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Indigene Völker
Indigene Völker oder autochthone Völker sind nach einer international gebräuchlichen Definition marginalisierte Bevölkerungsgruppen, die Nachkommen einer Bevölkerung sind, die vor der Eroberung, Kolonisation oder der Gründung eines Staates durch andere Völker in einer Region lebte, die sich bis heute als eigenständiges Volk verstehen und ihre eigenen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Institutionen beibehalten haben.
Definition
Die heute meistgebrauchte Definition dieses Begriffs geht auf UN-Sonderberichterstatter José Martínez-Cobo zurück, der diesen 1986 in seiner grundlegenden Studie über Diskriminierung gegen Indigene Völker[1] an vier Kriterien knüpfte.
Der folgende Wortlaut weicht leicht von der Cobo-Definition ab und orientiert sich an der weiter präzisierten Fassung von Erika-Irene Daes, der langjährigen Vorsitzenden der UN-Arbeitsgruppe über Indigene Bevölkerungen.[2]
- Zeitliche Priorität in Bezug auf die Nutzung oder Besiedlung eines bestimmten Territoriums: Indigene Völker sind relativ die „ersten“ Bewohner eines Gebiets.
- Die freiwillige Bewahrung kultureller Besonderheit (engl. voluntary perpetuation of cultural distinctiveness), die die Bereiche Sprache, Gesellschaftsorganisation, Religion und spirituelle Werte, Produktionsweisen und Institutionen betreffen kann: Indigene Völker sind kulturell deutlich von der dominierenden Gesellschaft unterschieden.
- Selbstidentifikation und Anerkennung durch andere als eine distinkte Gemeinschaft: Die Betroffenen müssen selbst mehrheitlich der Ansicht sein, dass sie einer distinkten Gruppe (einem Volk) angehören und dass dieses als „indigen“ anzusehen ist. Gleichzeitig muss diese Ansicht von anderen, etwa von Angehörigen anderer indigener Völker in nennenswertem Umfang geteilt werden.
- Eine Erfahrung von Unterdrückung, Marginalisierung, Enteignung, Ausschluss oder/und Diskriminierung, wobei diese Bedingungen fortbestehen oder nicht: Der Grad der heute fortbestehenden Unterdrückung kann höchst unterschiedlich sein – von struktureller Benachteiligung bei Aufstiegsmöglichkeiten bis hin zu Zwangsvertreibung und Ausrottung. Als Gruppe erfahrene Unterdrückung ist in jedem Fall konstitutiv für das politische Selbstverständnis indigener Völker.
Diese vier Kriterien müssen nicht immer in gleicher Weise zutreffen, sondern es handelt sich hierbei um eine Arbeitsdefinition, die die Mehrzahl der Fälle angemessen beschreibt. Eine exklusive, „harte“ Definition des Begriffs „Indigene Völker“ kann und soll es nach Ansicht ihrer Vertreter, die aber auch von der UN-Arbeitsgruppe über Indigene Bevölkerungen geteilt wird, nicht geben.[3]
Das Konzept indigen findet teilweise auch dann Anwendung, wenn einzelne Kriterien nicht bzw. nicht mehr zutreffen. So kann die Selbstidentifikation als indigen fortdauern, auch wenn die erlittene Marginalisierung bereits (weitestgehend) überwunden ist, so etwa bei den Inuit Grönlands.
Ein zentrales Element der Unterscheidung indigener Gemeinschaften von der nicht-indigenen Mehrheitsgesellschaft ist oftmals die besonders enge Bindung indigener Kulturen an ihr jeweiliges Territorium sowie die besonders enge Beziehung zu diesem, die zumeist auch spirituelle Dimension besitzt.[4]
Zentral zum Verständnis des Begriffs ist der Aspekt des Kollektivs. Indigene Völker existieren als Gesellschaften, nicht als bloße Ansammlung von Individuen. Somit sind die Forderungen nach indigenen Rechten überwiegend Forderungen nach Kollektivrechten.
Etymologie
Indigene Völker ist eine relativ junge Lehnübersetzung wahrscheinlich vom spanischen Pueblos indígenas und bezeichnet Gemeinschaften von Ureinwohnern einer Region oder eines Landes. Der Ausdruck „Indigene Völker“ hat in Lateinamerika als Sammelbezeichnung für alle Nachkommen der vorkolumbischen Bevölkerung die auf Kolumbus' Verwechslung mit Indien beruhenden Begriffe Indios/Indianer ersetzt.
Die Bedeutung von „indigen“ wurde als „aus Indien stammend“ bzw. „indianischen Ursprungs“ (lat. Indus = „indisch“ also nach Columbus auch „indianisch“, und -genus = „geboren, stammend“) gedeutet, weil mit dem Begriff Völker beschrieben wurden, die von präkolumbianischen Hochkulturen (also „indianischen Kulturen“) abstammen. Tatsächlich setzt sich das Wort aus dem Altlateinischen indi- (indu-), „innen, ein-“ und -genus = „geboren“ zusammen, was direkt als „eingeboren“ bzw. „Eingeborener“ zu übersetzen wäre.
In internationalen politischen Kontexten ist Indigene Völker/Indigenous People(s)/Pueblos Indígenas die übliche Sammelbezeichnung für Ureinwohnervölker aller Kontinente, während im nationalen Rahmen oft andere Sammelbegriffe verwendet werden (z. B. Aborigines, Native Americans, First Nations, Adivasi).
Der Begriff autochthone Völker (von Altgriechisch αὐτός autós „selbst“ und χθών chthōn „Erde“, also etwa „einheimisch“, „eingeboren“ oder „alteingesessen“) ist ein Synonym zu „indigene Völker“, das vor allem im Französischen häufiger verwendet wird („peuples autochtones“). Als Gegenteil wäre allochthon „von fremder Herkunft“ zu sehen.
Begriffsabgrenzung
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Ureinwohner, Urbevölkerung
Ureinwohner und Urbevölkerung für Indigene Völker ist ein ethnologisch wenig brauchbarer Begriff: Er impliziert, diese Gruppe wäre schon immer dort ansässig gewesen und eine Form von „Originalbevölkerung“, was nur in vereinzelten Ausnahmen gilt. In Europa wären als solches vielleicht die Samen oder die Basken zu bezeichnen (aber auch das ist unklar), anthropologisch korrekt müsste man den Ausdruck wohl auf die Neandertaler anwenden. In jedem Fall ist die Betonung eines ursprünglichen Vorrechts durch (möglichst) lange, ursprüngliche Besiedlung insofern als Konstruktion zu betrachten, als die heutigen Bewohner und ihre sozio-kulturellen Zusammenhänge nicht mit denen der Erstbesiedler identisch sind bzw. sein können.
Eingeborene
Die deutsche Entsprechung des Begriffs indigen wäre „eingeboren“, doch findet das Wort Eingeborene aufgrund seines kolonialen oder romantisierenden Beiklangs heute wenig Verwendung. Es lässt sich wertneutral kaum verwenden.
Naturvölker
Der romantisierende Begriff Naturvolk wird im Deutschen oft synonym mit „Indigene Völker“ verwandt. Dieser Begriff kennt keine englische Entsprechung und ist als Teil des spezifischen Indianerbildes im deutschen Sprachraum nur ebendort bedeutend.
Während indigen eine politische Kategorie ist, bezieht sich „Naturvolk“ auf das romantische Ideal des Edlen Wilden, der in vollkommener Harmonie mit der Natur lebe (siehe auch Naturzustand nach Rousseau). Dabei wird übersehen, dass auch „naturverbundene“ menschliche Gemeinschaften stets „Kultur“ hervorbringen. So sind beispielsweise die tropischen Regenwälder und die Tundren des russischen Nordens Kulturlandschaften, die durch indigene Völker geprägt wurden und werden. Das Umweltbewusstsein und die soziale Harmonie „natürlicher“ und früher Gesellschaftsformen werden durch kulturanthropologische Studien in Frage gestellt.[5]
„Indigene Völker“ bezieht sich zentral auf den Umstand der Benachteiligung und fordert die Verwirklichung und Achtung von Rechten ein. Anhänger des „Naturvolk“-Begriffs streben dagegen die Konservierung einer vermeintlich oder tatsächlich naturnahen, nicht-technisierten Lebensweise an, was die Gefahr des Paternalismus birgt. Dagegen schließt das Konzept „indigene Völker“ vor allem das Recht der Betroffenen ein, selbst über die eigene Entwicklung zu bestimmen, unabhängig davon, ob das Ergebnis dem Klischee vom Edlen Wilden entspricht oder nicht. Insbesondere fordert das „Indigene-Völker“-Konzept aber auch, die vormals vorhandenen rechtlichen Systeme dieser Völker als gültig anzuerkennen und in Bezug auf Rechtsnachfolge in moderne Rechtskontexte einzubinden. Darum hat dieses Konzept, das letztlich in der Aufhebung rechtlicher Benachteiligung münden soll, häufig eine Kollision mit Rechtskontexten der Indigenen zur Folge. Eine häufig umstrittene Frage ist das Recht am Land, das in europäisch geprägten, liberalen Gesellschaften individuell verstanden wird, bei vielen Indigenen aber kollektiv. Das Land eines „indigenen Volkes“ gilt dann als unveräußerlich. Dies wiederum führt zu Konflikten mit Verwertungsinteressen, vor allem externen, aber auch internen. Hier wird der Begriff „Naturvolk“ als Begriff kritisiert, der ein Verharren in einem vorkulturellen, „rechtlosen“ Zustand nahelegen will.
Nationale Minderheiten
Vertreter indigener Völker legen großen Wert auf die Unterscheidung zwischen nationalen Minderheiten, Volksgruppen und indigenen Völkern. Zu den wichtigsten Unterscheidungsmerkmalen gehören die spezifische Bindung indigener Völker an ihre jeweiligen Territorien, der Umstand der politischen und ökonomischen Marginalisierung sowie der größere kulturelle und soziale Abstand zur jeweiligen Mehrheitsgesellschaft. Außerdem umfasst der Begriff „nationale Minderheit“ auch Gruppen, die selbst eine Vorbevölkerung überlagert haben oder sekundär zugewandert sind.
Eindeutig um nationale Minderheiten handelt es sich bei Angehörigen einer Ethnie, die in einem anderen Staat die Titularnation stellt, also etwa Ungarn in Rumänien, Dänen in Schleswig-Holstein, Serben in Kroatien oder Polen in Litauen. In der Bundesrepublik Deutschland sind Dänen, Friesen, Sorben, Roma und Sinti deutscher Staatsbürgerschaft als nationale Minderheiten anerkannt. Als territorial nicht gebundene Minderheit sind in der Schweiz „Fahrende“ anerkannt. Inwieweit diese Gruppen dann unter den Begriff indigen fallen, hat mit dem Minderheiten-Status keinen Zusammenhang.
Eine Volksgruppe ist im rechtlichen Kontext in Österreich synonym zu einer nationalen Minderheit, sonst aber nicht, und kann sich auch auf polyethnische Gesellschaften beziehen und ist auch sonst wenig spezifisch.
Mythos und Religion
Neue Erkenntnisse der Mythosforschung deuten darauf hin, dass die ältesten Kulturvorstellungen mythischer Art waren, d. h., die Menschen waren davon überzeugt, dass alle Vorgänge sowohl im als auch außerhalb des Menschen durch Gottheiten bewirkt werden. Die Geschichten deren Wirkens, die der Philosoph und Mythosforscher Kurt Hübner als archai bezeichnet, wurden im jahreszeitlichen Rhythmus mündlich überliefert und führten zu einem zyklischen Zeitbewusstsein bei den mythischen Vorstellungen.[6] Dieses zyklische Zeitbewusstsein ist typisch für viele indigene Völker. Jedoch konnten sich nur wenige indigene Völker dem Einfluss der Weltreligionen entziehen und ihre traditionellen Religionen und Mythen unbeeinflusst bewahren.
Konfliktfelder
Land- und Ressourcenkonflikte
Da viele indigene Völker in zum Teil ressourcenreichen Gebieten der Erde leben, sind Konflikte, vor allem um Landnutzung und -rechte, ein generelles Problem dieser Völker. Ein Großteil der Uran-, Erdöl-, Gold- und Kohleförderung der Erde findet in den Gebieten indigener Völker statt. Ähnliches gilt für einen großen Teil der Atomtests der letzten Jahrzehnte, für Atommüllendlager und Großstaudämme. Dabei ziehen die Aktivitäten transnationaler Konzerne oftmals Militarisierung, Gewalt und bewaffnete Konflikte nach sich, so etwa auf der zu Papua-Neuguinea gehörenden Insel Bougainville, bei der ein Bürgerkrieg wegen einer Kupfermine des Konzerns Rio Tinto Group etwa 10 000 Menschen das Leben kostete.[7]
Auch die Einrichtung von Großschutzgebieten zur Erhaltung der Natur verläuft nicht immer konfliktfrei für die Ureinwohner. So wurden insbesondere in mehreren afrikanischen Ländern indigene Gruppen von ihrem angestammten Land vertrieben, um die Gebiete in Nationalparks umzuwidmen. Interessenvertreter der Indigenen sehen darin wirtschaftliche Interessen: Ehemals ökonomisch wertlose Gebiete, in denen durch die in der Subsistenzwirtschaft lebenden Völker weder Geld hinein noch hinaus floss, werden durch den Status von Nationalparks und infolge von Tourismus sowie Infrastrukturmaßnahmen monetär in Wert gesetzt. Als Verursacher oder zumindest Dulder dieses Vorgehens werden auch die großen Umweltschutzorganisationen WWF, Conservation International und Nature Conservancy genannt.[8] Auf der anderen Seite verlieh der WWF 2011 einem samischen Verein in Nordschweden eine Auszeichnung für das zukunftsweisende indigene Management des Laponia-Welterbeparks.[9] Die Erkenntnis, dass traditionelle indigene Lebens- und Wirtschaftsweisen ein integraler Bestandteil ursprünglicher Naturlandschaften sind, wäre für die betroffenen Völker ein bedeutender Schritt in die richtige Richtung. Als Vorbild sei z.B. der Nationalpark Xingu in Brasilien genannt. Über die Einrichtung von Großschutzgebieten für die Natur und die Naturvölker als ihre „Verwalter“ ließen sich Landrechtskonflikte sicherlich deutlich entschärfen.
Der Streit um das kleine „s“
Der „Streit ums kleine 's'“, also die Frage, ob es indigenous peoples (Völker) oder nur indigenous people (Menschen) gibt, gehört zu den bis heute am heftigsten umkämpften Fragen.
Aus diesem Grund heißt die zuständige UNO-Arbeitsgruppe bis heute Working Group on Indigenous Populations (UN-Arbeitsgruppe über Indigene Bevölkerungen (UNWGIP)), ebenso heißt ein neu eingerichtetes UN-Gremium in New York Permanent Forum on Indigenous Issues (Ständiges Forum über indigene Angelegenheiten). Beide Begriffe vermeiden die Verwendung von people und peoples, die statt des jeweils letzten Wortes verwendet werden könnten.
Der ernsthafte Hintergrund dieses Streits ist, dass das Völkerrecht mit dem Begriff Volk weit reichende spezifische Rechte verbindet, zuallererst das Recht auf Selbstbestimmung (Selbstbestimmungsrecht der Völker), was die freie Verfügung über Land und Ressourcen einschließt. Da indigene Völker häufig in ressourcenreichen Regionen leben, fürchten zahlreiche Regierungen im Falle einer Anerkennung dieses Rechts, die Kontrolle über diese Bodenschätze zu verlieren. Weiterhin besteht in Ländern, in denen gewaltsame Konflikte zwischen Regierungen und indigenen Völkern herrschen, mitunter die Befürchtung einer Sezession der Letzteren.
Historisch gibt es jedoch zahlreiche Beispiele dafür, dass Kolonialmächte indigene Völker als souveräne Rechtssubjekte anerkannt haben. Dies dokumentieren zuallererst zahlreiche historische Verträge, die etwa zwischen der englischen oder spanischen Krone oder der US-Regierung und indigenen Völkern in Nordamerika abgeschlossen wurden.
Unkontaktierte Völker bzw. Völker in freiwilliger Isolation
Weltweit haben sich mehr als hundert indigene Gruppen – meist nicht freiwillig, sondern aufgrund katastrophaler Erfahrungen – dafür entschieden, sich von der Außenwelt zu isolieren.[10] Diese werden zumeist als isolierte Völker (uncontacted peoples) bezeichnet. Der Grad der Isolation variiert. Einige unterhalten Kontakte zu benachbarten Stämmen. Ungewollter Kontakt und Vertreibung entstehen durch Rodung, Bergbau, Straßenbau und Eindringen von Goldsuchern. Aufgrund ihrer Isolation besitzen Angehörige solcher Gruppen teils keine wirksame Immunabwehr gegen Krankheiten, die für Angehörige der Mehrheitsgesellschaft zumeist harmlos sind.
Zahlreiche isolierte Gruppen leben in den Regenwäldern Perus und Brasiliens. Auf den zu Indien gehörenden Andamanen leben mit den Sentinelesen und Jarawa zwei Völker in verschiedenen Graden der Isolation.[11]
Kritik und Anspruch der Indigenen
In verschiedenen Veröffentlichungen weisen Vertreter unterschiedlicher indigener Völker immer wieder darauf hin, dass ihre Kulturen und Weltanschauungen Alternativen für die moderne westliche Lebensweise und ihre globalen Problemfelder bieten könnten. Häufig wird dabei kritisiert, dass die westliche Welt ihre Kulturen als primitiv oder unterentwickelt betrachten würde, obwohl sie in der Regel auf eine jahrtausendealte, erfolgreiche Lebensstrategie zurückblicken könnten. In allen diesen Publikationen geht es nicht um eine romantisch verklärte Rückkehr zum Leben in der Natur, sondern vielmehr um die Aufnahme bewährter Elemente oder traditioneller, oftmals nachhaltig orientierter Werte ihrer Kulturen in die moderne Lebensweise.[12][13][14] Insbesondere der globalisierte Kapitalismus steht dem entgegen. So hat sich z. B. die Situation der kleinen Völker Nordsibiriens nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion aufgrund der neuen Marktstrukturen drastisch verschlechtert und der Preisdruck für Rentierfleisch zwingt immer mehr nordeuropäischen Sami zur umweltschädigenden Intensivierung oder Aufgabe der traditionellen Rentierzucht. Beim 8. Weltsozialforum in Belem (2009) forderten indigene Organisationen eine Abkehr von der „kapitalistischen Ausbeutung“, welche die „kolonialistische westliche Zivilisation“ über die Länder Südamerikas gebracht habe. Es bedürfe neuer und kreativer Optionen für eine „Koexistenz zwischen Natur und Gesellschaft“ nach dem Vorbild der indigenen Kulturen.[15] Eine weitreichende anti-westliche Philosophie, die den Europäer als krankhaft bösen Menschen darstellt, dessen Symptomatik (genannt „Wétiko-Psychose“) sich seuchenartig auf die unterworfenen Völker übertragen würde, entwickelte der US-indianische Professor Jack D. Forbes.
Forderungen indigener Völker
Zentrale Forderung der meisten Organisationen indigener Völker ist die verbindliche und uneingeschränkte Anerkennung ihrer Menschenrechte, beginnend mit dem Recht auf Selbstbestimmung, wie es in den ersten Artikeln der Internationalen Pakte über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie über bürgerliche und politische Rechte, also der beiden wichtigsten völkerrechtlich verbindlichen Menschenrechtsdokumente ausdrücklich anerkannt wird.
Dabei ist Selbstbestimmung keineswegs gleichbedeutend mit Sezession (obwohl das Sezessionsrecht als Teil des Selbstbestimmungsrechtes der Völker diskutiert wird) und der Gründung eines eigenen Staates, sondern es geht um die prinzipielle Anerkennung eines Rechts.
In Fällen, wo z. B. transnationale Konzerne große industrielle Vorhaben (z. B. Bau von Großstaudämmen, Erdöl- oder Uranförderung, Atomtests, Entsorgung von Giftmüll) auf von indigenen Völkern genutzten oder bewohnten Territorien planen, fordern indigene Völker, dass dies nur nach einer Freien, Vorherigen und Informierten Zustimmung[16] geschehen darf.
In einigen Ländern ist die Forderung nach Free, Prior and Informed Consent bereits gesetzlich verwirklicht, so etwa auf den Philippinen.
Auf der Ebene des internationalen Rechts gehören die Verabschiedung einer Erklärung der Rechte indigener Völker der UN-Generalversammlung vom 13. September 2007 (Resolution 61/295 der UN-Generalversammlung)[17][18] (über 20 Jahre nachdem die entsprechende Arbeitsgruppe mit der Erarbeitung begonnen hatte), sowie die Ratifizierung des Übereinkommens Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation[19] zu den Hauptforderungen.
Indigene Völker weltweit
Die Gesamtzahl der Angehörigen der indigenen Völker der Erde wird auf etwa 350 Millionen Menschen geschätzt. Dabei bestehen vor allem in Asien und Afrika erhebliche Unsicherheiten, denn in diesen Kontinenten stellen sich viele Regierungen auf den Standpunkt, die gesamte Bevölkerung sei indigen, während für Ethnologien „echte“ indigene auch nach der Unabhängigkeit ehemaliger Kolonien oft weiter unterdrückt werden, was bei der Mehrheitsbevölkerung nicht der Fall ist. Sie bezeichnen indigene Völker daher oft auch als innere Kolonien oder Vierte Welt.
Siehe auch:
- Liste indigener Völker
- Indigene Völker Europas
- Indigene Völker Asiens
- Indigene Völker Afrikas
- Indigene Völker Amerikas
- Indigene Völker Australien-Ozeaniens
Literatur
- Kerstin Asmuss: Ansprüche indigener Völker auf Rückführung rechtswidrig ausgeführten Kulturgutes. eine Untersuchung für Ansprüche aus Art. 5 UNIDROIT-Konvention 1995 und aus allgemeinem Völkerrecht. Nomos, Baden-Baden 2011, ISBN 978-3-8329-6538-9. (= Veröffentlichungen aus dem Institut für Internationale Angelegenheiten der Universität Hamburg. Band 36, zugleich Dissertation an der Universität Hamburg 2010)
- Julia Collins-Stalder: Bohrtürme und Rentierschlitten. Indigene Bevölkerung und die Öl- und Gasindustrie im postsozialistischen Russland. Universität Bern, Bern 2010, ISBN 978-3-906465-52-4. (= Institut für Sozialanthropologie: Arbeitsblatt. Nr. 52 PDF 1.05 MB)
- Erika-Irene A. Daes: Indigenous Peoples. Keepers of our Past – Custodians of our Future. International Work Group for Indigenous Affairs, Kopenhagen 2008, ISBN 978-87-91563-43-0.
- Dieter Gawora, Maria Helena de Souza Ide, Romulo Soares Barbosa (Hrsg.), Mirja Annawald (Übers.): Traditionelle Völker und Gemeinschaften in Brasilien. Lateinamerika-Dokumentationsstelle. Kassel University Press, Kassel 2011, ISBN 978-3-86219-150-5. (= Entwicklungsperspektiven. Nr. 100)
- Bruce E. Johansen (Hrsg.): Indigenous Peoples and Environmental Issues: An Encyclopedia. Westport, CT, Greenwood Press, 2003, ISBN 0-313-32398-4. (illus., bibliog., index.)
- Iris Pufé: Klima, Wälder, Indigene Völker. Umwelt- und Entwicklungspolitik im Rahmen des “Klima-Bündnisses” zur Erhaltung von Natur und Kultur in Amazonien. oekom Verlag, München 2007, ISBN 978-3-86581-063-2. (Hochschulschriftenreihe Nachhaltigkeit)
- Roque Roldán, Norbert Rehrmann (Übersetzer); Klima-Bündnis /Alianza del Clima e.V / Nationale Indianer-Organisation Kolumbiens / Zentrum zur Kooperation mit den Indianern (Hrsg.): Erdöl-, Erdgas-, Bauxit-, Kohle- und Goldförderung auf indigenen Territorien. Kassel University Press, Kassel 2005, ISBN 3-89958-523-2. (= Entwicklungsperspektiven. Nr. 73/74)
Siehe auch
- Ethnische Minderheit
- Volksstamm
- UN-Arbeitsgruppe über Indigene Bevölkerungen
- Menschenrechte
- Indigene Völker der letzten Wildnisregionen
Weblinks
Draft United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples
- Indigenous Portal Zentrale Nachrichtenseite indigener Völker, eingerichtet im Zusammenhang mit dem UN-Weltgipfel über die Informationsgesellschaft
- International Work Group for Indigenous Affairs (IWGIA)
- Survival International in Deutschland
- Institut für Ökologie und Aktions-Ethnologie e.V. (infoe)
- Centre for World Indigenous Studies
- IPS Inter Press Service Nachrichten über indigene Völker (englisch)
Einzelnachweise
- ↑ Jose-Martínes Cobo: Discrimination against indigenous people. UN-Dokument Nr. E/CN.4/Sub.2/1986/87
- ↑ Working Paper by the Chairperson-Rapporteur, Mrs. Erica-Irene A. Daes, on the concept of indigenous people. UN-Dokument E/CN.4/Sub.2/AC.4/1996/2 (Webdokument, unhchr.ch)
- ↑ Vgl. UN-Dokument E/CN.4/Sub.2/AC.4/1996/2
- ↑ Vgl. Indigenous Peoples and their Relationship to Land, Working paper by the Chairperson-rapporteur, Mrs. Erika-Irene Daes, UN-Dokument E/CN.4/Sub.2/2001/21 (Webdokument, unhchr.ch)
- ↑ Edgerton, Robert: Trügerische Paradiese. Der Mythos von den glücklichen Naturvölkern. Kabel, Hamburg 1994, ISBN 3-8225-0287-1.
- ↑ Vgl. Kurt Hübner, Die Wahrheit des Mythos, Beck Verlag München 1985 oder Mircea Eliade, Der Mythos der ewigen Wiederkehr, Düsseldorf 1953 (Übers. des Originals von 1949).
- ↑ Für eine allgemeine Analyse siehe auch das Arbeitspapier Webarchiv vom 26. September 2007 der eingelagerten Webseite: Indigenous Peoples and Conflict Resolution, UN-Dokument E/CN.4/Sub.2/AC.4/2004/2, von Miguel Alfonso Martínez, dem gegenwärtigen Vorsitzenden der UNWGIP (pdf)
- ↑ Mitteilung der „Freunde der Naturvölker e.V.“ auf: naturvoelker.org, 18. April 2012.
- ↑ Laponiaförvaltningen mottog pris av kungen. im Schwedischen Radio vom 12. Oktober 2011.
- ↑ Info von Survival international
- ↑ Das abgeschiedenste Volk der Welt?
- ↑ Sotsisowah (Sprecher): Ein Ruf zur Einsicht – Die Botschaft der Irokesen an die westliche Welt. Mammut Presse, Brühl 1984, ISBN 3-924307-01-6.
- ↑ Big Mountain Aktionsgruppe e.V. (Hrsg.): Stimmen der Erde. Raben, München 1993, ISBN 3-922696-37-6.
- ↑ Vierteljährlich erscheinende Zeitschrift „Coyote“ der Aktionsgruppe Indianer & Menschenrechte (ISSN 0939-4362)
- ↑ Coyote – Indianische Gegenwart Nr. 81, Frühjahr 2009, S. 8.
- ↑ UN-Website zu Free, Prior and Informed Consent im Internetarchiv
- ↑ United Nations adopts Declaration on Rights of Indigenous Peoples (www.un.org)
- ↑ Deutsche Übersetzung der UN-Erklärung der Rechte indigener Völker
- ↑ Text des Übereinkommens auf der Website der deutschen Kampagne für eine Ratifizierung des ILO-Übereinkommens Nr. 169.
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