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Leitmotiv
Ein Leitmotiv ist ein künstlerisches Mittel, das, gekoppelt an einen zunächst außerkünstlerischen Inhalt, in der Gesamtheit des Werkes immer wieder zu finden ist. Je nach Kunstrichtung (Musik, Malerei, Architektur oder Literatur) werden verschiedene Motive ein- und umgesetzt. So können Farben, Stimmungen, Symbole, Personen, Tonfolgen, Sätze und vieles mehr als Leitmotiv verwendet werden. Sie werden dann innerhalb dieses Werkes nur noch mit dieser Bedeutung verwendet.
Der Begriff des Leitmotivs tauchte erstmals 1871 in Friedrich Wilhelm Jähns’ Verzeichnis der Werke Carl Maria von Webers auf. Nach anderen Quellen soll Hans von Wolzogen den Begriff geprägt haben. Auch in der englischen und französischen Sprache sowie in anderen Sprachen konnte sich der Begriff „Leitmotiv“ (häufig mit „f“) als Terminus technicus durchsetzen.
Klassische Musik
In der Musik ist das Leitmotiv ein meist kürzeres, charakteristisches Tongebilde, das mindestens einmal, meistens aber häufiger wiederkehrt und assoziativ einen bestimmten, in der Regel außermusikalischen Sinngehalt, beispielsweise eine Person, einen Gegenstand, eine Idee oder ein Gefühl symbolisiert. Da es nicht spezifisch musikalischen Verarbeitungsprozessen, das heißt der thematisch-motivischen Arbeit etwa in einem Sonatensatz, unterzogen wird, bildet es typischerweise ein Gestaltungsmittel in Musikdramen, aber auch in Oratorien und Sinfonischen Dichtungen. Um für den Rezipienten vor allem innerhalb eines längeren Werkzusammenhangs wiedererkannt werden zu können, hat es fast immer eine prägnante, fest umrissene Gestalt, die nur geringfügig und behutsam verändert wird. Als musikalisches Material für Leitmotive eignen sich daher nicht nur charakteristische Melodien oder Melodie-Teile (nicht jedoch gebräuchliche Formeln und Floskeln der musikalischen Rhetorik), sondern auch ungewöhnliche Akkorde wie der verminderte Septakkord des Samiel-Motivs in Der Freischütz (1821) und, am bekanntesten, der Tristan-Akkord.
Weber und Spohr
Dass Carl Maria von Weber der erste Komponist gewesen sei, der Leitmotive benutzt habe, ist ein Irrtum, der vor allem darauf zurückzuführen ist, dass das Wort in dessen Werkverzeichnis von Friedrich Wilhelm Jähns wohl erstmals erwähnt wird. Tatsächlich bewunderte Weber diese Technik bereits an Louis Spohrs Oper Faust (1816): Glücklich und richtig berechnet gehen einige Melodien wie leise Fäden durch das Ganze und halten es zusammen.[1] Über Nicolas Dalayracs Léhéman ou La Tour de Neustadt (1801) bemerkt er: Die Romanze „Ein Pilger irrt“ wird besonders durch ihre innige Verwebung mit dem Ganzen der Handlung interessant. Bei den gespanntesten, entscheidendsten Szenen erscheint die freundliche Melodie wie ein tröstender Stern und verheißt den erwartungsvollen Zuhörern Rettung seiner Lieben.[2] Tatsächlich scheint das Erinnerungsmotiv (zunächst gab es in der Regel nur eines, teilweise gebraucht als Wiedererkennungsmotiv), eine Erfindung der Opéra comique gewesen zu sein (André Ernest Modeste Grétry, Richard Cœur de Lion, 1784). Eine Klammer zwischen der Ouvertüre und dem Kernthema des Stückes bildet jeweils ein Motiv aus der langsamen Einleitung bei Wolfgang Amadeus Mozarts Così fan tutte und Il dissoluto punito ossia Il Don Giovanni (nur der vollständige Titel macht in diesem Fall übrigens diese Klammer deutlich).[3]
Berlioz und Wagner
In der Sinfonischen Dichtung nutzte Hector Berlioz das Konzept des Leitmotivs als sogenannte „idée fixe“ in der Symphonie Fantastique für großes Orchester. Perfektioniert und ausgiebig verwendet hat die Leitmotiv-Technik dann Richard Wagner in seinen Opern und Musikdramen, obwohl er selbst den Begriff nie verwendete, sondern von „Erinnerungsmotiven“ sprach. Sein Ring des Nibelungen ist geradezu von einem Geflecht von Leitmotiven durchzogen, wobei sich diese häufig voneinander ableiten und durch geringfügige Änderungen in Notenwert oder Rhythmus sowie in der Instrumentation zwar deutlich unterscheiden, aber dennoch motivisch verwandt sind. Die Eigentümlichkeit der Leitmotive liegt – bei Wagner – „gerade nicht in der starren Fixierung, sondern in der von der dichterischen Absicht bedingten Ab-, Um- und Verwandlung.“[4]
Filmmusik
Leitmotive sind auch ein wichtiges Kompositionsmittel der Filmmusik. Es war Max Steiner, der diese Technik Anfang der 1930er Jahre für den Film nutzbar machte, zuerst in Graf Zaroff – Genie des Bösen (1932) und in King Kong und die weiße Frau (1933). Steiners allgemein bekannteste Filmmusik, die sich intensiv der Leitmotivtechnik bedient, ist diejenige zu Vom Winde verweht (1939). Auch die Filmmusiken zu den Zeichentrick-, Spiel- und Dokumentarfilmen Walt Disneys setzen durchweg Leitmotive ein. Weitere bekannte Beispiele sind die vielen verschiedenen wiederkehrenden Themen und Motive in Star Wars (John Williams) und in den Herr-der-Ringe-Verfilmungen (Howard Shore). Ein besonders markantes Beispiel für intensive Leitmotivarbeit in der Filmmusik stellt Ennio Morricones Musik zu Spiel mir das Lied vom Tod dar. Auch in Fluch der Karibik kehren Leitmotive (z. B. „He's a Pirate“ von Hans Zimmer) mehrere Filme hindurch immer wieder.
Musical
Auch im Musical, speziell in den ernsteren, dramatischen Werken, die sich eng an literarische Vorlagen anlehnen, finden sich gehäuft leitmotivische Strukturen.
West Side Story
In dem Musical West Side Story von Leonard Bernstein fungiert als Leitmotiv eine Kombination der Intervalle Quarte und Tritonus, wobei die Quarte für die Sharks, eine Straßengang puerto-ricanischer Jugendlicher, und der Tritonus für die rivalisierende amerikanische Jugendbande der Jets steht.
Les Miserables
Das Musical Les Misérables enthält eine Reihe von (eher abstrakten) Leitmotiven, die im Werk immer wieder an charakteristischen Stellen durchziehen und dramatisch gliedern, so beispielsweise das Motiv der juristisch-normativen Vorgabe, das z. B. durch den Polizisten Javert benutzt wird, wann immer er eine juristische Anklage vollzieht:
Dieses Motiv steht im Gegensatz zum Motiv der persönlich-emphatischen Regung/Teilnahme, das an fast allen Stellen benutzt wird, in denen eine moralisch aufrichtige Person sich über ihr Leid durch die aktuellen sozialen, gesellschaftlichen oder persönlichen Konstellation beklagt, beispielsweise in Fantines Sterbe-Arie, in Eponines berühmter Ballade „On My Own“ genau wie im Finale, das Javerts Fazit zum Leben allgemein und im Frankreich des Vormärz im Speziellen darstellt.
Literatur
Als Leitmotiv bezeichnet man in der Literatur
- eine einprägsame und im gleichen Wortlaut wiederkehrende Aussage
- oder eine thematische Einheit,
die der Gliederung des Erzählten und oft der Repräsentation der Handlung bzw. der Entwicklung der Protagonisten eines literarischen Werkes dient.
Van der Steenhoven unterscheidet „situationelle“ und „textliche“ Leitmotive. Textliche Leitmotive wiederholen Wörter oder größere Texteinheiten, situationelle Leitmotive dagegen Handlungen oder Situationen. Es kommt hinzu das Phänomen der „Doppelung“, wenn gleiche Handlungen oder Motive bei verschiedenen Personen oder in verschiedenen Situationen wiederkehren.[5] Ein Beispiel für ein textliches Leitmotiv wäre die Wiederholung der Wendung „Ein weites Feld“ in Theodor Fontanes Roman Effi Briest.
Jürgen Link definiert das Leitmotiv in seinen „Literaturwissenschaftlichen Grundbegriffen“ strukturalistisch als „Rekurrenz von Morphemen oder Lexemen“.[6] Als „Serien“ von Elementen, die „sämtlich der gleichen lexikalischen Wurzel zugehören“[6] zeichnen sich Leitmotive nach Link häufig durch die Übereinstimmung von lautlicher und semantischer Wiederholung aus. Link erläutert dies anhand von kurzen Textauszügen aus Werbung und Lyrik und arbeitet dabei heraus, dass bloße lautliche Übereinstimmung nicht ausreichend für die Bildung eines Leitmotivs sei.
Das Leitmotiv fungiert häufig als Leitfaden, der sich durch eine komplette Erzählung zieht. Es weist oft bei gleichbleibendem Grundbestand gewisse Abwandlungen auf und repräsentiert somit die Veränderung der Protagonisten in der Handlung.
Ein Beispiel in der Literatur für die Technik des Leitmotivs stellen die Zahnprobleme der Protagonisten als wiederkehrendes Symbol für den Verfall der Familie Buddenbrook im gleichnamigen Roman von Thomas Mann dar.
Als rhythmisches Leitmotiv wird in der Verslehre die beherrschende, fortwährende Wiederkehr von Kolonformen bezeichnet.
Siehe auch
Literatur
- Jürgen Link: Literaturwissenschaftliche Grundbegriffe: eine programmierte Einführung auf strukturalistischer Basis. In: Band 305 von UTB für Wissenschaft, Ausgabe 5, Verlag UTB 1993, ISBN 3-8252-0305-0.
- Robert Maschka: Wagner. Tristan und Isolde. Henschel, Leipzig 2013, ISBN 978-3-89487-924-2.
- Ton van der Steenhoven: Leitmotive in Thomas Manns „der Tod in Venedig“. 2009, ISBN 978-3-640-38226-2.
Einzelnachweise
- ↑ Weber, Gesammelte Schriften, Hg. G. Kaiser, 1908, S. 275.
- ↑ Weber, Gesammelte Schriften, Hg. G. Kaiser, 1908, S. 114. Dass Weber das Agathen-Thema im Freischütz in analoger Weise verwendet, ist kaum zu verkennen.
- ↑ Zur frühen Geschichte der Erinnerungs- und Leitmotive siehe die Beiträge von Wörner und Engländer in: Zeitschrift für Musikwissenschaft Bd. 14 (1931/32)
- ↑ Maschka, S. 45.
- ↑ Ton van der Steenhoven: Leitmotive in Thomas Manns „der Tod in Venedig“, 2009, S. 8
- ↑ 6,0 6,1 Jürgen Link: Literaturwissenschaftliche Grundbegriffe, S. 116
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Leitmotiv aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |