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Oliver Twist
Oliver Twist ist ein Gesellschaftsroman von Charles Dickens, der unter dem vollständigen Titel Oliver Twist, or The Parish Boy’s Progress (Oliver Twist oder der Weg des Fürsorgezöglings) von Februar 1837 bis April 1839 in Fortsetzungen in der Zeitschrift „Bentley’s Miscellany“ erschien. Oliver Twist ist Dickens’ zweiter Roman und wahrscheinlich sein heute bekanntestes Werk. Er wurde mehrfach für Theater, Kino, Fernsehen und Comic adaptiert.
Handlung
Der Roman erzählt die Geschichte des Findelkindes und Waisenjungen Oliver Twist, der im Armenhaus einer englischen Kleinstadt aufwächst, ohne etwas über seine Herkunft zu wissen. Durch die katastrophalen Zustände im Hause gezwungen, um mehr Nahrung zu bitten, wird er eine Woche lang in den Kohlenkeller gesperrt. Es wird ausgeschrieben, dass die Gemeinde denjenigen entlohne, der sich seiner annehmen würde. Dies führt ihn zum ansässigen Sarg-Tischler namens Mr. Sowerberry, der einer ehrlichen Arbeit nachgeht und den Jungen allmählich auf seine Art liebgewinnt. Der Nebenlehrling Noah Claypole beleidigt Olivers Mutter; Oliver prügelt sich mit ihm und wird mit Schlägen bestraft. Er flieht anschließend nach London. Oliver braucht sieben Tage, bis er London erreicht hat.
Dort gerät er in die Fänge des jüdischen Hehlers Fagin (Boss der Diebe), der ihn vor dem sicheren Tod auf der Straße bewahrt, indem er ihn verköstigt. Seine Schützlinge bilden eine Diebesbande, die hauptsächlich aus Straßenjungen besteht. Fagin macht auch Oliver mit dem Diebeshandwerk vertraut.
Der äußerst brutale Eigenbrötler Bill Sikes und die ihm nahestehende Diebesgesellin Nancy, die auf eine eigenartige Weise mit Sikes verbunden ist, treten ebenfalls zu dieser Zeit in Olivers Leben. In solcher Gesellschaft lebend und lernend wird Oliver eines Tages auf eine Diebestour mitgenommen, die fatale Folgen für ihn hat. Nachdem das Opfer Mr. Brownlow bemerkt, dass er bestohlen wurde, wird Oliver fälschlicherweise für den Dieb gehalten.
Während des Verhörs auf der Polizeiwache wird Oliver in einem fiebrigen Anfall ohnmächtig und wird schließlich durch einen Zeugen entlastet, ganz zum Wohlgefallen des mitleidigen Mr. Brownlow, welcher den Jungen unter seine Fittiche nimmt und ihn gesundpflegen lässt.
Oliver erlebt dankbar das erste Mal in seinem Leben die Güte und Liebe einer mütterlichen Sorge durch Mr. Brownlows Haushälterin Mrs. Bedwin, welche sich aufopfernd um ihn kümmert. Die gute Zeit ist jedoch nur von kurzer Dauer und endet als Mr. Brownlow Oliver auf eine Besorgung losschickt, welche er so schnell wie möglich zu erledigen hat. Nancy und Sikes fangen den Jungen ab und zwingen ihn, zu Fagin und seiner Diebesbande zurückzukehren. Mr. Brownlow bleibt gekränkt in dem Glauben zurück, Oliver hätte sich mit dem mitgegebenen Geld für die Besorgungen aus dem Staub gemacht.
Fagin versucht anschließend, Oliver zum Dieb zu schulen. Über eine sehr lange Zeit fristet Oliver sein Dasein in der Diebeshütte, ohne je eine Gelegenheit zur Flucht zu haben. Schließlich wird er für einen Einbruch im Hause der Maylies eingeplant. Fagin übergibt Oliver zu diesem Zwecke Sikes, welcher ihn für den Einbruch verwenden soll. Der Einbruch geht jedoch schief. Beim Versuch ins Haus einzudringen, wird Oliver angeschossen. Sikes und sein Gehilfe schleppen den bewusstlosen Jungen auf ihrer Flucht mit, können ihn aber bald nicht mehr tragen und lassen ihn in einem Graben zurück.
Oliver kann sich am nächsten Morgen an die Tür des Anwesens schleppen, wo er zusammenbricht und von den Bewohnern des Hauses wiederum gesundgepflegt wird. Hierbei lernt er die Maylies kennen, die ihn genauso gütig und aufopfernd annehmen wie ehemals Mr. Brownlow. Oliver verlebt in dem Hause die schönste Zeit seines Lebens und ist jederzeit aufmerksam für dessen Bewohner zur Stelle. Als er mit dem Arzt der Familie zu Mr. Brownlows Haus fährt, um seine erlebte Geschichte zu beweisen und um den schlechten Ruf, den er bei Mr. Brownlow hat, endlich zu beseitigen, findet er das Haus leer und zum Verkauf vor.
Die Liebe, die er im Hause Maylie erfährt, hält allerdings an. Währenddessen versucht Fagin zusammen mit Monks (zu diesem Zeitpunkt eine düstere undurchsichtige Gestalt) fieberhaft herauszufinden, wo Oliver sich aufhält. Als es ihnen nach einiger Zeit gelingt, schmieden sie einen Plan, wie sie Oliver aus dem Weg räumen könnten, ohne selbst damit in Verbindung zu kommen. Nancy erfährt jedoch von diesem finsteren Plan und bringt sich in Lebensgefahr, als sie Rose Maylie aufsucht und vor dem warnen will, was Oliver zustoßen soll. Daraufhin schmieden die Maylies mit dem zurückgekehrten Mr. Brownlow einen Plan, wie sie Oliver schützen können. Nancy weigert sich, ihre Genossen zu verraten – teils weil sie Sikes trotz allem liebt, teils aber auch, weil sie von Fagin auch als Diebin erzogen wurde und daher für sie sein Handeln entschuldbar ist.
Sie werden Monks’ habhaft, der – was Oliver zu diesem Zeitpunkt nicht weiß – der Halbbruder Olivers ist und sich zum Lebensziel gesetzt hat, aus Hass dessen Leben zur Hölle zu machen und ihm weiterhin das Erbe seines Vaters vorzuenthalten.
Als Fagin erfährt, dass Nancy die Bande hintergangen hat, lässt er dies Sikes geschickt erfahren, in dem Bewusstsein, dass dieser Nancy umbringen wird, wobei er noch rät vorsichtig zu sein. In einer blutigen Raserei erschlägt Sikes seine Gefährtin Nancy, erleidet jedoch kurze Zeit später einen seelischen Schock. Zwar kann er anfangs noch flüchten, wird jedoch in London anschließend gestellt und stranguliert sich auf der Flucht versehentlich selbst. Fagin erwartet schließlich das gleiche Schicksal am Galgen durch das geschickte Aufdecken der ganzen Umstände und Diebereien durch Mr. Brownlow.
Mr. Brownlow begreift im Laufe der Geschichte, dass ihm der Zufall niemand Geringeren als den unbekannten Sohn seines Freundes Edwin Leeford in seine Arme getrieben hat, der verloren geglaubt war. Dies erkennt er allein aufgrund Olivers Ähnlichkeit zum Porträt seiner Mutter Agnes Fleming, das Edwin Leeford Brownlow überreicht hatte und nun in dessen Haus hängt. Später erfährt der Leser, dass Edwin Leeford, Olivers und Monks’ Vater, mit Monks’ Mutter verheiratet ist. Als einer seiner reichsten Verwandten stirbt und ihm viel Geld hinterlässt, bricht Edwin Leeford sofort auf, um nach Rom zu reisen, wo der Mann aus gesundheitlichen Gründen gelebt hatte. Dort angekommen, wird Edwin Leeford von einer tödlichen Krankheit befallen. Vor der Abreise besuchte Edwin Leeford seinen alten Jugendfreund noch einmal, hinterließ ihm bei dieser Gelegenheit das Bild der Mutter Olivers Agnes Fleming, die er ungern zurückließ, doch wegen der Eile, die seine Reise erforderte, nicht mitnehmen konnte. Er will mit einem Teil des geerbten Geldes seine Gattin sowie Monks abfinden und dann zusammen mit Agnes Fleming England verlassen.
Nachdem Mr. Brownlow anzunehmen beginnt, dass Edwin Leeford gestorben ist, versucht er, Agnes Fleming ausfindig zu machen, da er sich im Falle des Todes Edwin Leefords um das uneheliche Kind kümmern will.
Außerdem zeigt sich zum Schluss, dass der Großvater Olivers mütterlicherseits, Mr. Fleming, zwei Töchter hatte: Agnes und Rosa. Bei Rosa handelt es sich um keine geringere, als um die hübsche junge Frau, die von Mrs. Maylie großgezogen wurde.
Monks wird unter der Bedingung, dass er Olivers Abstammung beglaubigt und ihn nie wieder belästigt, freigelassen. Fern von England stirbt Monks schließlich, da er sich wieder einer Diebesbande anschließt und gefangengenommen wird. Schließlich wird Oliver von Mr. Brownlow sowie dessen Haushälterin Mrs. Bedwin adoptiert und lebt dort weiter.
Literarische Kritik
Der Roman war ein großer Erfolg. Vor allem durch seine zum Teil drastische Schilderung von Kinderarbeit, Verbrechen und Pauperismus zur Zeit der Frühindustrialisierung, die in scharfem Kontrast zur gemütlich-heiteren Stimmungslage von Dickens erstem Roman Die Pickwickier stand, erregte er erhebliches Aufsehen. Im Gegensatz zu diesem großen sozialen Realismus des Buchs steht die durch die Kritik vermerkte unglaubwürdige Charakterzeichnung, namentlich der Hauptfigur. Kindlers Literaturlexikon moniert etwa:
„Der junge Held wirkt unerträglich edel und, obwohl jede Voraussetzung dafür fehlt, wohlerzogen und bürgerlich: ein Held nach den gängigen Klischees.“[1]
Die antisemitischen Stereotypen, mit denen Dickens die Figur des Fagin zeichnet, sind bis heute Gegenstand der Diskussion. Sie wurden in späteren Auflagen des Buchs von Dickens selbst abgemildert, bei den zahlreichen Bearbeitungen, die der Stoff erlebt (hatte), sind sie häufig gänzlich eliminiert.[2]
Ausgaben
- Oliver Twist; or, The Parish Boy's Progress. By "Boz." Plates designed and etched by George Cruikshank. In Three Volumes. London: Richard Bentley, New Burlington Street. 1838. - die Erstausgabe
- Oliver Twist, The Parish Boy's Progress. By Boz. Paris, A. and W. Galignani and C. 1839 - frühe englische Ausgabe in Paris
- Oliver Twist; or, The Parish Boy's Progress. Paris, European Library 1839 (Collection of Ancient and Modern British Authors CCXXIC) - frühe englische Ausgabe in Paris
- Oliver Twist; or, The Parish Boy's Progress. Leipzig, Frederick Fleischer 1839 (The complete works of Charles Dickens 3) - frühe englische Ausgabe in Deutschland
- Deutsche Übersetzungen
- Oliver Twist. Von Boz (Dickens). Aus dem Englischen von H. Roberts. Mit Federzeichnungen nach Cruikshank." 3 Theile. Leipzig, J. J. Weber. 1838/39 - die erste deutsche Ausgabe, es sei denn, die nachstehend verzeichnete Ausgabe sei parallel dazu erschienen
- Boz: Oliver Twist oder die Laufbahn eines Waisenknaben. Aus dem Englischen von Dr. A. Diezmann. In drei Theilen. Mit einer Federzeichnung nach Phiz. Braunschweig, Westermann 1838/1839.
- Oliver Twist. Von Boz (Dickens). Aus dem Englischen von H. Roberts. Mit Federzeichnungen nach Cruikshank." 3 Theile. Leipzig, J. J. Weber. 1839 (Boz: Sämmtliche Werke siebenter, achter und neunter Theil) - das ist wohl die dritte deutsche Ausgabe
- Oliver Twist. Roman. Übers. von Gustav Meyrink. [1914]. Berlin 2011. Insel Taschenbuch 4077. ISBN 978-3-458-35777-3
- Oliver Twist, oder: Der Werdegang eines Jungen aus dem Armenhaus. Nachwort u. Übers von Axel Monte. Stuttgart: Reclam ISBN 978-3-15-010713-3
- Oliver Twist. Übers. von C. Kolb und A. Ritthaler. Mit 24 Ill. von G. Cruikshank. Mit Nachwort u. Zeittafel von Uwe Böker. 11. Auflage 2006. Verl. Artemis, Winkler, ISBN 978-3-538-05357-1
- Oliver Twist. 2012, Anaconda Verlag, Köln, ISBN 978-3-86647-773-5, Übers. von Gustav Meyrink
Bearbeitungen
Film
Das Werk wurde bereits 1909 von James Stuart Blackton erstmals verfilmt. 1922 entstand eine Version mit Lon Chaney und Jackie Coogan in der Titelrolle. Der 1948 entstandene Film mit Alec Guinness in der Rolle des Fagin gilt als ausgezeichnet. Die Musical-Adaption „Oliver!“ gewann 1968 den Oscar als bester Film. Disney hat das Werk 1988 als Zeichentrickfilm unter dem Titel Oliver & Co. herausgebracht. Hier werden die Hauptrollen von Tieren dargestellt. 1991 wurde in England eine weitere Zeichentrickfilm-Version geschaffen. Daneben gibt es noch eine Zeichentrickserie, die in den 1990ern hergestellt wurde. Eine aktuelle Verfilmung aus dem Jahr 2005 stammt von Regisseur Roman Polański. Für die englisch-französisch-tschechisch-italienische Produktion wurde bei Prag das London des 19. Jahrhunderts nachgebaut.
Alle Verfilmungen in chronologischer Reihenfolge:
Hörspiele
Der Roman wurde auch mehrfach als Hörspiel bearbeitet:
Titel (Jahr) | Komponist | Produktion | Darsteller (Auswahl) |
Oliver Twist (1957) | Hans Vogt | SDR | Wolf Osenbrück (Oliver), Joseph Offenbach (Fagin) |
Oliver Twist (1962) | Dora König (Regisseur) | Rundfunk der DDR | Uwe Petersen, Robert Johannsen |
Oliver Twist (1988) | NDR | Hans Paetsch | |
Oliver Twist (englisch)(1995) | BBC | ||
Oliver Twist (2005) | Jan-Peter Pflug | HörVerlag | Anton Sprick (Oliver), Jörg Pleva (Fagin) |
Oliver Twist (2006) | John von Düffel | NDR | Thorsten Hierse, Leon Burmeister |
Theater
Der britische Komponist Lionel Bart setzte Dickens’ Roman in seinem Musical Oliver! um, das am 30. Juni 1960 in London uraufgeführt wurde.
Comics
- Will Eisner: Fagin the Jew. Doubleday, New York 2003, ISBN 0-385-51009-8.
- Loïc Dauvillier und Olivier Deloye: Oliver Twist de Charles Dickens. Delcourt (Collection Ex-Libris), Paris 2007, ISBN 9-782-75600671-0 .
Weblinks
Texte
- Oliver Twist. Online-Text, Projekt Gutenberg-DE.
- Oliver Twist – Text mit Index und Suchfunktion
- http://www.online-literature.com/dickens/olivertwist/
- Oliver Twist. Bei: Zeno.org. in einer deutschen Übersetzung von Gustav Meyrink von 1914
Filme
- Oliver Twist (1909) in der deutschen und englischen Version der Internet Movie Database
- Oliver Twist (1922) in der deutschen und englischen Version der Internet Movie Database
- Oliver Twist (1933) in der deutschen und englischen Version der Internet Movie Database
- Oliver Twist (1948) in der deutschen und englischen Version der Internet Movie Database
- Oliver Twist (1968) in der deutschen und englischen Version der Internet Movie Database
- Oliver Twist (1974) in der deutschen und englischen Version der Internet Movie Database
- Oliver Twist (1997) (TV) in der deutschen und englischen Version der Internet Movie Database
- Oliver Twist (2005) in der deutschen und englischen Version der Internet Movie Database
- Oliver Twist (2007) (TV) in der deutschen und englischen Version der Internet Movie Database
Einzelnachweise
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Oliver Twist aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |