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Didyma
Didyma (heute Didim in der Türkei) war ein antikes Heiligtum im Westen Kleinasiens mit einer bedeutenden Orakelstätte des Gottes Apollon. Der hellenistische Apollontempel wird in seiner Größe in Ionien nur vom Heratempel im Heraion von Samos und dem Tempel der Artemis in Ephesos übertroffen. Er zählt zu den am besten erhaltenen Großbauten des Altertums.
Lage
Das Heiligtum liegt im heutigen Ort Didim im gleichnamigen Landkreis der türkischen Provinz Aydın. Didyma liegt in der Nähe der antiken Hafenstadt Milet an der Westküste Kleinasiens. Die natürliche Verbindung war der Seeweg. Zusätzlich wurde ab dem 6. Jahrhundert v. Chr. abseits der Küste eine Straße gebaut. Diese „Heilige Straße“ verband Milet mit Didyma. Ihr Name verweist auf ihren sakralen Charakter, da sie für Prozessionen bestimmt war.
Der Name
Die Herkunft des Namens „Didyma“ ist umstritten: er kommt entweder aus dem Karischen (und damit aus der Zeit vor der griechischen Besiedlung der kleinasiatischen Westküste) oder aus dem Griechischen (didymos heißt „Zwilling“, womit Apollon und Artemis gemeint sein dürften). Auf der Peloponnes im Gebiet der südöstlichen Argolis existiert ebenfalls ein Ort mit dem Namen Didyma, dort auf zwei Dolinen bezogen oder auf den Hausberg, der mit zwei Gipfeln ebenfalls Didymos benannt ist. Vielleicht wurde der Name also von einer Ortsbezeichnung aus dem griechischen Kernland übernommen, was auch für andere frühe griechische Gründungen an der kleinasiatischen Westküste vermutet wird.
Das Apollonheiligtum
Geschichte
Herodot und Pausanias[1] berichten, dass die Ionier um die Wende zum 1. Jahrtausend v. Chr. einwanderten und eine ältere Kultstätte übernahmen, an der in vorgriechischer Zeit eine weibliche Naturgottheit verehrt wurde. Bisher ist eine Gründungszeit im 2. Jahrtausend v. Chr. jedoch archäologisch nicht nachweisbar.
Die Kultlegende berichtet, dass Leto am Ort der Orakelstätte ihren Sohn Apollon von Zeus empfangen habe. Später erschien Apollon einem einheimischen Hirten namens Branchos, dem er die Sehergabe verlieh. Auf diesen Hirten führte sich das karische Priestergeschlecht der Branchiden zurück, die bis in die Zeit der Perserkriege Namensgeber und Vorsteher des Heiligtums waren. Daher kommt auch der frühere Name „Branchidai“; später wurden die Priester von Milet eingesetzt und gehörten zu angesehenen Familien der Stadt.
Das Orakel hatte schon im 7. Jahrhundert v. Chr. einen überregionalen Ruf. Dies belegt zum einen Herodot, der von Weihgeschenken des ägyptischen Pharao Necho und des Lyderkönigs Kroisos berichtet, zum anderen der tatsächliche Fund zahlreicher Weihgeschenke.
Herodot berichtet, dass nach dem Zusammenbruch des ionischen Aufstandes und dem Fall von Milet 494 v. Chr. der Perserkönig Dareios die Tempel von Didyma und das Orakel plünderte und in Flammen aufgehen ließ. Strabon und Pausanias berichten wiederum, dass Xerxes nach seiner Niederlage bei Plataiai 479 v. Chr. das Heiligtums von Didyma zerstörte. Die Branchiden sollen freiwillig die Tempelschätze dem Perserkönig übereignet haben und nach Persien geflohen sein. Archäologisch ist eine Brandzerstörung weder für 494 noch für 479 v. Chr. nachweisbar. Tatsache ist aber, dass für die nächsten 150 Jahre neue Baumaßnahmen aussetzten.
Im letzten Drittel des 4. Jahrhunderts v. Chr. wurde das zuvor regionale Heiligtum Bestandteil der Polis Milet. Milet gab den Auftrag zum Neubau des Apollontempels und setzte Jahresbeamte als prophetes und Opferpriester ein.
In römischer Zeit erweiterte Gaius Iulius Caesar den Asylbezirk. Angeblich versuchte Caligula, sich den Apollontempel anzueignen bzw. diesen fertigzustellen. Trajan ließ um 100 n. Chr. die Heilige Straße ausbauen und innerhalb des Heiligtums pflastern. Kaiser Hadrian war selbst Prophet im Heiligtum. Commodus ließ ab 177 n. Chr. die Kommodeia als Kaiserkult feiern.
Der religiöse Betrieb des Orakels kam im Verlauf des 4. Jahrhunderts zum Erliegen. In der Spätantike war Didyma Bischofssitz und wurde durch Kaiser Justinian I. mit dem Titel Iustinianopolis geehrt, bevor der Ort im Frühmittelalter einen rapiden Niedergang erlebte. Vom 10. bis 12. Jahrhundert war Didyma erneut Sitz eines Bischofs, und es lässt sich christliche Bautätigkeit nachweisen. Zweimal zerstörten Erdbeben Didyma, im 7. und im 15. Jahrhundert. Letzteres führte zur Aufgabe der Siedlung. Erst am Ende des 18. Jahrhunderts besiedelte man den Ort wieder.
Seit dem 18. Jahrhundert wird der Ort erforscht, zuerst durch englische, dann französische, schließlich durch deutsche Archäologen. Einzelne Fundstücke aus Didyma befinden sich im British Museum in London, im Louvre in Paris und im Pergamonmuseum in Berlin. Auch aktuell finden in Didyma Grabungen der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste und des Deutschen Archäologischen Instituts statt.
Architektur
Der hellenistische Großtempel hatte zwei Vorgängerbauten aus archaischer Zeit. Der eine Bau stammt aus der Zeit um 700 v. Chr., der andere aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. Bereits damals erhielt die Anlage eine von Säulen getragene Ringhalle, die in ihrer Gestalt das hellenistische Heiligtum vorwegnahm. Da das archaische Heiligtum unter den Steinmassen des hellenistischen Tempels liegt, ist relativ wenig darüber bekannt. Im Tempelhof sind noch Reste der Vorgängerbauten zu sehen.
Mit dem Bau des hellenistischen Heiligtums wurde um 330 v. Chr. begonnen. Es wird mit dem Besuch Alexanders des Großen in Milet 334 v. Chr. und der Eingliederung Didymas in die Polis Milet in Verbindung gebracht. Für die Planung des Tempels beauftragte man den milesischen Baumeister Daphnis und den führenden Architekten seiner Zeit, Paionios von Ephesos.
Der Tempel hat eine doppelte Ringhalle: der äußere Säulenring hat 10 × 21 Säulen, der innere 8 × 19 Säulen. Der Stylobat (oberste Stufe des Tempelunterbaus) hat eine Größe von ca. 51 m × 109 m. Die 120 ionischen Säulen sind 19,70 m hoch. Den oberen Abschluss bildete über dem Architrav ein Fries aus Ranken, Löwenfiguren und Medusenhäuptern.
Die Ringhalle erhebt sich auf einem siebenstufigen Unterbau, dem Stereobat. Sein Eingang liegt im Osten und führt über eine Freitreppe von 14 Stufen. Von dort gelangt man, nach dem Durchschreiten der Ringhalle, in die Vorhalle (Pronaos), die wegen ihrer 3 × 4 Säulen auch Zwölfsäulensaal (griechisch Dodekastylos) genannt wird. Anstelle einer Cellatür befindet sich hier ein über 14 Meter hohes unverschließbares Portal mit einer Schwelle von knapp 1,5 Metern Höhe. Sie war also unüberschreitbar. In das Innere des Tempels führen seitlich des Portals zwei Tunnelgewölbe. Diese Tunnelgänge sind die einzigen Zugänge.
Im Inneren des Tempels liegt ein Hof, der in Inschriften als Adyton bezeichnet wird. Im Westen des Hofes finden sich die Fundamente eines Baus mit einer Größe von 8,24 m × 14,23 m. Dieses Gebäude diente zum Schutz des Kultmals, einer Süßwasserquelle. Die Bedeutung dieser Quelle erschließt sich daraus, dass Didyma auf einem wasserarmen Kalkplateau liegt. An der Ostseite des Hofes führt zwischen den beiden erwähnten Tunnelgängen eine Freitreppe mit 24 Stufen zu einer Dreitürenwand (griechisch Trithyron). Diese Wand hat zwei korinthische Halbsäulen und bildet innerhalb des Hofes eine Außen- und Fassadenarchitektur. Gottfried Gruben bezeichnet sie als den „architektonischen Brennpunkt des Tempels“. Dahinter liegt ein Saal mit zwei gegenüberliegenden Treppenhäusern und dem so genannten Großen Portal. Auch hier sind die Schwellen mit einer Höhe von 50 Zentimetern relativ hoch und konnten nur mit Hilfsmitteln überschritten werden. Die Treppenhäuser werden labyrinthoi genannt. Der Bau wurde wohl nach eindeutig kultischen Vorgaben erstellt. Über die genaue Nutzung und Funktion gibt es allerdings nur Mutmaßungen.
Obwohl man etwa 600 Jahre am Tempel arbeitete, wurde er nie fertiggestellt. Strabon berichtet, der Tempel sei wegen seiner Größe ohne Dach geblieben. Tatsächlich fehlen die Dachzone des Pronaos und der nie vollendeten Ringhallen. Auch wurde die letzte Glättung der Wände nicht ausgeführt. So blieben dort umfangreiche antike Werkzeichnungen erhalten, die erst 1979 von Lothar Haselberger entdeckt wurden. Es handelt sich dabei offensichtlich um Arbeitspläne für Säulen, Gebälke und andere Details. In der Antike wurden die Wände vor der Ritzung mit Rötel eingerieben, so dass die Linien deutlich sichtbar waren. Die großflächigen Zeichnungen umfassen bis zu 25 Meter lange Geraden und Kreisbögen mit Radien bis zu 4,5 Metern. Die Linien sind mit Metallstichel, Lineal und Zirkel in die Oberfläche der Marmorquader geritzt und bis auf wenige Millimeter genau.[2]
Didyma gehörte zusammen mit Delphi, Dodona und Klaros zu den bedeutendsten griechischen Orakeln. Der genaue Ablauf beim Erteilen einer Prophezeiung ist nicht bekannt; ihre Endform in Versen erhielten die Orakelsprüche jedenfalls durch Priester. Die letzte große Blütezeit des Heiligtums war im 1. und 2. Jahrhundert.
Im Südosten des Tempels liegt ein Stadion, in dem man seit ca. 200 v. Chr. Wettkämpfe abhielt. Die Stufen des Stylobats an der südöstlichen Langseite des Tempels dienten dabei den Zuschauern als Sitzgelegenheit.
Bei Ausgrabungen in den Jahren 2010 und 2011 wurden die Überreste eines Theaters gefunden, in dem vermutlich die inschriftlich für Didyma bezeugten musischen Agone stattfanden.[3]
Aus Inschriften ist bekannt, dass es in Didyma einen Artemistempel gab. Seit 2012 werden Bauteile eines kleinen hellenistischen Tempels erforscht, der vermutlich der Göttin Artemis geweiht war. Außerdem wurde 2013 wahrscheinlich das Fundament dieses Tempels entdeckt.[4]
Literatur
- Klaus Tuchelt: Vorarbeiten zu einer Topographie von Didyma. 9. Beiheft zu den Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Abteilung Istanbul, 1973
- Lothar Haselberger: Bericht über die Arbeit am Jüngeren Apollontempel von Didyma. In: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Abteilung Istanbul. Bd. 33, 1983, S. 90–123.
- Klaus Tuchelt: Didyma-Branchidai. Zabern, Mainz 1991, ISBN 3-8053-1316-0.
- Helga Bumke, Alexander Herda, Elgin Röver, Thomas G. Schattner: Bericht über die Ausgrabungen 1994 an der Heiligen Straße von Milet nach Didyma. Das Heiligtum der Nymphen? In: Archäologischer Anzeiger. 2000, S. 57–97.
- Renate Bol, Ursula Höckmann, Patrick Schollmeyer (Hrsg.): Kult(ur)kontakte – Apollon in Milet/Didyma, Histria, Myus, Naukratis und auf Zypern. Akten des Table Ronde in Mainz vom 11.–12. März 2004. Marie Leidorf, Rahden/Westf. 2008, ISBN 978-3-89646-441-5 (Online, Registrierung erforderlich, abgerufen am 12. Januar 2014).
Weblinks
- Didyma (Aydın). Current Archaeology in Turkey. www.une.edu.au, 28. März 2011, abgerufen am 1. Februar 2012 (türkçe).
Anmerkungen
- ↑ Herodot 1, 157; Pausanias 7, 26.
- ↑ Lothar Haselberger: Aspekte der Bauzeichnungen von Didyma. In: Revue Archéologique. 1991, S. 99–113.
- ↑ Pressemitteilung des Deutschen Archäologischen Instituts: Antikes Theater entdeckt, 19. September 2011.
- ↑ Amory Burchard: Im Tempel der Artemis. In: Tagesspiegel, 3. November 2014.
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