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Novemberaufstand
Der Novemberaufstand von 1830/1831, auch Polnisch-Russischer Krieg 1830/1831,[1] oder Kadettenaufstand genannt – war der erste größere Aufstand der Polen nach dem Wiener Kongress, der die Unabhängigkeit Polens zum Ziel hatte. Der Zar Nikolaus I. wurde in seiner Eigenschaft als König von Kongresspolen für abgesetzt erklärt. Es kam zur Bildung einer nationalen Regierung. Die militärischen Auseinandersetzungen verliefen zunächst für die Polen günstig, bis sie schließlich der Übermacht der russischen Armee unterlagen. Vor allem aber gelang es nicht, den Aufstand zu einer wirklich nationalen Bewegung zu machen. Da es zu keinen sozialen Verbesserungen für die Bauern kam, blieben diese abseits. Auch Adel und Bürgertum standen nicht geschlossen hinter der Bewegung. Nach der Niederlage kam es zur politischen Emigration zahlreicher Anhänger des Aufstandes. Das Königreich Polen (von 1815, Kongresspolen) verlor seine Verfassung und die Bürgerrechte wurden eingeschränkt.
Vorgeschichte
Nikolaus I. versprach nach seiner Thronbesteigung 1825, dass er die Verfassung von 1815 anerkennen würde. Gleichzeitig macht er aber auch deutlich, dass er die polnischen Ostgebiete als Teile Russlands ansehen würde. Daraufhin begannen dort Maßnahmen zur Russifizierung. Die litauische Armee wurde fortan von russischen Offizieren kommandiert. Die Universität in Wilna wurde nach russischen Vorstellungen umgestaltet. Es wurde Druck auf die mit Rom verbundene unierte Kirche ausgeübt, mit dem Ziel sie mit der russisch-orthodoxen Kirche zu vereinen.
Verbindungen von Beteiligten des russischen Dekabristenaufstandes reichten nach Polen und der Kaiser übte Druck auf den polnischen Senat als das höchste Gericht aus, die Verantwortlichen zu bestrafen. Dieser lehnte es ab, Bestrebungen zur Wiederherstellung des polnischen Territoriums in den Grenzen von 1794 als Hochverrat zu verurteilen und verhängte 1828 nur geringe Strafen wegen Geheimbündelei. In Polen selbst verstärkte dies die Unabhängigkeitsbewegung und die Bildung von Geheimgesellschaften. In der Folge wurden Verstöße der Russen gegen die Verfassung von 1815 beklagt. Die Lage wurde durch Preissteigerungen und schlechte Ernten noch verschärft. Den Unmut bekam Nikolaus I. zu spüren, als er 1830 zur Krönung nach Warschau kam. Er eröffnete den Sejm und auch dort wurden Rufe nach Reformen in der Bauernfrage und hinsichtlich der Rechte der Juden laut. Es wurde eine liberale Bildungspolitik und die Abschaffung der Zensur gefordert.
Ein weiterer Aspekt waren die Revolutionsbewegungen des Jahres 1830 in Frankreich, Belgien und im Kirchenstaat. Nikolaus I. reagierte, indem er die Heilige Allianz dagegen zu mobilisieren versuchte. Er plante, so lauteten die Gerüchte in Warschau, in Westeuropa auch mit der Armee des Königreichs Polen zu intervenieren. Stattdessen sollten in Polen russische Truppen einrücken. Unter den Polen verbreitete sich die Furcht, dass der russische Herrscher die Gelegenheit nutzen könnte, um die Verfassung von 1815 und die Autonomie des Landes zu beseitigen.[2]
Beginn der Bewegung
Die ersten Träger des Novemberaufstandes 1830/31 war nicht die politische Führungsschicht des Königreiches, sondern eine relativ kleine Gruppe jugendlicher Verschwörer, besonders unter den Kadetten der Warschauer Fähnrichschule, unter ihnen auch der junge Ludwik Mieroslawski, der bei späteren Aufständen, nicht nur in Polen, eine wichtige Rolle spielen sollte. Einer der geistigen Führer war der bedeutendste Historiker Polens, Joachim Lelewel, der zunächst in die polnische Nationalregierung eintrat und später Präsident des polnischen Nationalkomitees in der Emigration wurde.
Am Abend des 29. November 1830 griff eine Gruppe von Verschwörern den Belvedere-Palast in Warschau an, mit dem Ziel den faktischen Vizekönig Konstantin Pawlowitsch Romanow, den Bruder des Zaren, zu töten. Der Aufstand war nicht spontan ausgebrochen, aber er war schlecht geplant. Daher gelang der Anschlag auf den Statthalter nicht und Konstantin konnte mit den russischen Truppen aus der Stadt entkommen. Eine Volksmenge stürmte das Arsenal, bewaffnete sich und übernahm die Kontrolle über den nördlichen Teil Warschaus.
Nun begannen sich auch hohe polnische Offiziere und führende Politiker am Aufstand zu beteiligen. Franciszek Ksawery Drucki-Lubecki und Adam Jerzy Czartoryski versuchten die Unruhen zu beenden und verhandelten mit dem Großfürsten. Im Dezember 1830 bildete sich mit der „Patriotischen Gesellschaft“ eine politische Kraft, die einen strikt antirussischen Kurs verfolgte und Demonstrationen veranstaltete.
Absetzung des Zaren
Am 3. Dezember bildete sich eine vorläufige Regierung des Königreichs. Józef Chłopicki wurde Oberbefehlshaber der Armee. Er bekämpfte alle revolutionären Bewegungen und erklärte sich am 5. Dezember zum Diktator. Er wurde in dieser Funktion durch den am 18. Dezember zusammentretenden Sejm bestätigt. Chłopicki glaubte nicht, dass ein polnischer Sieg möglich wäre und versuchte daher in Verhandlungen mit den Russen Konzessionen für Polen zu erreichen. Er versprach die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung, verlangte die Abtretung der ehemals polnischen Gebiete von Russland und die Respektierung der Verfassung von 1815. Als Nikolaus I. sich darauf nicht einließ und die Unterwerfung der Aufständischen forderte, trat Chłopicki auch wegen interner Streitigkeiten an 17. Januar 1831 zurück. An dessen Stelle ernannte der Reichstag Michał Gedeon Radziwiłł zum Oberbefehlshaber. Die Forderung des Zaren nach der Kapitulation der Aufständischen, führte dazu, dass der Sejm am 25. Januar Nikolaus I. und die „Dynastie der Romanows für abgesetzt“ erklärte.
Der Schritt zur Unabhängigkeit bedeutete, dass der Konflikt nicht nur ein Problem des Russischen Reiches blieb, sondern dass dadurch das internationale System des Wiener Kongresses bedroht war. Insbesondere Preußen und Österreich als die beiden anderen an den Teilungen Polen beteiligten Mächte solidarisierten sich mit Russland.[3]
Entwicklung im Inneren
Am 30. Januar bildete sich eine polnische Nationalregierung. Diese bestand aus fünf Mitgliedern unter der Führung von Adam Jerzy Czartoryski. Die Regierung sollte die verschiedenen politischen Richtungen im Land repräsentieren. Zwei ihrer Mitglieder standen für eine russlandfreundliche oder neutrale aristokratische Richtung. Zwei weitere, die vor allem Rechtssicherheit forderten, waren Vertreter des Liberalismus. Joachim Lelewel repräsentierte schließlich die radikale nationale Bewegung. Diese Uneinigkeit in der politischen Führung hat die Erfolgschancen verschlechtert.
Unklare Vorstellungen von Absicht und Verlauf des Aufstandes und scharfe Gegensätze zwischen den einzelnen politischen Richtungen bildeten von Anfang an eine schwere Belastung für das Gelingen, während die militärische Lage anfänglich nicht ungünstig war. Weder Adel noch Bürgertum waren zu einer unkalkulierbaren nationalen Erhebung bereit. Letztlich kam es auf die Haltung der Bauern an und in dieser Hinsicht scheiterte der Aufstand.[4] In der Maiverfassung wurden die Interessen der Bauern keinenfalls berücksichtigt (die Bauern bildeten die größte Schicht Polens und wären für das Gelingen des Aufstandes unentbehrlich gewesen). Der Bauer blieb weiterhin in seinem Feudalsystem gefangen. Die Magnaten (der Hochadel) forderten die Erhaltung des Feudalsystems, während andere Adelsgruppen die Bauern für den Aufstand gewinnen wollten. Resultat dieser Konflikte blieb dennoch die Feudalabhängigkeit des Bauern.
Kriegsverlauf
Die an den Operationen beteiligte russische Armee war bei Beginn der militärischen Auseinandersetzungen Anfang Januar 1831 etwa 120.000 Mann stark. Darunter waren 30.000 Kavalleristen und 340 Geschütze. Die polnische Armee umfasste zu dieser Zeit etwa 55.000 Mann. Darunter waren 15.000 Reiter und 140 Geschütze. Beim Beginn der polnischen Offensive Ende März 1831 hatten sich die Stärkeverhältnisse etwas zu Gunsten der Aufständischen verschoben. Die russischen Truppen machten 100.000 Mann und 380 Geschütze, die polnischen Truppen 80.000 Mann und 160 Geschütze aus. Vor den entscheidenden Kämpfen Anfang Juli 1831 war die russische Armee zahlenmäßig eindeutig überlegen. Sie konnten 135.000 Mann aufbieten, während die Polen nur noch auf 65.000 Mann kamen.[5]
Die erste Phase des Aufstandes, der vor dem ursprünglich angesetzten Termin am Abend des 29. November 1830 ausbrach, verlief trotz mancher organisatorischer Mängel und Fehlschläge günstig für die Aufständischen.
Am 5. Februar 1831 überschritt die russische Armee daraufhin unter Feldmarschall Diebitsch die Grenze. Diebitsch ließ seine 118.000 Mann in verschiedenen Abteilungen nach Warschau marschieren. Chłopicki hatte nicht genügend getan, um die polnischen Truppen aufzustocken. Problematisch war auch, dass sich der Oberbefehlshaber als nicht sehr fähig zeigte.
Nach einigen unbedeutenden Gefechten kam es am 25. Februar zur blutigen „unentschiedenen“ Schlacht bei Grochów in der Nähe von Warschau. In Warschau führte die nahe Schlacht zu einer Massenpanik. Daraufhin legte Radziwiłł das Oberkommando nieder. An seine Stelle trat Jan Zygmunt Skrzynecki.
Die Schlacht bei Grochow führte zu einer mehrmonatigen Atempause für die Aufständischen, da der russische Oberbefehlshaber auf größere Manöver verzichtete. Ein Grund waren auch Unruhen in Litauen und in der Ukraine. Vor allem wurde die Armee von der Cholera befallen, der auch der russische Oberkommandierende Diebitsch-Sabalkanski zum Opfer fiel.
Die Polen nutzten die Zeit zur Verstärkung ihrer Armee und sie gingen in die Offensive. Die polnischen Truppen siegten in den Schlachten von Wawer, Dembe Wielkie und Iganie. Am 26. Mai erlitten die Aufständischen dann eine schwere Niederlage in der Schlacht von Ostrołęka. An die Stelle von Diebitsch-Sabalkanski trat in der Folge als russischer Oberkommandierender Iwan Fjodorowitsch Paskewitsch. Dieser ging nun zur Offensive über, überschritt die Weichsel und bedrohte Warschau von Westen. Auf polnischer Seite übernahm Henryk Dembiński das Kommando über die Armee. Einige Zeit später folgte Jan Krukowiecki.
In Warschau kam es zu Unruhen und die Nationalregierung trat am 16. August zurück. Nach der Schlacht bei Praga am 6. und 7. September musste Warschau am 8. September kapitulieren.
Die polnischen Truppen zogen sich in die Festung Modlin zurück. Neuer Oberkommandierender wurde Maciej Rybiński. Regierungschef wurde Bonawentura Niemojowski. Die Armee war aber inzwischen zu schwach für neue Vorstöße. Regierung und Reichstag führten nur noch ein Schattendasein. Am 5. Oktober überschritt der größte Teil der polnischen Truppen die preußische Grenze und wurde dort interniert. Ein anderer Teil ging nach Österreich.
Folgen
Zahlreiche politische Emigranten aus Polen zogen durch Deutschland nach Westeuropa ("Große Emigration"). Insgesamt verließen etwa 50.000 Soldaten und Politiker das Land. Die meisten kehrten später nach Polen zurück. Von geschätzten dauerhaften 8.500 Emigranten ließen sich rund 5.700 in Frankreich nieder. Dort konnte ein Lehrstuhl für Slawische Sprache und Literatur am Collège de France eingerichtet werden, auf den 1840 Adam Mickiewicz berufen wurde.
Auf dem Weg nach Westen wurden die Aufständischen vor allem in Sachsen, Baden und Bayern herzlich empfangen. Es gab eine „Polenbegeisterung“ und es bildeten sich vielerorts Polenvereine. Der Novemberaufstand wurde als Teil einer nationalen gesamteuropäischen Bewegung gesehen. Auf dem Hambacher Fest wurde 1832 neben der schwarz-rot-goldenen deutsche Fahne auch die weiß-rote polnische Fahne gehisst. Von den Studentenverbindungen wurde in der Folge die Pekesche als Teil der studentischen Tracht übernommen.
In Polen selbst wurde Paskewitsch Vizekönig. Die Verfassung von 1815 wurde zu Gunsten der repressiven Organischen Statuten aufgehoben. Die polnische Armee wurde aufgelöst, individuelle Freiheitsrechte und die Pressefreiheit wurden beschnitten. Rund 80.000 Polen gingen in Handschellen nach Sibirien [6]. Die Universität Warschau wurde geschlossen. Die führenden Positionen der Verwaltung wurden fortan von Russen besetzt.
Einzelnachweise
- ↑ Norman Davies: Im Herzen Europas. Geschichte Polens. Beck, München 2000, ISBN 3-406-46709-1, S. 152.
- ↑ Manfred Alexander: Kleine Geschichte Polens. Bonn, 2005 S.198-200
- ↑ Manfred Alexander: Kleine Geschichte Polens. Bonn, 2005 S.201
- ↑ Manfred Alexander: Kleine Geschichte Polens. Bonn, 2005 S.202
- ↑ Otto Berndt: Die Zahl im Kriege. Statistische Daten aus der neueren Kriegsgeschichte in graphischer Darstellung. Wien, 1897 Tafel 33
- ↑ Norman Davies: Im Herzen Europas: Geschichte Polens, 3. Aufl. 2002, ISBN 3-406-46709-1, S. 153.
Literatur
- Manfred Alexander: Kleine Geschichte Polens. BpB, Bonn 2005, ISBN 3-89331-662-0, S. 198–203. (Schriftenreihe der Bundeszentrale für Politische Bildung. 537), (aktualisierte und erweiterte Ausgabe: Reclam, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-15-017060-1 (Reclams Universal-Bibliothek. 17060)).
- Helmut Bleiber, Jan Kosmin: Dokumente zur Geschichte der deutsch-polnischen Freundschaft 1830-1832. Akademie Verlag, Berlin 1982.
- Gabriela Brudzyńska-Němec: Polenbegeisterung in Deutschland nach 1830, in: Europäische Geschichte Online, hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte (Mainz), 2011, Zugriff am: 28. November 2011.
- Norman Davies: Im Herzen Europas: Geschichte Polens. 3. Aufl. München 2002, ISBN 3-406-46709-1
- Jürgen Heyde: Geschichte Polens. Beck, München 2006, ISBN 3-406-50885-5, S. 60–64 (Beck'sche Reihe 2385 C. H. Beck Wissen).
- George J. Lerski: Historical Dictionary of Poland, 966–1945. Greenwood, Westport CT 1996, ISBN 0-313-26007-9, S. 391–393.
- Henryk Kocój: Preußen und Deutschland gegenüber dem Novemberaufstand 1830–1831. Uniw. Śląski, Katowice 1990, ISBN 83-226-0333-9.
- Alix Landgrebe: "Wenn es Polen nicht gäbe, dann müsste es erfunden werden" : die Entwicklung des polnischen Nationalbewusstseins im europäischen Kontext von 1830 bis in die 1880er Jahre. Harrassowitz, Wiesbaden 2003, ISBN 3-447-04811-5. (Ausführliche Bibliografie ab S. 209 ff.) (Studien der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund Bd. 35)
Weblinks
- Zur Ausstellung "Frühling im Herbst" des Museums Europäischer Kulturen Berlin
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