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Wundarzt

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Wundarzt ist die frühere, vom Mittelalter bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts verwendete, heute nicht mehr gebräuchliche Bezeichnung für Chirurgen. Wundärzte waren vor allem dort anzutreffen, wo es am meisten Arbeit für sie gab, so z. B. beim Militär, wo sie Feldscher genannt wurden. Es gab jedoch auch Wundärzte, die – ähnlich wie heute – in größeren Ansiedlungen eigene Praxen betrieben oder als Wanderärzte durch die Lande zogen. Auch bei Hofe waren Wundärzte zur persönlichen Betreuung bessergestellter Persönlichkeiten angestellt. Wundärzte waren bei allerlei Krankheiten wichtige Anlaufstellen für die Bevölkerung. Im Mittelalter wurde es in vielen Städten üblich, Wundärzte als sogenannte Stadtärzte zu bestallen. Besondere Berühmtheit erlangte der in weiten Teilen Deutschlands tätig gewesene und in Münden verstorbene Johann Andreas Eisenbarth („Doktor Eisenbarth“, 1663–1727).[1] Ein anderes Beispiel ist Daniel Schwabe in Königsberg (Preußen).

Ausbildung

Wundärzte hatten in der Regel eine handwerkliche Ausbildung, sprich eine Handwerkslehre bei einem Bader oder Barbier, mit abschließender Gesellenprüfung, absolviert. Um die Ausbildung und Ausübung der Wundheilkunde qualitativ sicherzustellen und sich vor Missbrauch und Scharlatanerie zu schützen, wurden Berufsordnungen[2] erlassen, die die Tätigkeit der zünftischen[3] Wundärzte („Scherer“, „chirurgi“, „tonsores“)[4][5] regelten. Bestimmte Verrichtungen durften beispielsweise nur unter Aufsicht oder nach Anweisung eines gelehrten Arztes vorgenommen werden. Akademische Ärzte nahmen aber selbst keine chirurgischen Eingriffe vor. Die Chirurgie wurde deswegen damals als handwerkliche Ausbildung an den Universitäten gering geachtet oder war gar verpönt.

Manche Wundärzte waren auf bestimmte Verrichtungen spezialisiert, und konzentrierten sich z. B. auf das Starstechen oder das Steinschneiden, wie z. B. Lenhart Steinmann in Lübeck. Diese boten ihre Dienste vornehmlich auf Jahrmärkten an, wodurch der Scharlatanerie massiv Vorschub geleistet wurde.

Es gab auch Wundärzte, die ihre Kenntnisse als Autodidakten oder durch Überlieferung des Wissens in der Familie erlangt hatten. Sie konnten ihre Kunst nur mit einem landesherrlichen Privileg ausüben und mussten eine Prüfung vor dem Collegium Medicum bestehen.

Aufgaben des Wundarztes

James Gillray: Der Aderlass (um 1805)

Hauptaufgabe der Wundärzte war, wie der Name bereits vermuten lässt, neben dem damaligen Allheilmittel, dem Aderlass, die Versorgung äußerer Wunden (wie schon beim „arzet vür die wunden“ in Wolfram von Eschenbachs Parzival). Außerdem behandelten Wundärzte Abszesse, Tumore, Hämorrhoiden, Verbrennungen und Krampfadern, führten Starstiche, Blasenstein- und Bruchoperationen und Darmnähte durch, renkten Gelenke ein, versorgten Knochenbrüche und zogen Zähne. Außerdem nahmen Wundärzte Amputationen vor und stellten Prothesen her.[6]

Abgrenzung zwischen Wundarzt, Bader und Barbier

Die Ausübung der praktischen Chirurgie im Mittelalter oblag der in Zünften zusammengeschlossenen Handwerkschirurgen. Je nach regionaler Ausprägung waren dies die Bader, Barbiere und Wundärzte.[7] So lautet die englische Bezeichnung für den historischen Beruf des Baders „Barber-surgeon“ und die französische Bezeichnung „Barbier-chirurgien“. Die im Militär bestallten Bader, Barbiere oder Wundärzte wurden Feldscher genannt. Die Abgrenzung der Aufgaben des Wundarztes zu denen des Baders, Barbiers und Scherers ist somit schwierig. Auch ansässige oder wandernde Bader und Barbiere ließen zur Ader und behandelten Knochenbrüche, Verrenkungen, frische Wunden, Zahnschmerzen und allgemeine innere Erkrankungen. In der Hauptsache waren Barbiere für das Rasieren und den Aderlass zuständig und wirkten zusätzlich als Zahnärzte und Apotheker. Barbiere wurden gesellschaftlich weniger geachtet als Wundärzte, oft wurden sie, obwohl sie sich im Gegensatz zu den Wundärzten auch mit Medikamenten auskannten, sogar als Quacksalber bezeichnet. Dennoch brachten es einige Barbiere zu hohem Ansehen und Wohlstand. Bader übten die Tätigkeiten der „kleinen Chirurgie“ aus. Sie betrieben Badestuben und Heilbäder. Mitunter gingen sie ihrem Beruf auf Wanderschaft nach, welche ein geforderter Teil der Ausbildung zum Meister war. Bader wie Scherer gelten als Vorläufer des Wundarztes.[6]

Handwerksärzte und akademische Medizin

Schauspielerin verkleidet als Frau eines mittelalterlichen Chirurgen oder Kräuterdoktors, Archeon

Die Aufgaben der Wundärzte (chirurgi) und akademischer Mediziner (medici) begannen sich ab dem 10. Jahrhundert voneinander zu trennen.[8] Diese Trennung von Chirurgie und Innerer Medizin, der sich die akademischen Ärzte widmeten, wurde offiziell bestärkt durch einen Beschluss des Konzils von Tours (1163) und einen des IV. Laterankonzils von 1215. Damit wurde den Akademikern der Verzicht auf chirurgische Praktiken vorgeschrieben. Hintergrund war, dass es während und nach chirurgischen Eingriffen oft zu Todesfällen kam, was moralisch nicht mit dem geistlichen Amt der damals noch überwiegend klerikalen Ärzte zu vereinbaren war. Dadurch wurde die Chirurgie als mindere Medizin aus den Universitäten ausgeschlossen und in den Verantwortungsbereich der handwerklichen Bader und Barbiere gegeben. Ebenso wie akademische Ärzte keine chirurgischen Eingriffe vornahmen, war es Wundärzten untersagt, Innere Medizin zu betreiben.[6]

Wegen der strikten Trennung der Aufgabenbereiche kam es häufig zu Streitigkeiten und gegenseitigen Vorwürfen von Quacksalberei zwischen gelehrten Ärzten („Medici“, als städtische Angestellte auch „Physici“ genannt[9]) und Wundärzten. In der frühen Neuzeit wurde die Chirurgie zwar theoretischer Gegenstand der akademischen Ärzteausbildung, jedoch war die praktische Durchführung noch immer den Wundärzten überlassen. Auch assistierten Wundärzte bei Dozenten und Anatomen als „Prosektoren“ (Vorschneider) und nahmen, nach Anweisung der Gelehrten, die erforderlichen Eingriffe vor. Die Situation lässt sich anhand eines Zitates von Albrecht von Haller gut beschreiben: „Wiewohl ich 17 Jahre hindurch Professor der Chirurgie gewesen bin und an Leichen immer wieder die schwierigsten chirurgischen Eingriffe gelehrt habe, so brachte ich es doch nie über mich, an lebenden Menschen das Messer anzuwenden, weil ich damit allzu sehr zu schaden fürchtete.“ Erst im 18. Jahrhundert wurde damit begonnen, die Berufe Wundarzt und gelehrter Arzt schrittweise einander anzunähern. Die handwerkliche Ausbildung der Wundärzte war bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein üblich.[6] In Preussen hob eine Gewerbeordnung von 1869[10] die Institution der Wundärzte auf.

In Österreich wurden unter Maria Theresia Anstalten für die Medizinisch-chirurgische Ausbildung der Wundärzte gegründet, da es für die medizinische Betreuung der Bevölkerung viel zu wenige akademische Ärzte gab. Diese Schulen wurde in den Hauptstädten jener österreichischen Regionen eingerichtet, wo keine Universitäten bestanden oder aber nur Universitäten ohne medizinische Fakultät. Diese Lehranstalten versorgten über 100 Jahre lang die Landbevölkerung mit tüchtigen Ärzten. Diese Studien dauerten anfangs zwei, später dann drei Jahre. Ab 1777 war für Wundärzte der Anatomieunterricht verpflichtend. Im 19. Jahrhundert wurden die Weichen für die moderne Medizin gestellt und die Zweiteilung in Innere Medizin und Chirurgie überwunden. 1873 wurden die Chirurgenschulen geschlossen. Arzt konnte man nur mehr durch ein akademisches Studium werden. Die praktizierenden Wundärzte in Österreich waren gegenüber den an den Universitäten promovierten Ärzten noch jahrelang in der Überzahl. Nach der Schließung der Chirurgenschulen ging naturgemäß ihre Anzahl allmählich zurück, bis sie 1937 auf Null war.[11]

Wundärzte als Kurpfuscher

Wundärzten war es, wie oben beschrieben nicht gestattet, Innere Medizin zu betreiben, die den gelehrten Ärzten vorbehalten war. Es war ihnen somit nicht erlaubt, den Ärzten „in die Kur zu pfuschen“. Viele Wundärzte missachteten die strikte Trennung in der Praxis und wurden so zu „Kurpfuschern“, was zunächst nicht die Qualität der Behandlung bewertete, sondern die Tatsache zum Ausdruck brachte, dass der „Kurpfuscher“ eine Behandlung durchführte, zu der er im Grunde nicht berechtigt war.[6][12]

Literatur

  • Oliver Bergmeier: Die sogenannte "niedere Chirurgie" unter besonderer Berücksichtigung der Stadt Halle an der Saale in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 2002. S. 6–30.
  • Peter Guttkuhn: Dr. med. Wilhelm Levens (1803–1859). Ein Arzt zwischen Gesundheits-Handwerk und wissenschaftlicher Medizin. In: Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt. 48 (1995), Heft 4: 7–11.
  • Dominik Groß: Die Aufhebung des Wundarztberufs im Spiegel zeitgenössischer wundärztlicher Quellen. Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 14 (1996), S. 459ff.
  • Dominik Groß: Die Aufhebung des Wundarztberufs - Ursachen, Begleitumstände und Auswirkungen am Beispiel des Königreichs Württemberg (1806-1918). (= Sudhoffs Archiv, Beiheft 41), Stuttgart 1999.
  • Ernst Theodor Nauck: Aus der Geschichte der Freiburger Wundärzte und verwandter Berufe. Freiburg im Breisgau 1965 (= Veröffentlichungen aus dem Archiv der Stadt Freiburg im Breisgau, 8).
  • Hans Schwabe: Der lange Weg der Chirurgie: Vom Wundarzt und Bader zur Chirurgie. Strom-Verlag, 1986.
  • Gustav Adolf Wehrli: Die Krankenanstalten und die öffentlich angestellten Ärzte und Wundärzte im alten Zürich. Zürich 1934 (= Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, XXXI, 3).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Barbara Kostolnik: Der illustre Doktor Eisenbarth - Quacksalber oder Wunderarzt? (Memento vom 10. Januar 2016 im Internet Archive) Bayerischer Rundfunk, 16. März 2015.
  2. Gustav Adolf Wehrli: Die Wundärzte und Bader als zünftige Organisation. Geschichte der Gesellschaft zum Schwarzen Garten [...]. Zürich 1931 (= Mitteilung der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, XXX, 8).
  3. Walter von Brunn: Von den Gilden der Barbiere und Chirurgen in den Hansestädten. Leipzig 1921.
  4. Gustav Steiner: Ärzte und Wundärzte. Chirurgenzunft und medizinische Fakultät in Basel. In: Basler Jahrbuch 1954, S. 179–209; hier: S. 179 und 182–185
  5. Conrad Brunner: Die Zunft der Schärer und ihre hervorragenden Vertreter unter den schweizerischen Wundärzten des XVI. Jahrhunderts. Zürich 1891.
  6. 6,0 6,1 6,2 6,3 6,4 Oliver Bergmeier: Die sogenannte "niedere Chirurgie" unter besonderer Berücksichtigung der Stadt Halle an der Saale in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 2002. S. 6–30.
  7. Gustav Adolf Wehrli: Die Bader, Barbiere und Wundärzte im alten Zürich. Zürich 1927 (= Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, XXX, 3).
  8. Bernhard Dietrich Haage: Medizinische Literatur des Deutschen Ordens im Mittelalter. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 9, 1991, S. 217–231; hier: S. 222.
  9. Michael Sachs: Matthäus Gottfried Purmann (1649–1711). Ein schlesischer Chirurg auf dem Weg von der mittelalterlichen Volksmedizin zur neuzeitlichen Chirurgie. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 12 (1994), S. 37–64; S. 37
  10. Eberhard P. Saft: Geschichte des Klosterhospitals der Barmherzigen Brüder in Breslau [...]. In: Festschrift des Klosterhospitals der Barmherzigen Brüder zur Zweihundertjahrfeier 1712–1912. Breslau 1912, S. 1–164; S. 195
  11. Anna Ehrlich: Ärzte, Bader, Scharlatane, Die Geschichte der österreichischen Medizin, Amalthea Verlag Wien 2007, ISBN 978-3-85002-574-4, S.192 ff.
  12. Kurpfuscher im Duden.
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