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Edith Junghans
Edith Hahn, geborene Junghans (* 14. Dezember 1887 in Stettin; † 14. August 1968 in Göttingen) war eine deutsche Malerin, Zeichnerin und Kunsterzieherin. Sie studierte Kunst an der Königlichen Kunstschule zu Berlin und legte 1912 erfolgreich ihr Examen als Kunsterzieherin ab.[1] 1913 wurde sie die Ehefrau des deutschen Chemie-Professors Otto Hahn, den sie 1911 in Stettin kennengelernt hatte, und erwarb sich an der Seite ihres Mannes besondere humanitäre Verdienste in der Zeit des Nationalsozialismus. Durch ihr couragiertes Eingreifen und selbstloses Handeln, gelegentlich in akuter Lebensgefahr, konnte sie wesentlich zur Rettung von Bedrängten und Verfolgten der Hitler-Diktatur beitragen.[2][3]
Biographie
Kindheit, Schulzeit und Studium (1887-1912)
Edith Junghans wurde 1887 als einzige Tochter des angesehenen Rechtsanwalts und Notars Paul Ferdinand Junghans (1859-1915) und dessen Frau Emma Louise, geb. Johanning (1862-1928) in Stettin geboren. Sie verlebte eine behütete und glückliche Kindheit und wurde zunächst von Privatlehrern unterrichtet, mit dem Augenmerk auf eine 'französische Bildung' und dem Erlernen von Fremdsprachen, insbesondere Französisch und Italienisch. Danach absolvierte sie die private Höhere Mädchenschule Gesenius und erhielt bei ihrem Schulabschluss in allen Fächern die Note 'sehr gut', was ihr ein Studium an einer preussischen Hochschule gestattete. Der Vater, 1906 von Wilhelm II. zum königlichen Justizrat ernannt, kunstsinnig und schöngeistig gebildet, war auch politisch aktiv und ein führendes Mitglied der Nationalliberalen Partei in Pommern. Von 1907 bis zu seinem frühen Tod 1915 gehörte er als Stadtverordnetenvorsteher (Präsident des Stadtparlaments) zu den Honoratioren von Stettin und trat in seiner Position insbesondere als grosszügiger Förderer von Kunst und Wissenschaft in Erscheinung. Zu seinem Freundeskreis gehörten u.a. die Oberbürgermeister Hermann Haken und Friedrich Ackermann, der Archivar Gottfried von Bülow sowie der liberale Rabbi Heinemann Vogelstein. [4]
Schon als Kind fiel den Eltern, Lehrern und Freunden der Familie Ediths zeichnerisches Talent auf, die, nach anfänglichen Kritzeleien, ihre ersten ernstzunehmenden Bleistift- und Kohle-Zeichnungen bereits als Siebenjährige anfertigte. Mit sensibler Hingabe widmete sie sich in den Folgejahren der Aquarell- und Porträt-Malerei, die bis zum Ende ihrer künstlerischen Tätigkeit ihre grosse Leidenschaft war und ihre besonderen Fähigkeiten offenbarte.
„Edith Junghans war eine begabte Malerin. Sie fing bereits mit 10 (sic) Jahren an zu zeichnen; bemerkenswert ist, dass viele ihrer Bilder schon vor dem Besuch der Königlichen Kunstschule zu Berlin quasi unakademisch entstanden. Das eigentliche malerische Feld und die persönliche Stärke der Künstlerin sind ihre Stilleben, die - anknüpfend an den Realismus der Franzosen des 19. Jahrhunderts - fast schon eine Neue Sachlichkeit der 20er Jahre repräsentieren. Ihre Werke haben eine sehr persönliche Ausdruckssprache, Transparenz und leuchtende Farbgebung schaffen eine besondere Bildatmosphäre.[5] [6]“
Von 1907 bis 1912 studierte Edith Junghans an der Königlichen Kunstschule zu Berlin, mit dem Berufsziel Zeichenlehrerin und Kunsterzieherin zu werden. Die Semesterferien nutzte sie, unterstützt von ihren Eltern, zu langen "Kunst-Reisen" nach Frankreich und vornehmlich Italien. Dort - in Santa Margherita Ligure an der Riviera - entstand 1909 ihr einziges Selbstporträt, eine Bleistiftzeichnung in ihrem Skizzenbuch, die sie in ihrem Zimmer im "Grand Hotel Miramare" anfertigte.[7]
Heirat mit Otto Hahn (1913)
Im Juni 1911 lernte sie in Stettin den 32-jährigen Chemie-Professor Otto Hahn kennen, der an einer vom Verein Deutscher Chemiker organisierten Fachtagung teilnahm und den Hauptvortrag über "Eigenschaften des Mesothoriums und Radiothoriums" zu halten hatte. Otto Hahn erinnert sich:[8]
„Zum Abschluss des Kongresses fand eine grosse Dampferfahrt von Stettin zur Ostsee statt. Hier lernte ich ein Fräulein Edith Junghans kennen. Sie war auf Wunsch ihrer Eltern von Berlin, wo sie die Königliche Kunstschule besuchte, mit zu dem Ausflug gekommen, denn ihr Vater war Stadtverordnetenvorsteher in Stettin und musste bei dem Ausflug neben anderen leitenden Herren die Honneurs der Stadt mitmachen. [...] Ich setzte mich zu ihr und wich bis zur Rückkehr des Dampfers nach Stettin nicht von ihrer Seite. Ein weiteres Treffen ergab sich im Sommer, als Fräulein Junghans mit ihrer Schule eine vierwöchige Reise nach Rom machte. Bis zum nächsten Jahr blieb es beim gelegentlichen Briefwechsel.
Zur Pfingstzeit 1912 verabredeten wir uns im Ostseebad Misdroy, wo die Eltern von Fräulein Junghans die Festtage verbringen wollten. Wir trafen uns 'zur gegenseitigen Überraschung' - das hatten wir vorher miteinander ausgemacht - an der Uferpromenade. Dort wurde ich nun offiziell den Eltern vorgestellt. [...] Am 5. Oktober zeigte ich Fräulein Junghans in Berlin-Dahlem das gerade fertiggestellte Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie, und auf dem anschliessenden Spaziergang in den nahe gelegenen Grunewald verlobten wir uns. Die offizielle Verlobung fand in Stettin am 7. November 1912 statt.“
Zur Verlobung schenkte Edith ihrem Otto eine im September angefertigte Federzeichnung des Glambecksees nahe Stettin, in dem sie - einer Eintragung in ihrem Notizbuch zufolge - "oft mit Otto wild darin gebadet" hat. [9] Schwimmen, wie überhaupt alle Sportarten, die irgendetwas mit Wasser zu tun hatten, gehörten bereits seit Ediths Kindheit zu ihren grossen Leidenschaften, und sie hatte keinerlei Hemmungen auch bei eiskalten Temperaturen in Misdroy, wo die Eltern ein Sommerhaus besassen, in der Ostsee zu schwimmen. Otto Hahn hat diese Entschlossenheit seiner Frau, die ja von zarter, schlanker und eleganter Statur war, immer bewundert. Er selbst konnte ihren Neigungen nicht folgen und war - ganz im Gegensatz zu Edith - engagierter und passionierter Bergsteiger und Skiläufer.[10]
Otto Hahn schreibt in Mein Leben:[11]
„Meine Anstellung am Kaiser-Wilhelm-Institut war zunächst auf einige Jahre begrenzt. Nachdem aber im Institut eine Abteilung für Radioaktivität gegründet wurde, war es unwahrscheinlich, dass ich meine Stellung nach ein paar Jahren wieder verlieren würde. So konnte ich also ans Heiraten denken. Meine Hochzeit fand am 22. März 1913 in Stettin statt.“
Zur Hochzeit schenkte Edith Junghans ihrem Mann das 1910 entstandene Aquarell "Krug mit Buch". Dieses Bild - "das 'Genuss und Weisheit' symbolisiert, hat Otto Hahn auf allen Stationen seines Lebens begleitet" - resümiert die Kunsthistorikerin Brigitte Keller in ihrem Beitrag nach Eröffnung der »Edith-Junghans-Gedenkausstellung« anlässlich des 100. Geburtstages im Dezember 1987 in München.[12] [13]
Die Hochzeitsreise, nach einem kurzen Aufenthalt im Berliner Hotel Adlon, führte das junge Paar zunächst nach Südtirol und Bozen. In einem Brief vom 28. März an ihre Mutter schreibt Edith:[14]
„Wir waren am Nachmittag noch nach Meran gefahren, es war wunderschön und andauernd das herrliche Wetter. Eben haben wir uns mit Hilpert und Baeyer zu einem Spaziergang verabredet und um 4 Uhr geht's nach Riva, morgen San Vigilio. Es geht uns mächtig gut und wir sind schrecklich vergnügt. 1000 Grüsse zum Sonntag - Edith.“
Rückblickend schreibt Otto Hahn:[15]
„Von Bozen fuhren wir weiter zum Gardasee und machten Station in San Vigilio auf der stilleren Ostseite des Sees. San Vigilio mit seiner wundervollen Zypressenallee und das einfache und hübsche Hotel gefielen uns so gut, dass wir beschlossen, hier zu bleiben und nicht, wie geplant, nach Brioni zu fahren. Wenn der letzte Passagierdampfer den Ort abends verlassen hatte, waren wir mit einigen Malern fast allein.
Meine Frau, die eine grosse Schwimmerin war, bemühte sich, mich auch für das Wasser zu begeistern. Es war aber so kalt, dass ich fluchtartig wieder festen Boden suchte. So machten wir stattdessen Spaziergänge auf die schönen Anhöhen um San igilio herum und auf den alles überragenden Monte Baldo. Gelegentliche Dampferfahrten führten uns zu den vom Fremdenverkehr schon mehr erschlossenen Orten im Westen und Süden.
Im Anschluss besuchten wir in Wien die Naturforscherversammlung. Dort gab es einen offiziellen Empfang in der Hofburg, wo der alte Kaiser Franz Joseph eine kurze Ansprache hielt, aber bald wieder verschwand. Danach erschien eine Anzahl kaiserlicher Lakaien mit gefüllten Sektgläsern auf grossen Tabletts. Die paar hundert Gläser hatten im Handumdrehen ihre Liebhaber gefunden. Ich erinnere mich an die hochmütig heruntergezogenen Lippen der Lakaien und habe mich damals für diese Szene geschämt. Da später noch mehrmals Sekt gereicht wurde, kamen wohl alle Naturforscher und Ärzte zu ihrem Genuss, der im Jahre 1913 selten und teuer war.“
Berlin (1913-1933)
Nach der Rückkehr von ihrer Hochzeitsreise bezogen Edith und Otto Hahn ihre erste gemeinsame Wohnung in der Ladenbergstrasse 5 in Berlin-Dahlem nahe dem Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in der Thielallee. Die österreichische Physikerin Lise Meitner, Hahns Kollegin im KWI, schrieb während einer Arbeitspause eine Postkarte an Edith: "Wir trinken gerade sehr guten Kaffee und essen grossartige Schlagsahne. Ich habe mich gefreut von Ihrem Mann zu hören, dass Sie eine so schöne Zeit verbracht haben".[16] Mit Lise Meitner verband sie sehr bald eine herzliche, innige und lebenslange Freundschaft, die durch zahlreiche gegenseitige Einladungen und viele gemeinsame Unternehmungen - zum Beispiel Spaziergänge, Hausmusikabende, Opern- und Konzertbesuche - gepflegt wurde. Lise Meitner war auch Patin des 1922 geborenen einzigen Sohnes von Otto und Edith, Hanno, der später ein anerkannter Kunsthistoriker und Architekturforscher werden sollte. Otto Hahn erinnert sich:[17]
„Nach etwa 1914 oder 1/2 Jahr wollten wir gerne ein Kind bekommen. Dies bekamen wir allerdings erst 1922. Mein Test auf lebenden Samen war aber schon vorher absolut positiv. So weiss ich nicht, ob es an mir lag, dass unser Sohn erst nach dem Kriege kam. - Vielleicht waren es aber doch die Strahlen, wie ich dies vor allem auch bei Dr. W. Metzener glaube. Mein Studienkamerad Metzener war bei Knöfler[18] engagiert, um Mesothorium[19] anzureichern. Er arbeitete um 1910 herum mit sehr starken Präparaten. Er war verheiratet, resp. heiratete, als er diese Arbeiten anfing. Er bekam seine drei Kinder erst jahrelang später, nachdem er von Knöfler fort war. - Über die Arbeiten von Erbacher über Löslichkeit von Radium-Salzen wurde schon kurz gesprochen. Abgesehen von seinen erheblichen Handschädigungen scheint ihm nichts passiert zu sein: von seinen vier Kindern hat er wohl den grösseren Teil oder alle erst nach diesen Arbeiten bekommen. Auch das Frl. Schäfer, die lange Jahre bei uns das ThB aus eman. RdTh abholte, hatte zwar zeitweilig erheblich wunde Hände, z.T. durch Unvorsichtigkeit. Aber sie hat dann als Frau Born bald zwei nette Kinder bekommen.
Alles in allem scheint also die Gefahr nicht so gross oder mindestens nicht so andauernd zu sein, wie es mancherorts vermutet wird. Sehr viel gefährlicher werden natürlich in Zukunft Arbeiten mit stärksten Strahlenquellen sein. Da müssen die Bedingungen des Strahlenschutzes durch die kleinen elektrostatischen Ionenprüfer kontrolliert, vor allem das Blutbild regelmässig überprüft werden, wie letzteres bei uns im Institut seit einer Reihe von Jahren geschehen ist.“
In den 1920er Jahren, nachdem Otto Hahn 1924 zum Ordentlichen Mitglied der Preussischen Akademie der Wissenschaften und einige Zeit später zum Direktor des KWI für Chemie ernannt worden war, erfolgte der Umzug der Familie in die nahegelegene Altensteinstrasse 48, wo Otto und Edith Hahn ein eigenes, von dem Architekten Hermann Dernburg konzipiertes Haus bezogen. Ein Wohnen in der eher pompösen, neben dem KWI errichteten und zum Institut gehörenden Direktorenvilla lehnten beide ab, da sie befürchteten, ihre Privatsphäre würde in Zukunft darunter leiden. Otto Hahn, als Direktor des KWI, gestattete seiner Kollegin Lise Meitner in den ersten Stock der Direktorenvilla zu ziehen, wo nach einigen Umbauten eine Acht-Zimmer-Wohnung entstand, in der sie bis zu ihrer Emigration im Juli 1938 in einem komfortablen Ambiente wohnen konnte.
Im neuen Haus in der Altensteinstrasse 48 (heute am Otto-Hahn-Platz gelegen), in dem auch eine Haushälterin angestellt wurde, verlebten Edith und Otto, zusammen mit ihrem heranwachsenden Sohn Hanno eine glückliche Zeit. Sehr bald ergänzten auch mehrere Katzen und ein französischer Hirtenhund, ein Briard names 'Tommy' das familiäre Idyll. Im grossen Garten des Grundstücks wurde zusätzlich noch ein Gartenhaus errichtet, in das sich Otto Hahn gern zum Schreiben von wissenschaftlichen Texten zurückzog und um seiner Leidenschaft, dem Zigarrenrauchen , ungestört frönen zu können. Edith war eine entschiedene Gegnerin des Rauchens und konnte sich mit der Passion ihres Mannes nie anfreunden. Lediglich bei Abend-Einladungen und gesellschaftlichen Ereignissen, die ausschliesslich im sogenannten 'Herrenzimmer' des Anwesens stattfanden, ertrug sie, mehr oder weniger, diese "ungesunde Qualmerei".[20] [21]
Erster Logiergast im Hause Hahn war Lord Ernest Rutherford, Hahns verehrter Lehrer während seiner Zeit an der McGill University in Montreal, mit dem er zeitlebens in inniger Freundschaft verbunden war. Rutherford kam Anfang Mai 1929 einige Tage nach Berlin, um vor der Deutschen Chemischen Gesellschaft Vorträge über "Atomkerne und ihre Umwandlungen" zu halten und wohnte in dieser Zeit in der Altensteinstrasse. Am 5. Mai gaben Otto und Edith Hahn zu Ehren Rutherfords eine grosse Abendgesellschaft, zu der sie alle ihre Berliner Freunde eingeladen hatten. Wie man Ediths Gästebuch entnehmen kann, liest sich die Gästeliste wie ein 'Who is who' der Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts: Ernest Rutherford, Max Bodenstein, Willy Marckwald, Heinrich Wieland, Albert Einstein, Max Planck, Otto von Baeyer, Peter Pringsheim, Hans Geiger, Lise Meitner, Friedrich Adolf Paneth, Max von Laue, Walther Bothe, Kasimir Fajans. Fünf Gäste waren bereits Nobelpreisträger, zwei weitere sollten später ebenfalls ausgezeichnet werden. Einer der engsten Freunde der Familie Hahn fehlte allerdings an diesem denkwürdigen Abend: Fritz Haber, der aufgrund einer Vortragsreise verhindert war.[22] Nach seiner Rückkehr nach Cambridge schrieb Ernest Rutherford an Hahn:[23]
„Ich kam heute morgen um 10.15 Uhr nach einer sehr angenehmen Reise wieder zu Hause an. Im Zug hatten wir es sehr bequem, und ich schlief friedlich durch bis Harwich. Ich fühle mich sehr fit, habe schon einen guten Arbeitstag hinter mir und beeile mich noch, Dir meine gute Ankunft mitzuteilen. Es war wirklich wunderschön bei Dir zu Hause und in Berlin. Du und Deine Frau hättet Euch wirklich nicht besser um mein leibliches und seelisches Wohl kümmern können. Es war ein grosses Vergnügen, Dich und so viele alte Freunde unter solch angenehmen Umständen wiederzutreffen, und es war wirklich sehr nett von Dir, solch originelle Tischkarten vorzubereiten.“
In der Zeit des Nationalsozialismus (1933-1945)
Nach der Machtübertragung in Deutschland an Adolf Hitler und die NSDAP am 30. Januar 1933 begannen schwierige Zeiten für Otto und Edith Hahn. Beide lehnten das neue Regime ab. Da sie sich konsequent weigerten, obwohl immer wieder dazu aufgefordert, der Nazi-Partei beizutreten, wurden sie sehr bald der "politischen Unzuverlässigkeit" bezichtigt. Während ihr Mann im Februar eine Professur an der amerikanischen Cornell University in Ithaca, New York, antrat, versuchte Edith in Berlin das bisherige Leben so unverändert als möglich weiterzuführen und den Umgang mit Freunden zu intensivieren. Über viele Entscheidungen der neuen Regierung war sie zutiefst unglücklich und über verschiedene Massnahmen geradezu bestürzt. Als der Physiker James Franck, der zu ihrem Freundeskreis gehörte, im April 1933 freiwillig sein Amt als Ordinarius für Experimentalphysik an der Göttinger Universität niederlegte, war sie regelrecht schockiert. In seiner Begründung an den Universitätsrektor, in dem er den Preussischen Kultusminister um sofortige Entbindung seiner Amtspflichten bat, hatte Franck geschrieben:[24]
„Ich habe meine vorgesetzte Behörde gebeten, mich von meinem Amt zu entbinden. Ich werde versuchen, in Deutschland weiter wissenschaftlich zu arbeiten. Wir Deutschen jüdischer Abstammung werden als Fremde und Feinde des Vaterlandes behandelt. Man fordert, dass unsere Kinder in dem Bewusstsein aufwachsen, sich nie als Deutsche bewähren zu dürfen. Wer im Kriege war, soll die Erlaubnis erhalten, weiter dem Staat zu dienen. Ich lehne es ab, von dieser Vergünstigung Gebrauch zu machen, wenn ich auch Verständnis für den Standpunkt derer habe, die es heute für ihre Pflicht halten, auf ihrem Posten auszuharren.“
Ein Redakteur der Vossischen Zeitung kommentierte hierzu: "Der Schritt des Professors Franck könnte, wenn er auf allen Seiten ohne Eifer und Voreingenommenheit so gelesen wird, wie er gemeint ist, zur Selbstbesinnung helfen. Franck wäre aller Voraussicht nach von den zu erwartenden Massnahmen nicht betroffen worden. Er lehnt es ab, daraus für sich Nutzen zu ziehen. Er will keine Vorzugsbehandlung. Das Opfer, das er bringt, könnte zeigen, wohin der Weg führt, den man jetzt beschreiten will."
In einem Brief an ihre Freunde Ingrid und James Franck vom 22. April 1933 schreibt Edith:[25]
„Ich zergrüble und zermartere mich, was man wohl tun könnte. Und wenn ich Euch nicht so gern hätte, könnte ich Euch beneiden (und es ist wirklich nicht nur eine Phrase) dass Ihr Juden seid und so ganz das Recht auf Eurer Seite habt, und wir haben die Schmach und die unauslöschliche nie wiedergutzumachende Schande für alle alle Zeiten.
Und es hat bestimmt einen grossen Eindruck gemacht. Es freut Euch vielleicht zu hören, dass ich wohl 20 x von ganz verschiedenen Seiten gefragt worden bin: 'Haben Sie das von dem Prof. Franck gelesen?' Ich habe in unserer Ullsteinfiliale Mittwoch den ganzen Rest der Voss gekauft und an alle Leute geschickt, die ich noch nicht für ganz verloren halte, weil ich denke, Dein Brief müsste sie zur Besinnung bringen und ich hoffe, die ganze Welt wird darauf reagieren.“
Ein wahrhaft prophetischer Brief, der seit 1972 zum Bestand der Joseph-Regenstein-Bibliothek der University of Chicago gehört und von dieser in den vergangenen Jahrzehnten für zahlreiche Ausstellungen in den USA und Europa über die Hitler-Diktatur ausgeliehen wurde. (Die Regenstein-Bibliothek befindet sich sinnigerweise exakt an der Stelle des ersten, am 2. Dezember 1942 unter der Leitung von Enrico Fermi in Betrieb genommenen Kernreaktors Chicago Pile 1).
Otto Hahns Vorlesungen in Ithaca gingen im Juni 1933 zu Ende und er war zu einer Reise zu Vorträgen an mehreren amerikanischen Universitäten bis nach Kalifornien aufgebrochen. Aber als er von Edith alarmierende Nachrichten erhielt, vor allem über Schwierigkeiten im Haberschen Kaiser-Wilhelm-Institut für Physikalische Chemie, brach er seine Reise ab und kehrte vorzeitig nach Berlin zurück
„...um als ein von den Hitlergesetzen 'Nichtbetroffener' dort zu versuchen, so gut als möglich zu helfen. Die leitenden Herren des Instituts hatten ihre Stellung verloren oder waren in Gefahr, sie zu verlieren. - Ich ging zu Planck und schlug ihm vor, eine möglichst grosse Zahl anerkannter deutscher, nichtbetroffener Professoren zusammenzubringen, die einen gemeinsamen Protest gegen die Entlassung jüdischer oder partiell nichtarischer Kollegen zu verfassen und an den Kultusminister Rust oder sonstige offizielle Stellen schicken sollten. Ich hatte auch schon einige Freunde und Kollegen für eine derartige Aktion gefunden. Aber Geheimrat Planck antwortete mir: "Wenn heute 30 Professoren aufstehen und sich gegen das Vorgehen der Regierung einsetzen, dann kommen morgen 150 Personen, die sich mit Hitler solidarisch erklären, weil sie die Stellen haben wollen." Planck selbst war sehr unglücklich, sah aber keine Hilfsmöglichkeiten. [...] Als gebrochener Mann ging Haber nach Cambridge, wo er sehr freundlich aufgenommen wurde. Aber er war schon lange schwerkrank, den tiefen Schock konnte er nicht überwinden. Haber starb am 29. Januar 1934 in Basel. Einer Einladung von Professor Weizmann nach Palästina konnte er nicht mehr Folge leisten.[26] [27]“
Der Physiker und Nobelpreisträger Max von Laue, der zusammen mit seiner Frau Magda zum engsten Freundeskreis von Otto und Edith Hahn in Berlin gehörte, hob in einem Brief an Otto Hahn anlässlich dessen 80. Geburtstag hervor:[28]
„[...] Aber die Feuerprobe hatte unsere Freundschaft erst 1933 und danach zu bestehen. Über Hitler und den Nationalsozialismus dachten wir…dasselbe. Und wir setzten, was wir dachten, soweit möglich auch in Taten um. Wie oft hast Du, wie oft habe ich jüdischen Bekannten und anderen Verfolgten seelisch geholfen, indem wir sie allen Verboten zum Trotz besuchten und in unsere Häuser einluden. Auch praktischer Unterstützung wissen wir uns zu erinnern, indem wir, meist unabhängig voneinander, ihnen die Auswanderung erleichterten. In der Preussischen Akademie konnten wir mehrmals den Braunen einen Strich durch die Rechnung machen, z.B. bei Wahlen. Dies hatte, gegenüber dem Umfang des grauenvollen Geschehens, wenig zu bedeuten; für Weiteres reichte unser Einfluss nicht aus. Dein Meisterstück war es jedenfalls, als der Lise Meitner, für die wir alle gebangt hatten, die Flucht nach Holland gelang.“
(Fortsetzung folgt - bitte Geduld)
„Hahns waren einmal bei uns, und Frau Hahn erzählte, dass sie Hunderte von illegal in Berlin untergetaucht lebenden Juden kenne, die in Kohlekellern und Dachböden verborgen würden, aber dass sie langsam verhungerten, weil sie ja keine Lebensmittelkarten bekamen, keine Fleischmarken, keine Brotmarken. Da muss ich ungefähr 16 gewesen sein, das war, glaube ich, Anfang 1943 oder Ende 1942. Und während sich Hahns und meine Eltern darüber unterhielten, auch über die Gefahr bei Luftangriffen, dass die illegal in Berlin lebenden Juden ja immer in den Dachböden bleiben müssten – der Luftschutzkeller wegen – hatte ich den Eindruck, da müsste man doch etwas tun und habe dann eine Reihe von Freunden gewonnen. Wir sammelten teils eigene, teils fremde Lebensmittelkarten – haben natürlich niemand kennengelernt von den Empfängern – sondern ich brachte die nach Lichterfelde, wo Hahns wohnten, zu Frau Hahn, und sie hatte den Verteilungsmechanismus.“
Einzelnachweise
- ↑ Dietrich Hahn (Hrsg.): Otto Hahn - Leben und Werk in Texten und Bildern. Vorwort von Carl Friedrich von Weizsäcker. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1988. S. 91-101. ISBN 3-458-32789-4.
- ↑ Walther Gerlach, Dietrich Hahn: Otto Hahn – Ein Forscherleben unserer Zeit. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft (WVG), Stuttgart 1984. S. 108 f. ISBN 3-8047-0757-2.
- ↑ Jessica Hoffmann: Dahlemer Erinnerungsorte, Frank & Timme GmbH, 2007, S. 161 [1]
- ↑ Otto Hahn: Mein Leben. Die Erinnerungen des grossen Atomforschers und Humanisten. R. Piper Verlag, München-Zürich 1986. S. 99. ISBN 3-492-00838-0.
- ↑ Brigitte Keller: Edith Junghans - eine Gedenkausstellung. In: db-aktuell, Nr. 1, 1988. S. 4.
- ↑ Siehe auch: Katalog Edith Junghans (1887-1968), hrsg. von der Deutschen Bank, München 1988.
- ↑ Dietrich Hahn (Hrsg.): Otto Hahn - Leben und Werk in Texten und Bildern. Suhrkamp-Insel Verlag, Frankfurt am Main 1988. S. 91. ISBN 3-458-32789-4.
- ↑ Otto Hahn: Mein Leben. R. Piper Verlag, München-Zürich 1986. S. 99 f. ISBN 3-492-00838-0.
- ↑ Dietrich Hahn (Hrsg.): Otto Hahn - Leben und Werk in Texten und Bildern. Suhrkamp-Insel Verlag, Frankfurt am Main 1988. S. 95. ISBN 3-458-32789-4.
- ↑ Dietrich Hahn (Hrsg.): Otto Hahn - Begründer des Atomzeitalters. Eine Biographie in Bildern und Dokumenten. Paul List Verlag, München 1979. S. 116-118. ISBN 3-471-77841-1.
- ↑ Otto Hahn: Mein Leben. R. Piper Verlag, München-Zürich 1986. S. 102. ISBN 3-492-00838-0.
- ↑ Brigitte Keller: Edith Junghans - eine Gedenkausstellung. In: db-aktuell, Nr. 1, 1988. S. 4).
- ↑ Siehe auch: Karl Ude: Die Malerin, die mit einem Nobelpreisträger verheiratet war. In: Süddeutsche Zeitung (Feuilleton), 1. Dezember 1987.
- ↑ Edith Hahn an Emma Junghans, 28. März 1913. In: Dietrich Hahn (Hrsg.): Otto Hahn - Leben und Werk in Texten und Bildern. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1988. S. 100. ISBN 3-458-32789-4.
- ↑ Otto Hahn: Mein Leben. R. Piper Verlag, München-Zürich 1986. S. 103. ISBN 3-492-00838-0.
- ↑ Lise Meitner an Edith Hahn, 15. Mai 1913. In: Dietrich Hahn (Hrsg.): Otto Hahn - Leben und Werk in Texten und Bildern. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1988, S. 102. ISBN 3-458-32789-4.
- ↑ Otto Hahn: Erlebnisse und Erkenntnisse. Mit einer Einführung von Prof. Karl Erik Zimen. Econ Verlag, Düsseldorf-Wien 1975, S. 49. ISBN 3-430-13732-2.
- ↑ (Anm.: Dr. Otto Knöfler & Co., Chemische Fabrik in Plötzensee bei Berlin)
- ↑ (Anm.: Mesothorium war das Isotop Radium 228, das Otto Hahn 1907 entdeckt hatte)
- ↑ Herbert Uniewski: "Wenn Du stirbst will auch ich tot sein." - 17 Tage nach dem Tode des berühmtesten deutschen Nobelpreisträgers starb in Göttingen auch seine Frau. In: STERN, Nr. 36, 1968.
- ↑ Siehe auch: Monika Scholl-Latour, Oskar Menke: "Einer langen Liebe Reise in die Nacht." - Nach 55 Jahren glücklicher Ehe verstarben Otto und Edith Hahn in Göttingen. In: Jasmin, Nr. 38, 1968.
- ↑ Siehe: Gästebuch von Otto und Edith Hahn, Eintrag vom 5. Mai 1929, mit allen Unterschriften der Gäste. In: Dietrich Hahn (Hrsg.): Otto Hahn - Begründer des Atomzeitalters Eine Biographie in Bildern und Dokumenten. Paul List Verlag, München 1979. S. 122. ISBN 3-471-77841-1.
- ↑ Ernest Rutherford an Otto Hahn, 9. Mai 1929. In: Dietrich Hahn (Hrsg.): Otto Hahn - Leben und Werk in Texten und Bildern. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1988. S. 139. ISBN 3-458-32789-4.
- ↑ Professor Franck legt sein Amt nieder - Freiwilliger Schritt des Göttinger Nobelpreisträgers, Vossische Zeitung, 18. April 1933.
- ↑ Edith Hahn an Ingrid und James Franck, 22. April 1933. (The Joseph Regenstein Library, University of Chicago). In: Dietrich Hahn (Hrsg.): Otto Hahn - Leben und Werk in Texten und Bildern. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1988. S. 144. ISBN 3-458-32789-4.
- ↑ Otto Hahn: Mein Leben. R. Piper Verlag, München-Zürich 1986. S. 145. ISBN 3-492-00838-0.
- ↑ Siehe auch: Otto Hahn: Zur Erinnerung an die Haber-Gedächtnisfeier vor 25 Jahren. In: Mitteilungen aus der Max-Planck-Gesellschaft, Nr. 1, 1960. S. 3.
- ↑ Max von Laue an Otto Hahn, 8. März 1959. In: Dietrich Hahn (Hrsg.): Otto Hahn - Leben und Werk in Texten und Bildern. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1988. S. 150. ISBN 3-458-32789-4.
- ↑ Wolf Jobst Siedler: Mündliche Äußerung. In: Reichshauptstadt privat – Ein Sittenspiegel. Folge 4. ‚Die Großstadt als Fuchsbau.‘. Zeitzeugen schildern die Jahre 1941 bis 1945. Ein Film von Horst Königstein. Gesendet am 25. Oktober 1987 im Bayerischen Fernsehen.
Personendaten | |
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NAME | Junghans, Edith |
ALTERNATIVNAMEN | Hahn, Edith (Ehemame) |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche Malerin |
GEBURTSDATUM | 14. Dezember 1887 |
GEBURTSORT | Stettin |
STERBEDATUM | 14. August 1968 |
STERBEORT | Göttingen |
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