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Michel Leiris
Michel Leiris (* 20. April 1901 in Paris; † 30. September 1990) war ein französischer Schriftsteller und Ethnologe.
Leben
Der aus dem französischen Bildungsbürgertum stammende Leiris, dessen literarische Neigung schon früh zutage trat, wurde von seiner Familie gegen seinen Willen zu einem Studium der Chemie genötigt. Dennoch gewann er in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg Anschluss an die avantgardistischen Künstlerzirkel der Epoche, insbesondere zum Surrealismus; rasch befreundete er sich mit Max Jacob, André Masson, Picasso, Joan Miró und anderen. Diese Verbindung hielt bis ins Jahr 1929, wonach er die Gruppe verließ, um größere künstlerische Selbstständigkeit zu erlangen. Lediglich mit André Masson, den er in dieser Zeit kenngelernt hatte, verband ihn eine lebenslängliche Freundschaft.
Leiris begann ein Studium der Ethnologie und lernte Georges Bataille kennen, für dessen Zeitschrift Documents er sich redaktionell engagierte. In der vierten Ausgabe verfasste er 1929 eine erste Würdigung von Alberto Giacomettis Werk. Zusammen mit Bataille, Roger Caillois und Jules Monnerot gründete er das religionswissenschaftlich inspirierte Collège de Sociologie. Von 1931 bis 1933 begab sich Leiris auf eine Forschungsmission Dakar-Djibouti unter der Leitung von Marcel Griaule, einem Kollegen von den Documents. In Äthiopien wurde er tief beeindruckt Zeuge eines Zar-Kults, eines besessenen Handelns, das er als rituelles Theater begriff: als Inszenierung zwar, mit der aber zugleich aus der Vorstellung echte Besessenheit und ein Imaginäres erlitten wird.[1]
Bei seiner Rückkehr verfasste er ein längeres Traktat über seine Erlebnisse (L'Afrique fantôme), in dem er dieses Ritual erstmals beschrieb und die Tropenreise zum Modus geistiger Erlösung stilisierte – ein Genre, das bereits Paul Nizans Aden Arabie maßgeblich vorbereitet hatte. Das monumentale Reisetagebuch Leiris' nutzt die Forschungstechniken der Ethnographie, um sie auf seinen eigenen Alltag („das Heilige im Alltag“) und die Erlebnisse auf seiner Reise anzuwenden. Die Veröffentlichung dieses Texts führte zum Bruch zwischen Leiris und Marcel Griaule.
Von 1929 bis 1935 unterwarf er sich einer psychoanalytischen Therapie durch Adrien Borel, in deren Verlauf er die Notwendigkeit einer intimen Autobiographie als Voraussetzung für einen Heilungserfolg erkannte – die Grundlage von L'Âge d'Homme (dt. Mannesalter). Das Buch erschien 1939 und fand eine Fortsetzung in La Règle du Jeu (dt. Die Spielregel), deren vier Bände zwischen 1948 und 1976 herauskamen. Im Jahr 1957 wurde Leiris Mitglied des Instituts für Pataphysik. Es folgten Novellen und Gedichte.
Seine ethnologische Karriere konnte er nach der Dakar-Djibouti-Reise forcieren und wurde Forscher am neu gegründeten Musée de l’Homme. Nach 1945 näherte er sich dem Sartreschen Existenzialismus an und wurde Gründungsmitglied der Zeitschrift Les Temps Modernes. Zusammen mit Alioune Diop, Aimé Césaire und Georges Balandier gründete er außerdem 1945 die Présence Africaine. Als ein scharfer Gegner des Kolonialismus unterzeichnete Leiris das in Frankreich berühmte Manifest der 121 mit. Zu seinen wichtigeren ethnologischen Werken gehörte eine Studie über den Eigentumsbegriff im nördlichen Äthiopien, den er aus einer Sartreschen Perspektive analysierte.
Leiris ist ein Neffe von Raymond Roussel und Schwager von Daniel-Henry Kahnweiler.
Werk
In Deutschland ist Leiris vor allem durch seinen autobiographischen Roman Mannesalter (1939) bekannt geworden. Techniken seiner surrealistischen Lehrjahre, psychoanalytische Selbstbefragung und ein auf die Deutung des eigenen Lebens gerichtetes ethnologisches Instrumentarium definierten das Genre der Autobiographie neu. Das Buch ist dabei retrospektiv ausgelegt: der 34-jährige, geistig wie körperlich zerschlagene Ich-Erzähler bemüht sich um die rückhaltlose Rekonstruktion der frühkindlichen Quellen seiner psychologischen und sexuellen Obsessionen. Der dem Werk seit 1946 üblicherweise vorgelagerte Essay La littérature considerée comme une tauromachie (Literatur als Stierkampf) begründet dies: die völlige exhibitionistische Selbstpreisgabe verwandelt den Schriftsteller in einen Torero, der den monströsen Stier (das eigene desaströse Ich) aufstachelt, um es zu besiegen. Zweck ist nicht so sehr die nostalgische Rückgewinnung einer verlorenen Vergangenheit (Proust), als vielmehr die In-Frage-Stellung der eigenen biographischen Identität, welche, zusammengesetzt aus tiefenstrukturellen Neurosen, sprachlicher Selbstreferenz und getrübten, nur punktuellen Gedächtnisfragmenten, auf ständig neue Weise spekulativ erzeugt werden muss.
Literatur
Werke
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Sekundärliteratur
- Susanne Goumegou: Traumtext und Traumdiskurs: Nerval, Breton, Leiris. Fink, München 2007.
- Irene Albers & Helmut Pfeiffer Michel Leiris - Szenen der Transgression München: Fink, 2004
- Hans-Jürgen Heinrichs Ein Leben als Künstler und Ethnologe. Über Michel Leiris Frankfurt: Fischer, 1992
- Stephan Moebius: Die Zauberlehrlinge. Soziologiegeschichte des Collège de Sociologie 1937-1939. Konstanz: UVK, 2006. ISBN 3896695320
Auszeichnungen
- Satrap des Collège de Pataphysique 1957[2]
Einzelnachweise
- ↑ Irene Albers und Helmut Pfeiffer: Der besessene Ethnograph und die Rituale des Schreibens. Michel Leiris Texte über den Zar-Kult in Äthiopien. In : Stefan Rieger, Schamma Schahadat und Manfred Weinberg (Hg.): Interkulturalität. Zwischen Inszenierung und Archiv. Tübingen 1999, S. 145-163.
- ↑ fatrazie.com: Histoire de Collège - Le 23. clinamen 84 (frz., abgerufen am 29. Juli 2014)
Weblinks
- Literatur von und über Michel Leiris im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Site de Michel Leiris (französisch)
- Constantin von Barloewen: Der Träumer. Zum Tod des Schriftstellers und Ethnologen Michel Leiris. Die Zeit, 12. Oktober 1990
Personendaten | |
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NAME | Leiris, Michel |
KURZBESCHREIBUNG | französischer Schriftsteller und Ethnologe |
GEBURTSDATUM | 20. April 1901 |
GEBURTSORT | Paris |
STERBEDATUM | 30. September 1990 |
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Michel Leiris aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |