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Judensau am Chorgestühl des Kölner Domes

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Chorwange mit „Judensau“ (linker Vierpass) und Darstellung mit Bezug zur Ritualmordlegende (rechts)

Die „Judensau“ am Chorgestühl des Kölner Domes ist eine antijüdische Holzschnitzerei an einer Wange des mittelalterlichen Chorgestühls im Kölner Dom. Sie wurde in der Zeit von 1308 bis 1311 angefertigt und ist eine der ältesten erhaltenen Darstellungen des „Judensau“-Motivs. Direkt neben ihr befindet sich als weiteres antijüdisches Motiv eine Darstellung, die als Verweis auf die Ritualmord-Legende zu deuten ist. Diese Verbindung von „Judensau“ und Ritualmordlegende ist nur in einem weiteren Fall belegt, einer 1801 zerstörten Wandmalerei aus dem 15. Jahrhundert am Alten Brückenturm in Frankfurt am Main.

Die „Judensau“ und der Wunsch, sie als Teil eines unersetzlichen Kulturdenkmals zu erhalten, waren am Beginn des 21. Jahrhunderts wiederholt Gegenstand öffentlicher Kritik am Kölner Domkapitel und an der Dombauverwaltung.

Lage

Grundriss des Kölner Domes, Chor farbig hervorgehoben, Lage der „Judensau“ rot markiert
Nördliche vordere Sitzreihe, Blick auf die Innenseite der Chorwange, Zwickel mit Schweine-Darstellung

Das Chorgestühl des Kölner Domes besteht aus zwei Doppelreihen hölzerner Sitzbänke, die an der Nord- und Südseite des unteren Domchores jeweils unmittelbar vor den Chorschranken aufgestellt sind. Die vorderen Reihen sind etwa in der Mitte geteilt, um einen Durchgang zur jeweils dahinter liegenden Reihe zu bilden. Die Darstellungen der „Judensau“ und der Ritualmordlegende befinden sich auf der Chorwange an der rechten (östlichen) Seite des nördlichen Durchgangs. Dieser Bereich ist für Besucher des Kölner Domes nur im Rahmen besonderer Führungen zugänglich.

Entstehung

Das Chorgestühl des Kölner Domes ist mit 104 Stallen das umfangreichste erhaltene mittelalterliche Chorgestühl in Deutschland. Es wurde in der Zeit von 1308 bis 1311 von namentlich nicht bekannten Holzschnitzern angefertigt. Die Bauarbeiten am Binnenchor des Kölner Doms waren um 1300 mit der Fertigstellung des Dachgewölbes abgeschlosesen worden. In den folgenden Jahren bis zur Weihe des Chores am 27. September 1322 wurde die prunkvolle Inneneinrichtung angefertigt.[1]

Zahlreiche Parallelen in der Ausführung etwa zeitgleich entstandener steinerner Skulpuren belegen, dass dieselben Künstler sowohl Steinmetze als auch Holzschnitzer waren. Von den etwa 500 figürlichen und ornamentalen Schnitzereien des Chorgestühls sind viele von Künstlern aus der Umgebung von Paris oder aus Lothringen angefertigt worden. Andere zeigen durch ihre grobe Bearbeitung und die Vermischung der Stile meisterlicher Arbeiten, dass sie allenfalls von Gesellen stammen können.[2]

Die „Judensau“ und die beiden anderen Reliefs weisen in der Motivwahl und in der groben Ausführung auf eine rheinische oder zumindest deutsche Herkunft von Entwurf und Schnitzer hin.[3]

Beschreibung

Vierpass mit „Judensau“-Darstellung (retuschierter Ausschnitt des Titelbildes)
Vierpass mit Ritualmord-Motiv (retuschierter Ausschnitt des Titelbildes)

Bei der „Judensau“ und dem Ritualmord-Motiv handelt es sich um Holzreliefs, die nebeneinander angeordnete liegende Vierpässe ausfüllen. Der linke Vierpass zeigt drei Männer, die durch ihre Judenhüte als Juden zu erkennen sind und sich mit einem Schwein beschäftigen. Einer der Juden hält das Schwein hoch, einer füttert es, und ein dritter kniet vor ihm und saugt an einer Zitze.[4][5]

Der rechte Vierpass zeigt zwei Juden, die einen Kübel ausschütten, aus dem eine tote Sau mit vier Ferkeln fällt. Der rechte Jude führt gleichzeitig einen Jungen heran, der durch einen angedeuteten Heiligenschein als Christ identifiziert werden kann.[5][6]

Ein drittes Relief kann aufgrund seiner Lage und wegen des Bildmotivs zwanglos mit der „Judensau“ in Zusammenhang gebracht werden. Auf der Innenseite der Chorwange mit der „Judensau“ befindet sich in einem Zwickel die Darstellung zweier Schweine, die am Laub einer Eiche fressen. Eines der beiden Schweine hat sich zu diesem Zweck auf seine Hinterbeine gestellt und ein drittes saugt an einer seiner Zitzen. Dazu gehört die Figur eines Mönchs, der die Szene hinter einer Volute stehend betrachtet.[5][7]

Bildsymbolik

Das Schwein galt bereits in der frühen christlichen Ikonografie als Sinnbild der Völlerei (der Gula), allgemein des Lasters, oder auch des Teufels. Die Übertragung dieses Bildes auf die Juden fand erst im 9. Jahrhundert statt. Die Karikatur der Juden als Schweine und ihre Darstellung als an den Zitzen eines Schweines saugende oder den Kot eines Schweines verzehrende Personen spielt darauf an, dass der Verzehr von Schweinefleisch den jüdische Speisegesetzen zufolge nicht erlaubt ist.[8][9]

Der Kunsthistoriker Heribert Reiners schrieb 1909 den beiden Darstellungen auf der Vorderseite der Chorwange einen Bezug aufeinander zu. Die in der rechten Szene dargestellten Juden würfen das von Anderen zum Verzehr bestimmte Schweinefleisch fort, um so den Anschein der Rechtgläubigkeit zu erwecken. Ihre wahre Unmäßigkeit komme in der linken Szene zum Ausdruck, in der sie von der Milch einer Sau trinken.[6] Bernhard von Tieschowitz beschrieb die Szenen 1930 unter dem Hinweis auf ihre umstrittene Deutung. Dabei nannte er sowohl den von Reiners angeführten Bezug der Reliefs aufeinander als auch die Deutung des rechten Bildes als Darstellung der Ritualmord-Legende.[10]

Die Darstellung der Ritualmord-Szene wurde später, so von dem israelischen Kunsthistoriker Isaiah Shachar in seiner umfassenden Monografie The Judensau in der Weise interpretiert, dass die gezeigten Juden das ihnen verbotene Schweinefleisch fortwerfen und ein christliches Kind zum Verzehr entführen. Es könnte sich um eine Anspielung auf den angeblich 1287 begangenen Ritualmord an Werner von Oberwesel handeln. Shachar sieht alle drei Reliefs der Chorwange als aufeinander bezogene Darstellungen des Lasters der Völlerei.[5]

An vielen Stellen des Chorgestühls wird der Darstellung des Lasters die Tugend gegenübergestellt. Im Falle der judenfeindlichen Reliefs befinden sich direkt gegenüber, an der linken Seite des Durchgangs, zwei Reliefs die „salomonische Urteile“ als Sinnbilder der Gerechtigkeit darstellen sollen. Das linke Relief zeigt die bekannte Geschichte von den um ein Kind streitenden Frauen. Rechts befindet sich das weniger bekannte Motiv des Schießens auf den toten Vater.[4] Dieses Motiv ist jüdischer Herkunft, es hatte seinen Ursprung um 400 n. Chr. als Illustration der „gerechten Verteilung des Eigentums“ im Talmud. Entgegen den auf Salomo bezogenen Darstellungen in der mittelalterlichen christlichen Kunst war der „weise Richter“ ursprünglich ein Rabbiner.

Weitere antijüdische Darstellungen des Kölner Domes

„Judensau“ als Wasserspeier am Kölner Dom, um 1280

An der Rückseite des zwischen 1190 und 1225 entstandenen Dreikönigenschreins befindet sich eine Szene in der die Geißelung Christi durch zwei Schergen mit Judenhüten dargestellt wird. Die Darstellung wird weniger wegen der Judenhüte der Beteiligten sondern wegen ihrer karikaturhaft verzerrten Gesichtszüge als dezidiert antijüdisch aufgefasst. Es handelt sich wahrscheinlich um das früheste bekannte Beispiel der überbetonten Hakennase als antijüdisches Stereotyp.[8]

Außen am Kölner Dom befindet sich am Abschlussgesims der Achskapelle ein Wasserspeier, der ein hockendes Schwein darstellt. An seinen Zitzen saugt eine kleine männliche Figur, die unzweifelhaft einen Juden darstellt. Der Wasserspeier mit dem „Judensau“-Motiv wird auf die Zeit um 1280 datiert.[8]

Ähnliche Umsetzungen des Motivs

Am Alten Brückenturm in Frankfurt am Main befand sich bis zu dessen Abriss im Jahr 1801 eine Wandmalerei, die als Schandbild die Darstellung einer „Judensau“ mit der des angeblich 1475 begangenen Ritualmordes an Simon von Trient kombinierte.[11] Dies war neben den Reliefs am Chorgestühl des Kölner Domes die einzige bekannte Verbindung der „Judensau“ mit der Ritualmord-Legende.

Kontroverse um die „Judensau“

Die Münchener Künstler Wolfram P. Kastner und Günter Wangerin forderten zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit Nachdruck die Entfernung der „Judensau“, zumindest jedoch eine erläuternde Beschilderung der Darstellung. Zudem müssten zwei außen am Dom in etwa 50 m Höhe in Schlusssteine eingemeißelte Hakenkreuze unter allen Umständen beseitigt werden. Kastner vertrat sein Anliegen wiederholt mit publikumswirksamen Aktionen, die regelmäßig eine Diffamierung der christlichen Kirchen und der Christen beinhalteten. So trat er vor dem Kölner Dom mit dem Slogan „Alle Christen lügen“ auf.[12][13]

Das Domkapitel als Hausherr, die Dombauverwaltung und die damalige Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner vertraten die Auffassung, dass die antijüdischen Darstellungen nicht aus dem Chorgestühl herausgelöst werden können. Eine Beschilderung sei ausgeschlossen, da der Kölner Dom eine Kirche und kein Museum sei. Darüber hinaus sei das Chorgestühl mit den beanstandeten Reliefs der Öffentlichkeit nicht zugänglich.[12]

Die Kontroverse um die „Judensau im Kölner Dom“ war für die Dombauverwaltung der Anlass, im Jahr 2006 in Zusammenarbeit mit der Karl-Rahner-Akademie eine Fachtagung zum Thema Der Kölner Dom und ›die Juden‹ durchzuführen. Die Dombauverwaltung und der Zentral-Dombau-Verein zu Köln widmeten 2008 eine vollständige Ausgabe des Kölner Domblatts diesem Thema und den Ergebnissen der Fachtagung.[14]

Literatur

  • Ulrike Bergmann: Das Chorgestühl des Kölner Domes, Textband und Inventarband (= Jahrbuch 1986/1987 des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz). Neuss: Neusser Druckerei und Verlag 1987, ISBN 3-88094-600-0.
  • Ulrike Bergmann: Das Chorgestühl (= Meisterwerke des Kölner Domes 3). Verlag Kölner Dom, Köln 1995, ISBN 3-922442-23-4 (48 S., zahlreiche Detailfotos).
  • Ulrike Brinkmann und Rolf Lauer: Judendarstellungen im Kölner Dom. In: Kölner Domblatt 2008, 73. Folge, S. 13–58, ISSN 0450-6413, ISBN 978-3-922442-65-3.
  • Georg Bönisch: Bartholomäusnacht am Rhein. In: Spiegel Geschichte 2015, Heft 1, S. 80–83, ISSN 1868-7318, Digitalisat PDF 1,4 MB.
  • Bernd Wacker und Rolf Lauer (Hrsg.): Der Kölner Dom und ›die Juden‹. Fachtagung der Karl Rahner Akademie Köln in Zusammenarbeit mit der Dombauverwaltung Köln vom 18. bis zum 19. November 2006. (= Kölner Domblatt 2008, 73. Folge). Köln: Verlag Kölner Dom, ISBN 978-3-922442-65-3.
  • Isaiah Shachar: The Judensau. A Medieval Anti-Jewish Motif and its History. Warburg Institute, London 1974, ISBN 0-85481-049-8.
  • Bernhard von Tieschowitz: Das Chorgestühl des Kölner Domes. Marburg: Verlag des Kunstgeschichtlichen Seminars der Universität Marburg 1930.

Weblinks

  • Georg Bönisch: Bartholomäusnacht am Rhein, PDF 1,4 MB, abgerufen am 18. Juli 2017. Über den ersten beiden Seiten ein aktuelles Farbfoto der „Judensau“.

Einzelnachweise

  1. Ulrike Bergmann: Das Chorgestühl des Kölner Domes, Textband, S. 11–23.
  2. Ulrike Bergmann: Das Chorgestühl des Kölner Domes, Textband, S. 59–66.
  3. Ulrike Bergmann: Das Chorgestühl des Kölner Domes, Textband, S. 107.
  4. 4,0 4,1 Ulrike Bergmann: Das Chorgestühl des Kölner Domes, Textband, S. 96.
  5. 5,0 5,1 5,2 5,3 Isaiah Shachar: The Judensau, S. 24–25, Fußnoten S. 78–79, Tafeln 16b und 17.
  6. 6,0 6,1 Heribert Reiners: Die rheinischen Chorgestühle der Frühgotik. Ein Kapitel der Rezeption der Gotik in Deutschland (= Studien zur deutschen Kunstgeschichte, 113. Heft). Heitz & Mündel, Straßburg 1909, S. 64, Tafel XIX, Digitalisat, PDF 9,5 MB.
  7. Bernhard von Tieschowitz: Das Chorgestühl des Kölner Domes, S. 10, Tafel 21b.
  8. 8,0 8,1 8,2 Ulrike Brinkmann und Rolf Lauer: Judendarstellungen im Kölner Dom. In: Bernd Wacker und Rolf Lauer (Hrsg.): Der Kölner Dom und ›die Juden‹, S. 13–58.
  9. Marten Marquardt: Judenfeindschaft in der christlichen Kunst am Beispiel der Kölner Judensau. In: epd Dokumentation, Nr. 10 vom 3. März 2003, S. 40–45, Online PDF (gesamter Band), 1,1 MB.
  10. Bernhard von Tieschowitz: Das Chorgestühl des Kölner Domes, S. 9, Tafel 15.
  11. Isaiah Shachar: The Judensau, S. 36–37, Fußnoten S. 82–83, Tafeln 41 bis 45.
  12. 12,0 12,1 Susanne Gannott: Sauerei im Dom. In: die tageszeitung vom 19. November 2005, S. 4.
  13. Wolfram P. Kastner: Alle Christen lügen. Flugblatt, undatiert, ca. 2005, Online PDF, 96 kB.
  14. Sandra Kiepels: Kölner Domblatt: Der Kölner Dom und die Juden. In: Kölner Stadtanzeiger vom 19. Dezember 2008.
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