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Marburger Straße (Berlin)

Aus Jewiki
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Marburger Straße
Wappen
Straße in Berlin
Marburger Straße
Marburger Straße, Blick zur Tauentzienstraße
Basisdaten
Ort Berlin
Ortsteil Charlottenburg
Angelegt Zwischen 1893 und 1896
Anschlussstraßen Augsburger Straße, Tauentzienstraße
Plätze Los-Angeles-Platz
Nutzung
Nutzergruppen Fußverkehr, Radverkehr, Autoverkehr
Technische Daten
Straßenlänge 280 m

Die Marburger Straße ist eine in der Berliner City West gelegene, kleine Wohn- und Geschäftsstraße. Nach ihrer Anlage kurz vor der Jahrhundertwende war sie in den 1920er Jahren Ort künstlerischen, homosexuellen und jüdischen Lebens und Kultur. Nach der kulturellen Zerstörung durch den Nationalsozialismus ab den 1930er Jahren wurden im Zweiten Weltkrieg auch große Teile der Gebäude der Straße zerstört.

Heute wird die Straße vornehmlich durch einige im Abschnitt zur Tauentzienstraße gelegene Restaurants und Einzelhändler geprägt.

Anlage und Neuer Westen

Die Marburger Straße um 1900

Die Marburger Straße wurde im ersten Berliner Bebauungsplan, dem Hobrecht-Plan von 1862, der die planerische Grundlage des gesamten „Neuen Westens“ skizziert, noch nicht ausgewiesen.[1] Sie wurde dann zwischen 1893 und 1896 angelegt und nach der Stadt Marburg benannt.[2] Die Straße ist rund 280 Meter lang[3] und stellt eine der Verbindungsstraßen zwischen Tauentzienstraße und der Augsburger Straße dar. Verwaltungstechnisch gehört sie zum Ortsteil Charlottenburg im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf.[2]

Die zur Anlagezeit errichteten gründerzeitlichen Bauten der Straße wiesen eine bürgerliche Anlage auf. So wurde 1897 in der Marburger Straße 3 ein architektonisch aufwendiges Mietshaus errichtet, dessen Wohnungen ursprünglich zwischen acht und zwölf Zimmern aufwiesen. In der direkten Nachbarschaft betrieb eine Stiftung Marienstift in einem prächtigen Backsteingebäude ein Hospiz für junge berufstätige Frauen.[4]

Anfang des 20. Jahrhunderts lebte der Schriftsteller und zeitweise Chefredakteur des Kladderadatsch, Johannes Trojan, in der Marburger Straße 12. Die Randlage der Straße zu dieser Zeit beschreibt er deutlich in seinen Worten, nach denen er „bei seinem Zuzug den Blick noch frei auf kleine Kartoffel- und Roggenfelder“ gehabt habe.[5]

Die „Goldenen Zwanziger“

Schema des Straßenverlaufs mit Hausnummern,
Berliner Adressbuch, 1926

Wie viele andere der umliegenden Straßen war auch die Marburger Straße in den „Goldenen Zwanzigern“ und frühen 1930er Jahren geprägt von einer Mischung aus künstlerischer Bohème, offen gelebter homosexueller Kultur und jüdischem Leben. Eine Zeitzeugin schilderte später die Atmosphäre vor Ort als sie um 1930 vergeblich ein Restaurant eröffnete „ […] in der Marburger Straße. Gleich hinter dem Tauentzien liegt die. Das war eine gute Gegend, nahe an Zoo und Kurfürstendamm, aber es war die falsche Zeit. In diesem Restaurant verkehrten viele Juden, das waren Schauspieler, das waren Künstler, Schriftsteller, und sie waren anspruchsvoll! Sie wollten dies, sie wollten jenes und den ganzen Tag saßen sie da bei einem Mineralwasser und debattierten. Die meisten waren arbeitslos und natürlich hungrig, immer hungrig. Sie wollten essen und später zahlen. Ich habe gekocht und angeschrieben und selten Geld gesehen, und die Nazis haben mir jeden Tag dann auch zwei Mann geschickt, die sollte ich freiwillig verköstigen.“[6]

Mit dem „Schlichter“ und dem „Mutzbauer“ lagen gleich zwei stadtbekannte Künstlerlokale in der Marburger Straße. Das Restaurant „Schlichter“ hatte bereits 1917[7] eröffnet, sein Inhaber war Max Schlichter, der ältere Bruder des Malers Rudolf Schlichter. Rudolf Schlichter war Dadaist und Mitglied der Novembergruppe, er pflegte zahlreiche Verbindungen zu anderen Künstlern der Stadt. Durch ihn wurde das Lokal in Künstlerkreisen bekannt, im Gegenzug hängte Max Schlichter im Restaurant vornehmlich Bilder seines Bruders auf, sodass es für ihn eine Art Dauerausstellung war. Frühe Stammgäste waren der Maler und Zeichner George Grosz sowie der Schriftsteller Carl Einstein[7] und der junge Bertolt Brecht. Im Jahr 1925 zog dann das „Schlichter“ an die Ecke Ansbacher/Martin-Luther-Straße, wo es sich in den folgenden Jahren zu einem der führenden Künstlerlokale der Stadt entwickelte. 1933 starb Max Schlichter.[8]

Eine nicht minder bekannte Adresse der Marburger Straße lag in der Nummer 2, dort befand sich das österreichische Restaurant Mutzbauer. Mitte der Zwanziger Jahre genoss es den Ruf, „besonders gut und billig“ zu sein und wurde nicht nur viel vom Theaterpublikum frequentiert,[9] sondern auch von den österreichstämmigen Künstlern der Stadt, unter ihnen Schauspielerinnen wie Elisabeth Bergner, Rudolf Forster und Walter Reisch.[10] Der Schriftsteller und Kritiker Alfred Polgar sprach dem Mutzbauer eine für Berlin seltene, da typisch wienerische, entspannende Wirkung zu.[11] Neben Besuchen von Schriftstellern wie Klabund oder Carl Zuckmayer[12] verkehrten hier vor allem Theater- und Filmleute wie Carola Neher[12], Billy Wilder[13], Fritz Lang und Peter Lorre,[10] sowie Willy Fritsch, Grete Mosheim, Gerda Maurus, Sybille Binder und Lissy Arna.[14]

In der Marburger Straße 13 befanden sich gleich zwei lesbische Clubs. Neben dem auch für voyeuristische Touristen und Männer zugänglichen „Chez ma belle soeur“ fand sich hier mit dem „Café Domino“ eine der ersten Adressen lesbischen Lebens in der Stadt. Das „Café Domino“ wurde bevorzugt besucht von maskulinen Frackträgerinnen („kesse Väter“) in Begleitung ihrer „Mädis“,[15] es wurden Cocktails, Sekt und Sherry ausgeschenkt und Jazzmusik gespielt.[16]

Die Schriftstellerin Irmgard Keun lebte Anfang der 1930er Jahre in einem Pensionszimmer in der Marburger Straße.[17] In ihrem zweiten Roman Das kunstseidene Mädchen skizziert sie unter anderem das lesbische Leben in der Straße aus der Perspektive der Protagonistin, einer jungen, heterosexuellen Neuen Frau. Aus deren Blickwinkel heraus werden die den Club besuchenden, sich maskulin gerierenden Frauen als „pervers“ empfunden.[15]

Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg

Stolperstein Marburger Straße 3

In der Marburger Straße 5 hatten jüdische Organisationen wie ein Clubheim für Frauen des jüdischen Frauenbundes[18] oder die europaweit einzigartige Berliner Jüdische Volkshochschule[19] ihren Sitz. Mit dem Nationalsozialismus mussten all diese weichen. Der Holocaust erreichte die Marburger Straße ab 1942. Zwölf verlegte Stolpersteine dokumentieren seit dem 21. Jahrhundert die Namen der Opfer und erlauben zugleich Rückschluss darauf, wie sehr die kleine Straße zuvor vom jüdischen Leben geprägt war.

Als unmittelbar hinter der Tauentzienstraße gelegene Straße erfuhr die Marburger Straße im Zweiten Weltkrieg starke Schäden durch Bombardements. Bei Kriegsende war nicht nur die Bebauung unmittelbar an der Tauentzienstraße getroffen worden, vor allem war die südliche Hälfte der Straße vollends zerstört.[20]

Nachkriegszeit und Gegenwart

Die südliche Hälfte des Karrees zwischen Augsburger Straße, Rankestraße und Marburger Straße lag nach dem Abriss einiger letzter Bauten in den 1950er Jahren frei. Die hier entstandene Baulücke wurde lange als Parkplatz für Besucher von Kurfürstendamm und Tauentzienstraße genutzt und erst am 29. November 1982 durch die Anlage des Los-Angeles-Platzes geschlossen.[21] Parkraum bietet seitdem eine unter dem Platz gelegene Tiefgarage. Der gesamte Park wurde am 1. Januar 1997 an den Parkhaus-Betreiber Contipark verkauft und so privatisiert.[22]

Marburger Straße, Blick zur Augsburger Straße mit dem 2010 abgerissenen Pylon

Im Jahr 1965 wurde für den Zugang zum Europa-Center eine von der Marburger Straße ausgehende und über die Tauentzienstraße reichende, 77 Meter lange Fußgängerbrücke errichtet. Ihr Bau war umstritten, weil sie den Blick von der Tauentzienstraße zur Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche störte und wurde 1979 zurückgebaut, bis auf den Pylon in der Marburger Straße. Dieser konnte nicht entfernt werden, weil Sicherheitsbedenken gegen eine Sprengung des Betonsockels sprachen. 1982 wurde der Pylon in einen neuen Bau integriert, einen Imbiss, der sich nach dem Fragment „Schlemmer-Pylon“ nannte und laut Henryk M. Broder „von außen wie ein notgelandetes Raumschiff“[23] aussah.[24] Da der Pylon die Marburger Straße aber von der Tauentzienstraße optisch abtrennte und so das Straßenbild beeinträchtigte, wurde der Bau 2010 entfernt und durch einen flacheren Bau für den Imbiss ersetzt.[25]

Heute ist die Marburger Straße eine vergleichsweise unauffällige Geschäfts- und Wohnstraße, die im Abschnitt zur Augsburger Straße vor allem vom benachbarten Steigenberger Hotel, dem vorgelagerten Los-Angeles-Platz sowie einem Verwaltungsbau der Versicherung HUK-Coburg geprägt wird. Zur anderen Seite hin ist sie vor allem Seitenstraße der Tauentzienstraße. Ansässig sind hier einige Restaurants, darunter seit über drei Jahrzehnten das weit über Berlin hinaus bekannte italienische Restaurant „Bacco“. Durch eine aufwendige Restaurierung ist mit der Marburger Straße 3[4] seit 2009 auch das einzige noch weitgehend im Originalzustand erhaltene Gründerzeitgebäude wieder instand gesetzt worden. Es wird heute für Wohn-, Geschäfts- und kulturelle Zwecke gleichermaßen genutzt.

Nachweise

  1. Übersichtskarte des Bebauungsplanes der Umgebungen Berlins. Der Bebauungsplan in Roth entworfen und vierfach ausgefertigt für das Kgl. Polizei-Präsidium, dem Magistrat von Charlottenburg. Berlin 1862, Online
  2. 2,0 2,1 Marburger Straße. In: Straßennamenlexikon des Luisenstädtischen Bildungsvereins (beim Kaupert)
  3. Messung anhand Google Maps mit Maps Labs-Entfernungsmesser, Zugriff am 14. März 2013
  4. 4,0 4,1 Irja Wendisch: Die Historie der Marburger Straße 3 von 1896 bis heute, Online, Zugriff am 15. März 2013
  5. Fred Oberhauser, Nicole Henneberg:Literarischer Führer Berlin., 1998, ISBN 3-458-33877-2, S. 352
  6. Gabriele Goettle:Frau Hiller – Ein Leben in Metamorphose, taz Nr. 5063, 28. Oktober 1996, S. 13–14
  7. 7,0 7,1 Uwe Fleckner: Carl Einstein und sein Jahrhundert, 2006, ISBN 9783050038636, S. 137, 439
  8. Jürgen Schebera: Damals im Romanischen Café – Künstler und ihre Lokale im Berlin der zwanziger Jahre. Rev. Neuausg. Berlin: Das Neue Berlin. 2005, ISBN 3-360-01267-4, S. 114–133
  9. Eugen Szatmari: Das Buch von Berlin, 1927, S. 69
  10. 10,0 10,1 Stephen Youngkin: The Lost One: A Life of Peter Lorre, ISBN 0-8131-7185-7, 2012, S. 37
  11. Christian Jäger: Wien als Versprechen, Berlin als Hoffnung. In: John Warren / Ulrike Zitzlsperger (Hrsg.): Vienna meets Berlin. Cultural Interactions 1918–1933, 2005, S. 125–138
  12. 12,0 12,1 Guido von Kaulla: Brennendes Herz Klabund, 1971, S. 187
  13. Andreas Hutter, Klaus Kamolz: Billie Wilder: eine europäische Karriere, ISBN 320598868X, 1998, S.96
  14. Herbert Günther: Wo man „sie“ findet In: Scherl's Magazin, Bd. 7, Heft 5, Mai 1931, S. 449–454
  15. 15,0 15,1 Katie Sutton: The Masculine Woman in Weimar Germany, ISBN 9780857451217, 2011, S. 166
  16. Florence Tamagne: History of Homosexuality in Europe, 1919-1939. 2005, ISBN 978-0-87586-356-6, S. 54
  17. Ingrid Marchlewitz: Irmgard Keun – Leben Und Werk, ISBN 3826016211, 1998, S. 26
  18. Lara Daemmig: Bertha Falkenberg – eine Spurensuche, Zugriff am 17. März 2013
  19. Georg Zivier, Walter Huder: 300 Jahre Jüdische Gemeinde zu Berlin, Presse- und Informationsamt des Landes Berlin, 1971, S. 57
  20. alt-berlin.info: Gebäudeschäden 1945, Verlag: B. Aust i. A. des Senators für Stadtentwicklung und Umweltschutz, Zugriff am 14. März 2013
  21. Chronik: Berlin im Jahr 1982. In: Fakten Tag für Tag, Luisenstädtischer Bildungsverein, Zugriff am 24. Dezember 2012
  22. Die Drogenszene ist fort: Der Los-Angeles-Platz gehört seit drei Jahren einer Firma: Nachts bleibt der Privatpark geschlossen. In: Berliner Zeitung, 25. August 1999
  23. Henryk M. Broder: Speisekarte an der Wand, In: Spiegel Special 6/1997, Online
  24. berlin.de: Lexikon Charlottenburg-Wilmersdorf von A bis Z: Schlemmer-Pylon – Berlin.de, Zugriff am 17. März 2013
  25. berlin.de: Abbruch des „Schlemmer“-Pylon in der Marburger Straße – Berlin.de, Zugriff am 17. März 2013

Weblinks

52.50241713.336351
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