Jewiki unterstützen. Jewiki, die größte Online-Enzyklopädie zum Judentum.
Helfen Sie Jewiki mit einer kleinen oder auch größeren Spende. Einmalig oder regelmäßig, damit die Zukunft von Jewiki gesichert bleibt ... Vielen Dank für Ihr Engagement! (→ Spendenkonten) |
How to read Jewiki in your desired language · Comment lire Jewiki dans votre langue préférée · Cómo leer Jewiki en su idioma preferido · בשפה הרצויה Jewiki כיצד לקרוא · Как читать Jewiki на предпочитаемом вами языке · كيف تقرأ Jewiki باللغة التي تريدها · Como ler o Jewiki na sua língua preferida |
Abhängigkeit (Medizin)
Abhängigkeit (umgangssprachlich Sucht) bezeichnet in der Medizin das unabweisbare Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand. Diesem Verlangen werden die Kräfte des Verstandes untergeordnet. Es beeinträchtigt die freie Entfaltung einer Persönlichkeit und zerstört die sozialen Bindungen und die sozialen Chancen eines Individuums.[1] In den Fachgebieten Psychologie und Psychiatrie werden verschiedene Formen von Abhängigkeit beschrieben:
- Abhängigkeitssyndrom durch psychotrope Substanzen (substanzgebundene Abhängigkeit, stoffliche Abhängigkeit, s. a. Toleranzentwicklung),
- Schädlicher Gebrauch von körperlich nichtabhängigkeitserzeugenden Substanzen,
- Substanzungebundene Abhängigkeit (nichtstoffliche Abhängigkeit), sowie
- Co-Abhängigkeit, wenn Tun oder Unterlassen von Bezugspersonen die substanzgebundene Abhängigkeit einer Person stärkt.
In zahlreichen offiziellen und inoffiziellen Einrichtungen wird der Begriff „Sucht“ allerdings weiterhin verwendet.[2]
Medizinisch und psychologischer Fachbegriff
Im offiziellen Sprachgebrauch der Weltgesundheitsorganisation (WHO) existierte der Begriff Sucht von 1957 bis 1963. Danach wurde er zunächst durch Missbrauch und Abhängigkeit ersetzt.[1] Schließlich wurde nach 1969 das Missbrauchskonzept zugunsten vier definierter Klassen des Gebrauchs verworfen:[3]
- Unerlaubter Gebrauch ist ein von der Gesellschaft nicht tolerierter Gebrauch.
- Gefährlicher Gebrauch ist ein Gebrauch mit wahrscheinlich schädlichen Folgen für den Konsumenten.
- Dysfunktionaler Gebrauch liegt vor, wenn psychische oder soziale Anforderungen beeinträchtigt sind.
- Schädlicher Gebrauch hat bereits schädliche Folgen (Zellschäden, psychische Störung) hervorgerufen.
Diese Bezeichnungen haben in das ICD-10 Eingang gefunden, allerdings findet sich im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders-IV (DSM-IV) nach wie vor die Bezeichnung „Missbrauch“. Aufgrund dieser WHO Klassifikation sind missbräuchliche und abhängige Konsummuster im sozial-rechtlichen Sinne Krankheiten mit Rechtsstatus.[4]
Der professionelle und wissenschaftliche Sprachgebrauch in den Bereichen Medizin, Psychiatrie, Psychologie und Soziale Arbeit bevorzugt mittlerweile die Formulierungen des ICD-10 und spricht von Abhängigkeit und speziell vom Abhängigkeitssyndrom für substanzgebundene Abhängigkeiten. Die Vermeidung des Terminus Sucht sollte die Stigmatisierung Erkrankter vermeiden und deutlich machen, dass es sich bei Abhängigkeiten um Krankheiten handelt. Die Begrenzung des Abhängigkeitssyndroms auf stoffliche Abhängigkeiten macht zudem auf Unterschiede zu nichtstofflichen Abhängigkeiten aufmerksam; dieser Begriff ist damit differenzierter als Sucht, welche unterschiedslos stoffliche und nichtstoffliche Abhängigkeiten umfasst.
In der American Psychiatric Association war die Ersetzung durch „Abhängigkeitssyndrom“ umstritten. Gegen die Verwendung des Suchtbegriffs wurde die damit einhergehende Stigmatisierung jener Betroffenen vorgebracht, die Medikamente, welche das Zentralnervensystem beeinflussen, einnehmen und damit nach der damals geltenden Definition als „süchtig“ galten.[5] Der Begriff Sucht wurde von der American Psychiatric Association bis 1987 im DSM-III[5] für das Abhängigkeitssyndrom verwendet.
In der Gesellschaft ist der Begriff Sucht weiterhin weit verbreitet und wird auch durch die Medien noch sehr häufig benutzt.
Suchtmedizin
Die Suchtmedizin ist ein Fachbereich der Psychiatrie. Sie befasst sich mit der Vorbeugung, Erkennung, Behandlung und Rehabilitation von Krankheitsbildern im Zusammenhang mit dem schädlichen Gebrauch psychotroper Substanzen und substanzungebundener Abhängigkeit.
Forschungsschwerpunkte der Suchtmedizin sind
- die Identifizierung neurobiologischer und psychosozialer Faktoren, die für die Entwicklung von Abhängigkeitserkrankungen und für deren Bewältigung beeinflussen,
- die Suche nach Möglichkeiten, wie man Rückfällen vorbeugen kann (medikamentös und/oder psychotherapeutisch)
- epidemiologische Fragestellungen zur Verbreitung und Häufigkeit von Abhängigkeiten.
Deutschland
Seit dem Grundsatzurteil des Bundessozialgerichts vom 18. Juni 1968[6] ist mit der Alkoholabhängigkeit erstmals ein Abhängigkeitssyndrom als Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung anerkannt. Sie und andere Kostenträger übernehmen seither die Kosten für die Behandlung von Begleiterkrankungen der Abhängigen sowie für Leistungen zur Rehabilitation, Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit.
Der erste Lehrstuhl für Abhängigkeitserkrankungen in Deutschland wurde 1999 am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim eingerichtet.
Substanzverlangen
Substanzverlangen oder Craving (engl. Begierde, Verlangen) ist ein Fachbegriff aus der Suchtmedizin. Craving oder constant craving umschreibt das kontinuierliche und nahezu unbezwingbare Verlangen eines Suchtkranken, sein Suchtmittel (Alkohol, Tabak, sonstige Drogen) zu konsumieren.[7] Craving ist das zentrale Moment des Abhängigkeits- und Entzugssyndroms.
Auch die Gier nach fetten und süßen Speisen bei Fettleibigkeit wird als „Craving“ bezeichnet.
Diskussion um die Bezeichnungen Sucht und Abhängigkeit
Kritik am Begriff der Abhängigkeit umfasst die sprachliche Gleichsetzung von medizinisch betreuten Patienten, mit vorrangig körperlicher Abhängigkeit (z. B. Schmerzpatienten unter Morphiumbehandlung) und auch stark psychisch Abhängigen, wie Heroinabhängigen oder Alkoholikern. Diese sei irreführend und hinderlich: Sie rufe bei Schmerzpatienten Angst vor dem Vollbild der körperlichen und psychischen Abhängigkeit hervor. Im Zuge der Ausarbeitung der aktuellen Version des „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (DSM) von der American Psychiatric Association wurde über die Wiederaufnahme des Suchtbegriffs nachgedacht.[8]
Sucht in der Umgangssprache
In der Umgangssprache wird von dem Beobachter ein, seiner Meinung nach, krankhaftes, übermäßigen oder zwanghaften Verhalten oder Gebrauch von Substanzen bezeichnet.[9] „Süchtig nach Ruhm“, „Süchtig nach Schokolade“, oder ähnliche Redewendungen, haben nichts mit der Definition der Abhängigkeit im medizinischen Sinne z. B. nach den Kriterien der WHO gemein und sind zu unterscheiden.
Etymologie Sucht
Das Wort „Sucht“ (germ. suhti-, ahd. suht, suft, mhd. suht) geht auf „siechen“ (ahd. siuchan, mhd. siechen) zurück, das Leiden an einer Krankheit bzw. Funktionsstörung. Im heutigen Sprachgebrauch ist das Adjektiv „siech“ (vergleiche auch engl. sick, ndl. ziek) nur noch regional gebräuchlich.
Bereits 1888 definierte Meyers Konversationslexikon „Sucht“ als ein in der Medizin veraltetes Wort, das früher ganz allgemein Krankheit bedeutete, z. B. in Schwindsucht, Wassersucht, Fettsucht, Fallsucht, Gelbsucht.
Diese historischen Krankheitsbezeichnungen beschrieben meist nur das auffälligste Symptom. Der Schwindsüchtige „schwindet dahin“, im Wassersüchtigen sammelt sich Wasser, der Fettsüchtige ist zu fett, der Gelbsüchtige verfärbt sich gelb, der Trunksüchtige trinkt zu viel. Durch Verwendungen wie Tobsucht und Mondsucht wurde Sucht auch als krankhaftes Verlangen verstanden.[10] Daraus entstand im 20. Jahrhundert der moderne Suchtbegriff im Sinne von Abhängigkeit. Anfänglich bezog er sich nur auf die Trunksucht (Alkoholkrankheit). Später wurden auch andere Abhängigkeiten als Sucht bezeichnet. So ist seit 1829 bei Christoph Wilhelm Hufeland die „Opiumsucht“ – im 18. Jahrhundert noch „Knechtschaft“ (servitus) genannt – belegt.[11]
Literatur
- Otto Benkert, Florian Holsboer, Gerhard Gründer: Handbuch der Psychopharmakotherapie. 1. Auflage. Springer, Berlin 2007, ISBN 978-3-540-20475-6, doi:10.1007/978-3-540-68748-1.
- Michael Klein: Kinder und Suchtgefahren. Risiken – Prävention – Hilfen. Verlag Schattauer, 2007, ISBN 978-3-7945-2318-4.
- Rainer Thomasius, Michael Schulte-Markwort, Udo J. Küstner, Peter Riedesser: Suchtstörungen im Kindes- und Jugendalter: Das Handbuch: Grundlagen und Praxis. Verlag Schattauer, 2008, ISBN 978-3-7945-2359-7.
- Christoph Möller: Drogenmissbrauch im Jugendalter. Ursachen und Auswirkungen. 3. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, 2009, ISBN 978-3-525-46228-7.
- Ambros Uchtenhagen, Walter Zieglgänsberger; Suchtmedizin. Urban & Fischer Verlag, ISBN 3-437-21780-1.
- S3-Leitlinie Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen In AWMF online (Stand: 25. Oktober 2012)
- Die Zeitschrift Sucht – Zeitschrift für Wissenschaft und Praxis der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen erscheint sechs Mal im Jahr.
- Jan Snagowski: Cybersex addiction: Conditioning processes and implicit cognition. Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, Duisburg / Essen 2016, DNB 1098130561 (Kumulative Dissertation Universität Duisburg-Essen 2016, 156 Seiten, Betreuer: Matthias Brand, Volltext online PDF, kostenfrei, 156 Seiten, 2 MB, englisch)
Weblinks
- Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie e.V
- Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V.
- Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin e.V.
- Einträge im NIH-Studienregister
Siehe auch
Portal:Drogen – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Drogen Portal:Psychologie – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Psychologie Portal:Geist und Gehirn – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Geist und Gehirn
- Abhängigkeitssyndrom durch psychotrope Substanzen
- Substanzungebundene Sucht
- Schädlicher Gebrauch von nichtabhängigkeitserzeugenden Substanzen
- Impulskontrollstörung
- Zwangsstörung
- Psychiatrie
- Droge
- Selbstmedikation
- Co-Abhängigkeit
- Abhängige Persönlichkeitsstörung
- Drogentherapie
- Entzugssyndrom
- Abhängigkeitspotenzial
- Alkoholkrankheit
- Süchtig – Protokoll einer Hilflosigkeit (Langzeit-Dokumentarfilm)
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 Lexikon online für Psychologie und Pädagogik: Sucht
- ↑ Zum Beispiel die Abteilung „Drogen und Sucht“ des Bundesgesunheitsministeriums, das „Projekt Suchtforschung“ des Bundesbildungsministeriums, die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin und die Deutsche Gesellschaft für Suchtpsychologie
- ↑ Stieglitz u. a.(Hrsg.): Kompendium. Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatische Medizin. Karger, Basel 2002.
- ↑ Ruthard Stachowske: Eltern mit Abhängigkeitserkrankungen. Jugendhilfe Lüneburg gGmbH / Universitätsklinik Ulm, abgerufen am 14. August 2014 (PDF; 1,42 MB).
- ↑ 5,0 5,1 Robin L. Fainsinger, Vincent Thai, Gary Frank, Jean Fergusson: What’s in a Word? Addiction Versus Dependence in DSM-V. In: American Journal of Psychiatrie. 2006;163, S. 764–765, doi:10.1176/appi.ajp.163.5.764.
- ↑ Aktenzeichen 3 RK 63/66
- ↑ M. Haney: Self-administration of cocaine, cannabis and heroin in the human laboratory: benefits and pitfalls. In: Addiction Biology. 14, Nr. 1, Januar 2009, S. 9–21, doi:10.1111/j.1369-1600.2008.00121.x, PMID 18855806.
- ↑ C. O’Brien, N. Volkow, T. Li: What’s in a word? addiction versus dependence in DSM-V. In: American Journal of Psychiatry. 2006; 163, S. 764–765 Volltext mit zahlreichen Hinweisen auf offizielle Stellen, die den Begriff Sucht verwenden.
- ↑ Duden: Sucht, Begriffsdefinition „Sucht“.
- ↑ Duden, Etymologie: Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache.
- ↑ Andreas-Holger Maehle: Selbstversuche und subjektive Erfahrung in der Opiumforschung des 18. Jahrhunderts. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 13, 1995, S. 287–297; hier: S. 292.
Bitte den Hinweis zu Gesundheitsthemen beachten! |
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Abhängigkeit (Medizin) aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |