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Taktgefühl
Taktgefühl (auch kurz Takt, veraltet Zartsinn) ist die umgangssprachliche Bezeichnung für die Fähigkeit, mit anderen Menschen in Kontakt zu stehen, ohne sie zu brüskieren oder zu beschämen oder ihnen unangemessen zu nahe zu treten. Es kann sich auch zur Charaktereigenschaft verfestigen. Helmuth Plessner bezeichnete den Takt als den „ewig wache(n) Respekt vor der anderen Seele und damit die erste und letzte Tugend des menschlichen Herzens“.[1]
Soziologisch wird Takt in einen „Satz von Verhaltensformen für Kommunikationspartner“ gefasst, die die Selbstdarstellung des anderen nicht durchbrechen wollen „und ihn auch dort noch schonen, wo er unglaubhaft wird“.[2] Bestandteil eines taktvollen Handelns ist, dass es unauffällig bleibt. Niklas Luhmann hat in seiner Sozialtheorie darauf hingewiesen, „daß Takt nur mittels Erwartung von Erwartungen möglich ist“, zudem „nicht einfach die Erfüllung fremder Erwartungen“ ist, „sondern ein Verhalten, mit dem A sich als derjenige darstellt, den B als Partner braucht, um derjenige sein zu können, als der er sich A gegenüber darstellen möchte“.[3]
Taktgefühl, auch wegen der erforderlichen Sensibilität in übertragener Weise Fingerspitzengefühl genannt,[4] drückt sich im Konkreten sowohl darin aus, was gesagt, gefragt oder getan wird, als auch darin, auf welche Weise und zu welchem Zeitpunkt dies geschieht, wobei es auch eine Rolle spielt, in welchem Verhältnis die jeweiligen Personen zueinander stehen.
Taktgefühl im Verhalten gegenüber Menschen
Taktgefühl setzt die Fähigkeit voraus, ein Maß zu erspüren und es als nicht zu überschreitende Grenze zu respektieren. Dieses Maß ist für jeden Menschen anders und daher nicht objektiv ermittelbar. Es wird durch Vorbild und Weltkenntnis erworben oder bestärkt und setzt Toleranz voraus. Es ist deshalb nicht gang und gäbe.
Im Jahr 1788 schrieb Adolph Freiherr Knigge im 1. Kapitel seines Buches Über den Umgang mit Menschen:
„Enthülle nie auf unedle Art die Schwächen Deiner Nebenmenschen, um Dich zu erheben! Ziehe nicht ihre Fehler und Verirrungen an das Tageslicht, um auf ihre Unkosten zu schimmern!“
und wies darauf hin, dass „die Kunst des Umgangs mit Menschen“ erlernt werden kann:[5]
„Der, welchen nicht die Natur schon mit dieser glücklichen Anlage hat geboren werden lassen, erwerbe sich Studium der Menschen, eine gewisse Geschmeidigkeit, Geselligkeit, Nachgiebigkeit, Duldung, zu rechter Zeit Verleugnung, Gewalt über heftige Leidenschaften, Wachsamkeit auf sich selber und Heiterkeit des immer gleich gestimmten Gemüts; und er wird sich jene Kunst zu eigen machen; doch hüte man sich, dieselbe zu verwechseln mit der schändlichen, niedrigen Gefälligkeit des verworfenen Sklaven, der sich von jedem mißbrauchen läßt, sich jedem preisgibt; um eine Mahlzeit zu gewinnen, dem Schurken huldigt, und um eine Bedienung zu erhalten, zum Unrechte schweigt, zum Betruge die Hände bietet und die Dummheit vergöttert!“
Eng mit dem Taktgefühl verknüpft ist auch die Achtsamkeit zur Vermeidung von Gesichtsverlust, die beispielsweise im sozialen Umgang in Japan, China und anderen asiatischen Ländern von großer Bedeutung ist.
Taktgefühl im Berufsleben
Das Taktgefühl ist nicht mit professioneller Behutsamkeit, Einfühlsamkeit oder Zurückhaltung zu verwechseln, obwohl es sich darin äußern kann. Denn bei den auf sachtes Vorgehen hin ausgebildeten Berufstätigen, wie zum Beispiel bei Priestern oder Psychoanalytikern, ist deren Bestreben, andere zu beeinflussen, vorauszusetzen.
Taktgefühl in Wirtschaft und Politik
Mangelndes Taktgefühl wird Personen in Führungsfunktionen vorgeworfen, wenn sie eine wirtschaftliche oder politische Machtposition in einer Weise ausnutzen, die als unangemessen gilt oder ihnen persönlichen Vorteil bringt.
So warf beispielsweise 2007 Bundeswirtschaftsminister Michael Glos dem Vorstandschef der Deutschen Post, Klaus Zumwinkel, mangelndes Taktgefühl bezüglich des Zeitpunkts von Aktienverkäufen der Post-AG vor.[6]
Ebenfalls erregte die 2008 vorgesehene Erhöhung von Abgeordnetendiäten Unmut über fehlendes Taktgefühl.[7]
Kritik
Taktgefühl dient als Methode der Manipulation von Menschen und basiert auf dem Verzerren und dem Zurückhalten von Aussagen, während ein Plan der Situation im Geheimen behalten werden muss.[8] Es steht damit im Gegensatz zur Ehrlichkeit. Taktgefühl untergräbt zudem das Vertrauen in die andere Person mit der (subjektiven) Wahrheit angemessen umzugehen.[9]
Ein weiteres Problem mit Taktgefühl besteht darin, dass es sich nicht um einen physiologischen Sinn handelt. Vielmehr basiert Taktgefühl auf Intuition und dem Wissen über kulturelle und persönliche Zusammenhänge. Taktgefühl ist damit anfällig für kognitive Verzerrungen.
Der Vorwurf des „mangelnden Taktgefühls“ wird zudem, analog zum „fehlenden Hausverstand“, als rhetorisches Werkzeug eingesetzt, um das Verhalten einer anderen Person abzuwerten, wenn es an sachlichen Argumenten mangelt.
Einzelnachweise
- ↑ Helmuth Plessner: Grenzen der Gemeinschaft. In: Helmuth Plessner: Gesammelte Schriften V. Frankfurt/M. 1981, S. 107.
- ↑ Hubert Treiber, Rüdiger Lautmann: Takt. In: Werner Fuchs-Heinritz u. a. (Hgg.): Lexikon zur Soziologie. 4. Auflage. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007, S. 655.
- ↑ Niklas Luhmann: Rechtssoziologie. 3. Auflage. Opladen 1987, S. 36.
- ↑ Gerhard Strauß, Gisela Harras, Ulrike Haß: Brisante Wörter von Agitation bis Zeitgeist: Ein Lexikon zum öffentlichen Sprachgebrauch. Walter de Gruyter, 1989, S. 713.
- ↑ Adolph Freiherr Knigge: Über den Umgang mit Menschen. Online-Text, Projekt Gutenberg-DE.
- ↑ Glos attackiert Post-Chef wegen Aktienverkaufs, abgerufen am 16. März 2013
- ↑ Unmögliches Taktgefühl, abgerufen am 16. März 2013
- ↑ Brad Blanton: Radical Honesty: How to Transform Your Life by Telling the Truth. Sparrowhawk, 2005-05-15, ISBN 9780970693846.
- ↑ John O. Stevens: Die Kunst der Wahrnehmung: Übungen der Gestalttherapie. Kaiser, 2002 (Originaltitel: Awareness: Exploring, Experimenting, Experiencing), ISBN 9783579022789, S. 268.
Literatur
- Helmuth Plessner, Grenzen der Gemeinschaft, 1924 (Kap. 6: Die Logik der Diplomatie. Die Hygiene des Taktes)
- Ferdinand Tönnies, Takt in der Politik. Bemerkungen zu einer unerfreulichen Episode, in: Vorwärts, 16. Juni 1932, S. 1 [auch in: Ferdinand Tönnies Gesamtausgabe, Bd. 22, Berlin/New York 1998, S. 294–298]
Weblinks
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