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Günther Rühle

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Günther Rühle (* 3. Juni 1924 in Gießen; † 10. Dezember 2021 in Bad Soden[1]) war ein deutscher Kritiker, Publizist und Intendant. Als Feuilletonchef großer deutscher Tageszeitungen galt Rühle ab den 1960er Jahren als einer der einflussreichsten Theaterkritiker.[2] Von 1985 bis 1990 leitete er als Intendant das Schauspiel Frankfurt.

Günther Rühle war Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland. Von 1993 bis 1999 war er Präsident der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste in Frankfurt, später deren Ehrenpräsident. 2009 wurde der im Rahmen der Woche junger Schauspielerinnen und Schauspieler verliehene Preis für die beste darstellerische Leistung in Günther-Rühle-Preis umbenannt.

Sein Werdegang

Familie, Kindheit und Jugend

Günther Rühle wurde als Sohn eines Wirtschaftsprüfers geboren. Er wuchs zunächst bis 1935 in Weilburg an der Lahn auf, dann in Bremen, wo er von 1935 bis 1942 das Alte Gymnasium besuchte. Im Juli 1942 wurde er zum Arbeitsdienst eingezogen und ab Oktober 1942 zum Kriegsdienst bei der Luftwaffe (Flak). 1946 holte er an seinem Bremer Gymnasium das Abitur nach. Ein berühmter Vorfahre Rühles war der preußische General und Freund Heinrich von Kleists, Otto August Rühle von Lilienstern.[3]

Theaterkritiker

Von 1946 bis 1952 studierte er Germanistik, Geschichte und Volkskunde an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Nach seiner Promotion wechselte er 1953 als Journalist zur Frankfurter Rundschau. 1954 ging er in die Feuilleton-Redaktion der Frankfurter Neuen Presse. Seit seinem Eintritt bei der FAZ 1960 entwickelte sich Rühle zum einflussreichen Theaterkritiker. 1974 übernahm er dort die Leitung der Feuilleton-Redaktion. 1990 wurde Rühle Feuilletonchef des Berliner Tagesspiegels.

Intendant

1984 gewann ihn der damalige Frankfurter Kulturdezernent Hilmar Hoffmann als Nachfolger für den ausscheidenden Adolf Dresen. Von 1985 bis 1990 war er dessen Nachfolger als Intendant des Schauspiels Frankfurt. Rühle verpflichtete Michael Gruner und Dietrich Hilsdorf als Hausregisseure, entdeckte Schauspieler wie Martin Wuttke und Thomas Thieme und förderte den Regisseur und Dichter Einar Schleef. 1985 inszenierte Dietrich Hilsdorf das umstrittene Fassbinder-Stück Der Müll, die Stadt und der Tod in den Kammerspielen des Schauspiels Frankfurt, und es kam auf Grund behaupteter antisemitischer Tendenzen im Stück zum Eklat. Mit einer Besetzung der Bühne durch 30 Mitglieder v. a. der Jüdischen Gemeinde wurde die Premiere am 31. Oktober 1985 verhindert. Rühle setzte eine Aufführung für ca. 200 Kritiker und Beschäftigte des Schauspiels für den 4. November an, die vom Verlag als Uraufführung gewertet wurde. Die Frankfurter Rundschau schrieb am 5. November 1985: „Das Frankfurter Theater hat es auf sich genommen, … den Beweis (zu) erbringen …, dass Faßbinders Szenen nicht von einer antisemitischen Grundhaltung bestimmt sind.“[4] Aufgrund der anhaltenden Proteste wurde das Stück abgesetzt, weil die Sicherheit des Publikums nicht zu gewährleisten war.

Für den aus der DDR stammenden Regisseur Einar Schleef brachte die Frankfurter Zeit in der Intendanz von Günther Rühle den künstlerischen Durchbruch. Rühle hielt zu Schleef und sicherte ihm kontinuierliche Arbeitsmöglichkeiten zu – trotz anfänglichen Misserfolgs der Inszenierungen und heftiger Angriffe seitens der Frankfurter Theaterkritik gegen Schleef. 1988 wurde das Schauspiel Frankfurt jedoch mit Schleefs Inszenierung Vor Sonnenaufgang zum Berliner Theatertreffen eingeladen.

1989 bot Hilmar Hoffmann dem Intendanten Rühle eine Vertragsverlängerung um drei Jahre an; Rühle lehnte ab und begründete dies mit den durchweg negativen Reaktionen der Frankfurter Presse auf die Aufführungen an seinem Haus.[5] Seine Amtszeit endete mit der Spielzeit 1989/90.

Publizistische Tätigkeit

Ab 1995 arbeitete Rühle als freier Publizist. Er war Hauptherausgeber der Werkausgabe in Einzelbänden von Alfred Kerr bei S. Fischer, Präsident der Alfred-Kerr-Stiftung in Berlin und Herausgeber der Gesammelten Werke von Marieluise Fleißer bei Suhrkamp. 1988 erschien Rühles zweibändiges Werk zur Geschichte der deutschen Theaterkritik: Theater für die Republik. Im Spiegel der Kritik.

Der erste Band seiner zu Lebzeiten zweibändigen Dokumentation der deutschen Theatergeschichte Theater in Deutschland 1887 bis 1945. Seine Ereignisse – seine Menschen erschien 2007 im Verlag S. Fischer; 2014 folgte der zweite Band, der die Jahre von 1945 bis 1966 umfasst. Das Werk wird wegen der enormen Detailkenntnis und der anschaulichen Darstellung von der Kritik nahezu einhellig gelobt und gilt als theatergeschichtliches Standardwerk.[6] Ein auf Rühles Bitte von Hermann Beil und Stephan Dörschel vollendeter dritter Band soll postum erscheinen.[7]

Günther Rühle starb im Dezember 2021 im Alter von 97 Jahren.

Auszeichnungen und Ehrungen

Rühle war Ehrenbürger der Stadt Bensheim.[8]

Schriften (Auswahl)

  • Theater in unserer Zeit, 3 Bände: Suhrkamp, Frankfurt am Main 1976/1982/1992
  • als Hrsg.: Bücher, die das Jahrhundert bewegten. Zeitanalysen, wiedergelesen. Piper, München 1978, ISBN 3-492-02399-1; Fischer TB 5008, Frankfurt 1980, ISBN 3-596-25008-0.[9]
  • Theater für die Republik. Im Spiegel der Kritik. 1. Bd. 1917–1925. Überarbeitete Neuauflage. S. Fischer Verlag, Frankfurt 1988, ISBN 3-10-068503-2.
  • Theater für die Republik. Im Spiegel der Kritik. 2. Bd. 1926–1933. Überarbeitete Neuauflage. S. Fischer Verlag, Frankfurt 1988, ISBN 3-10-068504-0.
  • Theater in Deutschland 1887–1945. Seine Ereignisse – seine Menschen. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2007, ISBN 978-3-10-068508-7. Auszüge
  • Theater in Deutschland 1945–1966. Seine Ereignisse – seine Menschen. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2014, ISBN 978-3-10-001461-0. Auszüge
  • Ein alter Mann wird älter. Ein merkwürdiges Tagebuch. Hrsg. von Gerhard Ahrens, Alexander Verlag, Berlin 2021, ISBN 978-3-89581-576-8.

Literatur

  • C. Bernd Sucher (Hrsg.): Theater Lexikon, Autoren, Regisseure, Schauspieler, Dramaturgen, Bühnenbildner, Kritiker. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1995, ISBN 3-423-03322-3.
  • Das, was ich schreibe, wird einmal als Wahrheit gelten. Ein Gespräch mit dem Theatermann Günther Rühle, der heute 95 Jahre alt wird, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. Juni 2019, S. 9.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Berlin.de Aktuelles vom 10. Dezember 2021: Theaterkritiker und Ex-Intendant Günther Rühle ist tot, abgerufen am 10. Dezember 2021
  2. Dem Neuen eine Chance: Günther Rühle wird 80 von Ulrich Greiner, Die Zeit 3. Juni 2004
  3. Günther Rühle im Munzinger-Archiv, abgerufen am 10. Dezember 2021
  4. Schonzone und Schonzeit von Hans Schueler, Die Zeit 5. Dezember 1986
  5. Wolfgang Behrens: Einar Schleef. Werk und Person. Verlag Theater der Zeit Berlin, 2003. ISBN 3-934344-30-5, S. 135
  6. Rezensionen von „Theater in Deutschland 1887–1945“ bei perlentaucher.de
  7. Günther Rühle ist tot, boersenblatt.net, veröffentlicht und abgerufen am 10. Dezember 2021.
  8. bensheim.de: Ehrenbürger Günther Rühle mit dem Binding-Kulturpreis ausgezeichnet. (Memento vom 17. März 2011 im Internet Archive) Vom 17. Juni 2010, abgerufen am 8. August 2013
  9. Auszüge aus: Max Weber: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus; Walther Rathenau: Von kommenden Dingen; Ernst Bloch: Geist der Utopie; Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes; Karl Barth: Der Römerbrief; Georg Lukács: Geschichte und Klassenbewußtsein; Martin Heidegger: Was ist Metaphysik?; Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur; José Ortega y Gasset: Der Aufstand der Massen; Alfred Rosenberg: Der Mythus des zwanzigsten Jahrhunderts; Karl Jaspers: Die geistige Situation der Zeit; Ernst Jünger: Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt; Helmuth Plessner: Die verspätete Nation; Max Horkheimer & Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung; Romano Guardini: Das Ende der Neuzeit; Günther Anders: Die Antiquiertheit des Menschen; Arnold Gehlen: Die Seele im technischen Zeitalter; Alexander und Margarete Mitscherlich: Die Unfähigkeit zu trauern; Herbert Marcuse: Der eindimensionale Mensch.
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