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Gehorsam
Gehorsam ist prinzipiell das Befolgen von Geboten oder Verboten durch entsprechende Handlungen oder Unterlassungen. Das Wort leitet sich (ähnlich wie Gehorchen) von Gehör, horchen, hinhören ab und kann von einer rein äußerlichen Handlung bis zu einer inneren Haltung reichen.
Gehorsam bedeutet die Unterordnung unter den Willen einer Autorität, das Befolgen eines Befehls, die Erfüllung einer Forderung oder das Unterlassen von etwas Verbotenem. Die Autorität ist meistens eine Person oder eine Gemeinschaft, kann aber auch eine überzeugende Idee, ein Gott oder das eigene Gewissen sein. Man kann zwischen freiwilligem und erzwungenem Gehorsam unterscheiden (s. u.).
Das Gegenteil von Gehorsam ist Ungehorsam, Widerstand oder Renitenz, wobei Letzteres aus der Sicht des Erziehenden (oder Herrschenden) negativ gemeint und deshalb abwertend ist und vom Erzogenen bzw. Betroffenen auch so empfunden wird. Der Stellenwert des Ungehorsams wird in der Pädagogik durchaus unterschiedlich eingeschätzt. Während in Erziehungsprozessen der Gehorsam eine gängige Tugend sein kann, sieht die Kinderladenerziehung im Ungehorsam eine erstrebenswerte Einstellung, die (nach Alexander Sutherland Neill und Stanley Milgram etwa) viel zu selten eingeübt wird. Das hat nach den beiden genannten Autoren auch zur Folge, dass Gehorsamsverweigerung in Situationen, in denen es z. B. um die Durchsetzung von Menschenrechten geht, zu wenig geübt wird. Damit steht der Ungehorsam zu selten als Verhaltensvariante neben dem Gehorsam bereit.
Gehorsam ist wie alle anderen Erziehungsziele kein für immer feststehender Wert. Vielmehr verändert sich die Bedeutung von Gehorsam in unserer Gesellschaft auch mit ihren Normen und Werten; diese gelten oder entwickeln sich allmählich und verlieren wieder an Bedeutung – so auch der Gehorsam und die Unterordnung. Ebenso ist die Bedeutung von Gehorsam nicht in allen sozialen Schichten oder Gruppierungen gleich groß. Im Allgemeinen war Gehorsam in Arbeiterfamilien bis Ende des 20. Jahrhunderts stärker ausgeprägt als in aufstrebenden Mittelschichten, bei denen persönliche Freiheit stärker im Vordergrund steht (s. Gustav Grauer, Literatur). Der Rang des Gehorsams, seine Einschätzung bei unterschiedlichen Erziehungszielen, ist, ähnlich wie auch andere Erziehungsvorstellungen, Ziele, Orientierungen und Leitvorstellungen, in verschiedenen sozialen Milieus sehr unterschiedlich.
Unterscheidung von Arten
- Militärischer Gehorsam
- ist ein strikt erzwungenes Befolgen von Befehlen und Anordnungen. Das Nichtbefolgen, also der Ungehorsam, zieht häufig Sanktionen nach sich und bedeutet oft ein Risiko für die Sicherheit anderer. In besonderen Fällen kann aber das Verweigern des Gehorsams auch geboten sein, so die Befehlsverweigerung aus rechtlichen oder ethischen Gründen. Das Spannungsverhältnis zwischen Befehl und Gewissen hat Heinrich von Kleist literarisch in seinem Drama Der Prinz von Homburg aufgearbeitet.
- Kindlicher Gehorsam
- das Sich-Fügen von Kindern in den Familienverband, das sich aus einem natürlichen Abhängigkeitsverhältnis zu den Eltern ergibt. Im übertragenen Sinn versteht man darunter auch das kindlich-kindische Verhalten Erwachsener. Im Kontext der Pädagogik der Aufklärung (19. Jahrhundert) wurde angenommen, dass Gehorsam des Kindes gegenüber dem Erziehenden die Voraussetzung dafür sei, dass das Kind einen Entwicklungszustand erreichen könne, in dem es seine unfrei machende Natur überwindet und für Bildung zugänglich wird. Nachdem diese Erziehungsphilosophie bereits von der Reformpädagogik in Frage gestellt und erziehungshistorisch abgelöst worden war, haben in den 1970er Jahren Katharina Rutschky und Alice Miller die Pädagogik der Aufklärung, für die sie nun das Schlagwort der „schwarzen Pädagogik“ prägten, einer psychoanalytischen Deutung unterzogen, bei der sie statt der aufklärerischen Intention eine vermutete prekäre seelische Verfassung des Erziehenden in den Mittelpunkt stellten, den weniger sein erzieherisches Ziel als vielmehr sein persönliches Selbsterhöhungsbestreben dazu treibe, den Willen des Kindes zu brechen. Alexander Sutherland Neill sieht den kindlichen Gehorsam im Gegensatz zu Freiheit und Selbstbestimmung; diese Art von Gehorsam hat für ihn keinen Wert und fördert lediglich die Anpassung an bestehende oder geforderte soziale Strukturen.
- Solidarischer Gehorsam
- ein Sich-Einfügen in die Gruppe aus Solidarität, auch wenn man im Einzelnen nicht selbst von einer Idee oder Handlung überzeugt ist.
- Soziologischer Gehorsam
- „Gehorsam“ als zentrales definitorisches Merkmal für „Herrschaft“ im Kontrast zur „Macht“ bei dem Soziologen Max Weber.
- Gehorsam als erzwungenes Verhalten
- in extremen Drucksituationen (siehe dazu die Gehorsams-Experimente von Stanley Milgram und das Stanford-Prison-Experiment), was freilich, laut Aussage Milgrams, den meisten Zeitgenossen nicht schwerfällt. Er vermutet: Wir haben keine Verhaltensmuster erlernt, die man Widerstehen (gegen unsinnige Befehle oder Autorität) nennen könnte.
- Freiwilliger Gehorsam
- gegenüber Regeln, die als gut anerkannt sind (wie die Zehn Gebote), gegenüber dem Willen Gottes überhaupt[1] (vgl. Resignation, Gelassenheit) oder gegenüber dem eigenen Gewissen – man könnte hier auch von „Unterordnung“ sprechen. Damit verwandt ist
- Gehorsam in religiösen Gemeinschaften
- in Ordens-, aber auch anderen Gemeinschaften als freiwilliges Gelübde gegenüber dem Oberen im Sinne der evangelischen Räte Armut, Keuschheit und eben Gehorsam.
- Gehorsam als Selbstdisziplin
- Dahinter steht eine Haltung, die den Sinn von Anordnungen und das ihnen zugrunde liegende Sozialgefüge positiv sieht.
- Vorauseilender Gehorsam
- Das Erspüren einer Erwartung; bevor eine Anweisung ausdrücklich formuliert wurde, wird schon „gehorcht“. Als Maxime der Jesuiten wurde es erstmals formuliert. Er spielte eine bedeutende Rolle für die Wirksamkeit nationalsozialistischer Kampforganisationen.
- Kadavergehorsam
- Er ist das sacrificium intellectus, also das Opfer des Verstandes, nach einer Wendung aus den Ordensregeln des Jesuitenordens. Blinder Gehorsam ist eine andere Variante des an die Autorität sozialer Organisationen verschenkten Ichs, beispielsweise in der Floskel „Die Partei hat immer recht“.
Literatur
- Gustaf Grauer: Leitbilder und Erziehungspraktiken. In: Familienerziehung, Sozialschicht und Schulerfolg. b:e tabu 24, Weinheim 1971, S. 37–58.
- Friedrich Koch: Der Kaspar-Hauser-Effekt. Über den Umgang mit Kindern. Opladen 1995, ISBN 978-3810013590.
- Stanley Milgram: Das Milgram-Experiment – Zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität. Rowohlt Verlag, Reinbek 1982, ISBN 3499174790.
- Alexander Sutherland Neill: Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek, ISBN 3-499-16707-7, S. 157 f (Gehorsam und Disziplin).
- Mathias Wirth: Distanz des Gehorsams – Theorie, Ethik und Kritik einer Tugend. Mohr Siebeck, Tübingen 2016, ISBN 978-3-16-154086-8.
Siehe auch
- Eigenverantwortung
- Gehorsamspflicht
- Kameradschaft
- Situation
- Wille
- Unterwürfigkeit
- Hörigkeit
- Zucht und Ordnung
Einzelnachweise
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Gehorsam aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |