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Fundamentalismus

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Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Die philosophische Position wird unter Erkenntnistheoretischer Fundamentalismus erläutert.

Fundamentalismus (von engl. fundamentalism, zusammengesetzt aus fundamental und -ismus; abgeleitet von lateinisch fundamentum ‚Unterbau‘, ‚Basis‘, ‚Fundament‘) ist eine Überzeugung, Anschauung oder Geisteshaltung, die sich durch ein kompromissloses Festhalten an ideologischen oder religiösen Grundsätzen kennzeichnet und das politische Handeln bestimmt.[1] Im ursprünglichen Sinne bezeichnet Fundamentalismus eine Richtung und Bewegung des amerikanischen Protestantismus, die davon ausgeht, dass die Bibel als unmittelbares Wort Gottes irrtums- und fehlerfrei sei.[2] Im weiteren Sinne bezeichnet Fundamentalismus eine übersteigerte Form ethnisch-kultureller oder religiöser Identität,[3] die sich oft durch extremen Traditionalismus und Autoritarismus auszeichnet.

Insbesondere nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wurde Fundamentalismus auch zu einem politischen Schlagwort insbesondere für islamistische Bestrebungen. Im weiteren Sinne verhält sich der Fundamentalismus gegenüber der Moderne „ambivalent“[4] bis ablehnend und fordert eine Rückbesinnung auf die Wurzeln einer bestimmten Religion oder Ideologie, welche notfalls mit radikalen und teilweise intoleranten Mitteln durchgesetzt werden soll. Der Vorwurf des Fundamentalismus wird auch auf soziale oder politische Gruppen bezogen, die – angeblich oder tatsächlich – ihre ideologische Orientierung absolut setzen und um die gesellschaftliche Vormacht kämpfen. Fundamentalismus wird durch eine stark polarisierte Auslegung einer Letztbegründung umgesetzt und geht häufig gegen Andersgläubige..

Ursprung des Begriffs

Das Wort Fundamentalismus trat erstmals im Zusammenhang mit einer von Reuben Archer Torrey herausgegebenen Schriftenreihe The Fundamentals A Testimony to the Truth[5] auf, die sich gegen liberale Theologie und insbesondere die historisch-kritische Methode wandte. Zu den Autoren gehörten namhafte konservative Theologen wie Benjamin Breckinridge Warfield. Die fünf wesentlichen Punkte ihrer Haltung wurden 1910 von der Generalkonferenz der presbyterianischen Kirche zusammengefasst:[6]

Die in den Fundamentals vertretene Haltung genügt nicht, um den christlichen Fundamentalismus trennscharf zu definieren. Von anderen Strömungen unterscheidet sich der christliche Fundamentalismus durch eine biblizistische Auslegung der Bibel, die so eng mit dem Heilsglauben verbunden ist, dass andersdenkenden Christen ihr Christsein abgesprochen wird. Ergänzend kommen dazu eine konservative politische Haltung und der Wille, religiös begründete Überzeugungen auch politisch durchzusetzen.[7]

Fundamentalistisches Denken und Konflikt mit dem Umfeld

Soziologisch wird Fundamentalismus – nicht nur der christliche, aus dem der Begriff sich ableitet – als Ausprägung einer radikalen Denkhaltung gesehen. In dem Maße, wie eine fundamentalistische Ausprägung von Denken oder Glauben Handlungsnormen ableitet, deren individuelle und soziale Gültigkeit über den Kreis von Anhängern des jeweiligen Denkens, Glaubens oder deren Ideologie hinausgeht, ist schon durch die Art der Begründung der Normen der Konflikt mit dem Umfeld vorgezeichnet.

Fundamentalismus versteht sich in der Regel als Reaktion auf eine Aufweichung von Überzeugungen, die am Anfang des jeweiligen Glaubens oder Ideologie standen. Die Anpassung an aktuelle Lebensumstände oder den ethischen Kompromiss erscheinen in einem fundamentalistischen Weltbild als problematisch bis unmöglich. Diese Anpassungen versteht der Fundamentalismus als Verrat an dem Gründungsverständnis des Glaubens oder der Ideologie. In diesem Sinne kann Fundamentalismus immer wieder an Grenz- und Vermischungszonen zwischen den Hochreligionen entstehen, in denen sich Vertreter von Minderheiten gegen die von ihren Glaubensbrüdern bereits teilweise oder ganz vollzogene Assimilation wehren und sich auf ihre Glaubenswurzeln besinnen. Insbesondere kann Fundamentalismus als teilweise oder ganze Ablehnung der Moderne mit ihrer Globalisierung und Kommerzialisierung wichtiger Lebensbereiche, ihrem Werterelativismus, Individualismus und Rationalismus verstanden werden. Anders als der Traditionalismus, der die überkommenen kulturellen und sozialen Traditionsbestände gegen Veränderungen zu verteidigen trachtet, versucht der Fundamentalismus ihre Infragestellung durch die Moderne rückgängig zu machen. Insofern ist er selber ein Phänomen der Moderne.[8][9] Kritik am Fundamentalismus wird zuerst im Zeitalter der Aufklärung geübt. So kritisiert z. B. der Deist Benjamin Franklin das religiöse Eiferertum der aus seiner Sicht rückständigen, autoritätshörigen deutschen und böhmischen Einwanderer in Pennsylvania, die er als eine Colony of Aliens beschrieb.[10]

In der von Max Weber beschriebenen modernen Gesellschaft folgt diese Polarisierung der Normbegründung dem Gegensatz der von ihm ebenfalls beschriebenen Konzepte einer Gesinnungsethik und einer Verantwortungsethik.

Der Fundamentalismus schafft eine Konfliktlinie, entlang derer der Begriff des Pluralismus zum Vorwurf an die Adresse derjenigen wird, die historische Anpassungsprozesse für unabdingbar ansehen. Im Gegenzug erfährt der Begriff des Fundamentalismus seine polemische Verwendung, indem er für eine Unfähigkeit zum Kompromiss oder eine Unfähigkeit zur Anpassung an sich wandelnde Lebensumstände steht, wobei zugleich bestritten wird, dass die fundamentalistische Haltung dem Gründungsverständnis des Glaubens oder der Ideologie tatsächlich gerecht werde.

Da jeder Glaube und jede Ideologie schon durch den Prozess des Verstehens und der Aneignung durch jedes denkende und glaubende Subjekt (Hermeneutik) das Gründungsverständnis verändern und auf die historische Situation hin anpassen, gebiert jede Überzeugung in ihrer Anhängerschaft im Laufe der Geschichte Adaption und Fundamentalismus gleichermaßen.

Weitere Begriffsverwendung

Im populären Sprachgebrauch werden unter dem Begriff Fundamentalismus zuweilen unterschiedslos konservative religiöse Gruppen, gewalttätige Mitglieder einiger Volksgruppen mit mehr oder weniger religiöser oder religiomorpher Motivation oder Terroristen zusammengefasst. Auch diese Unschärfe macht diesen Begriff problematisch.

So schreibt der Historiker Hartmut Lehmann: Bisher ist offen, ob der Begriff Fundamentalismus zu mehr taugt als zu Polemik.[11] Obwohl es unter den genannten Gruppentypen Überschneidungen gibt, lassen sie sich nicht prinzipiell gleichsetzen. Auch büßt der Begriff an Bedeutung ein, wenn nicht auf die jeweiligen Fundamente Bezug genommen wird. Fundamentalisten charakterisiert man im Allgemeinen dadurch, dass sie sich auf bestimmte konkrete Grundlagen (oder das, was sie darunter verstehen) ihrer Religion (oder gelegentlich auch im weiteren Sinne verwendet: ihrer Partei, Ideologie) beziehen und darüber keine Diskussion zulassen.

Mit dem Begriff können Intoleranz, Radikalismus und auch daraus entstehende Gewaltbereitschaft suggeriert werden, wobei dies teilweise dem geäußerten Selbstverständnis der Gruppe entspricht, teilweise nicht.

Abweichend von seiner ursprünglichen Beschränkung auf religiöse Dogmen wird der Begriff auch auf säkulare Ideologien bezogen.[12] Dies geht auf einen formalen Fundamentalismusbegriff zurück, nach dem eine soziale Bewegung als fundamentalistisch einzustufen ist, wenn sie ihre religiöse, ethnische oder ideologische Orientierung absolut setzt und zugleich expansiv um die Kontrolle eines ihr übergeordneten gesellschaftlichen Machtzentrums kämpft.[13] Entsprechend wird – meist kritisch oder abwertend – von grün-alternativem Fundi oder Marktfundamentalismus gesprochen.[14]

Selbstverständnis und Ausrichtungen

Fundamentalismus, der als eine grundsätzliche Gegenbewegung gegen die Moderne gesehen werden kann, sieht die grundlegenden Prinzipien einer Religion durch Relativismus, sexuelle Selbstbestimmung, Pluralismus, Historismus, Toleranz und das Fehlen von Autorität gefährdet. Ein Mittel dazu sieht er im politischen Engagement. Einige fundamentalistische Gruppen greifen die in westlichen Ländern übliche Trennung von Religion und Staat bzw. Kirche und Staat an, um ihre Ziele auch mit staatspolitischen Mitteln durchsetzen zu können, andere vertreten eine strikte Trennung von Religion und Staat, wiederum andere vertreten eine weltanschauliche Neutralität des Staates sowohl Religionen wie nicht-religiösen Weltanschauungen gegenüber.

Eine fundamentalistische Weltanschauung ist oftmals geprägt durch ein dualistisches Konzept des Niedergangs, nach dem die Anhänger des Wahren und Guten im Kampf gegen die Schlechten, das Böse, Andersdenkenden und anders Gläubigen begriffen sind.

Strittig ist insbesondere die Abgrenzung zu Anhängern konservativer oder orthodoxer Richtungen von Religionen (Orthodoxie) oder Ideologien. Diese stehen ebenfalls gegenwärtigen Entwicklungen kritisch oder ablehnend gegenüber, nehmen dabei aber eine eher moderate Haltung ein. Konservative und Orthodoxe wollen auch eher die real existierenden Traditionen ihrer unmittelbaren Vorfahren fortsetzen, während Fundamentalisten mindestens für ihre eigenen Mitglieder, teilweise für die Gesellschaft als Ganzes, zu einem angenommenen Urzustand vergangener Zeiten zurücklenken zu können meinen.

Charakteristisch für den Fundamentalismus ist ferner die oft kritiklose Rezeption heiliger Texte bzw. die Ablehnung kritischer, wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit religiösen Texten (siehe Verbalinspiration).

Religionssoziologisch bilden die Fundamentalisten oft kleinere Gruppen innerhalb großer Religionen, die sich von der Mehrheit absetzt, weil diese die grundlegenden Prinzipien der Religion verraten habe. Versteht man Fundamentalismus als eine Bewegung zurück zu den Quellen der Religion, so waren die Reformatoren wie die Humanisten mit ihrer Forderung Zurück zu den Quellen! auch eine Art Fundamentalisten. Islamwissenschaftler wie zum Beispiel Olivier Roy (u. a. in seinem Buch Der islamische Weg nach Westen – Globalisierung|Entwurzelung|Radikalisierung, dt. Ausg. Pantheon 2006) unterschieden im Islamismus unter anderem einen militanten Islamismus (oder islamistischen Terrorismus) und einen Neofundamentalismus.

Solche Gruppen können theologisch Fundamentalisten sein, aber sie kommen ebenso unter neuen religiösen Bewegungen vor. (Siehe auch: Totalitarismus)

Religiöse Ausprägungen

Literatur (chronologisch)

  • Thomas Meyer: Fundamentalismus: Aufstand gegen die Moderne. Reinbek bei Hamburg 1989, ISBN 3-499-12414-9.
  • Martin Riesebrodt: Fundamentalismus als patriarchalische Protestbewegung: amerikanische Protestanten (1910-28) und iranische Schiiten (1961–79) im Vergleich. Tübingen 1990, ISBN 3-16-145669-6.
  • Stephan Pfürtner: Fundamentalismus – Die Flucht ins Radikale. Herder, Freiburg im Breisgau 1991, ISBN 3-451-04031-X.
  • Helmut Dubiel: Der Fundamentalismus der Moderne. In: Merkur, 1992, Heft 9, S. 0447–0762, ISBN 3-12-973522-4.
  • Hubertus Mynarek: Denkverbot – Fundamentalismus in Christentum und Islam. 1992, ISBN 3-926901-45-4.
  • Martin E. Marty, R. Scott Appleby (Hrsg.): Fundamentalisms observed. (The Fundamentalism project; v. 1). University of Chicago Press, Chicago u. a. 1994, XVI, ISBN 0-226-50878-1.
  • Andreas Becke: Fundamentalismus in Indien? Säkularismus und Kommunalismus am Beispiel von Ayodhya. In: Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft, 78. Jahrgang, 1994, Heft 1, S. 3–24, ISSN 0044-3123
  • Martin E. Marty, R. Scott Appleby (Hrsg.): Fundamentalisms and the State. Remaking Polities, Militance, and Economies. (The Fundamentalism project; v. 3). University of Chicago Press, Chicago u. a. 1996, IX, ISBN 0-226-50884-6.
  • Hubert Schleichert: Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren. Anleitung zum subversiven Denken. München: Beck, 1997
  • Olivier Roy: The Failure of Political Islam. Tauris, London 1999, ISBN 1-85043-880-3.
  • Karen Armstrong: The Battle for God, London 2000; deutsche Ausgabe: Im Kampf für Gott – Fundamentalismus in Christentum, Judentum und Islam, München 2004, ISBN 3-88680-769-X.
  • Stephan Holthaus, Fundamentalismus in Deutschland: Der Kampf um die Bibel im Protestantismus des 19. und 20. Jahrhunderts. 2. Auflage. Bonn: Verlag für Kultur und Wissenschaft, 2003, ISBN 3-932829-85-9.
  • Karen Armstrong: Im Kampf für Gott. Fundamentalismus in Christentum, Judentum und Islam. Siedler, München 2004, ISBN 3-88680-769-X.
  • Olivier Roy: Der islamische Weg nach Westen. Globalisierung, Entwurzelung und Radikalisierung. Pantheon, München 2006, ISBN 3-570-55000-1.
  • Clemens Six, Martin Riesebrodt, Siegfried Haas (Hrsg.): Religiöser Fundamentalismus. Vom Kolonialismus zur Globalisierung. StudienVerlag, Innsbruck u. a. 2004, ISBN 3-7065-4071-1.
  • Thomas Schirrmacher, Fundamentalismus. Wenn Religion zur Gewalt wird, SCM Hänssler, Holzgerlingen 2010, ISBN 978-3-7751-5203-7.
  • Harald Schmid: Religiöse und säkulare Bedrohungsnarrative. Zu einer Typologie des Fundamentalismus. In: Sir Peter Ustinov Institut (Hrsg.): Fundamentalismus: Aktuelle Phänomene in Religion, Gesellschaft und Politik, Wien 2011, S. 35–47.

Weblinks

Wiktionary: Fundamentalismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Fundamentalismus in duden.de, abgerufen am 20. September 2017.
  2. „Fundamentalismus“, DWDS, abgerufen am 21. September 2017.
  3. Oliver Hämmig: Zwischen zwei Kulturen: Spannungen Konflikte und ihre Bewältigung bei der zweiten Ausländergeneration. Springer Verlag 2013, S. 130.
  4. Jan Ross: Was ist Fundamentalismus?; Die Zeit Ausgabe Nr. 40/2001
  5. Reuben Archer Torrey (Hrsg.): The Fundamentals A Testimony to the Truth
  6. J. I. Packer: Fundamentalism and the Word of God, London, Inter-Varsity Press, 1958
  7. Reinhard Hempelmann (Hrsg.) Panorama der neuen Religiosität, S. 423ff, Gütersloh, 2005, ISBN 3-579-02320-9.
  8. Thomas Meyer, Fundamentalismus. Eine Einführung, VS Verlag, Wiesbaden 2009.
  9. Gottfried Küenzlen, s.v. Fundamentalismus II. Religionsgeschichtlich, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Auflage, (Studienausgabe) UTB, Band 3, S. 415.
  10. Simon Schama, The American Future: From the Pilgrim Fathers to Barack Obama. 2. Auflage. Lonson: Vintage 2009, S. 240 f.
  11. Hartmut Lehmann: Einführung. In: Hartmut Lehmann, Ruth Albrecht (Hrsg.): Geschichte des Pietismus. 4. Band: Glaubenswelt und Lebenswelten. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004, S. 11.
  12. Hans-Heinrich Nolte: Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. Böhlau, Wien 2009, ISBN 978-3-205-78402-9, S. 67.
  13. Heinrich Schäfer: Fundamentalismen in religiösem und säkularem Gewand. Der Kampf um Deutungshoheit in einer globalen politischen Kultur. In: Fritz Erich Anhelm (Hrsg.): Vernünftiger Glaube zwischen Fundamentalismus und Säkularismus. Protestanten in der globalisierten Welt. (Loccumer Protokolle 34/08). Rehburg-Loccum: Evangelische Akademie 2008: 19–42, S. 24.
  14. Manfred Prisching: Fundamentalismus aus der Sicht der Sozialwissenschaften. In: Kurt Salamun (Hrsg.): Fundamentalismus „interdisziplinär“. LIT, Wien 2005, ISBN 3-8258-7621-7, S. 243–294, insb. 244, 284.
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