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Querschnittlähmung

Aus Jewiki
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Klassifikation nach ICD-10
S14 Verletzung der Nerven und des Rückenmarkes in Halshöhe
S24 Verletzung der Nerven und des Rückenmarkes in Thoraxhöhe
S34 Verletzung der Nerven und des lumbalen Rückenmarkes in Höhe des Abdomens, der Lumbosakralgegend und des Beckens
G82 Paraparese und Paraplegie, Tetraparese und Tetraplegie
ICD-10 online (WHO-Version 2013)

Unter einer Querschnittlähmung (syn.: Paraplegie, spinales Querschnittsyndrom, Querschnittläsion, Transversalsyndrom) wird eine Kombination von Symptomen verstanden, die bei Unterbrechung der Nervenleitung im Rückenmark (Spinalisation) auftritt. Die Ursache können Verletzungen des Rückenmarks (z. B. bei Wirbelbrüchen), aber auch Tumore und andere spezielle Erkrankungen (z. B. Multiple Sklerose) sein.

Zum Symptomkomplex des Querschnittsyndroms gehören

Die Wissenschaft und Therapeutik, die sich mit dem Querschnittsyndrom beschäftigt, heißt Paraplegiologie.

Ursachen für die Entstehung

Der aktuellen Literatur zufolge sind in Deutschland jedes Jahr etwa eintausend Menschen neu von einer Querschnittlähmung betroffen, etwa 80 % davon sind Männer.

Die häufigste Ursache (ca. 70 %) sind Unfälle (spinales Trauma) mit Frakturen der Wirbelsäule. Sie werden in

  1. lineare Frakturen, d. h. Scherungen und Quetschungen des Rückenmarks durch Verschiebung von Wirbelkörpern in der Längsachse (Longitudinalachse) der Wirbelsäule,
  2. Kompressionsfrakturen mit resultierender Quetschung des Rückenmarks und
  3. Berstungs- oder Trümmerfrakturen mit Verlagerung von Trümmersegmenten in den Rückenmarkskanal

unterteilt.

Bei den linearen Frakturen spielt die Verschiebung von Wirbelkörpern in der Längsachse der knöchernen Wirbelsäule die entscheidende Rolle. Das Rückenmark wird durch die Stufenbildung der Wirbelkörper geschädigt. Es sind alle Ausprägungen der Rückenmarkschädigung denkbar.

Die Kompressionsfrakturen sind häufig Folge eines Kopfsprunges in zu flaches Wasser. Diesem Unfallmechanismus liegt eine zu starke Beugung von Wirbelsäulenabschnitten zugrunde.

Trümmerfrakturen führen fast immer zu schweren neurologischen Störungen.

Neben einer Fraktur gibt es noch verschiedene weitere mögliche Ursachen für eine Querschnittlähmung:

  1. Spinale Ischämie (lokaler Sauerstoffmangel)
  2. Spinaler Infarkt (Störung der Blutversorgung)
  3. Spinale Blutung
  4. Bandscheibenvorfall
  5. Entzündung
  6. Infektion
  7. Tumorerkrankungen
  8. Autoimmunerkrankungen
  9. Psychogene Genese
  10. Iatrogen (durch fehlerhaft durchgeführte ärztliche Maßnahme)

Außer der ursächlichen Schädigungswirkungen spielen noch einige biologische Vorgänge eine Rolle in der Ausbildung des Schadens und der mangelhaften Regeneration des gestörten neuronalen Gewebes:[1]

  1. Apoptose
  2. Entzündung
  3. Die Regeneration von Neuronen verhindernde Faktoren
  4. Narbenbildung

Apoptose: Die Stimulation des CD95-Rezeptors von Oligodendrozyten und Neuronen durch Fas oder APO-1 genannte Substanzen, die im geschädigten Gebiet nachgewiesen werden können, führt zum kontrollierten, intern gesteuerten Zelluntergang (Apoptose) dieser Zellpopulationen. Der neurologische Schaden wird dadurch größer. Eine Therapie wird derzeit erforscht und besteht wahrscheinlich in der Gabe von CD95-Rezeptor-blockierenden Substanzen.

Entzündung: Gegen die Wirkung der Entzündung im geschädigten Gewebe wird Methylprednisolon eingesetzt. Die Entzündung ist Ausdruck destruktiver Immunvorgänge, die sowohl lokale als auch systemische Konsequenzen haben können.

Die Regeneration von Neuronen verhindernde Faktoren: Nervenzellen neigen nicht dazu, sich nach einer Schädigung von selbst wieder zu regenerieren. Es werden ebenfalls derzeit Therapien erforscht, die auf der Hemmung dieses physiologischen Phänomens (nämlich sich nicht von selbst zu regenerieren) basieren.

Narbenbildung: Die Narbenbildung versperrt durch Bindegewebssepten präformierte Nervenwege. Dadurch wird ein geordnetes und funktionsersetzendes Wiederaussprossen von Nerven verhindert.

Häufung bestimmter Entstehungsarten

Während in Industrienationen mit ausgebauter Infrastruktur die Verkehrsunfälle den Großteil der Unfallursachen mit nachfolgender Querschnittlähmung ausmachen, wird aus Bangladesh eine Häufung von Halswirbelverletzungen durch das Stürzen bei gleichzeitigem Transport schwerer Gegenstände auf dem Kopf gemeldet.[2]

Systematik

Ausprägung

Die Ausprägung der Lähmung variiert mit dem Schädigungsausmaß des Rückenmarks. Anhand der Schwere dieses Leitsymptoms unterscheidet man in klassischem Sinne die Plegie (komplette motorische Lähmung) von der Parese (inkomplette motorische Lähmung). Im Verlauf der Erkrankung kann eine vorerst schlaffe Lähmung in eine spastische Lähmung übergehen.

Weiterhin können Rückenmarkschädigungen zu

  • Störungen der motorischen Reflexe mit Ausfall von Eigen- und Fremdreflexen[3]
  • Ausfall oder Störung der Kontrolle von Mastdarm und Blase (kann zu unkontrolliertem Stuhl- und Urinabgang führen)
  • Ausfall der Sensibilität (Gefühl z. B. Schmerz, kalt-warm, nass-trocken und der Tastempfindung) führen.

Zur systematischen Einschätzung des neurologischen Schadens wird die Klassifikation nach Frankel herangezogen, die von der American Spinal Injury Association (ASIA) modifiziert wurde:[4]

Grad
A Komplette Verletzung: keine motorische oder sensible Funktion unterhalb der Verletzungshöhe
B Erhaltene Sensibilität: Restsensibilität bis in sakrale Segmente
C Keine Gebrauchsmotorik: Restmotorik unterhalb der Verletzung, die aber nicht den Gebrauch der Extremitäten erlaubt
D Gebrauchsmotorik: Restmotorik erlaubt den Gebrauch der Extremitäten mit oder ohne Unterstützung
E Erholung: normale Motorik und Sensibilität. Pathologische Reflexe können persistieren

Lokalisation

Das Symptombild beschreibend wird die Paraplegie oder Paraparese (Lähmung der unteren Extremitäten bei Schädigung tieferer Abschnitte des Rückenmarks, ca. 60 % der Fälle) von der Tetraplegie oder Tetraparese (Lähmung aller vier Extremitäten bei Schädigung des Halsmarks, ca. 40 % der Fälle) unterschieden.

Kennmuskel für die Bestimmung der Läsionshöhe[3]
Segment Kennmuskel Funktion
C5 M. biceps brachii Beugung im Ellenbogen
C6 M. extensor carpi radialis Beugung nach dorsal bzw. Streckung im Handgelenk Ellenbogen
C7 M. triceps brachii Streckung im Ellenbogen
C8 kleine Handmuskeln Fingerspreizen

Die Läsionshöhe wird durch das letzte noch intakte Rückenmarksegment definiert. So bezeichnet die Diagnose „Querschnitt unterhalb von C5“, dass das Segment C5 noch intakt ist.[3]

Der Einschätzung der Läsionshöhe nach Körperfunktionen dienen die Untersuchung von Kennmuskeln und die der Dermatome.

Die Unmöglichkeit der aktiven Armbeugung deutet z. B. auf eine Läsion bei C5 hin, da der Armbeugemuskel (M. biceps) nicht mehr angesprochen werden kann (siehe Tabelle). Die Läsionshöhe wäre in diesem Fall also „unterhalb von C4“.

Die Schädigung ab und oberhalb von C4 führt zu einem Ausfall des Nervus phrenicus. Dieser Nerv sorgt normalerweise für die Funktion des Zwerchfells. Somit führt der Ausfall des N. phrenicus zum Ausfall der Zwerchfellatmung. Bei dieser Schädigung sind aber auch alle anderen Nerven gelähmt, die unterhalb von C4 liegen, also auch die Intercostalnerven, die die Zwischenrippenmuskulatur (Intercostalmuskulatur) versorgen. Ein derartiges Trauma ist akut lebensbedrohlich, da die aktive Atmung völlig unmöglich wird. Es bedarf als sofortige lebenserhaltende Therapie der künstlichen Beatmung.

Dermatome

Ein Dermatom ist ein Hautareal, das das Versorgungsgebiet eines bestimmten Spinalnervs repräsentiert. Die in der Abbildung gezeigten Dermatome unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Spinalnervenversorgung und beziehen sich somit immer auf ein bestimmtes Rückenmarkssegment. Ihre Untersuchung eignet sich zur Einschätzung der Läsionshöhe bei Rückenmarksschädigungen. Die Dermatome werden mittels Kältereiz, Berührung oder Nadelstichreizung untersucht. Diese drei Empfindungsqualitäten können durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen in den beeinflussten Dermatomen führen, was auf eine inkomplette Rückenmarkschädigung schließen ließe.

Zu den seltenen einseitigen inkompletten Rückenmarksschädigungen gehört das Brown-Séquard-Syndrom. Es ist durch eine dissoziierte Sensibilitätsstörung gekennzeichnet. Berührungs- und Lageempfinden fallen auf der Körperseite der Rückenmarkschädigung aus, Temperatur- und Schmerzsinn auf der anderen Körperhälfte. Dieses Muster beginnt einige Rückenmarksegmente unterhalb der Rückenmarkläsion. Auf Höhe des geschädigten Segmentes sind alle vier Sensibilitätsqualitäten der geschädigten Seite ausgefallen.

SCIWORA

Nach Gewalteinwirkung auf das Rückenmark zum Beispiel bei einem Unfall, kann es zu Symptomen einer Querschnittslähmung kommen, obwohl in der CT oder MRT-Bildgebung keine Schäden an Wirbelsäule und Rückenmark zu sehen sind. Dieses Syndrom wird als "spinal cord injury without radiographic abnormality“" (SCIWORA) genannt. Dieses Syndrom tritt insbesondere bei Kindern auf, wurde aber auch selten bei älteren Patienten beobachtet. Die Symptome inklusive der Lähmung bilden sich meist binnen 48h vollständig zurück. Solange sollte die Wirbelsäule z.B. mit einer Halskrause ruhig gestellt werden.[5]

Verlauf

Der Verlauf hängt vom Ausmaß der Rückenmarkschädigung ab. Ein voll ausgeprägtes spinales Querschnittsyndrom mit hoher Läsion (HWS-Bereich) läuft in drei Phasen ab:

Hypertension Diese Phase dauert nur wenige Minuten an
Spinaler Schock Hypotone Krisen, schlaffe Lähmung in abhängigen Segmenten, Ausfall der Muskeleigenreflexe, Kontrollverlust von Blase und Mastdarm, Dauer: Wochen bis Monate
Spastik, Hyperreflexie Spastisch überhöhter Muskeltonus, übersteigerte Eigenreflexe, autonome Hyperreflexie, z. B. mit Blutdruckspitzen bei Manipulation an der Blase


Dabei ist der spinale Schock (akute Phase) durch Ausfall von Regulationsvorgängen gekennzeichnet. Die Gefäße im betroffenen Bereich werden weit gestellt, weil die Gefäßmuskulatur erschlafft. Bei unzureichender Kompensation durch die unbetroffenen Körperteile kann es dadurch zu Blutdruckabfall und zum Kreislaufschock kommen. Gefürchtete Folgen sind akutes Nierenversagen, Schocklunge (ARDS) usw. Diese Phase kann deshalb intensivmedizinische Behandlung nötig machen.

Im Gegensatz dazu ist die chronische Phase durch eine übersteigerte Regulation gekennzeichnet. Auf Seiten des Gefäßsystems sind Blutdruckspitzen möglich, die Willkürmuskulatur kann mit unkontrollierbaren Beugersynergien reagieren, die anfallartigen Charakter haben.

Therapie

Notfallbehandlung

Bei allen bewusstseinsgetrübten und bewusstlosen Patienten muss bei entsprechendem Unfallhergang von einer spinalen Schädigung ausgegangen werden. So ist bei 6-10 % aller Schädel-Hirn-Verletzten mit einem spinalen Notfall zu rechnen. Deshalb ist hier immer Versorgung mit einer HWS-Schiene erforderlich.

Im Umkehrschluss muss bei Schädigung der Brustwirbelsäule (BWS) mit einem Thoraxtrauma und bei Verletzungen der Lendenwirbelsäule (LWS) mit einem retroperitonealen Hämatom gerechnet werden.

Zur Kreislaufunterstützung sollte vorrangig Volumen, sekundär Dobutamin appliziert werden. Bei Bewusstlosigkeit und insuffizienter Atmung muss die Endotracheale Intubation und Beatmung angestrebt werden.

Methylprednisolon
initial 30 mg/kg KM über 15 Minuten
kontinuierlich 5,4 mg/kg KM/h als Infusion über 23 Stunden.

Der Nutzen einer Behandlung mit Methylprednisolon (z. B. Urbason) ist nur geringgradig evidenzbasiert. Sie wird aber trotzdem empfohlen, wenn sie möglichst innerhalb der ersten drei Stunden – nicht später als acht Stunden – nach Trauma eingeleitet wird. Eine Unterlassung gilt jedoch nicht als Fehler[3].

Bei gleichzeitigem Vorliegen einer Hirnverletzung im Rahmen eines sogenannten Schädelhirntrauma ist die Behandlung als kritisch anzusehen, da sich bei Patienten mit solchen Verletzungen durch die Behandlung mit Methylprednisolon eine höhere Sterblichkeit zeigte.[3] Damit sollte die Behandlung von Rückenmarksverletzungen mit Methylprednisolon nur dann erwogen werden, wenn eine Rückenmarksverletzung ohne gleichzeitige Hirnverletzung vorliegt.

Weiterhin zeigte sich in Studien, dass mit Methylprednisolon behandelte Patienten häufiger zu Wundinfektionen und Lungenentzündungen neigen[3]. Der Einsatz anderer Substanzen (z. B. Polyethylenglykol, Harnsäure) hat das tierexperimentelle Stadium noch nicht verlassen.

Operative und konservative Versorgung

Derzeit gibt es keine evidenzbasierte Aussage über den Nutzen und das Timing konservativer oder operativer Versorgung von Wirbelsäulenverletzungen[4].

Beide Methodengruppen müssen das Ziel verfolgen, die Funktionsausfälle des Rückenmarks und der Wirbelsäule dauerhaft möglichst rückgängig zu machen oder zumindest nicht weiter fortschreiten zu lassen. So wirken z. B. in den Wirbelsäulenkanal verlagerte Knochenfragmente auch später schädigend auf das Rückenmark. Ein anderes Beispiel sei die Vermeidung von Fehlstellungen, die zu Kompressionen des Rückenmarks und zur Gibbus-Bildung (extreme Verkrümmung der Wirbelsäule, „Buckel“) führen kann. Ein Gibbus kann auch, soweit er die Brustwirbelsäule betrifft, negative Folgen für die Atmung haben.

Die konservative Therapie hat ihre Stärken darin, dass hier keinerlei Irritation des Rückenmarks durch die OP erfolgt. Sie setzt aber durch die Verwendung von Orthesen eine meist wochenlange, zumindest teilweise Immobilisation des Patienten voraus. Bekannt ist hier das Halo-Body-Jacket, mit dem die Halswirbelsäule ruhiggestellt wird. Das System ist aber sehr sperrig und behindert eine Intensivpflege im Bett stark.

Auch die operativen Möglichkeiten verfolgen die Ziele der Dekompression des Rückenmarks und der Stabilisierung der Wirbelsäule. Der Vorteil der operativen Lösungen liegt in der meist rascheren und umfassenderen Mobilisationsmöglichkeit und damit Rehabilitation des Patienten.

Der Dekompressions-OP liegt die Hoffnung zugrunde, dass z. B. durch Begradigung von Stufen (bei Verschiebung in der Längsachse der Wirbelsäule (s. o.)) druckbedingte Durchblutungsstörungen beseitigt werden. Ein weiterer Ansatz zur Verbesserung der Durchblutung ist die medikamentöse Überhöhung des Blutdrucks für einige Tage (z. B. mit Phenylephrin), wenn keine Kontraindikation vorliegt.[6][7]

Eine frühzeitig durchgeführte Stabilisierungsoperation bietet Vorteile für die intensivmedizinische Behandlung. Zum einen kann das Luftwegsmanagement durch Tracheotomie optimiert werden, zum anderen entfallen Probleme beim Lagerungswechsel in Pneumonieprophylaxe und Pflege. Dabei werden verschiedene unfallchirurgische Verfahren der Osteosynthese angewandt, und zwar dorsale, ventrale und kombinierte dorso-ventrale Osteosynthesen, die zudem in kurz- und langstreckige Osteosynthesen unterteilt werden können. Ziel ist immer zunächst die Stabilisierung und langfristig die knöcherne Versteifung der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte.

Es wird diskutiert, dass der Erfolg derartiger Operationen am größten ist, wenn sie innerhalb von drei Tagen nach dem Trauma erfolgen.[3]

Medikamentöse Behandlung

In jüngster Zeit (2005) wurde offenbar erstmals in präklinischen Versuchen das neurotherapeutische Medikament Cordaneurin erfolgreich an akuten Rückenmarksverletzungen getestet, welches die Regeneration der Nervenzellen begünstigen soll. Erste klinische Studien wurden laut Hersteller 2006 begonnen. In Tierversuchen wurden weiterhin Erythropoietin, NSAIDs, anti-CD11d Antikörper, Minocyclin, Progesteron, Estrogen, Magnesium, Riluzol, Polyethylenglykol, Atorvastatin, Inosin und Pioglitazon ausprobiert.[8]

Behandlung mit Stammzellen

Am 11. Oktober 2010 startete eine Studie, die die Wirksamkeit von embryonalen Stammzellen bei der Behandlung frischer traumatischer Querschnittlähmungen feststellen soll. Die Stammzellen werden mit einer speziell entwickelten Injektionshilfe in die Rückenmarksläsion eingebracht. Im Tierversuch hatte dieses Verfahren die Beweglichkeit verbessert, bis hin zur kompletten Wiederherstellung. Vorerst sind für diese Studie 20 Patienten vorgesehen.[9]

Rehabilitation

Die gezielte Rehabilitation von Querschnittlähmungen wurde erstmals von Sir Ludwig Guttmann in Stoke-Mandeville durchgeführt und gezielt weiter entwickelt. Guttmann erkannte, dass die Folgen einer Lähmung falsch aufgefasst und behandelt wurden. Er stellte ein Programm der lebenslangen Nachsorge „Comprehensive Care“ auf.

Pflegerische Rehabilitation

Die pflegerische Rehabilitation umfasst die Versorgung der Blasen- und Mastdarmlähmung, die Übernahme der Aktivitäten des täglichen Lebens (ATL), solange diese den Betroffenen nicht selbständig möglich sind, sowie die Verhinderung von Komplikationen und Folgeschäden, z. B. eines Wundliegens (Dekubitus) oder Kontrakturen (Versteifung von Gelenken).

Soziale Rehabilitation

Besonderen Stellenwert im gesamten Behandlungskonzept soll die frühzeitige aktive Einbindung des Patienten in den Rehabilitationsprozess haben, um frühzeitig Selbstwertgefühl, Motivation sowie überdauernde Gesundheitskompetenz zu entwickeln. Dabei spielt Sport eine wichtige Rolle bei der Kompensation der durch die Querschnittlähmung gestörten körperlichen, psychischen und sozialen Funktionen, bei der Vorbeugung gegen Sekundärschäden, bei der Förderung gesundheitlich orientierten Verhaltens sowie als Integrationsmotor.

Das Erreichen einer individuell größtmöglichen Selbständigkeit und Lebensqualität der Betroffenen steht bei der sozialen Rehabilitation im Vordergrund. Auch Sex ist dabei ein Thema, welches spätestens nach Erstbehandlung und Rückkehr in den Alltag an Bedeutung gewinnt, entgegen dem weit verbreiteten Vorurteil, dass ein querschnittgelähmter Mann keinen Sex mehr haben könne.[10]

Berufliche Rehabilitation

An die umfassende somatische Rehabilitation schließt sich im Allgemeinen eine berufliche Rehabilitation an, die den Betroffenen „wieder zu einem Steuerzahler machen“ soll. (Aussage von Sir Ludwig Guttmann, gerichtet an den Vater eines Betroffenen).[11]

An der Rehabilitation, wie an der lebenslangen Nachsorge ist außerdem in nennenswertem Umfang die Physiotherapie mit Massagen, Krankengymnastik und Schwimmen, sowie die Ergotherapie mit Training der ATL, Hilfsmittelversorgung und -anpassung (z. B. Rollstuhl, Wohnungseinrichtung) beteiligt. Zu einem Team, das frische Querschnittlähmungen rehabilitiert, gehören außerdem Sozialarbeiter und Psychologen.

Lebenserwartung

In Europa und den USA ist die Lebenserwartung von querschnittgelähmten Menschen, welche nicht in der akuten Phase versterben, fast genauso groß wie die durchschnittliche Lebenserwartung anderer Menschen gleichen Alters. Diese ist bei paraplegisch Verletzten um zwei Jahre, bei tetraplegisch verletzten Menschen um ca. acht Jahre reduziert. Dabei ist die Höhe des geschädigten Rückenmarksegmentes entscheidend. Sobald der Nervus phrenicus, der aus den Halssegmenten drei bis fünf hervorgeht, betroffen ist, ist entweder ein Phrenicus-Stimulator erforderlich oder eine künstliche Beatmung. In beiden Fällen ist die Lebenserwartung drastisch reduziert. Verlässliche Zahlen werden aber erst in einigen Jahren zu erwarten sein, da die erfolgreiche Behandlung dieser Patienten erst seit Ende der 1980er Jahre zuverlässig eingesetzt wird.

Internationaler Sprachgebrauch

Im englischen und französischen Sprachraum scheint es keinen Oberbegriff für Para- und Tetraplegie im Sinne von Querschnittlähmung zu geben. So existieren zwar die Übersetzungen transverse lesion bzw. paralysie de coupe transversale, diese sind jedoch praktisch nicht gebräuchlich. Vielmehr bilden dort paraplegia (en) bzw. paraplégie (fr) und paraplejía (es) den Oberbegriff, während quadriplegia bzw. tétraplégie (fr) und tetraplejía (es) eine Spezifizierung darstellen. Im Französischen wird Querschnittlähmung gut durch blessés médullaires übersetzt. Spinal cord injury ist die englischsprachige Version von Querschnittlähmung.

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. P. Hollstein: Stopp dem verhängnisvollen Zelltod. Spektrum der Wissenschaft 2004;September:16
  2. M. F. Hoque, Z. Hasan u. a.: Cervical spinal cord injury due to fall while carrying heavy load on head: a problem in Bangladesh. In: Spinal cord. Band 50, Nummer 4, April 2012, S. 275–277, ISSN 1476-5624. doi:10.1038/sc.2011.153. PMID 22143680.
  3. 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 3,5 3,6 J. Büttner: Management der Querschnittslähmung. Anästh Intensivmed 2004;45:190–204
  4. 4,0 4,1 K. Schwertfeger et al.: Spinales Trauma. Intensivmed 2004;41:71–80
  5. P. C. Strohm, M. .. Jaeger, W. .. K stler, N. .. S dkamp: SCIWORA-Syndrom. In: Der Unfallchirurg. 106, 2003, S. 82–84, doi:10.1007/s00113-002-0506-4.
  6. His Spinal Cord Injury Was Serious. But Gen. Hugh Shelton Has Backbone.. Abgerufen am 8. Dezember 2010.
  7. Interview mit General Hugh Shelton.. Abgerufen am 8. Dezember 2010. Zu Beginn spricht er über die Behandlung seiner Rückenmarksverletzung am Walter Reed Army Medical Center.
  8. B. K. Kwon, E. B. Okon u. a.: A systematic review of directly applied biologic therapies for acute spinal cord injury. In: Journal of neurotrauma. Band 28, Nummer 8, August 2011, S. 1589–1610, ISSN 1557-9042. doi:10.1089/neu.2009.1150. PMID 20082560. PMC 3143411 (freier Volltext). (Review).
  9. Shepherd Center, Pressemitteilung vom 11. Oktober 2010: Patient Treated in Geron Clinical Trial, abgerufen am 12. Oktober 2010
  10. Klaus Röhl, BG-Kliniken Halle in der MDR-Sendung „selbstbestimmt“ über Vorurteile abgerufen am 8. April 2011
  11. Beispiel für berufliche Rehabilitation (PDF; 224 kB) Neurochirurg Frank Röhrich in den BG-Kliniken Bergmannstrost Halle (Saale) abgerufen am 3. April 2011
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