Jewiki unterstützen. Jewiki, die größte Online-Enzyklopädie zum Judentum.
Helfen Sie Jewiki mit einer kleinen oder auch größeren Spende. Einmalig oder regelmäßig, damit die Zukunft von Jewiki gesichert bleibt ... Vielen Dank für Ihr Engagement! (→ Spendenkonten) |
How to read Jewiki in your desired language · Comment lire Jewiki dans votre langue préférée · Cómo leer Jewiki en su idioma preferido · בשפה הרצויה Jewiki כיצד לקרוא · Как читать Jewiki на предпочитаемом вами языке · كيف تقرأ Jewiki باللغة التي تريدها · Como ler o Jewiki na sua língua preferida |
Notitia dignitatum
Die Notitia Dignitatum ist ein spätrömisches Staatshandbuch, das in seiner heutigen Textgestalt vermutlich zwischen 425 und 433 entstanden ist. Allerdings ist anzunehmen, dass die Aufzeichnungen im Kern auf das Jahr 395 zurückgehen bzw. auf noch ältere Quellen zurückgreifen. Der Text gewährt einen Überblick über die administrative Gliederung des spätantiken Römischen Reiches, die militärischen und zivilen Dienststellen sowie die Verteilung der Einheiten des Heeres in der West- und Osthälfte des Reiches. Überliefert ist sie durch mittelalterliche Handschriften.
Überlieferungsgeschichte
Die Notitia Dignitatum wurde nur in einer einzigen Handschrift überliefert. Seit dem 9. oder 10. Jahrhundert werden in der Bibliothek des Speyerer Domstifts, im sog. Codex Spirensis, drei Abschriften aus der Antike aufbewahrt, die
- Notitia Dignitatum selbst, in weiterer Folge eine
- Weltkarte des Castorius, ein Straßen- und Ortsverzeichnis, in dem auch der Verlauf des Oberrheines in der Antike und die Lage des Kastells Noviomagus und seinen Nachbarorten dargestellt ist und das
- Itinerarium Antonini, ein Straßenverzeichnis aus der Zeit Kaiser Caracallas.
Der Codex Spirensis wurde zunächst während des Konzils von Basel (1431–1437) von italienischen Humanisten entdeckt, geriet danach aber wieder in Vergessenheit, bis ihn Beatus Rhenanus um 1525 in der Speyerer Dombibliothek wiederfand. Er ging um 1672 endgültig verloren, allerdings blieben vier Abschriften erhalten, diese befinden sich heute in:
- Oxford (Bodleian Library, Ms. Canon. Misc. lat. 378), entstanden um 1440;
- Paris (Bibliothèque Nationale de France, lat. 9661), entstanden etwa zur selben Zeit;
- Trient (Biblioteca Comunale, W 3103), entstanden um 1484 (ohne Abbildungen) und
- München (Bayerische Staatsbibliothek, Clm 10291), um 1542 für Pfalzgraf Ottheinrich angefertigt.
Die maßgebliche Ausgabe der Notitia Dignitatum wurde 1876 von Otto Seeck publiziert.
Bezeichnung
Der Name leitet sich aus dem Textanfang des Dokumentes ab: Notitia dignitatum continet omnium tam civilium quam militarium dignitatum utriusque imperii occidentis orientisque („Aufzeichnung der Würdenträger, enthält alle Würdenträger, sowohl die zivilen als auch die militärischen, des westlichen und des östlichen Reiches“).
Entstehung und Zweckbestimmung
In der Forschung umstritten sind Entstehungsumstände und Zweck der Notitia dignitatum. Man ist sich weitgehend nur darin einig, dass ihr Ost-Teil in der heute noch existierenden Fassung wohl um die Jahre 394–396 (etwa die Zeit des Todes von Kaiser Theodosius I.) entstand. Die östliche Notitia hat dann wahrscheinlich als Modell für die Abfassung ihres westlichen Teils gedient. Während der Ost-Teil seitdem unverändert blieb, ist der West-Teil noch 408 aktuell gehalten und bis in die späten 420er Jahre offenbar mehrmals provisorisch überarbeitet worden.
