Jewiki unterstützen. Jewiki, die größte Online-Enzyklopädie zum Judentum.
Helfen Sie Jewiki mit einer kleinen oder auch größeren Spende. Einmalig oder regelmäßig, damit die Zukunft von Jewiki gesichert bleibt ... Vielen Dank für Ihr Engagement! (→ Spendenkonten) |
How to read Jewiki in your desired language · Comment lire Jewiki dans votre langue préférée · Cómo leer Jewiki en su idioma preferido · בשפה הרצויה Jewiki כיצד לקרוא · Как читать Jewiki на предпочитаемом вами языке · كيف تقرأ Jewiki باللغة التي تريدها · Como ler o Jewiki na sua língua preferida |
Colonia estiva di Saint-Cergues les Voirons
Die Colonia estiva di Saint-Cergues les Voirons war ein Ferienheim für die Kinder antifaschistischer Emigranten, die im französischen Departement Haute-Savoie und in der Schweiz ansässig waren.
Einleitung
Im Jahre 1933 wurde in Saint-Cergues-les Voirons (Haute-Savoie), nur wenige Kilometer von der Schweiz entfernt, ein Ferienheim für die Kinder antifaschistischer Emigranten in Genf und in Hochsavoyen eingeweiht, mit dem Ziel, die italienische Jugend der Beeinflussung durch die Organe des faschistischen Regimes im Ausland zu entziehen. Von 1933 bis 1939 stand das Ferienheim unter italienischer Leitung und nahm mehrheitlich italienische, während des Spanischen Bürgerkriegs auch spanische Kinder auf. Wegen ihrer besonderen Entstehungsgeschichte gilt diese Institution als einzigartige Errungenschaft des italienischen Antifaschismus im Ausland.
Antifaschisten in Genf und in Hochsavoyen
Schon vor der Etablierung der faschistischen Diktatur in Italien lebten in Genf und im benachbarten Hochsavoyen viele Italiener. Nach 1922 setzte die politische Emigration ein, wobei sich in den folgenden Jahren viele Flüchtlinge in und um Genf niederliessen, z.B. der Journalist Carlo A Prato (Annemasse), der Universitätsprofessor Guglielmo Ferrero (Genf), der Republikaner Giuseppe Biasini (Annemasse), der Jurist Egidio Reale (Genf). In zunehmendem Masse, wie das Regime bestrebt war, über die diplomatischen und konsularischen, die wirtschaftlichen und kulturellen Vertretungen des Königreich Italiens im Ausland politischen Einfluss auszuüben und bestehende Institutionen zu kontrollieren, entstanden im Laufe der Jahre politisch und kulturell autonome, antifaschistisch geprägte Institutionen und Initiativen.
Regimepropaganda bei Kindern und Jugendlichen
Die Opposition gegen das faschistische Regime äußerte sich auf vielfältige Weise, z. B. indem man den neu angekommenen Antifaschisten half, eine Beschäftigung zu finden. Dokumente wurden beschafft, und man intervenierte bei den Behörden, um Ausweisungsverfügungen rückgängig zu machen. Es fanden Feste, Vortragsabende und Gedenkveranstaltungen statt, und Druckschriften, Zeitungen und Flugblätter wurden herausgegeben. Für die Opfer der politischen Verfolgung, für Inhaftierte oder deren Frauen, wurden Kollekten durchgeführt.[1]
Besonderes Augenmerk galt der Jugend, den Kindern der Antifaschisten, die es der Regimepropaganda zu entziehen galt; sie sollten nicht auf die Angebote des faschistischen Regimes zurückgreifen müssen.[2]
Entstehung der Colonia estiva di Saint-Cergues les Voirons
Treibende Kraft bei der Entstehung einer Ferienkolonie für italienische Kinder war der Republikaner Giuseppe Chiostergi, der seit langem mit seiner Familie in Genf wohnte; er öffnete sein Haus durchreisenden Antifaschisten jeder Couleur und bot den Flüchtlingen, die sich für ein prekäres Leben in der Emigration und gegen Anpassung und Konformismus entschieden hatten, Schutz und Orientierung. Chiostergi verfügte über sehr viele Kontakte in Genf und im nahen Frankreich. Im Oktober 1928 wurde ein Komitee mit Vertretern zahlreicher italienischer Vereine und Firmen ins Leben gerufen und Geld gesammelt, um ein 8000 m² großes Grundstück in St. Cergues les Voirons zu erwerben. Das Dorf Saint-Cergues lag drei Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt, gegenüber der Gemeinde Jussy im Kanton Genf. Darauf errichteten 625 Maurer und Handwerker, die meisten davon Anarchisten, in den folgenden Jahren, in ihrer Freizeit und ohne Entgelt, mit vereinter Kraft ein stattliches Kinderferienhaus. Am 9. Juli 1933 wurde die colonia estiva antifascista di Saint Cergues les Voirons eingeweiht. Sie bot Platz für mindestens 100 Kinder.[3]
In ihren ersten Jahren beherbergte die Kolonie in erster Linie vor allem die Söhne und Töchter von in der Region ansässigen italienischen Antifaschisten. Während des Spanischen Bürgerkriegs wurden auch erholungsbedürftige spanische Kinder aufgenommen. Die letzten Ferienkolonien unter italienischer Leitung fanden im Juli und August 1939 statt. Vereinzelt nahmen auch Kinder aus der Schweiz und aus Frankreich am Ferienlager teil.[4]
Die italienischen diplomatischen und konsularischen Vertretungen in Frankreich verfolgten die Aktivitäten im antifaschistischen Emigrantenmilieu sehr aufmerksam. Dabei wurde die Ferienkolonie in Saint Cergues ebenfalls als Bedrohung der eigenen angestrebten ideologischen Vormachtstellung empfunden. So verlangte das italienische Konsulat in Chambéry im Jahre 1938, in einem Bericht ans Aussenministerium in Rom, die Schaffung zusätzlicher Ferienplätze in den regimekonformen Ferienkolonien.[5]
Das Ferienhaus unter Leitung von Germaine Hommel
Der Zweite Weltkrieg läutete das Ende der italienischen Ferienkolonie ein. Durch den Kriegseintritt Italiens und die Niederlage Frankreichs und die verschärfte Bedrohungslage für die antifaschistischen Emigranten war an eine Weiterführung nicht zu denken.
Im selben Jahr übernahm Germaine Hommel für die Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für kriegsgeschädigte Kinder (SAK) (ab 1942 Kinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes) die Leitung der ehemaligen italienischen Kinderkolonie in Saint-Cergues-les-Voirons. Von nun an hieß das Haus „Les Feux follets“; es nahm meist jüdische Kinder auf. Im Zweiten Weltkrieg bekamen abgelegene Grenzdörfer eine wichtige strategische Bedeutung als Fluchtrouten für illegale Grenzübertritte. Germaine Hommel und ihre Stellvertreterin Renée Farny erklärten sich auf Anfrage von Rösli Näf bereit, Kinder im Heim zu verstecken und bei illegalen Grenzübertritten von Kindern (unter anderem von gefährdeten Jugendlichen aus der Kolonie Château de la Hille) und Erwachsenen in die Schweiz mitzuhelfen, um sie vor der Deportation in die Vernichtungslager zu retten.
Gegenwart
Im ehemaligen Ferienhaus entstanden nach Ende des Zweiten Weltkriegs Wohnungen. Eine Gedenktafel erinnert an die Geschichte des Hauses. [6]
Einzelnachweise
- ↑ Fabio Montella, “La vera Italia è all’estero”. Esuli antifascisti a Ginevra e nell’Alta Savoia. In: Diacronie. Studi di Storia Contemporanea, N. 5, 4/2010
- ↑ Elena Fussi Chiostergi, Vittorio Parmentola, Giuseppe Chiostergi. Diario Garibaldino ed altri scritti e discorsi, Milano 1965 (Associazione Mazziniana Italiana), S. 196
- ↑ Die Zahlen schwanken zwischen 100 (vgl. Montella, Fussnoten 1 und 5) und 114 (vgl. Chiostergi-Tüscher, Fussnote 4)
- ↑ Eugénie Chiostergi-Tüscher, L’antifascismo nell’immigrazione italiana a Ginevra, Genf 1975 (unveröffentlichtes Manuskript), abrufbar auf der Webseite des italienischen Konsulats in Genf (http://www.consginevra.esteri.it/Consolato_Ginevra/Menu/Il_Consolato/Storia_presenza_italiana/Storia/)
- ↑ Fabio Montella, “La vera Italia è all’estero”. Esuli antifascisti a Ginevra e nell’Alta Savoia. In: Diacronie. Studi di Storia Contemporanea, N. 5, 4/2010
- ↑ Elle en a vu passer des enfants, la colonie italienne…. In: Le Dauphiné Libéré, 6. November 2014
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Colonia estiva di Saint-Cergues les Voirons aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |