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Intensivmedizin
Die Intensivmedizin ist ein medizinisches Fachgebiet, das sich mit Diagnostik und Therapie lebensbedrohlicher Zustände und Krankheiten befasst. Das geschieht meist in besonders ausgerüsteten Stationen eines Krankenhauses die sogenannten Intensivstationen (auch Intensivtherapie-Station (ITS), Intensivpflege-Station (IPS) oder Intensiv Care Unit (ICU) genannt) die durch speziell weitergebildete Fachärzte wie Anästhesisten, Internisten, Chirurgen, Pädiater oder Neurologen und speziell weitergebildete Pflegekräfte (Gesundheits- und Fachkrankenpflege für Intensivmedizin und Anästhesie) geführt werden.
Intensivstationen sind baulich und gerätetechnisch aufwendig ausgestattet. Aufgrund des hohen Betreuungsaufwands ist hier eine Pflegekraft nur für wenige Patienten – typischerweise bis zu drei – zuständig (auf „Normalstationen“ ist das Verhältnis etwa 1:20).
Die Behandlung von Patienten im Rahmen der Notfallmedizin trägt ebenfalls oft die Merkmale der Intensivmedizin.
Geschichte
Die Intensivmedizin hat ihre historischen Wurzeln in der Anästhesiologie, als Gründungsvater der ersten Intensivstation gilt gemeinhin der dänische Anästhesist Björn Ibsen[1]. 1954 gründete Ibsen die erste Intensivstation in Kopenhagen, als direkte Folge der großen Polio-Epidemie von 1952[2][3]. Die Langzeitbeatmung der Patienten war der ursprüngliche Grund dafür, dass derartig aufwendige Methoden und Einrichtungen geschaffen wurden. Eine andere Vorstufe der heutigen Intensivstationen waren die coronary care units (CCU). Dies waren Stationen zur EKG-Überwachung von Herzinfarktpatienten mit der Möglichkeit der Defibrillation bei Kammerflimmern oder Kammertachykardie. Sie wurden von einem der Erfinder der Defibrillation, dem US-Amerikaner Bernard Lown, propagiert.
Erkrankungsspektrum
Auf Intensivstationen werden Patienten aufgenommen, deren Zustand bedrohlich ist oder deren Zustand bedrohlich werden könnte. So führen nicht nur schwere Krankheiten, sondern auch Zustände nach großen und stark eingreifenden Operationen zur intensivmedizinischen Überwachung und ggf. Behandlung. Prinzipiell muss eine gewisse günstige Prognose des krankhaften Zustandes gegeben sein.
Die Ergebnisse intensivmedizinischer Behandlung umfassen entsprechend der grundlegenden Erkrankung eine große Spannweite. Ziel ist die Wiederherstellung der völligen Gesundheit oder wenigstens das Erreichen eines weitgehend autonomen Zustandes des Patienten. Sogenannte lebensverlängernde Maßnahmen verfolgen somit keinen Selbstzweck.
Die Zunahme von Prozess-, Struktur- und Ergebnisqualität in der Intensivmedizin ist mit einem umfassenderen Einsatz der Methoden verbunden.
Terminale Erkrankungen, wie zum Beispiel Krebs im Endstadium, führen nicht zur Aufnahme auf die Intensivstation. Auf diesem Gebiet ist die Palliativmedizin etabliert.
Elementarstörungen
- Störungen der Atmung (u. a. ARDS, Lungenödem)
- schwere Elektrolytstörungen
- Störungen der Hämostase (Blutgerinnung)
- Schock (dazu gehören anaphylaktischer Schock, hypovolämer S., neurogener S., cardiogener S., septischer S.)
- schwere Bewusstseinsstörungen
Komplexe Krankheitsbilder
- Sepsis, SIRS
- Multiorganversagen, MOF, MODS
- Lungenversagen, ARDS, respiratorische Insuffizienz, Lungenembolie, Lungenödem
- akutes Nierenversagen (bis zu 30 % der Intensivpatienten sind primär oder sekundär betroffen)
- Kreislaufschock in den verschiedenen Formen: hämorrhagischer Schock, septischer Schock, hypovolämischer Schock, neurogener Schock
- überwachungspflichtige postoperative Zustände (z. B. nach Herzoperationen)
- schwere Herzerkrankungen (Myokardinfarkt, dekompensierte Herzinsuffizienz)
- gefährliche Herzrhythmusstörungen (Arrhythmien)
- schwere neurologische Erkrankungen: Schlaganfall (Behandlung auf speziellen Stroke Units), cerebrale Blutungen, Subarachnoidalblutung, Guillain-Barré-Syndrom, schwere Meningitis, myastenische Krisen, Delir, Delirium tremens
- schweres Schädel-Hirn-Trauma
- Polytrauma und andere lebensbedrohliche Verletzungen
- schwere Bauchfellentzündung
- akute Bauchspeicheldrüsenentzündung
- schwere Vergiftungen
- schwere Allgemeininfektionen
Überwachungsmethoden
Der Zustand schwer Erkrankter kann sich rasant ändern. Dieser Tatsache tragen standardisierte Überwachungsmaßnahmen Rechnung. Die Überwachung lässt sich in Methoden ohne und mit technischen Hilfsmitteln einteilen:
Klinische Überwachung
Voraussetzung einer ausreichenden Überwachung ist in jedem Fall die persönliche Beobachtung durch das pflegende oder ärztliche Personal, wozu auch eine immense bettseitige Dokumentationspflicht beiträgt.
Zur Beurteilung der Bewusstseinslage fehlen heute noch in aller Regel technische Hilfsmittel, sodass das Neuromonitoring nach anerkannten und standardisierten verbalen Stadien- und Zustandseinteilungen erfolgt (beispielsweise Glasgow Coma Scale [GCS] bei Hirntraumatisierten, die anhand einer verbalen Zustandsbeschreibung des Patienten eine Indizierung erbringt). Zur Beurteilung von Schmerzen werden verbale rating scales (VRS) oder visuelle Analogskalen (VAS) herangezogen.
Technisches Monitoring
Auf der Intensivstation werden Patienten zusätzlich durch das Personal kontinuierlich durch Vitaldatenmonitore oder Patientenmonitore überwacht. Neben der kontinuierlichen Überwachung mit Alarmweiterschaltung erlauben die technischen Methoden auch eine weitergehende Standardisierung der Messwertermittlung, da subjektive Fehler weitgehend ausgeschlossen werden. Außerdem bieten die Vitaldatenmonitore Schnittstellen, über die die Messwerte ausgelesen und automatisch in einem Patientendatenmanagementsystem dokumentiert werden können.
Bei den Messverfahren unterscheidet man zwischen nichtinvasiven und invasiven Methoden. Zur invasiven Überwachung eines Parameters muss auf irgendeinem Wege die Körperoberfläche durchdrungen werden, zum Beispiel in Form von Kathetern, die in die großen Venen des Körpers eingeführt werden. Dieses Vorgehen beinhaltet immer ein gewisses Risiko, sei es durch Infektion oder Auslösung von Blutungen. Das strategische Ziel der technischen Entwicklung wird immer die nichtinvasive Messwertermittlung sein.
Grundlegende nichtinvasive Überwachungsmethoden befassen sich mit der Überwachung des Herz-Kreislauf- und Atmungssystems. Da es sich bei der Ableitung des EKG, der Überwachung des Blutdruckes, der Körpertemperatur und der Sauerstoffsättigung des Blutes um nichtinvasive Methoden handelt, gibt es kaum Patienten auf einer Intensivstation, bei denen diese Messungen nicht vorgenommen werden.
Zu den invasiven, meist umfassenderen, aber auch komplikationsträchtigeren Verfahren, gehören die Messung des zentralen Venendruckes, die arterielle Blutdruckmessung und der Einsatz des Lungenarterienkatheters. Mit letzterer Methode können Parameter gemessen werden, aus denen sich zum Beispiel die Sauerstoffausschöpfung des zirkulierenden Blutes und die Pumpfunktion des Herzens mit Herzzeitvolumen ermitteln lassen. Das Verfahren ist relativ riskant, da es zu einer mechanischen Reizung des Herzens kommt, die Herzrhythmusstörungen auslösen kann. Aktuell werden risikoärmere Methoden eingeführt, die den Pulmonalkatheter bei gewissen Indikationen ersetzen können.
Dank moderner technischer Entwicklung halten zunehmend Laborautomaten Einzug auf Intensivstationen. Damit können häufig benötigte Werte, wie zum Beispiel Blutgase, Säure-Basen-Status, Elektrolyte, Hämoglobin bettseitig und somit schnell ermittelt werden (Point-of-Care-Testing).
Ergänzt werden die Methoden durch bildgebende Verfahren, wie Röntgendiagnostik (beispielsweise zur Beurteilung der Lunge) und Ultraschall, die in der Regel im Bereich der Intensivstation durchgeführt werden. Untersuchungen, wie CT oder Kernspin werden in den Spezialabteilungen (Röntgenabteilung) durchgeführt. Zu diesem Zweck werden die Patienten bei Bedarf mit mobilen Behandlungseinheiten (zum Beispiel Beatmungsgeräten) zu den jeweiligen Großgeräten transportiert. Auch in dieser mobilen Situation außerhalb der Station darf die Überwachungs- und Betreuungsqualität der Patienten nicht abnehmen.
Eine Methodenliste befindet sich auch hier.
Therapiemethoden
Es kommen unter anderem zum Einsatz:
- Beatmung
- Infusions-, Transfusionstherapie
- kontinuierliche medikamentöse Therapie mittels Spritzenpumpen (z. B. Katecholamine)
- Dialyse, Hämofiltration
- künstliche Ernährung
- Defibrillation
- ECMO (extrakorporale Membranoxygenierung)
Hygiene und Infektion
Patienten intensivmedizinischer Einrichtungen haben ein fünf- bis zehnfach höheres Infektionsrisiko gegenüber Patienten von Normalstationen. Bei intensivpflichtigen Patienten addieren sich verschiedene infektionsbegünstigende Faktoren, die vom Patienten selbst und von Behandlungsmaßnahmen ausgehen.
Patientenseitig führen vor allem die Grunderkrankung und die Begleiterkrankungen zu einer Schwächung der Abwehrlage. Infektionsbegünstigend wirken zudem ein schlechter Ernährungszustand, hohes Alter (statistisch gesehen) und Bewusstseinsstörungen.
Therapieseitig durchbrechen eine Reihe von Maßnahmen die natürliche Immunbarriere des vorgeschädigten Organismus. Ursachen und Folgen können sein:
- Beatmung: Durch Schädigung der Clearancefunktion der Tracheal- und Bronchialschleimhaut werden Tracheo-/Bronchitiden und Pneumonien befördert.
- zentrale Gefäßzugänge: Durch Aufhebung der Kontinuität der Haut geht deren Schutzfunktion verloren. Folge ist meist eine Sepsis.
- Zugänge zu Körperhöhlen: Im gleichen Sinne wie bei der Beatmung sind Magensonden und Harnblasenkatheter Eintrittspforten für pathogene Keime.
- besondere Therapien: Durch die Erhöhung des Magensaft-pH-Wertes im Rahmen der sogenannten „Stressulcusprophylaxe“ wird dessen desinfizierende Wirkung aufgehoben. Das führt zur Keimverschleppung in den Magen-Darm-Trakt (Intestinuum). Die Besiedlung durch pathogene Keime kann zu Funktionseinschränkung und -ausfall des Darmes führen.
- Chemotherapie: Folge der begleitenden Immunsuppression kann eine Sepsis sein.
Patienten nach Knochenmarktransplantationen sind durch die notwendige Immunsuppression in hohem Maße infektionsgefährdet.
Auf den Intensivstationen müssen auch zunehmend Patienten behandelt werden, die mit Keimen infiziert sind, die gegen die üblichen Antibiotikabehandlungen resistent sind (beispielsweise Oxacillin- oder Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus).
Schätzungsweise sind zwei Drittel aller Infektionen auf der Station erworben worden (nosokomiale Infektion). Aus diesen Gründen sind auf Intensivstationen besondere Hygienemaßnahmen notwendig, um das Infektionsrisiko zu verringern:
- Bauliche Maßnahmen: Die Stationen sind mit einem Schleusensystem ausgestattet, in dem Personal und Besucher ihre Kleidung wechseln können.
- Bereichskleidung: Das Personal trägt spezielle Kleidung, die nur innerhalb der Intensivstation getragen wird.
- Händehygiene: Die Hände des Personals haben sich als das größte Übertragungreservoir herausgestellt. Daher ist bei der Arbeit am Patienten häufig eine Händedesinfektion notwendig.
- Tröpfcheninfektion: Bei der Arbeit mit besonders immungeschwächten Patienten muss ein Mundschutz getragen werden.
- Isolation: Patienten mit extrem geschwächter Abwehrlage (Knochenmarkstransplantation) müssen zu ihrem eigenen Schutz isoliert werden. Dagegen werden Patienten mit multiresistenten Keimen (MRSA, siehe oben) zum Schutz der Umwelt isoliert. Viele interdisziplinäre Intensivstationen verfügen für letztgenannte Patienten über spezielle Zimmer, die über ein eigenes Schleusensystem verfügen.
Es gibt zudem eine Reihe sinnvoller therapeutischer Maßnahmen, die darauf abzielen, normale Körperfunktionen gezielt zu unterstützen, wie z. B. weitgehender Verzicht auf parenterale Ernährung.
Unter den in der Intensivmedizin anzutreffenden Umständen ist auch unter hygienischer Sicht eine ständige Abwägung zwischen notwendigen (oft lebenserhaltenden) Maßnahmen und deren Nebenwirkungen zu treffen.
Literatur
- P. Lawin, H.W. Opderbecke, H.-P. Schuster (Hgg.): Die Intensivmedizin in Deutschland: Geschichte und Entwicklung. Springer 2013, ISBN 978-3-642-63962-3.[4]
Siehe auch
- Semmelweis-Reflex - Semmelweis führte 1847/48 unterschiedlich starkes Auftreten von Kindbettfieber auf mangelnde Hygiene bei Ärzten und Krankenhauspersonal zurück. Seine Erkenntnisse wurden fast zwei Jahrzehnte abgelehnt bzw. geleugnet. - Viele Ärzte konnten sich damals nicht vorstellen, dass von ihnen Gefahren für den Patienten ausgehen könnten.
- Pediatric Critical Care Medicine
Weblinks
- Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e. V.
- Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e. V.
- Berufsverband Deutscher Anästhesisten e. V.
- Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin e. V.
Einzelnachweise
- ↑ Louise Reisner-Sénélar (2011) The birth of intensive care medicine: Björn Ibsen’s records, Intensive Care Medicine
- ↑ S. Pincock Bjørn Ibsen The Lancet 2007
- ↑ L. Reisner-Sénélar (2009) Der dänische Anästhesist Bjørn Ibsen – ein Pionier der Langzeitbeatmung über die oberen Luftwege, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main 2009
- ↑ Leseprobe
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