Die Notitia wurde vom primicerius notariorum, dem ersten Notar des Reiches, geführt und aufbewahrt. Zu dessen Aufgabe zählte es u. a. Ernennungsurkunden für die höchsten Beamten und Militärs (codicilli) auszustellen. Bei Änderungen der bürokratischen und militärischen Strukturen im Reich wurden von ihm die dafür nötigen Korrekturen vorgenommen.[1] Nach dem Tod des Honorius im August des Jahres 423 wurde im Herbst desselben Jahres mit Hilfe des Flavius Aëtius für einige Monate ein gewisser Johannes neuer Kaiser im Westen. Johannes hatte, als einziger der Imperatoren vor und nach ihm, zuvor das Amt des primicerius notariorum innegehabt, also jenes, das u. a. auch für die Truppenlisten und die Ernennungsschreiben der Militärbefehlshaber zuständig war. Zu diesem Beamten auf dem Kaiserthron würde die Notitia Dignitatum gut passen. So bleibt die Vermutung, dass sie in ihrer (für den Westen) letztmals aktualisierten Fassung als Geschenk für Johannes anlässlich seiner Thronbesteigung am 20. November 423 dienen sollte, doch ist diese vor allem von Ralf Scharf vertretene These in der Forschung umstritten und letztlich auch kaum zu beweisen. Da die Notitia Dignitatum in ihrer vorliegenden Form ein Dokument der Einheit von Ostrom und Westrom darstellt, ist auch ein Zusammenhang mit der Einsetzung des Kaisers Valentinian III. (425 bis 455) durch den Ostkaiser Theodosius II. denkbar, da unter diesen beiden blutsverwandten Herrschern die Zusammengehörigkeit beider Reichshälften wieder stärker in den Vordergrund trat. So hat Gianfranco Purpura 1992 vorgeschlagen, die Notitia Dignitatum als Geschenk des Theodosius II. an seinen jungen Vetter und Kaiserkollegen zu dessen 10. Geburtstag anzusehen; und Peter Brennan meinte 1996 sogar, den Prätorianerpräfekten Macrobius Ambrosius Theodosius als Verfasser identifiziert zu haben.
Zusammensetzung und Inhalt
Das Werk setzt sich aus der notitiae dignitatum tam civilium quam militarium in partibus orientis bzw. occidentis, also zwei Verzeichnissen aller zivilen und militärischen Würden des west- bzw. oströmischen Reichsteils, zusammen. Diese beiden Teildokumente können als eine Art administratives Nachschlagewerk in modernem Sinne angesehen werden, das dem Leser einen Einblick in die Organisation und Hierarchie der zivilen und militärischen Dienststellen gewährt. In den einzelnen Kapiteln werden die Titel des Beamten, sein Zuständigkeitsbereich, sein Verwaltungspersonal sowie bei den Militärs auch die Einheiten und Standorte genannt. Die Aufzählung erfolgt gemäß dem Rang des jeweiligen Amtes innerhalb der Hofgesellschaft und nach einem geografischen Prinzip.
Die Notitia ist reich illustriert und zeigt unter anderem die Schildmuster der einzelnen militärischen Einheiten sowie stilisierte Ansichten von Städten und Kastellen. Die vier bekannten und erhaltenen mittelalterlichen Abschriften geben auch die reichhaltigen farbigen Abbildungen wieder, die wahrscheinlich weitgehend denen des Originals entsprechen, aber aufgrund von Missverständnissen wohl auch einige Fehler und Anachronismen enthalten. Als Quelle für die Spätantike ist vor allem der Text von großem Wert, auch wenn noch viele Details umstritten sind – unter anderem hat man den Umstand, dass auch Britannien noch aufgelistet wird, als Hinweis darauf verstehen wollen, dass die Römer die Insel auch nach Abzug der Feldarmee und der hohen Verwaltungsbeamten, um das Jahr 410, noch als Teil des Imperiums betrachtet haben.
Kapitelaufbau
Die „Notitia Dignitatum“ umfasst 90 Kapitel mit je einer Bildtafel und pro Bildtafel zwischen fünf und zwanzig in Ihnen abgebildeten Objekten. Hinzu kommen etwa 3600 Textzeilen zur Aufzählung von Ämtern und Militäreinheiten. Bei den Tafeln der Grenztruppenkommandeure (Dux/Comes) ist die obere linke Ecke u. a. für die Angabe ihres Titels „comes primi ordinis“ reserviert. Der nur in Kürzeln angegebene Text lautet:
„[Fl]oreas [int]er [ali]os [com]ites [ord]inis [pr]imi“, – „Mögest Du aufblühen unter den Gefolgsleuten ersten Ranges.“
Dieser Text steht innerhalb einer weißen Tafel, die in manchen Abbildungen als buchähnliches Insigne dargestellt wird. Solche Textfelder finden sich ausschließlich in den Kapiteln der viri spectabiles, derjenigen Amtsinhaber, die ab 364 zur mittleren senatorischen Rangklasse zählten. Sie sind stets mit einer Schriftrolle kombiniert die als Symbol des kaiserlichen Ernennungsschreibens dient, das anlässlich seiner Einsetzungszeremonie an den Amtsinhaber übergeben wurde. Die Bildtafeln beinhalten in weiterer Folge die Garnisonsorte der Truppen des jeweiligen dux, die durch stark stilisierte Städte- bzw. Festungsdarstellungen angegeben sind, unter denen der dazugehörige Ortsname steht. Die dreizehn sechseckigen Vignetten in der Abbildung des Dux Foenicis als Symbole für seine von ihm kontrollierten Garnisonen geben allerdings nur einen standardisierten Bildtyp eines Kastells oder einer befestigten Stadt wieder. Durch die unterschiedliche Zahl von Türmen und Toren sowie die wechselnde Farbgebung sollte wohl eine gewisse Abwechslung erzeugt werden. Es war nicht Absicht, hier ein bestimmtes Kastell oder eine Art Bedeutungsstufe wiederzugeben.
Der Kapiteltext beginnt immer mit der Formel:
„sub dispositione viri spectabilis“ – „Zur Verfügung des hoch angesehenen dux/comes von…“.
Die Truppenlisten entsprechen in ihrem Aufbau dem üblichen Schemata der Notitia: Zuerst wird der Rang des befehlshabenden Offiziers genannt, dann der Name seiner Einheit und abschließend deren Garnisonsstandort. Nach den Truppenabteilungen werden die Beamten des Verwaltungsstabs angeführt.
Definition der Abbildungen
Die verschiedenen Illustratoren des Manuskripts haben versucht, die spätrömischen Insignien möglichst exakt wiederzugeben, wie der Vergleich mit antiken Abbildungen zeigt, doch gestatteten sie sich bei der Darstellung dekorativer Details – wie etwa der Kleidung – offensichtlich einige Freiheiten; zudem interpretierten sie wohl einige der spätrömischen Abkürzungen falsch. Die Insignien der hohen Beamten werden als ein Ensemble von Kodizillen dargestellt – goldverbrämte Ernennungsurkunden in Elfenbeinrahmen mit dem kaiserlichen Porträt – oder als Buch mit heraldischer Bemalung auf dem Buchdeckel zusammen mit Schriftrollen. Die Kodizille – und manchmal auch die Bücher – sind auf einem Tisch mit gemustertem Überwurf angeordnet. In manchen Fällen steht eine geschnitzte Elfenbeinsäule auf einem Dreifuß. Sie stellt das zeremonielle Schreibzeug und soll die richterliche Gewalt symbolisieren.
Die Notitia enthält auch die ältesten bekannten Abbildungen des heute als Yin und Yang bekannten Zeichens.[2][3][4][5] Die weströmischen Infanterieeinheiten armigeri defensores seniores („Schildträger“) und Mauri Osismiaci führten ein Wappen im Schild, das der dynamischen, rechtsläufigen Variante der fernöstlichen Tradition entspricht.[2] Eine weitere Legionseinheit, die Thebaei, führte ein der statischen Variante des ostasiatischen Taijitu vergleichbares Schildmuster.[2] Diese römischen Symbole gehen den späteren, daoistischen Versionen um beinahe sieben Jahrhunderte voraus.[2]
Heereslisten
Für die mobilen Feldarmeen (comitatenses) wurden in der Notitia Dignitatum zwei Listen angelegt. Die erste zählt die jeweiligen Regimenter (numeri) und ihre obersten Befehlshaber, den magister peditum (Infanterie) und den magister equitum (Reiterei), in der zweiten (distributio numerorum) sind deren Stationierungsorte und Abschnittskommandeure vermerkt.[6] Ein großes Problem ist auch das fast völlige Fehlen von Angaben zur Truppenanzahl, sodass eine genaue Schätzung über die damalige Größe der Armee unmöglich ist und daher nur für das späte 4. Jahrhundert halbwegs zutreffende Angaben gemacht werden können. Auch sind die Probleme in puncto Auswertung bzgl. der Verwaltungs- und Militärorganisation der Grenzprovinzen im Alpen-Donau-Raum bis dato noch nicht zufriedenstellend gelöst worden. Neuere Forschungen brachten zutage, dass die Angaben über die Feldarmeen des Westreiches (palatini und comitatenses) wahrscheinlich dem Sollbestand der Jahre zwischen 420 und 425 nahekommen, jedoch die Aufzeichnungen, die das östliche Heer betreffen, ab dem Jahr 395 wohl nicht mehr der damaligen Realität entsprachen. Nur die Liste der ostillyrischen Heeresgruppe wurde zwischen 396 und 410 noch einmal aktualisiert.[7] Auch die Listen der Grenztruppen (limitanei) an der Donau weisen unterschiedliche und oft widersprüchliche Eintragungen auf. Es ist auch fraglich, ob die Listen der norisch-pannonischen Limitanei über die Jahre 375–378 hinausreichen.
Die Auswertung der o.a. Listen lässt vermuten, dass das weströmische Heer nach der Katastrophe von 406 die meisten Verluste hinnehmen musste.[8] Fast die Hälfte der ursprünglichen westlichen Einheiten dürfte in den Auseinandersetzungen des frühen 5. Jahrhunderts aufgerieben oder zersprengt worden sein. Im Jahr 395 umfasste das östliche Feldheer 157 Einheiten, das westliche – bis zum Jahr 420 – sogar 181 Einheiten. Davon waren aber 97 im späten 4. Jahrhundert aufgestellt worden und nur 84 von ihnen stammten noch aus den Jahren vor 395.[9] Die neu gebildeten Einheiten des Westheeres wurden jedoch zu 64 Prozent aus den limitanei herausgezogen. Viele ihre Regimenter scheinen (in den nachträglich nicht mehr korrigierten Abschnitten der Listen) daher auch noch in ihren alten Stationierungsorten am limes auf. Die Verluste der Westarmee waren also nicht mit neu rekrutierten Soldaten, sondern lediglich durch eine Statusänderung schon bestehender Einheiten ausgeglichen worden. Von den 35 neuen Einheiten der Feldarmee wurde etwa ein Drittel aus Germanenstämmen (z. B. Attecoti, Marcomanni, Brisigavi) angeworben. Glaubt man den Zahlenangaben in der Endfassung der Notitia Dignitatum, war das westliche Feldheer zu diesem Zeitpunkt sogar stärker als noch 25 Jahre zuvor. Während auch das Feldheer nun scheinbar größer war, war der Mannschaftsbestand in der westlichen Armee in Wirklichkeit aber stark geschrumpft, da die meisten zu comitatenses aufgewerteten limitanei aus Geldmangel nicht mehr durch neue Einheiten ersetzt werden konnten. Dies traf besonders für die Grenztruppen in Gallien zu. Insgesamt dürfte die Anzahl der Einheiten der „echten comitatenses“ sogar real um 25 Prozent gesunken sein (d. h. von ca. 160 auf 120 Einheiten).
Ein weiteres Rätsel ist die Provinz Germania II, da sie diesbezüglich in der Notitia überhaupt nicht erwähnt wird. Weder mit einer eigenen Truppenliste noch durch die Angabe eines dux. Somit bleibt unklar, wie - oder in welchen Einheiten - die dortigen Grenztruppen im 4. und früheren 5. Jahrhundert organisiert waren. Man hat in der einschlägigen Forschung darauf unterschiedliche Antworten gefunden: Entweder ist die entsprechende Abschrift der westlichen Notitia im Laufe der Zeit verloren gegangen; oder die Verteidigung der Kastelle am Niederrhein lag seit dem frühen 5. Jahrhundert bereits weitestgehend in den Händen von germanischen Söldnern bzw. Foederaten, die – da sie als Irreguläre angesehen wurden – in den Truppenlisten nicht mehr berücksichtigt wurden. Möglich wäre auch, dass das Rheinufer zu dieser Zeit nur von comitatensis oder pseudocomitatensischen Einheiten überwacht wurde. Auch die Archäologie lieferte hierzu in den letzten Jahre einige neue Erkenntnisse (Befunde aus Rheinkastellen). Demnach dürfte der römisch organisierte Grenzschutz in der Germania II, wie auch immer er im Einzelnen aufgestellt gewesen sein mag, noch weit bis in das 5. Jahrhundert hinein existiert haben.[10]
Verwaltungsstab
Bei ihren Führungsaufgaben wurden Comites und Duces von einem umfangreichen Verwaltungsstab unterstützt. Auch die Heermeister übten ihre Kontrolle der comites und duces vor allem über deren Kanzleien aus. Theodor Mommsen konnte nachweisen, dass die Bestellung der Kanzleivorstände unterschiedlich gehandhabt wurde. Seit der Einführung einer neuen Kanzleiordnung um 395 wurden sie in der Mehrzahl alljährlich von den Heermeistern eingesetzt. Indem der Heermeister dort ihm ergebene Beamte einsetzte, konnte er seine Offiziere besser überwachen und einheitliche Standards in der Militärpolitik durchsetzen. In den pannonischen Provinzen wurden sie hingegen noch autonom aus den eigenen Reihen gewählt.[11]
In der Notitia werden für das officium folgende Planstellen angeführt:
- princeps officii (Vorstand)
- numerarius (Kassenführer/Zahlmeister)
- commentariensis (Buchführer und Rechtskundiger)
- adiutorem (Assistent)
- regrendarium (Verwalter)
- exceptores (Juristen)
- singulares et reliquos officiales (Leibwächter und sonstige Beamte)
- subadiuuam (Hilfskraft)
Die spätantike Verwaltungs- und Militärorganisation
Die Organisationsstruktur in der Zivil- und Militärverwaltung, wie sie in der Notitia Dignitatum beschrieben wird, gründet sich im Wesentlichen auf die Reformen Diokletians und Konstantins und die Aufteilung des Imperiums durch Valentinian I. und Valens in Okzident (Westen) und Orient (Osten) im späten 4. Jahrhundert. Unter Diokletian wurde die Anzahl der Provinzen nahezu verdoppelt. Überliefert sind bis zu 114 Provinzen. Diese wurden wiederum gruppenweise in Diözesen zusammengefasst. Gab es zunächst nur 12 dieser mittleren Verwaltungseinheiten, waren es unter Kaiser Theodosius I. schon 14. Da die Vier-Kaiser Herrschaft (Tetrarchie) über ein dementsprechend untergegliedertes Reich nur eine kurze Episode blieb, ließ sich die Bildung von, den Diözesen übergeordneten, administrativen Großeinheiten langfristig nicht umgehen. Die Schaffung der territorialen Prätorianerpräfekturen (unter Konstantin vier, zwischen 337 und 395 nur drei, danach wieder vier), die diese Aufgabe übernahmen, wurde von Konstantin I. in Gang gesetzt.
Die diokletianisch-konstantinische Reformtätigkeiten beschäftigten sich aber in erster Linie mit dem Heerwesen. Die gesamte Exekutive wurde dabei umorganisiert, wobei auch – entgegen der bisherigen römischen Gepflogenheiten – eine Trennung zwischen ziviler und militärischer Gewalt eingeführt wurde. Der Hauptgrund für diese Maßnahme dürfte in der neuerlichen Aufspaltung der Provinzen zu suchen sein: Hätte man Zivil- und Militärämter weiter in einer Hand belassen, so wäre in weiterer Folge auch eine Teilung der Kommandobereiche unumgänglich geworden. Das wäre aber wiederum strategisch oft nicht sinnvoll gewesen. Die meisten der neu entstandenen Provinzen waren zu klein, um genügend große Einheiten aufzustellen, bzw. weiter unterhalten zu können. Sie verlor an sich auch als militärische Größe immer mehr an Bedeutung, da die neuen Feldarmeen überregional operieren mussten. Deswegen war es auch in mehreren Fällen notwendig, die Streitkräfte mehrerer Provinzen unter das Kommando eines Heerführers (z. B. der Dux Pannoniae Primae et Norici Ripensis) zu stellen. Ein weiterer Grund liegt auch in der Zunahme der Verwaltungsaufgaben, deren Administration erst durch die Reformen Diokletians notwendig wurden und hiefür – auch fachlich versierte – Amtsträger erforderte. Die Trennung dürfte aber zur Zeit Diokletians noch nicht vollständig umgesetzt worden sein, da man in den Quellen auch noch von praesides liest, die weiterhin zivile und militärische Ämter in Personalunion ausübten. Diese Reformen erfuhren erst unter Konstantin I. ihren endgültigen Abschluss.[12]
Galt die Zivilbürokratie in den folgenden Jahrhunderten als militia Romana, die nun nur mehr Bürgern mit juristischer Ausbildung offenstand, so wurde die Armee, militia armata, in weit stärkerem Maße als bisher für das „niedere Volk“ und „Barbaren“ geöffnet. Diejenigen Einheiten der Armee, die weiterhin an der Grenze, dem limes, dienten, standen in ihren Abschnitten unter dem Befehl eines Dux Limitis, und werden erstmals im Jahre 363 in den Quellen als Limitanei erwähnt. Das Grenzheer hatte zwar einen niedrigeren Status, unterschied sich dabei aber nicht gravierend von dem als kaiserliche Gefolgschaft bezeichneten comitatus, dem mobilen Marsch- oder Feldheer unter dem Kommando eines Comes rei militaris.
Neben den Angehörigen der Garde (scholaren) zählten die „Palastleute“, palatini, zum engsten Gefolge des Kaisers. Sie wurden anfangs von den Elite-Legionen oder aus besonders zuverlässigen Barbarenstämmen rekrutierten Auxiliarverbänden gestellt. Als zweite Gruppe im Bewegungsheer rangierten die eigentlichen Gefolgsleute, die Comitatenses, in der die kampfkräftigsten Abordnungen (Vexillationen) der übrigen Legionen eingereiht wurden. Den untersten Rang im mobilen Feldheer nahmen schließlich die pseudocomitatenses ein, die bei Bedarf vorübergehend aus den Grenztruppen herausgezogen wurden.
Verwaltungsebene | Militärischer Befehlshaber |
Zivilverwalter |
---|---|---|
Provinz | Comes/Dux limitis | Proconsul/Consulares/ Corrector/Praesides |
Diözese | Magister militum (Ostreich)/ Comes rei militaris (Westreich) |
Vicarius |
Prätorianerpräfekt | Augustus/Caesar | Praefectus praetorio |
In der Notitia Dignitatum aufgelistete Zivil- und Militärämter
Ostreich
Zivilverwaltung:
Die höchsten Zivilbeamten im Orient waren:
- 2 Praefectus Praetorio (Orientis, Illyrici),
- 1 Praefectus urbis Constantinopolitanae (Stadt und Umland von Konstantinopel),
Dem Praefectus praetorio Orientis unterstehen 5 Vikare:
- Asiana,
- Pontica,
- Thracia,
- Aegyptus und
- Oriens.
Die Provinzen dieser 5 Diözesen werden von 1 Proconsul, 12 Consulares, 1 Corrector und 32 Praesides verwaltet.
Dem Praefectus praetorio Illyrici unterstehen zwei Vikare:
- Dacia und
- Macedonia.
Die Provinzen dieser 2 Diözesen werden von 1 Proconsul, 3 Consulares, 1 Corrector und 8 Praesides verwaltet.
Militärverwaltung:
Die höchsten Militärämter im Osten waren die des
- Magister militum praesentalis I,
- Magister militum praesentalis II,
- Magister militum per Orientum,
- Magister militum per Thracias und der
- Magister militum per Illyricum.
Dem Magister militum praesentalis I unterstehen in Ägypten und Nordafrika der:
Der Magister militum praesentalis II kontrolliert in Pontus (Schwarzmeerküste, Armenien) den
- Dux Armeniae,
- Comes per Isauriam.
Dem Magister militum per Orientum unterstehen im vorderen Orient der:
- Dux Foenicis,
- Dux Syriae,
- Dux Palaestinae,
- Dux Osrhoenae,
- Dux Mesopotamiae,
- Dux Arabiae.
Dem Magister militum per Thracias unterstehen an der unteren Donau der:
- Dux Moesiae secundae,
- Dux Scythiae.
Dem Magister militum per Illyricum unterstehen am Balkan der:
- Dux Daciae ripensis,
- Dux Moesiae primae.
Westreich
Zivilverwaltung: Die höchsten Zivilbeamten im Occident waren:
- 2 Praefectus Praetorio (Italien, Gallien),
- 1 Praefectus urbis Romae (Stadt und Umland von Rom).
Dem Praefectus praetorio Italiae unterstehen 3 Vikare:
- Illyricum,
- Italiae,
- Africae.
Dem Praefectus praetorio Galliarum unterstehen 3 Vikare:
- Septem Provinciarum,
- Hispaniarum,
- Britanniarum.
Militärverwaltung:
Die höchsten Militärämter im Westen waren die des:
- Magister peditum in praesenti,
- Magister equitum in praesenti (diese beiden Ämter wurden später im Magister militum praesentalis zusammengefasst).
Dem Magister militum unterstehen für Italien, Slowenien und die Ostalpen der:
- Comes Italiae,
- Dux Raetiae,
für das westliche Illyricum (Balkan, obere und mittlere Donaugrenze) der:
- Comes Illyrici,
- Dux Pannoniae secundae,
- Dux Valeriae ripensis,
- Dux Pannoniae Primae et Norici Ripensis,
für Hispaniarum (Spanien, Portugal): ein
- Comes Hispaniae,
für Tingitaniam (westliches Algerien, Marokko): ein
- Comes Tingitaniae,
für intra Africam (Tunesien, Algerien, Libyen), ein
- Comes Africae,
- Dux limitis Mauretaniae Caesariensis,
- Dux limites Tripolitani,
für Britannien (England, Hadrianswall, Wales und Sachsenküste britischer Teil) ein:
für Gallien, Sachsenküste (gallischer Teil), Westalpen und die Rheingrenze der:
- Magister equitum per Galliarum,
- Comes tractus Argentoratensis,
- Dux Belgicae secundae,
- Dux Germaniae primae,
- Dux Mogontiacensis,
- Dux provinciae Sequanicae,
- Dux tractus Armoricani et Nervicani.
Einheiten | Westen (Stand 395) | Osten (Stand 410-420) | Gesamt |
---|---|---|---|
Schola | 5 | 7 | 11 |
Vexillatio palatina | 14 | 10 | 20 |
Vexillatio comitatensis | 28 | 30 | 58 |
Vexillatio equitum/Equites | 71 | 50 | 121 |
Ala | 72 | 10 | 82 |
Cuneus equitum | 33 | 14 | 47 |
Summe | 225 | 121 | 339 |
Befehlshabender Offizier |
Garnison bzw. Kommandantur |
Name | Anzahl der Einheiten |
Mannschaftsstärke (Höchststand) |
Comes domesticorum equitum | Konstantinopel | Schola scutariorum clibanariorum* | 1 | 500 |
Magister militum praesentialis I | Nicea | Comites clibanarii* Equites cataphractarii Biturigenses Equites I clibanarii Parthi |
3 | 1500 |
Magister militum praesentialis II | Adrianopel | Equites Persae clibanarii* Equites cataphractarii Equites cataphractarii Ambianenses Equites II clibanarii Parthi |
4 | 2000 |
Magister militum per Orientem | Antiochia (Syrien) | Comites cataphractarii Bucellarii iuniores Equites promoti clibanarii Equites IV clibanarii Parthi Cuneus equitum II clibanariorum Palmirenorum |
4 | 1750 |
Magister militum per Thracias | Marcianopel | Equites cataphractarii Albigenses | 1 | 500 |
Dux Thebaidos | Pambane | Ala I Iovia cataphractariorum | 1 | 250 |
Dux Scythiae | Arubio | Cuneus equitum cataphractariorum | 1 | 250 |
Ostreich gesamt | 15 | 6750 | ||
Magister equitum praesentalis | Mediolanum | Comites Alani* Equites sagittarii clibanarii |
2 | 1000 |
Comes Africae | Carthago | Equites (sagittarii) clibanarii | 1 | 500 |
Comes Britanniarum | Londinium | Equites cataphractarii iuniores | 1 | 500 |
Westreich gesamt | 4 | 2000 | ||
Gardeeinheiten sind mit * gekennzeichnet. |
Ausgaben
- Otto Seeck: Notitia dignitatum. Accedunt notitia urbis Constantinopolitanae et laterculi provinciarum. Weidmann, Berlin 1876 (Digitalisat; unveränderter Nachdruck. Minerva, Frankfurt am Main 1962).
- Concepción Neira Faleira: La Notitia dignitatum. Nueva edición crítica y comentario histórico (= Nueva Roma 25). Consejo Superior de Investigaciones Científicas, Madrid 2005, ISBN 84-00-08415-2.
Literatur
Übersichtsdarstellungen in Handbüchern
- Klaus-Peter Johne: Notitia dignitatum. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 8, Metzler, Stuttgart 2000, ISBN 3-476-01478-9, Sp. 1011–1013.
- Daniëlle Slootjes: Notitia dignitatum. In: Reallexikon für Antike und Christentum. Band 25, Hiersemann, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-7772-1318-7, Sp. 1133–1145
- Matthias Springer: Notitia dignitatum. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 21, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2002, ISBN 3-11-017272-0, S. 430–432.
Untersuchungen
- Pamela C. Berger: The insignia of the Notitia dignitatum. Garland, New York 1981, ISBN 0-8240-3927-0.
- Peter Brennan: The Notitia Dignitatum. In: Entretiens Fondation Hardt 42, 1996, S. 147–178.
- Roger Goodburn, P. Bartholomew (Hrsg.): Aspects of the notitia dignitatum. Papers presented to the conference in Oxford, December 13 to 15, 1974 (= British archaeological reports Supplementary series 15). Oxford 1976.
- Dietrich Hoffmann: Das spätrömische Bewegungsheer und die Notitia Dignitatum (= Epigraphische Studien. Bd. 7). 2 Bände. Rheinland-Verlag, Düsseldorf 1969–1970, ISSN 0071-0989
- Michael Kulikowski: The Notitia Dignitatum as a historical source. In: Historia. Bd. 49, 2000, S. 358–377.
- Gianfranco Purpura: Sulle origini della Notitia Dignitatum. In: Atti del X Convegno Internazionale Accademia Costantiniana di Perugia, 8 ottobre 1991. Perugia 1995, S. 347–357 (= Annali dell'Università di Palermo 42, 1992, S. 471–483; Digitalisat)
- Ralf Scharf: Der Dux Mogontiacensis und die Notitia Dignitatum. Eine Studie zur spätantiken Grenzverteidigung (= Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Ergänzungsband 48). de Gruyter, Berlin u. a. 2005, ISBN 3-11-018835-X.
- Jürgen Oldenstein: Kastell Alzey. Archäologische Untersuchungen im spätrömischen Lager und Studien zur Grenzverteidigung im Mainzer Dukat. 2009 (Habilitationsschrift Universität Mainz 1992, PDF, 14,9 MB).
Weblinks
- Bayerische Staatsbibliothek: Notitia Dignitatum Clm 10291 – volle Online-Version (Sammel-Handschrift: der Link verweist auf die erste Seite der Notitia Dignitatum)
- Compilation 'notitia dignitatum' (Cnd) Beschreibung und Literaturangaben – Dr Ingo G. Maier
- Englische Übersetzung
- Farbabbildungen der Schildzeichen in der Notitia Dignitatum
- lat. Volltext auf thelatinlibrary.com
- Notitia Dignitatum in der Bibliotheca Augustana
Anmerkungen
- ↑ Peter Heather: Der Untergang des Römischen Weltreiches. 2. Auflage. Rowohlt, Reinbek 2011, ISBN 978-3-499-62665-4, S. 289.
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 Giovanni Monastra: The "Yin-Yang" among the Insignia of the Roman Empire?, Sophia, Bd. 6, Nr. 2 (2000).
- ↑ Isabelle Robinet: Taiji tu. Diagram of the Great Ultimate, in: Fabrizio Pregadio (Hrsg.): The Encyclopedia of Taoism A–Z, Routledge, Abingdon (Oxfordshire) 2008, ISBN 978-0-7007-1200-7, S. 934–936 (934).
- ↑ Late Roman Shield Patterns. Notitia Dignitatum: Magister Peditum.
- ↑ Helmut Nickel: The Dragon and the Pearl. In: Metropolitan Museum Journal 26, 1991, S. 146 Fußnote 5.
- ↑ Notitia Dignitatum Occ. V, VI und VII.
- ↑ Dietrich Hoffmann: Bewegungsheer; Karlheinz Dietz: Cohortes, ripae, pedaturae. Zur Entwicklung der Grenzlegionen in der Spätantike. In: Festschrift Adolf Lippold, 1993, S. 279–329 (mit ausf. Literaturangaben) Volltext.
- ↑ Peter Heather: Der Untergang des Römischen Weltreiches. 2. Auflage. Rowohlt, Reinbek 2011, ISBN 978-3-499-62665-4, S. 289.
- ↑ Peter Heather: Der Untergang des Römischen Weltreiches. 2. Auflage. Rowohlt, Reinbek 2011, ISBN 978-3-499-62665-4, S. 289.
- ↑ Peter Heather: Der Untergang des Römischen Weltreiches. 2. Auflage. Rowohlt, Reinbek 2011, ISBN 978-3-499-62665-4, S. 290–291, Michaela Konrad, Christian Witschel (Veranstalter): Tagungsbericht zu dem internationalen Kolloquium „Römische Legionslager in den Rhein- und Donauprovinzen“ – Nuclei spätantik- frühmittelalterlichen Lebens? Bayerische Akademie der Wissenschaften, München vom 28. bis 30. März 2006, S. 11–13. PDF (353 KB).
- ↑ Friedrich Anders 2010, S. 123–124 , Jürgen Oldenstein, 2009, S. 291–292
- ↑ Karen Piepenbrink: Konstantin der Große und seine Zeit, Reihe Geschichte Kompakt 2. Auflage, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2007, ISBN 978-3-534-20905-7, S. 15.
- ↑ Notitia Oriens Title I: List of duces.
- ↑ A. H. M. Jones 1964, S. 610.
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Notitia dignitatum aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |