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Reichskanzlei
Die Reichskanzlei war die Behörde des Reichskanzlers des Deutschen Reichs von 1878 bis 1945. Die Behörde war vor allem für den Verkehr des Reichskanzlers mit den übrigen Reichs- und Staatsorganen verantwortlich. Die Leitung oblag einem Staatssekretär. Sie hatte ihren Sitz in der sogenannten „Alten Reichskanzlei“ in der Berliner Wilhelmstraße 77, dem ehemaligen Palais des polnischen Fürsten Antoni Henryk Radziwiłł, auch „Palais Radziwill“, „Palais Schulenburg“ oder „Reichskanzlerpalais“ genannt. Die Reichskanzlei wurde auf Drängen Otto von Bismarcks in diesem Gebäude eingerichtet.
Die Reichskanzlei wurde zuweilen auch „Reichskanzleramt“ genannt. Sie ist aber nicht zu verwechseln mit dem tatsächlichen Bundeskanzleramt des Norddeutschen Bundes, das seit 1871 Reichskanzleramt hieß. Es entwickelte sich zum Reichsamt des Innern.
Anfangszeit
Das Gebäude der Alten Reichskanzlei war 1738/39 von Carl Friedrich Richter erbaut worden. Im Jahr 1869 kaufte Bismarck das Palais für Zwecke der preußischen Staatsregierung. 1875 erwarb das Kaiserreich das Gebäude, das in Zukunft als Wohn- und Amtssitz des jeweiligen Reichskanzlers diente. In den Jahren 1875–1878 erfolgte im Inneren des Gebäudes ein Umbau nach Plänen von Wilhelm Neumann. Ab 1878 nutzte Bismarck das Palais als Residenz und die neu gegründete Behörde Zentralbureau des Reichskanzlers bezog mit ihm zusammen das Palais. Bismarck schlug zudem die Umbenennung des Palais in Reichskanzlei vor.
Die Reichskanzlei als Geschäftszentrale des Bundeskanzlers ist nicht mit dem norddeutschen Bundeskanzleramt von 1867 zu verwechseln, das 1871 in Reichskanzleramt umbenannt wurde. Das Reichskanzleramt war der Vorläufer des Reichsamts des Innern, des späteren Innenministeriums.[1]
Im Jahr 1878 tagte im Festsaal, in der Mitte des Obergeschosses, der Berliner Kongress, der unter der Vermittlung Bismarcks eine Beilegung der vorangegangenen Balkankrise aushandelte. Auch die Kongokonferenz (1884/1885), die die koloniale Aufteilung Afrikas regelte, fand an diesem Ort statt.
Zwischen 1928 und 1930 entstand ein Erweiterungsbau auf dem benachbarten Grundstück Wilhelmstraße 78. Die entsprechenden Vorarbeiten leitete der Staatssekretär der Reichskanzlei. Für das zu errichtende Gebäude gab es im Frühjahr 1927 einen Einladungs-Wettbewerb, der vorsah, die Lücke zwischen dem vorhandenen Kanzleigebäude und dem Palais Borsig stilistisch angepasst zu schließen. Für die notwendigen Arbeiten standen mehr als 200.000 Mark bereit.[2] Die Architekten Eduard Jobst Siedler und Robert Kisch waren die Sieger des Wettbewerbes und ihre Pläne wurden weitestgehend umgesetzt.
Das Reichskanzlerpalais war zwischen 1932 und 1933 vorübergehend Dienstwohnung des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, da zu dieser Zeit Hindenburgs Wohnung im Reichspräsidentenpalais (Wilhelmstraße 73) renoviert wurde.
Spätere Nutzung
In den Jahren 1934/1935 erfolgten ein erneuter Umbau sowie eine Neueinrichtung der Wohn- und Arbeitsräume für Adolf Hitler, der Führerwohnung, durch Paul Ludwig Troost, Gerdy Troost und Leonhard Gall. Dabei verlegten die Architekten die Repräsentationsräume für den Empfang von Gästen von der ersten Etage in das Erdgeschoss. Dieses beherbergte im alten Corps de Logis (Mittelbau) des Palais neben der Vorhalle auf der Gartenseite den Salon sowie den neu angebauten Saalbau mit großem Speisesaal für diplomatische Empfänge und einem Wintergarten.[3] Der Kabinettsaal wurde vom Erweiterungsbau (1930) zurück in den Konferenzsaal im Obergeschoss des Mittelbaus verlegt. Nach der Fertigstellung der Neuen Reichskanzlei wurde der Kabinettsaal dorthin verlegt, während der Konferenzsaal meist ungenutzt blieb, nur Hitlers Geburtstagsgeschenke wurden hier alljährlich aufgestellt. Außerdem befanden sich in der ersten Etage Hitlers privates Arbeitszimmer, sein Schlafzimmer mit Bad und das Zimmer von Eva Braun. Auf der Gartenseite wurde unter Speisesaal und Wintergarten ein Luftschutzbunker errichtet, der „Vorbunker“ des späteren Führerbunkers.
Nach Plänen von Hitlers Hausarchitekten Albert Speer entstand 1935–1943 die Neue Reichskanzlei entlang der Voßstraße; ein Neubau, der mit seinen monumentalen Ausmaßen von 421 Metern in der Länge den Herrschaftsanspruch der Nationalsozialisten widerspiegeln sollte. Die offizielle Einweihung des in Teilen noch nicht fertiggestellten Bauwerkes fand am 10. Januar 1939 statt. Im Garten der Alten Reichskanzlei wurde westlich des Saalbaus ab 1943 der Führerbunker angelegt.
Im Zweiten Weltkrieg wurde 1945 die Alte Reichskanzlei schwer beschädigt. Am 13. Oktober 1948 ordnete die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) an, den mit dem NS-Regime verbundenen Gebäudekomplex aus Palais Borsig sowie Alter und Neuer Reichskanzlei abzutragen, weil er zu einer Wallfahrtsstätte von Rechtsextremisten hätte werden können. Die Ruine der Alten Reichskanzlei wurde daraufhin bereits im Laufe des Jahres 1949 beseitigt.
Siehe auch
- Kleine Reichskanzlei in Berchtesgaden
- Neue Reichskanzlei
- Liste der Staatssekretäre der Reichskanzlei
- Reichskabinettsrat
Literatur
- Thomas Sandkühler: Die Reichskanzlei in der Wilhelmstraße 1871-1945 und Adolf Hitlers „Führerwohnung“: Geschichte eines vergessenen Ortes. In: Susanne Kähler, Wolfgang Krogel (Hrsg.): Der Bär von Berlin. Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins. 65. Jg., Berlin 2016, S. 101–138.
- Laurenz Demps: Berlin-Wilhelmstraße. Eine Topographie preußisch-deutscher Macht. 3. aktualisierte Auflage. Ch.Links, Berlin 2000, ISBN 3-86153-228-X.
- Sonja Günther: Design der Macht. Möbel für Repräsentanten des „Dritten Reiches“. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1992, ISBN 3-421-03029-4.
- Dietmar Arnold, Reiner Janick: Neue Reichskanzlei und „Führerbunker“ – Legenden und Wirklichkeit. Ch. Links Verlag, Berlin 2005, ISBN 3-86153-353-7.
- Hans Günter Hockerts: Basislager der Forschung: Die Edition der Akten der Reichskanzlei (PDF; 447 kB). Über die erhaltenen Akten der Reichskanzlei. (In: badw.de 2005. Überblick über eine bedeutende Quellenpublikation, Link siehe unter Weblinks)
- Manfred Neumann: Von der Reichskanzlei zum Bundeskanzleramt – Vor 120 Jahren: Bismarck gründet die Reichskanzlei. In: AöR, Bd. 124, 1999, S. 108–130.
- Christoph Neubauer: Die Reichskanzlei – Architektur der Macht, Bd. 1 (1733–1875). Chr. Neubauer Verlag, Großschönau 2014, ISBN 978-3-9813977-1-0.
- Andreas Nachama (Hrsg.): Die Wilhelmstraße 1933–1945 – Aufstieg und Untergang des NS-Regierungsviertels. Stiftung Topographie des Terrors, 2012, ISBN 978-3-941772-10-6, S. 45 ff.
Weblinks
- Online-Version der Edition „Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik“
- 3D-Animation der Neuen Reichskanzlei
- 2D-Bilder und stereoskopische 3D-Bilder der Alten Reichskanzlei
- Reich bebilderte Dokumentation zur Geschichte der Reichskanzlei, zusammengestellt von Thomas Sandkühler, 108 Seiten
Einzelnachweise
- ↑ Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band III: Bismarck und das Reich, W. Kohlhammer, Stuttgart u. a. 1963, S. 832/833.
- ↑ Erweiterungsbau der Reichskanzlei. In: Vossische Zeitung, 19. Januar 1927, Morgenausgabe; S. 5
- ↑ 3D-Modell der Reichskanzlei: 15 = alte Reichskanzlei, 18 = Erweiterungsbau 1930, 14 = Saalbau 1935, rot = Bunker, links 1943, rechts 1935, 1/2/3 = Neue Reichskanzlei 1939
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- Reichsbehörde in Berlin