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Italienische Rassengesetze
Die italienischen Rassengesetze (ital.: Leggi razziali) waren eine Reihe von Gesetzen, mit denen das faschistische Italien von 1938 bis 1945 die Vorstellungen von der Verteidigung der reinen italienischen Rasse durchsetzen wollte. Obwohl eine Rassenvernichtung nicht das Ziel des italienischen Antisemitismus war, wurden gemäß Polizeianweisung Nr. 5 der Italienischen Sozialrepublik (RSI) vom 30. November 1943 die „Juden“ verhaftet und in Konzentrationslagern interniert, was im Holocaust endete.[1]
Entstehungsgeschichte
Wann und wie der antisemitische Ansatz zustande kam, ist umstritten. Einige glauben, dass ein inhärenter Antisemitismus des Faschismus nur Zeit benötigte. Andere sehen den Abschluss der Lateranverträge mit der daraus resultierenden Sonderstellung der katholischen Kirche als bedeutenden Grund. Wieder andere sehen den Abessinienkrieg mit der folgenden kolonialen Rassentrennung, die Beteiligung Italiens am Spanischen Bürgerkrieg und die Annäherung an das Deutsche Reich als Wendepunkt an.[2] Auch politisch-taktisches Kalkül wird angeführt. Der innere Feind (das italienische „Judentum“) sollte entweder Konsens stiften oder dessen Schicksal regimefernen Gesellschaftsgruppen als Warnung dienen.[3]
Ab 1936 wurde in Italien eine antijüdische Stimmung durch die Presse geschürt und im Sommer 1938 wurde durch die von Mussolini beförderte Veröffentlichung des Manifests der rassistischen Wissenschaftler, eine pseudowissenschaftliche Begründung für die Überlegenheit der europäischen arischen Rassen, die Reinheit der italienischen Rasse und für antisemitische Maßnahmen geliefert.
Rassengesetze
Königreich Italien
Das darauf folgende von Mussolini und Guido Buffarini Guidi vom Innenministerium maßgeblich beeinflusste zentrale Rassengesetz vom 17. November 1938 über Maßnahmen zur Verteidigung der italienischen Rasse verfolgte bei der Definition der „Juden“ konkurrierende Ziele, ließ Zweifelsfälle bei der Rassenbestimmung, offerierte die Arisierung von Personen durch ein Rassengericht (Tribunale della Razza) und sah Übergangsregelungen für verdienstvolle „Juden“ (discriminazione) vor.[4] Das schuf Regelungsbedarf und Verschärfungsmöglichkeiten auf der administrativen Ebene. Der Katalog an Gesetzen und Verordnungen wurde bis 1943 fast im Wochentakt erweitert.[5] Die „Juden“ ohne italienische Staatsangehörigkeit mussten Italien verlassen oder wurden interniert.[6]
Bildtext (mit Übersetzung) | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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In Italienisch-Libyen wurden die Vorschriften weniger streng angewendet, da der dortige italienische Gouverneur Italo Balbo den wirtschaftlichen Beitrag der Juden in der Kolonie nicht gefährden wollte. Diese Politik setzte sich auch nach dessen Tod 1940 noch fort.[7]
Reihenfolge der Vorschriften
- 5. September 1938, R.D.L. n. 1390 – Provvedimenti per la difesa della razza nella scuola; Maßnahmen zur Verteidigung der Rasse in der Schule.[8]
- 7. September 1938, R.D.L. n. 1381 – Provvedimenti nei confronti degli ebrei stranieri; Ausweisung ausländischer „Juden“ und Entzug der nach dem 1. Januar 1919 erworbenen Staatsbürgerschaft.[9]
- 10. September 1938 Dekret zur Bildung eines Rassengerichts (Tribunale della Razza) unter Leitung von Gaetano Azzariti[10]
- 22. September 1938 – Ehrenhafte Entlassung „jüdischer“ Offiziere aus dem Militärdienst.[9]
- 15. November 1938, R.D.L. n. 1779 – Integrazione e coordinamento in testo unico delle norme già emanate per la difesa della razza nella scuola italiana; Entlassung aller „jüdischen“ Professoren, Lehrer, Schüler und Studenten von den Schulen und Universitäten.[9]
- 17. November 1938, R.D.L. n. 1728 – Provvedimenti per la razza italiana; Maßnahmen zur Verteidigung der italienischen Rasse[9]
- 21. November 1938 „Juden“ dürfen nicht mehr Mitglied in der faschistischen Partei sein.[9]
- 9. Februar 1939 R.D.L. 126 regelte die Konfiszierung von „jüdischen“ Immobilien, Gesellschaften und Geschäften und die Kompensationsleistungen des italienischen Staates.[9]
- 20. Juni 1939, „Juden“ dürfen nicht mehr als Anwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer, Ärzte, Zahnärzte, Hebammen, Chemiker, Apotheker, Architekten, Journalisten, Unternehmensberater usw. arbeiten.[9]
- 29. Juni 1939, R.D.L. n. 1055 – Regelung zur Verwendung „jüdischer“ und arischer Namen.[9]
- 13. Juli 1939, R.D.L. n. 1024 – „Juden“ können sich vor einem speziellen Komitee arisieren lassen.[9]
- 11. Mai 1942 DemoRazza-Zirkular 31999 – Einführung des obligatorischen Arbeitsdienstes[11]
Italienische Sozialrepublik
Nach dem Waffenstillstand von Cassibile im September 1943 wurde Italien von deutschen Truppen besetzt und der Satellitenstaat Italienische Sozialrepublik (Repubblica Sociale Italiana, RSI) unter Mussolini errichtet. Am 14. November 1943 bei der Versammlung der republikanisch-faschistischen Partei in Verona wurden alle „Juden“ zu angehörigen einer Feindnation erklärt und verloren ihre italienische Staatsangehörigkeit.[12] Der Innenminister der Republik Guido Buffarini Guidi verfügte mit der Polizeiweisung Nr. 5 vom 30. November 1943 die Verhaftung aller „Juden“ durch die italienischen Behörden und deren Einweisung in Konzentrationslager.[13] Die vollständige Enteignung aller italienischen und ausländischen „Juden“ und die Verwertung ihres Vermögens wurde im italienischen Gesetzesdekret der RSI vom 4. Januar 1944 angeordnet.[14]
Aufhebung der Rassengesetze
Am 20. Januar 1944 stellte R.D.L. n. 25 die politischen und zivilen Rechte der „Juden“ wieder her, die ihnen aberkannt worden waren. R.D.L. n. 26 vom 26. Januar 1944 regelte die Rückgabe des ehemaligen „jüdischen“ Eigentums, wurde aber erst nach der Befreiung Roms am 20. Oktober 1944 in Kraft gesetzt, da die „Juden“ in den von Deutschland besetzten Gebieten Vergeltungsaktionen ausgesetzt worden wären.[15]
Siehe auch
Literatur
- Renzo De Felice: The Jews in Fascist Italy. Enigma Books, 2001, ISBN 1-929631-01-4.
- Liliana Picciotto Fargion: Italien – Die Annäherung an die nationalsozialistische Judenpolitik ab 1938. In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Dimension des Völkermords. Oldenbourg, 1991, ISBN 3-486-54631-7, S. 200 ff.
- Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden. Fischer, 1993, ISBN 3-596-24417-X.
- Michael A. Livingston: The Facists and the Jews of Italy – Mussolini´s Race Laws, 1938–1943. Cambridge University Press, 2014, ISBN 978-1-107-02756-5.
- Aram Mattioli: Das faschistische Italien – ein unbekanntes Apartheidregime. In: Micha Brumlik, Susanne Meinl, Werner Renz (Hrsg.): Gesetzliches Unrecht – Rassistisches Recht im 20. Jahrhundert. Campus, 2005, ISBN 3-593-37873-6, S. 155 ff.
- Carlo Moos: Ausgrenzung, Internierung, Deportation – Antisemitismus und Gewalt im späten italienischen Faschismus (1938–1945). Chronos, 2004, ISBN 3-0340-0641-1.
- Furio Moroni: Italy: Aspects of the Unbeautiful Life. In: Avi Beker (Hrsg.): The Plunder of Jewish Property during the Holocaust. Palgrave, 2001, ISBN 0-333-76064-6, S. 297 ff.
- Liliana Picciotto: The Shoah in Italy: Its History and Characteristics. In: Joshua D. Zimmerman (Hrsg.): Jews in Italy under Fascist and Nazi Rule, 1922–1945. Cambridge University Press, 2005, ISBN 0-521-84101-1, S. 209-223
- Michele Sarfatti: Characteristics and Objectives of the Anti-Jewish Racial Laws in Fascist Italy, 1938-1943. Übersetzung. In: Joshua D. Zimmerman (Hrsg.): Jews in Italy under Fascist and Nazi Rule, 1922–1945. Cambridge University Press, 2005, ISBN 0-521-84101-1, S. 71-80
- Thomas Schlemmer, Hans Woller: Der Italienische Faschismus und die Juden 1922 bis 1945. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 53, 2005, S. 165–197.
- Gabriele Schneider: Mussolini in Afrika – Die faschistische Rassenpolitik in den italienischen Kolonien 1936–1941. SH-Verlag, 2000, ISBN 3-89498-093-1.
- Susan Zuccotti: The Italians and the Holocaust : persecution, rescue and survival. London : Halban, 1987 ISBN 1-87001-503-7 S. 28-51
Einzelnachweise
- ↑ Liliana Picciotto: The Shoah in Italy: Its History and Characteristics. In: Joshua D. Zimmerman (Hrsg.): Jews in Italy under Fascist and Nazi Rule, 1922–1945. Cambridge University Press, 2005, ISBN 0-521-84101-1, S. 214 ff.
- ↑ Michael A. Livingston: The Facists and the Jews of Italy - Mussolini´s Race Laws, 1938–1943. 2014, S. 15.
- ↑ Thomas Schlemmer, Hans Woller: Der Italienische Faschismus und die „Juden“ 1922 bis 1945. 2005, S. 177 f.
- ↑ Michael A. Livingston: The Facists and the Jews of Italy - Mussolini´s Race Laws, 1938–1943. 2014, S. 23.
- ↑ Thomas Schlemmer, Hans Woller: Der Italienische Faschismus und die „Juden“ 1922 bis 1945. 2005, S. 182.
- ↑ Carlo Moos: Ausgrenzung, Internierung, Deportation - Antisemitismus und Gewalt im späten italienischen Faschismus (1938–1945). 2004, S. 65.
- ↑ Maurice M. Roumani: The Jews of Libya. Sussex Academic Press 2007, ISBN 978-1-84519-137-5, S. 26 f.
- ↑ Carlo Moos: Ausgrenzung, Internierung, Deportation – Antisemitismus und Gewalt im späten italienischen Faschismus (1938–1945). 2004, S. 48.
- ↑ 9,0 9,1 9,2 9,3 9,4 9,5 9,6 9,7 9,8 Furio Moroni: Italy: Aspects of the Unbeautiful Life. 2001, S. 301 f.
- ↑ Carlo Moos: Ausgrenzung, Internierung, Deportation – Antisemitismus und Gewalt im späten italienischen Faschismus (1938–1945). 2004, S. 49.
- ↑ Carlo Moos: Ausgrenzung, Internierung, Deportation –Antisemitismus und Gewalt im späten italienischen Faschismus (1938–1945). 2004, S. 69.
- ↑ Carlo Moos: Ausgrenzung, Internierung, Deportation - Antisemitismus und Gewalt im späten italienischen Faschismus (1938–1945). 2004, S. 90 f.
- ↑ Thomas Schlemmer, Hans Woller: Der italienische Faschismus und die Juden 1922 bis 1945. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Heft 2, 2005, S. 193 f.
- ↑ Renzo De Felice: The Jews in Fascist Italy. 2001, S. 434.
- ↑ Fabio Levi: Italian Society and Jews after the Second World War. In: Jonathan Dunnage (Hrsg.): After the War - Violance, Justice, Continuity and Renewal in Italan Society. University of Sussex, 1996, ISBN 1-899293-56-6, S. 24.
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