihres Vermögens vornehmen sollten, doch sollte der Nachlass ausdrücklich nicht in die Verfügungsgewalt der Stadt Hamburg gelangen. Die Testamentsvollstrecker waren der Bankier Max Warburg, der Rechtsanwalt Hermann Samson, und die Budge-Neffen Max Kronheimer und Ludwig Bernstein. Für den Fall, dass diese Beauftragten ausfallen und jemand anderes benannt werden solle, war weiter verfügt, dass es sich dabei um jemand handeln müsse, der jüdischen Glaubens sei. Bedacht waren von dem Testament 13 jüdische Verwandte.
Doch als Emma Budge am 14. Februar 1937 starb, waren einige der Erben bereits ausgewandert, andere bereiteten ihre Emigration vor. Die Testamentsvollstrecker boten das Palais zum Kauf an, im Herbst 1937 machte der Reichsstatthalter und Gauleiter der NSDAP Karl Kaufmann den Anspruch der Stadt Hamburg auf das Haus geltend. Bereits 1935 war eine benachbarte Villa auf dem Grundstück Nr. 10 als Verwaltungsgebäude erworben worden, so dass der Budge-Besitz die willkommene Erweiterung zu einem repräsentativen Hauptsitz der Reichsstatthalterei angesehen wurde. Am 11. Dezember 1937 ging das Haus samt seinem Grundstück und den Nebengebäuden in das Eigentum der Stadt Hamburg über. Der Gesamtpreis in Höhe von 305.000 Reichsmark wurde dem Nachlasskonto beim Bankhaus M.M. Warburg gutgeschrieben.[5]
Der Hausrat, die Sammlungen, die Gemälde, die Möbel und das Geschirr wurden in fünf Möbelwagen nach Berlin verfrachtet und dort öffentlich im Auktionshaus Paul Graupe in zwei großen Auktionen versteigert. Bei der Versteigerung der mehreren hundert Objekte waren Vertreter aller wichtiger Museen anwesend – auch Interessenten aus den Niederlanden und der Schweiz.[6] Es handelte sich dabei um die größte Privatsammlung, die während der Zeit des Nationalsozialismus versteigert wurde.[7] Der Erlös betrug etwa eine Million Reichsmark. Auch dieses Geld wurde auf ein Sperrkonto gezahlt. Zum Budge-Nachlass gehörten zudem weitere Vermögenswerte, insbesondere ausländische Wertpapiere und Dollarguthaben. Insgesamt wird von einem Gesamtwert des Erbes von 6 Millionen Reichsmark ausgegangen, das der nationalsozialistische Staat in den folgenden Jahren zum größten Teil an sich brachte, indem die Testamentsvollstrecker abgesetzt, die noch in Deutschland lebenden Erben an der Auswanderung gehindert und teilweise inhaftiert wurden, und scheinbar legal über Sicherungsanordnungen, Sondersteuern und -abgaben so viel eingezogen wurde, dass letztlich kein Auszahlungsbetrag verblieb. Als neuer Nachlassverwalter wurde von den Hamburger Behörden der ehemalige Steuerberater Emma Budges, der Wirtschaftsprüfer Gottfried Francke, eingesetzt.
Die letzten Bewohner der Villa, Henry Budges Neffe Siegfried Budge (1869–1941) und seine Ehefrau Ella Budge (1875–1943), mussten nach dem Eigentumsübergang das Haus verlassen, beide starben während der weiteren Verfolgung durch die Nationalsozialisten.[8] Das Haus wurde zur Residenz des Reichsstatthalters und zu einem Machtzentrum der Hamburger Nationalsozialisten ausgebaut. Die Villen auf den Grundstücken Nr. 10 und Nr. 11, vormals Eigentum des jüdischen Innenarchitekten Curt Klavier und diesem 1939 entzogen, wurden in dem Komplex als Verwaltungstrakte und Angestelltenhäuser einbezogen.[9] Karl Kaufmann ließ sich 1939 / 1940 auf dem hinteren Teil des Grundstücks einen Bunker bauen, der während des Zweiten Weltkrieges als Stabsquartier diente.[10]
In der Nachkriegszeit
Im Mai 1945 wurde der gesamte Komplex von britischen Truppen beschlagnahmt und zunächst als Lazarett, später als Offiziersklub mit zwei Bars und Lunchroom und anschließend als Hotel für wichtige britische Besucher in Hamburg genutzt. Im Haus Nr. 10 kam zeitweilig die Gerichtsmedizin unter.
Die Nachlasssache Budge war durch den von den Nationalsozialisten eingesetztem Verwalter Gottfried Francke trotz regelmäßiger Anmahnung des Gerichts bis zum Kriegsende nicht abgeschlossen worden. 1949 kam es zu einem Ersuchen der Anwälte der in den USA lebenden Erben beim Amtsgericht Hamburg, Francke als amtierenden Testamentsvollstrecker abzusetzen. Doch wurde dieses Verlangen abgewiesen. Statt dessen handelte Francke mit der Stadt Hamburg einen Vergleich über den Grundstückskomplex Harvestehuder Weg 12 aus, ohne dass die Erben benachrichtigt wurden. In diesem Vergleich erklärte sich die Stadt bereit, einen Betrag von 22.500 DM auf den Kaufpreis nachzuzahlen. Formell wurde das Budge-Eigentum nach Beschluss der Wiedergutmachungskammer am 1. Oktober 1952 zurückerstattet und am 10. November 1952 durch das gleiche Gericht verfügt, dass die Stadt Hamburg das Budge-Palais einschließlich der Nebengrundstücke für eben den Preis von 22.500 DM erwerben kann. Auch über diesen Vorgang wurden die Erben des Budge-Nachlasses nicht informiert.[11] Der damalige Hamburger Finanzsenator Walter Dudek rechtfertigte das Vorgehen im August 1952 mit städtischen Planungen:
„Im Falle der Durchführung des Verfahrens hätte die Wiedergutmachungskammer die Rückerstattung der Grundstücke angeordnet. Die Rückgabe muß jedoch vermieden werden, weil die Stadt u. a. das Alstervorland für öffentliche Zwecke braucht.“
Tatsächlich wurde der zur Alster gelegene Teil des Grundstücks jenseits des Harvestehuder Wegs anlässlich der Bundesgartenschau 1953 in den öffentlichen Alsterpark einbezogen.
Die Briten gaben das Haus im Jahr 1956 an die Stadt Hamburg zurück. Zunächst wurde die Hochschule für Musik Hamburg (damaliger Name der HfMT) provisorisch untergebracht, 1959 zog sie offiziell in das Budge-Palais ein. Zu deren Erweiterung wurden die benachbarten Villen 1960 und 1964 abgerissen und zwischen 1969 und 1982 Anbauten nach Entwürfen des Architekten Fritz Trautwein (1911–1993) errichtet. 1974 schuf der Künstler Jan Meyer-Rogge die Skulptur Dreiklang aus Leichtmetall, die vor der ehemaligen Hausnummer 11 installiert ist. Der Spiegelsaal, der bis dahin für kammermusikalische Aufführungen der Studierenden der HfMT gedient hatte, wurde 1980 abgetragen und in das Museum für Kunst und Gewerbe verbracht. Dort baute man ihn 1987 originalgetreu wieder auf und nutzt ihn seitdem für Konzerte.
Seit 1993 erinnert am Eingang Milchstraße eine Bronzetafel an Henry und Emma Budge und im Sommer 2007 wurden zum Gedenken an Ella und Siegfried Budge zwei Stolpersteine in den Gehweg gesetzt.[13] Die Einweihung der Gedenksteine wurde am 26. Mai 2008 in einer Festveranstaltung an der Musikhochschule vorgenommen. Aus diesem Anlass gab die Musikhochschule zusammen mit der Musikstudentin Livia Gleiß eine Broschüre heraus. [14]
Im Januar 2011 gab es erneut eine Diskussion über die jüdische Vergangenheit des Palais. Nach einer Presseerklärung der Anwälte der Budge-Erben fordern diese eine Rückgabe oder eine finanzielle Entschädigung. [15]
Literatur
- Livia Gleiß, Beatrix Borchard: Die Familie Budge in Hamburg und ihr Palais an der Alster: Ein Hamburger Beispiel für nationalsozialistisches Unrecht. Hg. Hochschule für Musik und Theater Hamburg, 2008. Eine Broschüre mit 51 Seiten
- Ulf Häder: Beiträge öffentlicher Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland zum Umgang mit Kulturgütern aus ehemaligem jüdischen Besitz. Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste, Magdeburg 2001, ISBN 3-00-008868-7, (Veröffentlichungen der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste 1).
- Anja Heuß: Das Testament von Emma Budge; in: Inka Bertz, Michael Dorrmann (Hrsg.): Raubkunst und Restitution. Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute. Herausgegeben im Auftrag des Jüdischen Museums Berlin und des Jüdischen Museums Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-8353-0361-4, (Ausstellungskatalog zu einer gleichnamigen Ausstellung 2008/2009 im Jüdischen Museum Berlin und im Jüdischen Museum Frankfurt).
- Günter Könke, Das Budge-Palais: Die Entziehung jüdischer Vermögen und Rückerstattung in Hamburg. in Die Juden in Hamburg 1590 bis 1990. Wissenschaftliche Beiträge der Universität Hamburg zur Ausstellung „Vierhundert Jahre Juden in Hamburg", hrsg. Arno Herzig in Zusammenarbeit mit Saskia Rohde, (Die Geschichte der Juden in Hamburg 1590 bis 1990. Bd. 2.) Hamburg 1991, ISBN 3-926174-25-0, Seite 657 bis 667
- Eberhard Wiese: Hier ist das Paradies. Schicksale am Harvestehuder Weg. In: Eberhard von Wiese: Hamburg. Menschen – Schicksale. Frankfurt 1967.
Weblinks
- Zur Geschichte des Budge-Palais auf den Webseiten der HfMT Hamburg
- Aus den Erinnerungen von Peter Kahn
Einzelnachweise
- ↑ Ralf Lange: Architekturführer Hamburg, Stuttgart 1995, ISBN 3-930698-58-7 auch als google book
- ↑ Das Budge-Palais, Homepage der Hochschule für Musik und Theater, abgerufen am 19. Januar 12011
- ↑ Peter Kahn: Das Budgehaus am Harvestehuder Weg , in Charlotte Ueckert-Hilbert, hrsg., Fremd in der eigenen Stadt: Erinnerungen jüdischer Emigranten aus Hamburg, Hamburg 1989, ISBN 3-88506-166-X , Prof. Peter Kahn, USA, ein Großneffe Henry Budges, lebte in seiner Kindheit im Budge-Palais.
- ↑ Arno Herzig (Hrsg.): Die Juden in Hamburg von 1590 bis 1990. Wissenschaftliche Beiträge der Universität Hamburg zur Ausstellung Vierhundert Jahre Juden in Hamburg. Hamburg 1991, ISBN 3-926174-25-0, S. 658
- ↑ Arno Herzig (Hrsg.): Die Juden in Hamburg von 1590 bis 1990. Hamburg 1991, S. 659
- ↑ Esther Tisa Francini u.a.: Fluchtgut - Raubgut. Der Transfer von Kulturgütern in und über die Schweiz 1933-1945 und die Frage der Restitution. Zürich 2001, ISBN 3-0340-0601-2, S. 192 f.
- ↑ Ulf Häder: Beiträge öffentlicher Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland zum Umgang mit Kulturgütern aus ehemaligem jüdischen Besitz. Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste, Magdeburg 2001, ISBN 3-00-008868-7, (Veröffentlichungen der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste 1), S. 271
- ↑ hagalil.com hagalil.com: Zwei „Stolpersteine“ vor dem Budge-Palais abgerufen am 25. September 2010
- ↑ Frank Bajohr: Arisierung in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933-1945, Hamburg 1997, S. 271 f., 293 f.
- ↑ Webseite Unter Hamburg: „Gebaut, um übersehen zu werden...“ , abgerufen am 19. Januar 2011
- ↑ Arno Herzig (Hrsg.): Die Juden in Hamburg von 1590 bis 1990, Hamburg 1991, S. 663 f.
- ↑ zitiert nach Arno Herzig (Hrsg.): Die Juden in Hamburg von 1590 bis 1990, Hamburg 1991, S. 666
- ↑ Stolpersteine in Hamburg, abgerufen am 20. Januar 2010
- ↑ Livia Gleiß, Beatrix Borchard: Die Familie Budge in Hamburg und ihr Palais an der Alster: Ein Hamburger Beispiel für nationalsozialistisches Unrecht. Hg. Hochschule für Musik und Theater Hamburg, 2008.
- ↑ NDR-Info: Muss Hamburgs Musikhochschule umziehen?, abgerufen am 20. Januar 2011
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